Fracht­kos­ten: Innun­gen kün­di­gen Reha-Verträge

Seit geraumer Zeit brodelt es in der Branche. Der Grund: steigende Frachtkosten. Das Thema hat Relevanz für die gesamte Hilfsmittelversorgung – im Speziellen allerdings für die Versorgung mit Reha-Technik, da hier in der Regel Fallpauschalen mit den Kassen vereinbart wurden. Die Verbände sind bereits bei allen Krankenkassenverbänden und der Gesundheitspolitik vorstellig geworden. Mehr als ein Schulterzucken gab es nicht. Nun haben die Landesinnungen Bayern und Baden-Württemberg die Reißleine gezogen und haben die ersten Reha-Verträge gekündigt.

Zudem wur­de auf Bun­des­ebe­ne eine Arbeits­ge­mein­schaft Reha der Leis­tungs­er­brin­ger gegrün­det, die sich spe­zi­ell dem The­ma wid­met und wei­te­re Schrit­te zur Siche­rung der Ver­sor­gung berät. „Die Kün­di­gung von Ver­trä­gen ist für uns sowohl auf Bun­des- als auch auf Lan­des­ebe­ne immer nur das aller­letz­te Mit­tel. Ein ver­trags­lo­ser Zustand bedeu­tet, dass unse­re Häu­ser die Ver­sor­gung von Men­schen mit Behin­de­rung und erns­ten Krank­heits­bil­dern ableh­nen müs­sen, weil Kran­ken­kas­sen eine wirt­schaft­li­che und damit kos­ten­de­cken­de Ver­sor­gung nicht über­neh­men wol­len. Mehr als 20 Mil­lio­nen Ver­si­cher­te sind auf eine Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung ange­wie­sen, damit sie ihren All­tag unbe­schwert meis­tern kön­nen. Unser Hand­werk ist es, Men­schen zu hel­fen und nicht, sie vor der Tür ste­hen zu las­sen – daher ris­kie­ren Häu­ser auch rote Zah­len, bevor sie Patient:innen ohne Ver­sor­gung weg­schi­cken. Ich bin froh, dass es in Baden-Würt­tem­berg daher eine Über­gangs­lö­sung und neue Ver­hand­lun­gen gibt“, so Alf Reu­ter, Prä­si­dent des Bun­des­in­nungs­ver­ban­des für Orthopädie-Technik.

Anzei­ge

Rote Zah­len für Betrie­be – Mehr­kos­ten für Versicherte

Wäh­rend freie Unter­neh­mer Kos­ten­stei­ge­run­gen an den Kun­den wei­ter­ge­ben kön­nen und Lie­fer­pro­ble­me von Fahr­rä­dern im Frei­zeit­markt ledig­lich ent­täusch­te Ver­brau­cher hin­ter­las­sen, sieht es im Gesund­heits­we­sen doch ein wenig anders aus. Hier garan­tie­ren Ver­sor­gungs­ver­trä­ge mit fes­ten Pau­scha­len, dass Leis­tungs­er­brin­ger zu einem bestimm­ten Preis ver­sor­gen müs­sen – hier ist die „Kunst“ des Ver­sor­gers gefragt, effi­zi­ent und mit mög­lichst gerin­gen Pro­zess- und Per­so­nal­kos­ten zu ver­sor­gen. Im Reha-Bereich bestim­men der­zeit noch Prei­se aus der Zeit der Aus­schrei­bung den Markt und daher sind die Mar­gen auf ein Mini­mum redu­ziert und auf rela­tiv sta­bi­le Ein­kaufs­prei­se ange­wie­sen. Daher lau­fen Betrie­be bei grö­ße­ren Preis­sprün­gen im Ein­kauf schnell in die roten Zah­len. Die­ser Umstand ist der­zeit so bri­sant, dass zum Teil reha­tech­ni­sche Hilfs­mit­tel nicht mehr über­all ver­füg­bar oder in der Qua­li­tät, wie sie es Ver­si­cher­te wün­schen, nur noch mit län­ge­rer War­te­zeit lie­fer­bar sind. Daher ent­schei­den sich immer mehr Patient:innen auf eige­ne Kos­ten jen­seits der gesetz­li­chen Ver­si­che­rung Rol­la­to­ren etc. zu beschaffen.

Fahr­plä­ne aus­ge­setzt – tages­ak­tu­el­le Premiumpreise

Vie­le reha­tech­ni­sche Hilfs­mit­tel kom­men aus Asi­en und wer­den über die Rou­te Shang­hai –Rot­ter­dam in soge­nann­ten 40-Fuß-Con­tai­nern ver­schifft. In einen sol­chen Con­tai­ner pas­sen bei­spiels­wei­se etwa 600 Rol­la­to­ren. Wäh­rend die Prei­se zwi­schen 2016 und 2020 rela­tiv sta­bil um etwa 1.800 Euro bis max. 2.000 Euro lagen, ver­lan­gen die Ree­de­rei­en bis zu 13.000 Euro. Die­se Preis­ent­wick­lung hat weit­rei­chen­de Kon­se­quen­zen: Für die Ree­de­rei­en war es logisch, sämt­li­che Lang­zeit­ver­trä­ge zu kün­di­gen und nur noch zu tages­ak­tu­el­len Höchst­prei­sen zu ver­stei­gern. Dadurch ist für kei­nen Ein­käu­fer mehr abzu­se­hen, zu wel­chem Preis und vor allem ob er über­haupt einen Con­tai­ner erstei­gern kann. Eine Lie­fe­rung kann Kun­den nicht mehr zuge­sagt wer­den. Ins­ge­samt haben Fahr­plä­ne daher auf der Rou­te Asi­en – Euro­pa kei­ne Rele­vanz mehr. Wäh­rend es in 8 Jah­ren zwi­schen 2012 und 2020 mit etwa 35 Vor­fäl­len kaum Ver­zö­ge­run­gen von mehr als zwei Wochen gab, lie­fen bereits 134 Con­tai­ner­schif­fe im ers­ten Halb­jahr von 2021 mit einer höhe­ren Ver­zö­ge­rung von 14 Tagen im Ziel­ha­fen ein. Neben Pre­mi­um­prei­sen wer­den Kos­ten für Zwi­schen­la­ge­rung, Vor­lauf und Nach­lauf unaus­weich­lich. Dr. Axel Frie­hoff von der EGROH GmbH und Mit­glied der ARGE Reha fasst den Zustand für sei­ne Häu­ser so zusam­men: „Der Ein­kauf wird kom­plett unbe­re­chen­bar und ver­langt logis­ti­sche Meis­ter­leis­tun­gen ab. Trotz­dem kön­nen wir kei­ne Ver­sor­gung nach Stand der Tech­nik auf Rezept mehr zu 100 Pro­zent garantieren.“

In einem Brand­brief an die Poli­tik fasst der Bun­des­ver­band der Deut­schen Indus­trie (BDI) die Lage wie folgt zusam­men: „Man­geln­de Con­tai­ner­ver­füg­bar­keit, feh­len­de Trans­port­ka­pa­zi­tä­ten und Unpünkt­lich­keit der Schiffs­an­künf­te sowie Qua­li­täts­de­fi­zi­te bei stei­gen­den Trans­port­kos­ten beein­träch­tig­ten sek­to­ren-über­grei­fend die Lie­fer­ket­ten und teil­wei­se auch die Pro­duk­ti­ons­ab­läu­fe bereits seit dem Jah­res­wech­sel. […]  Des Wei­te­ren ist ein merk­li­cher Anstieg der Ver­schie­bun­gen von Con­tai­ner-Abfahrts­zei­ten bzw. ‑ter­mi­nen bei den Ree­de­rei­en eine zusätz­li­che Belas­tung für die Plan­bar­keit von mari­ti­men Lie­fer­ket­ten und Pro­duk­ti­ons­pro­zes­sen für die Indus­trie. Die infol­ge­des­sen teils mas­si­ven Ver­spä­tun­gen der Trans­por­te von teils meh­re­ren Wochen in Im- und Export gehen zu Las­ten der Unter­neh­men. Zusätz­li­che Trans­port­men­gen fin­den aktu­ell kurz­fris­tig kaum Trans­port­ka­pa­zi­tä­ten und kön­nen teil­wei­se erst nach meh­re­ren Wochen ver­la­den wer­den, wäh­rend in man­chen Fäl­len ver­trag­lich gere­gel­te Men­gen­ver­ein­ba­run­gen von den Ree­de­rei­en nicht ein­ge­hal­ten werden.“

Poli­tik und Kran­ken­kas­sen zei­gen sich unbeeindruckt

Nicht nur der BDI schlägt bei der Poli­tik Alarm. Bereits Anfang des Jah­res wies das Bünd­nis „Wir ver­sor­gen Deutsch­land“ Kran­ken­kas­sen und Ver­tre­ter der Gesund­heits­po­li­tik auf die besorg­nis­er­re­gen­den Zustän­de hin. In einem Live-Talk mit Dr. Roy Küh­ne, MdB und Bericht­erstat­ter für Heil- und Hilfs­mit­tel, wur­de der Hil­fe­ruf laut und deut­lich. Es kam zu einem Run­den Tisch mit dem Spit­zen­ver­band der Ersatz­kas­sen, für den die im Bünd­nis zusam­men­ge­schlos­se­nen Ver­tre­tun­gen der Leis­tungs­er­brin­ger zusam­men mit der Indus­trie detail­lier­te Zah­len auf den Tisch leg­ten. Auf Nach­fra­ge bei dem Bünd­nis ist bis heu­te kei­ne wei­te­re Rück­mel­dung auf die Pro­ble­ma­tik des vdek ergan­gen und der Gesprächs­fa­den sei­tens der Kran­ken­kas­sen nicht wei­ter auf­ge­nom­men wor­den. Wäh­rend sich die Spit­zen­ver­bän­de der Kran­ken­kas­sen bedeckt hal­ten, ver­su­chen doch eini­ge AOK auf Lan­des­ebe­ne zu Über­gangs­lö­sun­gen zu kom­men. Der Weis­heit letz­ter Schluss kann dies nicht sein, denn es bedarf einer kas­sen­über­grei­fen­den Lösung, damit sol­che extre­men Markt­si­tua­tio­nen abge­fan­gen wer­den kön­nen. Zuletzt for­der­te Ben Bake in sei­ner Funk­ti­on als Vor­stands­mit­glied des BVMed in einer öffent­li­chen Video­kon­fe­renz mit Erwin Rüd­del, Vor­sit­zen­der des Gesund­heits­aus­schus­ses, Kon­se­quen­zen. Jens Sell­horn, Geschäfts­füh­rer der Reha­vi­tal Gesund­heits­ser­vice GmbH und Ver­tre­ter des Bünd­nis­ses „Wir ver­sor­gen Deutsch­land“, fasst die Lage so zusam­men: „Es gibt zu vie­le Waren für zu weni­ge Schif­fe. Da ste­hen das Gesund­heits­we­sen und die Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung ‚auf Prio 17‘. Bei den Ree­de­rei­en – und lei­der auch bei der Poli­tik. Damit ris­kie­ren sie ver­trags­lo­se Zustän­de mit Kran­ken­kas­sen und den Kol­laps in der Ver­sor­gung. Das müs­sen wir ändern.“

 

Tei­len Sie die­sen Inhalt