Definition „Flexgelenk”
Ein Flexgelenk ist ein polyzentrisches Kunststoffgelenk, welches vor knapp 20 Jahren von dem amerikanischen Orthopädie-Techniker Marty Carlson entwickelt wurde. Es wurde seitdem kontinuierlich weiterentwickelt. Heutige (Tamarack-)Flexgelenke verbinden Konstruktions- und Materialeigenschaften wie die Zugfestigkeit eines Faserkabels mit der Biegeflexibilität eines kurzen zylindrischen Biegeelementes und sind in zahlreichen Funktionsvarianten erhältlich. Ein solches PU-Kompositgelenk kann je nach Ausführung, Einbettung und Verwendung von Zusatzelementen sowohl bewegungslimitierende und frei bewegliche als auch bewegungsunterstützende Eigenschaften haben.
Versorgungsvarianten
Um eine passende Gelenkauswahl treffen zu können, ist der Funktionsanspruch zu klären. Während bei einem ausgeprägten Knickfuß ein in der Sagittalebene frei bewegliches Gelenk im Allgemeinen hinreichend ist, um die gegebene Fehlstellung effektiv zu korrigieren, stellt sich beim korrigierbaren Spitzfuß schon eher die Frage der passenden Gelenk- und ggf. Anschlagskonstruktion. In den meisten Fällen ist die dynamische Dorsalunterstützungsfunktion dem statischen Plantaranschlag vorzuziehen. Hierdurch wird das exzentrische Absenken des Vorfußes nach dem initialen Fersenkontakt ermöglicht, was eine weitgehend physiologische Gelenkbewegung ohne Belastungsspitzen gewährleistet. Ausschlusskriterium dafür ist eine Quadricepsschwäche, da durch die Dorsalunterstützungsfunktion ohne Dorsalanschlag ein kniebeugendes Drehmoment während der Standphase erzeugt werden würde.
Das erforderliche dorsalextendierende Moment der Flexgelenke mit Dorsalunterstützungsfunktion wird durch Auswahl zwischen drei angebotenen Härte- oder Steifigkeitsgraden pro Größe bestimmt. Zur Größenauswahl der Gelenke gibt der Hersteller eine schuhgrößenabhängige Orientierungshilfe. Die Einschätzung des korrekten Extensionsmoments hängt häufig mit Parametern zusammen, die nur im Gang auftreten und durch Messung nicht unbedingt vorherbestimmbar sind. Im Zweifelsfall kann durch einfachen Gelenkaustausch – auch während der dynamischen Anprobe – die Krafteinwirkung an die Bedürfnisse des Patienten angepasst werden. Zusätzlich steht hierzu auch eine stufenlos verstellbare Gelenkaufnahme oder eine Gelenkaufnahme mit zwei vorgegebenen Auswahlpositionen zur Verfügung, um Feineinstellungen vornehmen zu können.
Eine Übersicht über verschiedene Orthesenvarianten und mögliche Gelenkkonfigurationen mit Angabe entsprechender Indikationen bzw. Kontraindikationen bietet die neuentwickelte Indikationshilfe der Herstellerfirma Tamarack 1. Diese kann als hilfreiche Unterstützung für die Versorgungsplanung herangezogen werden. Wie bei allen orthopädietechnischen Komponenten gibt es auch bei der Versorgung mit Flexgelenken Grenzen des Machbaren und Herausforderungen an die Weiterentwicklung. Derzeit arbeitet der Hersteller anderer Entwicklung je eines feineinstellbaren Plantar- und Dorsalanschlages, um zusätzliche Versorgungsoptionen zu ermöglichen. Diese werden voraus-sichtlich im Sommer 2015 vorgestellt.
Die Abbildungen 1 und 2 zeigen die Testorthesen. Die Verstellschrauben sind von oben mit dem Inbusschlüssel zugänglich. Eingebettete Anschlagflächen im Fußteil der Orthese bestehen aus einem geeigneten verschleißfesten Nylon, während die verstellbaren Schraubanschläge jeweils von einem rostfreien Stahlzylinder aufgenommen werden. Idealerweise wird die komplette Gelenk- und Anschlagsfläche innenseitig mit einem ShearBan-Flecken abgedeckt, um eventuellem Kontakt von Rauigkeiten mit Körper bzw. Bekleidung vorzubeugen. Die in den Abbildungen 1 und 2 zu erkennenden farbigen Anzeichnungen dienten als Denkhilfen im Designprozess.
Die dargestellten verstellbaren Anschläge sind wegen der aufzunehmenden Kräfte als Plantaranschläge ausgelegt. Es war zu vermuten und wurde durch Testmaschinen bestätigt, dass die PP-Orthese die Lasten in den Dorsalanschlägen, insbesondere in der vorne offenen Unterschenkelschale aus Polypropylen, nicht verformungsfrei aufnehmen kann. Ein verstellbarer Dorsalanschlag kann also nur als zugbelastetes Element konstruiert werden. Prototypen in dieser Art sind derzeit auf der Testmaschine.
Eine gleichzeitig wirksame und unterschiedlich einstellbare Federwirkung sowohl in Plantarflexion als auch in Dorsalextension ist mit Flexgelenken nicht möglich. Bei unsachgemäßer Gelenkfassung kann eine mechanische Gelenkinstabilität in a‑p-Richtung auftreten. Entsprechendes gilt für die Torsion um die Beinlängsachse unter den gleichen Bedingungen. Hier ist auf Formschluss und minimales Freischneiden der Gelenke zu achten.
Die klassische Unterschenkel-Fuß-Orthese mit Flexgelenken aus Polypropylen in Halbschalenform stößt insbesondere bei einer hypertonen Ausgangssituation (z. B. bei ICP) an ihre Grenzen: Zum einen kann eine konsequente Korrektur von Fußfehlstellungen oft nicht gewährleistet werden, zum anderen reicht aufgrund der nicht vorhandenen Versteifung durch Gelenkschienen die Eigensteifigkeit der Orthese je nach Anforderungsprofil nicht aus. Auch Verstärkungen und Profilierungen in der Orthesenwandung können hier nicht immer Abhilfe schaffen. Daher erschien die Verwendung von Faserverbundwerkstoffen, im Speziellen die Prepreg-Technik (Abb. 3), als hilfreich, um die Torsionssteifigkeit deutlich zu erhöhen. Die Anforderung nach Torsionssteifigkeit der Orthese ergibt sich nicht nur aus dem Körpergewicht und dem Aktivitätsgrad des Patienten, sondern häufig auch aus der Notwendigkeit, etwaigen Rotationsfehlstellungen kraftvoll entgegenzuwirken.
Durch die Verwendung von zirkulär geschlossenen Fußfassungen (Abb. 3, 4) kann bei optimaler Druckverteilung die Positionierung des Rückfußes und eine dreidimensionale Korrektur der Fußfehlstellung erreicht werden. Bei der technischen Umsetzung ist hierbei die Verwendung von Kork-Dummies o. Ä. sinnvoll, um eine ungehinderte Bewegung zwischen Unterschenkelteil und Fußfassung sowie Freiraum für zwischenliegende Verschlüsse zu erhalten (Abb. 5, 6).
Durch die Kombination von Flexgelenken mit der Prepreg-Technik ist es heute möglich, hochfunktionelle und widerstandsfähige Orthesen bei extrem niedrigem Gewicht zu realisieren. Außerdem besteht nun die Möglichkeit, flexible und rigide Bereiche entsprechend den Erfordernissen zu konstruieren, sei es, um eine flexible Anlage am Unterschenkel durch Einsatz von Dyneema oder eine gewisse Energierückgewinnung bei Zehenablösung zu ermöglichen.
Gelenkpositionierung
Bei der Positionierung der mechanischen Knöchelgelenke gibt es weltweit durchaus verschiedene Herangehensweisen: Während sich beispielsweise in den USA die Gelenkanordnung eher am anatomischen Achsverlauf der Articulatio talocruralis orientiert, wird in Europa die Parallelität zur Kniegelenkachse bzw. zur Ballenabrollkante in Bezug zur Bewegungsrichtung favorisiert, d. h. gewissermaßen ein Kompromissdrehpunkt geschaffen.
Die Korrelation der Bewegung von oberem und unterem Sprunggelenk, wie sie bei der physiologischen Gangabwicklung vorkommt, ist in der Orthese teilweise aufgehoben, da die Beweglichkeit des unteren Sprunggelenks durch das Fußteil konstruktionsbedingt, aber auch im Sinne der Fußkorrektur (Varus-/Valgusfehlstellung) deutlich eingeschränkt wird. Auch wenn es bei orthetischen Versorgungen gilt, Inkongruenzen zwischen anatomischem und mechanischem Gelenk zu vermeiden, so muss dies immer mit dem Versorgungsziel und einem funktionellen Bewegungsablauf zu vereinbaren sein.
Untersuchungen an Präparaten durch Isman und Inman (1969) 2 sowie Inman (1976) 3 zeigten, wie in Abbildung 7 zu sehen, folgenden Verlauf der oberen Sprunggelenksachse und deren Abweichungen zur Frontal- bzw. Transversalebene: Die Messungen ergaben eine durchschnittliche Neigung der oberen Sprunggelenksachse in der Frontalebene um 10° und in der Transversalebeneum 6°. Auffallend sind hierbei die großen Standardabweichungen, die auf interindividuelle Abweichungen zurückzuführen sind. Darüber hinaus bestätigten Lundberg et al. (1989) 4 die Ergebnisse von Hicks (1953) 5, wonach die obere Sprunggelenksachse ihre Orientierung in der Frontalebene, abhängig von Dorsalextension oder Plantarflexion, ändert.
Aufgrund unterschiedlicher Konzepte bezüglich starrer oder sich verändernder Drehachsen des OSGs, möglichen Abweichungen bei der Ermittlung und Positionierung derselben und nicht zuletzt aufgrund der interindividuellen Variabilität der tatsächlichen Sprunggelenksachse erscheint die Funktion von (polyzentrischen) Flexgelenken in vielen Fällen vorteilhaft. Scherwirkungen im Gelenk, wie sie bei unzureichend kollinearer Achsausrichtung monozentrischer Gelenke zu beobachten sind, werden durch die Flexibilität des verwendeten Polyurethan-Werkstoffs teilweise kompensiert.
Schlussfolgerung
In der vorliegenden Studie konnten weder alle Fragen abschließend geklärt noch alle Versorgungsvarianten und deren Entstehungsprozess dargestellt werden. Es soll jedoch deutlich werden, dass es durch gezielten Einsatz neuer Konstruktionselemente in der Kombination mit bereits bekannten Mitteln und Methoden möglich ist, Versorgungen funktionell weiterzuentwickeln und den individuellen Anforderungen entsprechende Lösungen zu finden.
Der Autor:
Daniel Brams
Orthopädie-Mechaniker-Meister
Fa. Drescher+Lung
In der Eich 4b
87435 Kempten
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Brams D, Trebbin H, Kaphingst W. Neue Aspekte und Indikationshilfe zu Knöchel-Fuß-Orthesen mit Flexgelenken. Orthopädie Technik, 2015; 66 (3): 48–51
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- Tamarack FlexGelenk. Indikationshilfe. Eine klinische Referenz für die Anfertigung von Unterschenkel-Fußorthesen. Tamarack Habilitation Technologies Inc., 2013. http://www.beckerortho.com/Catalog/TamarackProductPages/TFJ%20Indikationshilfe.pdf (Abruf am 02.02.2015)
- Isman RE, Inman VT. Anthropometric Studies of the Human Foot and Ankle. Bull Prosthet Res, 1969; 10/11: 97–129
- Inman VT. The Joints of the Ankle. Baltimore: Williams & Wilkins, 1976
- Lundberg A, et al. The axis of rotation of the ankle joint. J Bone Joint Surg Br, 1989; 71 (1): 94–99
- Hicks JH. The mechanics of the foot. I. The joints. J Anat, 1953; 87 (4): 345–357