Die im Zuge der Corona-Pandemie erheblich gestiegenen Kosten für persönliche Schutzausrüstung (PSA), welche die orthopädietechnischen Betriebe und Sanitätshäuser schultern müssen, wurden unter anderem im Live-Videotalk „Gesundheitspolitik im OTon“ des Bündnisses „Wir versorgen Deutschland“ (WvD) Ende Februar 2021 eindringlich thematisiert. So seien Handschuhe zum Beispiel um 300 Prozent teurer geworden, wie es in der von den Bündnispartnern organisierten Runde hieß. „Handschuhe sind das neue Gold“, zitierte Patrick Grunau, Fachbereichsleiter Unternehmenskommunikation & Marketing bei Rehavital, damals einen seiner Lieferanten. Vor allem wurde unisono die mangelnde Bereitschaft der gesetzlichen Krankenkassen beklagt, die Mehrkosten zu übernehmen bzw. in entsprechende Vertragsverhandlungen einzutreten. Die den Vertragspreisen zugrundeliegenden Kalkulationen würden nicht zuletzt deshalb nicht mehr abgebildet.
Das Bündnis WvD hat im Mai eine Übersicht der bisherigen Verträge für Hygienepauschalen zusammengestellt (siehe unten). Demnach erklärten sich nur sehr wenige der mehr als 100 gesetzlichen Krankenkassen zur Übernahme von erhöhten PSA-Kosten bereit: Sieben Verträge sind in der Liste verzeichnet. „Auch dort, wo Verträge geschlossen wurden, tragen die Häuser nach wie vor die Hauptlast und die Kassen übernehmen nur einen sehr überschaubaren Teil“, konstatiert Albin Mayer, BIV-OT-Vizepräsident und Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses. „Der einzige Vertrag, der sich überhaupt auf eine solidarische Lösung eingelassen hat, wurde mit der AOK Plus geschlossen.“
Im Sanitätshaus keine Infektionsgefahr?
Im Allgemeinen, so zeigt zumindest die Tabelle, werden keine PSA-Zuschläge bei Patientenkontakten gewährt, die im Ladenlokal stattfinden und bei denen der Abstand von 1,50 Metern für Beratung, Einweisung oder Anpassung eines Hilfsmittels unterschritten werden muss. „Dabei geht es nicht nur um ein paar Minuten! In den seltensten Fällen sind Anpassung und Beratung in Zeiträumen unter 15 Minuten möglich, wie es die Krankenkassen anzunehmen glauben. Für eine konfektionierte Wirbelsäulenversorgung werden zum Beispiel rund 60 Minuten benötigt, für eine Bandagenversorgung 22 Minuten und mehr, viele Osteoporoseversorgungen dauern weit mehr als eine Stunde“, führt Mayer aus. „Die Krankenkassen scheinen das gar nicht zu wissen. Als bestünde im Sanitätshaus in Pandemiezeiten keine gesteigerte Infektionsgefahr für Patient:innen und Personal! Krankenkassenvertreter:innen argumentieren mit Vereinfachungen für den stationären Sanitätsfachhandel wie Versandoption oder Verzicht auf Unterschriften. Doch diese sind ausschließlich auf Kontaktvermeidung, nicht auf Kostenersparnis ausgerichtet“, kritisiert er. Es sei zum Glück weitgehend unzulässig, individuell angepasste, oft körpernahe Versorgungen sowie detaillierte Einweisungen durch Versand zu ersetzen, um den Versorgungs- und Behandlungserfolg nicht zu gefährden. Zudem fielen beim Versand von Hilfsmitteln ja ebenfalls Zusatzkosten an. Schlussendlich fänden Schutzmaßnahmen wie Desinfektionen derzeit infolge der pandemischen Situation in deutlich höherer Frequenz statt, so Mayer.
Unter dem Motto „Infektionsschutz verzeiht keine Kompromisse“ hat das Bündnis WvD eine politische Initiative gestartet, um auf das PSA-Problem bundesweit aufmerksam zu machen. Dabei wird ein politisches Mandat für den GKV-Spitzenverband gefordert, um das GPVG umzusetzen. „Es braucht eine politische Weichenstellung, die den GKV-Spitzenverband zu Verhandlungen über einen fairen PSA-Kostenersatz für seine angeschlossenen Krankenkassen gesetzlich ermächtigt. Somit würde die Entscheidung nicht mehr jeder Kasse einzeln obliegen“, betont Albin Mayer. „Außerdem sollte bei der Kostenübernahme für erhöhte Infektionsschutzausgaben bei kritischen Kontakten – also Unterschreiten des Sicherheitsabstands von 1,50 Metern – während der Hilfsmittelversorgung nicht zwischen Innen- und Außendienst unterschieden werden, sondern nach Aufwand und Zahl der Kontakte, die bei einer Versorgung nötig sind.“
Cathrin Günzel
Übersicht über die Verträge
„Seit Anfang des Jahres hat der Gesetzgeber den § 127, Abs. 1, SGB V dahingehend geändert, dass zwischen Krankenkassen und Hilfsmittel-Leistungserbringern ein Ausgleich der Kosten für erhöhte Hygienemaßnahmen infolge der Covid-19-Pandemie vereinbart werden kann – nachdem unsere Betriebe bereits seit Beginn der Pandemie im März 2020 schon die Kosten komplett allein getragen haben“, unterstreicht Petra Menkel, Vorstandsvorsitzende des Fachverbands Nordost und stellvertretende Obermeisterin der Landesinnung für Orthopädietechnik Berlin-Brandenburg, in Bezug auf das Thema PSA-Vergütung durch die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). „Dem Willen des Gesetzgebers kommen die Krankenkassen aber auch bis jetzt nur sehr bedingt und das auch nur auf Druck nach. Auf Bundes- wie auf Landesebene wird versucht, sich hier gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben. Wenn es dann Kostenbeteiligungen gibt, werden diese einseitig von den Kassen vorgegeben und sind keinesfalls angemessen. Fraglich ist auch die bisherige Maßgabe, dass – wenn gezahlt wird – dies nur möglich ist, wenn die Versorgung in einem Krankenhaus oder Heim erfolgt, nicht aber in der Betriebsstätte des Leistungserbringers. Auch hier ‚ducken’ sich die Kassen vor der Verantwortung wie Realität weg“, so Menkel. „Unserer Meinung nach ist es aber auch ein Webfehler der Politik, hier eine Lösung über den § 127 im Rahmen von Verhandlungen erzielen zu wollen“, erklärt Menkel. „Benötigt wird ein bundeseinheitlicher und angemessener Pauschalausgleich, der für alle Kassen verbindlich und rückwirkend zu zahlen ist. Dies wurde in der Pandemie bereits in anderen Bereichen des Gesundheitswesens umgesetzt und hier sollte es genügend Erfahrungswissen geben.“
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