Einleitung
Moderne, nach Maß gefertigte Orthesen erlauben eine optimale Versorgung von Patienten mit neurologisch bedingten Gehstörungen. Die sorgfältige, indikationsbezogene Definition des Orthesentyps ist ein wesentlicher Bestandteil der Versorgungsplanung. Unabhängig vom Orthesentyp spielt außerdem der Orthesenaufbau eine zentrale Rolle. Er wird maßgeblich durch die Erstellung des Gipsnegativs beeinflusst.
Das Gipsnegativ wiederum dient als Grundlage für die Anfertigung des Gipspositivs, auf dem in weiteren Arbeitsschritten die Orthese gefertigt wird. Entscheidend für die fertige Orthese ist also bereits die Erstellung eines idealen Gipsnegativs unter Berücksichtigung aller wichtigen biomechanischen Gegebenheiten. Um eine funktionierende Orthese zu erhalten, gilt es die Arbeitsprozesse sowohl zu standardisieren als auch effizienter zu gestalten. So werden Arbeitszeit und Geld gespart. Denn Fehler, die auf der Grundlage eines falschen Gipsnegativs entstehen, können später an der fertigen Orthese gar nicht oder nur bedingt und mit hohem Aufwand korrigiert werden.
Bei neurologischen Indikationen liegen Störungen der für eine Bewegung verantwortlichen Muskeln des zentralen oder peripheren Nervensystems vor. Ein Ziel der Orthetik ist deshalb die bestmögliche Annäherung an ein physiologisches Gangbild durch das Ersetzen eingeschränkter biomechanischer Funktionen. Dieses Ziel kann allerdings nur erreicht werden, wenn alle wesentlichen biomechanischen Voraussetzungen beachtet und in der Orthese umgesetzt werden. In Kombination mit den richtigen Gelenkwinkeln spielen hierbei insbesondere der Vor- und der Rückfußhebel eine wesentliche Rolle. Diese Hebel werden in einer Orthese über die Länge und Steifigkeit des Fußteiles, die Position des mechanischen Drehpunktes und die Bewegungslimitierungen (Dorsal- und Plantaranschlag) definiert.
Der Einfluss der Gelenkwinkel während der Gipsnegativerstellung auf die Funktionalität der Orthese ist in der gängigen Literatur nur unzureichend beschrieben. Meist wird auf die handwerklichen Aspekte der Gipsnegativerstellung eingegangen 1 2 oder die Definition von Kompromissdrehpunkten an Knie 3 und Knöchel 4 thematisiert. Sowohl in der Praxis als auch an Fach- und Berufsschulen gibt es sehr gute Lösungsansätze. Jedoch werden einzelne Gelenkwinkel oft isoliert voneinander betrachtet und ihr Einfluss auf die fertige Orthese bisher meist unterschätzt. Ein gutes Gipsnegativ ist noch immer viel mehr von der Erfahrung und der Genauigkeit des Technikers abhängig, als dass es das Ergebnis einer strukturierten Arbeitstechnik ist.
Das Ziel dieser Arbeit ist einerseits, durch die Definition möglicher Einflussfaktoren auf die Gelenkwinkel die Versorgungsplanung zu optimieren, andererseits soll mit der Entwicklung eines technischen Hilfsmittels die Reproduzierbarkeit der Gelenkwinkel während der Gipsnegativerstellung verbessert werden. Aus diesen Überlegungen und Entwicklungen soll im Folgenden eine praktikable Arbeitstechnik abgeleitet werden.
Teil 1: Einflussfaktoren auf die Gelenkwinkel
Individuelle Grundstellung des Patienten
Die Stellung des Patienten während der Gipsnegativerstellung bestimmt maßgeblich die spätere Funktionalität der Orthese. Deshalb ist es wichtig zu definieren, wofür die Orthese hauptsächlich genutzt werden soll. Bei einem aktiven Läufer sollte z. B. überlegt werden, ob es für den Patienten von höherem Nutzen ist, den Orthesenaufbau auf die einseitig belastete Situation beim Gehen abzustimmen anstatt auf den beidbeinigen Stand. Der Techniker muss abwägen, ob der Patient eine gangbezogene Grundstellung einnehmen kann oder aufgrund der vorliegenden Einschränkungen eine standbezogene Grundstellung einnehmen sollte. Ein Beispiel für eine gangbezogene Grundstellung ist die einseitig belastete Situation des betroffenen Beines. Dabei berührt das kontralaterale Bein den Boden nur zum Halten des Gleichgewichtes. Das Körpergewicht selbst befindet sich hauptsächlich auf dem Standbein, wodurch das untere Sprunggelenk in eine leichte Eversionsstellung gebracht wird. Eine Orthese, die in dieser Stellung gefertigt wird, ermöglicht dem Patienten, in „mid stance” und „terminal stance” den Rumpf über dem Standbein auszurichten. Die Lotlinie verläuft über das Standbein zentral durch die Unterstützungsfläche.
Ist die Orthese nicht vorrangig auf aktives Gehen ausgerichtet oder benötigt der Patient ein erhöhtes Maß an Standsicherheit, ist eine standbezogene Grundstellung zu erwägen. Dabei ruht das Körpergewicht statisch auf beiden Beinen. Beim Gehen mit der fertigen Orthese verläuft die Lotlinie in „mid stance” und „terminal stance” außerhalb der Unterstützungsfläche, und das unter dem Fußteil ansetzende Drehmoment kann in diesen Gangphasen ein mediales Abkippen der Orthese verursachen. Beim Gehen ist – im Gegensatz zum Gehen mit einer Orthese, die auf einer gangbezogenen Grundstellung beruht – die Schrittlänge verkürzt und die Spurbreite vergrößert (Abb. 1).
Unterschenkel-Boden-Winkel
Bei der Ermittlung der individuellen Grundstellung und der daraus resultierenden Gelenkwinkel muss die Tatsache berücksichtigt werden, dass bei Orthesen ein kniesichernder Effekt häufig nur in Wechselwirkung mit der Bodenreaktionskraft – im aufrechten Stand und Gang – erfolgen kann 5. Grundsätzlich bildet der Fuß die Basis für die Ausrichtung der weiter oben liegenden Körpersegmente. Die Ausrichtung des Fußes zum Boden wird maßgeblich durch mögliche Beinlängenverkürzungen und die Schuhsprengung beeinflusst. Als Schuhsprengung wird die Differenz aus in Fersenmitte gemessener Absatzhöhe und im Ballenbereich gemessener Sohlendicke bezeichnet (Abb. 2). Wird diese Differenz erhöht, passt sich in der physiologischen Situation der OSG-Winkel dem höheren Absatz an, ohne die darüber liegende Gelenkkette signifikant zu beeinflussen. Der Unterschenkel-Boden-Winkel verändert sich nicht, allerdings resultiert daraus eine Reduktion des Vorfußhebels. Eine solche Anpassung ist mit einer Orthese nicht möglich, da hier der OSG-Winkel fest eingestellt wird. Bei bestimmten Pathologien liegt eine Bewegungseinschränkung im OSG vor. In diesen Fällen muss die Bewegungsfreiheit des OSG zur Beurteilung des Unterschenkel-Boden-Winkels berücksichtigt werden (siehe Beispiel).
Ein physiologischer Unterschenkel-Boden-Winkel kann nur dann erreicht werden, wenn die Dorsalextension durch interne Kräfte (Muskelkraft der Plantarflexoren) oder externe Kräfte (z. B. Federn einer Orthese) kontrolliert wird. Ist eine Kontrolle infolge eines muskulären Defizites nicht mehr möglich, muss die Dorsalextension z. B. durch einen Dorsalanschlag begrenzt werden. Sonst wird die Wirkung des Vorfußhebels nicht nur reduziert, sondern auch deaktiviert.
Zusammengefasst ist der Unterschenkel-Boden-Winkel von möglichen Bewegungseinschränkungen im OSG, vom OSG-Winkel und der Schuhsprengung abhängig 6. Deshalb ist es wichtig, vor der Erstellung des Gipsabdruckes diese Einflussfaktoren zu ermitteln und zu berücksichtigen.
Die Körperhaltung bei der Gipsnegativerstellung
Die gesamte Körperhaltung beeinflusst die Stellung des Beines im Gipsnegativ und stellt somit eine potenzielle Fehlerquelle dar. Beugt sich der Patient z. B. im Stand nach vorne, weil er dabei zusehen möchte, wie der Techniker den Gipsabdruck erstellt, führt diese Haltung zu einer Flexion in der Hüfte, die durch eine vermehrte Extension im Kniegelenk und eine größere Plantarflexion im OSG kompensiert wird. Stützt sich der Patient auf einer hinter ihm stehenden Liege oder einem Tisch ab, werden die Hüft- und Kniegelenke beispielsweise vermehrt flektiert, und im OSG findet eine Dorsalextension statt. Allerdings ist auch eine übermäßig gestreckte Körperhaltung problematisch, da sie eine Hyperextension in Hüft- und Kniegelenk zur Folge haben kann (Abb. 3).
Wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass die zu gipsenden Patienten unter muskulären Einschränkungen leiden, kommen weitere Fehlerquellen bei der Positionierung hinzu. Diese Patienten können oft nur mit Hilfsmitteln wie z. B. Unterarm-Gehstützen stehen. Deshalb müssen diese Hilfsmittel exakt an die Körperlänge angepasst sein, da sie sonst die individuelle Grundstellung des Patienten negativ beeinflussen können. Ist die Unterarm-Gehstütze zu lang eingestellt, kann es zur Streckung des Körpers und somit zur Überstreckung von Knie- und Hüftgelenk kommen. Ist die Unterarm-Gehstütze zu kurz eingestellt, folgt aus der gekrümmten Körperhaltung möglicherweise eine vermehrte Flexion. Aber auch ohne Hilfsmittel kann die Belastungssituation verfälscht werden, z. B. wenn der Patient das betroffene Bein gezielt entlastet.
Teil 2: Reproduzierung der Gelenkwinkel im Gipsnegativ
Entwicklung eines Gelenkwinkelkontrollsystems
Bei der Überprüfung der im ersten Teil genannten möglichen Fehlerquellen zeigt sich folgende Problemstellung: Eine unzureichende Berücksichtigung der Schuhsprengung und einer möglichen Beinlängendifferenz kann zu einer falschen Stellung des Beines im Gipsnegativ und somit zu einem falschen Aufbau der Orthese selbst führen. Korrigiert man diesen Fehler erst am Gipsnegativ, lässt sich nicht kontrollieren, wann die richtige Stellung erreicht ist. Somit führt eine Korrektur nicht zwangsläufig zum Erfolg. Denn Korrekturen an der fertigen Orthese sind meist nur sehr begrenzt umsetzbar, und die Funktionalität der Orthese kann dann nicht mehr gewährleistet werden. Entscheidend ist folglich, die korrekte Winkelstellung des Gipsnegativs zu erreichen. Daher ist es unumgänglich, bereits beim Gipsen die individuelle Grundstellung im Hinblick auf die spätere Passform und Funktionalität der Orthese zu berücksichtigen.
Um die erwähnten Fehlerquellen handwerklich kontrollieren zu können, wurde ein digitales Winkelkontrollsystem entwickelt. An Fuß, Unter- und Oberschenkel werden Sensoren angebracht, die die relative Lage des jeweiligen Körpersegmentes ermitteln und speichern. Um die korrekten Gelenkwinkel aus der individuellen Grundstellung des Patienten ableiten und später speichern zu können, müssen die Schuhsprengung und eine mögliche Beinlängendifferenz gemessen werden. Dafür wird ein Absatzhöhen-/Beinlängenausgleichswerkzeug auf die gemessenen Werte eingestellt und der Patient in seiner individuellen Grundstellung darauf positioniert. Um dabei eine falsche Belastung zu vermeiden, muss das Absatzhöhen-/Beinlängenausgleichswerkzeug beidseitig angewendet werden (Abb. 4).
Diese Position und alle Gelenkwinkel werden noch vor dem Gipsen per Knopfdruck mit dem digitalen Winkelkontrollsystem gespeichert. Das Speichern erfolgt, ebenso wie das Auslesen und erneute Abrufen der Winkel, über ein Bediengerät. So können die Gelenkwinkel während der Gipsnegativerstellung exakt rekonstruiert werden, ohne dass der Patient dafür stehen muss. Dabei wird jedes Körpersegment kurz vor dem Aushärten des Gipses vom Techniker in die zuvor gespeicherte Stellung gebracht. Um die Gelenkwinkel kontinuierlich kontrollieren zu können, verbleiben die Sensoren bis zur Gipspositiverstellung im Gipsnegativ.
Entwicklung einer Arbeitstechnik
Alle untersuchten Fehlerquellen können in der Praxis auftreten. Um eine optimal funktionierende Orthese zu erhalten, wurde eine Arbeitstechnik entwickelt, die mit Hilfe des vorgestellten Werkzeuges bei der Gipsnegativerstellung auftretende Fehler minimieren kann. Das Gipsnegativ bildet die Grundlage für die Funktionalität der fertigen Orthese; ein biomechanisch korrektes Gipsnegativ vermeidet spätere aufwendige Korrekturen sowie einen ggf. notwendigen Neubau der Orthese. Diese Arbeitstechnik ist sowohl für Ankle Foot Orthoses (AFOs), Knee Ankle Foot Orthoses (KAFOs) als auch für Knee Orthoses (KOs) konzipiert. Dabei erfolgt das Gipsen selbst in mehreren Phasen:
- Anbringen der Sensoren auf Fuß, Unter- und Oberschenkel;
- Ermitteln der individuellen Grund stellung;
- Speichern der Gelenkstellungen mit Hilfe des digitalen Winkelkontrollsystems; der Patient steht dabei aufrecht – je nach Beeinträchtigung – in einer einseitig (gangbezogenen) oder beidseitig (standbezogenen) belasteten Haltung auf dem zuvor eingestellten Absatzhöhen-/Beinlängenausgleichswerkzeug;
- Gipsen von Fuß und Unterschenkel im Sitzen; dabei ausreichend Lagen Gips verwenden, um die Formstabilität des Gipsnegativs zu gewährleisten;
- vor dem Aushärten der Gipsbinden Fuß und Unterschenkel in die mit dem digitalen Winkelkontrollsystem gespeicherte Stellung bringen; zur Berücksichtigung der Sprengung kann der Fuß erneut auf dem Absatzhöhen-/Beinlängenausgleichswerkzeug positioniert werden; nach dem Aushärten des Gipses ist die Knöchelstellung fixiert;
- Gipsen von Knie und Oberschenkel im Sitzen; dabei ausreichend Lagen Gips verwenden, um die Formstabilität des Gipsnegativs zu gewährleisten;
- vor dem Aushärten der Gipsbinden Unter- und Oberschenkel in die mit dem digitalen Winkelkontrollsystem gespeicherte Stellung bringen; nach dem Aushärten des Gipses ist nun auch die Kniestellung fixiert.
Beispiel Extensionsdefizit im OSG
Bei einem Extensionsdefizit im OSG liegt eine Bewegungseinschränkung des OSG in Dorsalextension vor. Steht der Fuß in diesem vergrößerten OSG-Winkel vollflächig und ohne Ausgleich auf einem ebenen Untergrund, resultiert daraus eine Überstreckung im Kniegelenk. Wird in dieser Position ein Gipsnegativ erstellt, ist ein physiologischer Unterschenkel-Boden-Winkel in der späteren Orthese ohne einen entsprechenden Beinlängenausgleich nicht realisierbar (Abb. 5). Bei einem Extensionsdefizit im OSG ist es daher notwendig, eine vorhandene Beinlängendifferenz bereits vor der Gipsnegativerstellung in die Versorgungsplanung mit einzubeziehen. Wird der Gipsabdruck darüber hinaus ohne Berücksichtigung des Kniewinkels erstellt, kann daraus eine vermehrte Überstreckung im Knie resultieren. Folgende vermeintliche Korrekturmaßnahmen sind in der Praxis gängig; in beiden Fällen ist ein äquivalenter Ausgleich der kontralateralen Seite obligatorisch:
- Ein Unterbauen des notwendigen Beinlängenausgleiches wird nicht bis zum physiologischen Unterschenkel-Boden-Winkel durchgeführt. Der Aufbaufehler wird dadurch nicht vollständig beseitigt, die orthetisch versorgte Seite ist weiterhin funktionell verlängert. Der Körperschwerpunkt ist sowohl im Stand als auch beim Gehen zurückverlagert, was häufig durch eine Beckenkippung nach anterior kompensiert wird. Der Patient belastet im Stand vermehrt die kontralaterale Seite. Beim Gehen wird diese funktionelle Verlängerung z. B. durch eine Zirkumduktion der orthetisch versorgten Seite kompensiert. Die Schrittlänge ist verkürzt.
- Der Verkürzungsausgleich wird bis zum physiologischen Unterschenkel-Boden-Winkel durchgeführt. Lässt das verwendete Kniegelenk keine Umbaumöglichkeiten zu, steht der Patient weiterhin im Knie überstreckt. Der Körperschwerpunkt ist insgesamt zu weit vorverlagert und verschiebt sich möglicherweise nach vorne aus der Unterstützungsfläche heraus. Auf die Hüfte wirkt ein flektierendes Moment. Die Standsicherheit ist ohne eine Vergrößerung der Unterstützungsfläche durch Hilfsmittel (z. B. Rollator) herabgesetzt. Einige Gelenke ermöglichen einen Umbau, z. B. durch austauschbare Extensionsanschläge. Dadurch kann die spätere Orthese funktionell einwandfrei sein, jedoch ist dazu ein erhöhter Arbeitsaufwand nötig.
Mit Hilfe eines Absatzhöhen-/Beinlängenausgleichswerkzeuges kann ein physiologischer Unterschenkel-Boden-Winkel eingestellt und das Knie dadurch in eine korrigierte Position gebracht werden. Im nächsten Arbeitsschritt werden mit dem digitalen Winkelkontrollsystem die Gelenkwinkel gespeichert, was die exakte Rekonstruktion dieser Position während der Gipsnegativerstellung ermöglicht. Der funktionelle Höhenausgleich muss später über die Orthese bzw. den Schuh berücksichtigt werden (Abb. 6). Die Anwendung der oben beschriebenen Korrekturmaßnahmen ist dann nicht notwendig.
Beispiel Extensionsdefizit im Knie
Ein Extensionsdefizit im Knie zeichnet sich dadurch aus, dass eine Extension über eine bestimmte Flexionsstellung hinaus nicht möglich ist. Daraus resultiert beim Stehen ein verminderter Unterschenkel-Boden- bzw. OSG-Winkel. Bei der Erstellung des Gipsnegativs besteht hier die Gefahr, dass der Techniker das OSG mit zu viel Plantarflexion abformt (Abb. 7), da er den OSG-Winkel isoliert vom Kniewinkel betrachtet. Wird auf Grundlage des daraus resultierenden Gipspositivs eine Orthese gebaut, sind aufwendige Korrekturen notwendig, um dem Patienten das Stehen und Gehen in dieser Orthese überhaupt erst zu ermöglichen. Das Wegfeilen eines Dorsalanschlages oder ein Unterbauen der Ferse kann den Aufbau augenscheinlich verbessern. Allerdings lassen gängige Knöchelgelenke ein Wegfeilen des Dorsalanschlages nur begrenzt zu. Das Unterbauen der Ferse verkürzt unnötigerweise den kniesichernden Vorfußhebel, was die Bewegungsfreiheit in Plantarflexion beim Gehen verringern kann. Der Körperschwerpunkt ist nach vorne verlagert. In Verbindung mit dem verkürzten Vorfußhebel führt diese Vorverlagerung zu einer verringerten Standsicherheit.
Daraus folgt, dass der OSG-Winkel bereits beim Gipsen der Kniestellung angepasst werden muss. Er darf nicht isoliert vom Kniewinkel betrachtet werden. Mit Hilfe des digitalen Winkelkontrollsystems bringt der Techniker Knie und OSG vor dem Gipsen in die passende Stellung, speichert diese ab und kann anschließend bei der Gipsnegativerstellung die exakte Position rekonstruieren. Der Aufbau der Orthese passt dann zur entsprechenden Gelenkstellung und muss nicht mehr aufwendig nachkorrigiert werden (Abb. 8).
Fazit
Eine erfolgreiche orthetische Versorgung bei neurologischen Indikationen erfordert eine auf die Anforderungen des Patienten abgestimmte individuelle Grundstellung. Diese muss stärker in den Fokus detaillierter Untersuchungen rücken, da die Quellenlage dürftig ist. Der Gipsnegativerstellung gebührt mehr Aufmerksamkeit und intensivere Schulungen. Dabei müssen die Absatzhöhe, mögliche Beinlängendifferenzen und die Gelenkwinkel gesamtheitlich betrachtet und berücksichtigt werden. Allerdings macht die Stellung des Patienten beim Gipsen nur einen Teil einer qualitativ hochwertigen Arbeitstechnik aus. Mit Hilfe eines technischen Hilfsmittels kann die individuelle Grundstellung mit den daraus resultierenden Gelenkwinkeln im Gipsnegativ reproduziert und damit die Qualität des Gipsnegativs deutlich verbessert werden. Mit dem digitalen Winkelkontrollsystem wurde ein Werkzeug entwickelt, mit dem sich der Orthesenaufbau handwerklich kontrollieren lässt.
Für die Autoren:
Almut Dünnwald, B. Eng.
Fior & Gentz Gesellschaft für
Entwicklung und Vertrieb von orthopädietechnischen Systemen mbH
Technischer Support
Dorette-von-Stern-Straße 5
21337 Lüneburg
almut.duennwald@fior-gentz.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Dünnwald A, Sabbagh D, Fior J, Gentz R. Einflussfaktoren auf die Gelenkwinkel der unteren Extremitäten in der Orthetik – Individuelle Grundstellung und Rekonstruktion der Gelenkwinkel bei der Gipsnegativerstellung. Orthopädie Technik, 2015; 66 (3): 42–46
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- Hohmann D, Uhlig R. Orthopädische Technik. Stuttgart: Enke, 1990
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