Wel­chen Weg geht die Einlagenversorgung?

Das Hamburger Sanitätshaus Meevo hat mit der Barmer Ersatzkasse einen Vertrag zur E-Versorgung geschlossen. Dieser wurde auf Bestimmung des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) ausgesetzt. Meevo sieht sich dennoch als Trendsetter einer neuen Generation von Gesundheitsversorgern, die mit Transparenz in der digitalen Welt punkten wollen. Wie genau das aussieht und wie sie die aktuelle Situation bewerten, das erläutert Florian Birner, Co-Founder und Geschäftsführer bei der Meevo Healthcare GmbH, im Gespräch mit der OT.

OT: Ärzt:innen, Orthopädieschuhmacher:innen, Orthopädietechniker:innen, Vertreter:innen aus der Poli­tik und zuletzt das Bun­des­amt für Sozia­le Siche­rung (BAS) – bran­chen­über­grei­fend gibt es der­zeit star­ken Gegen­wind für Ihren mit der Bar­mer Ersatz­kas­se geschlos­se­nen Ver­trag. Traf Sie das unvor­be­rei­tet oder haben Sie damit gerechnet?

Anzei­ge

Flo­ri­an Bir­ner: Unse­re Ver­sor­gung stellt die Gesund­heit unse­rer Kund:innen immer in den Mit­tel­punkt. Dass ein Weck­ruf durch die Bran­che gehen wür­de, hat­ten wir durch die vie­len Vor­ge­sprä­che mit ande­ren Leis­tungs­er­brin­gern bereits erwar­tet. Die Unter­stüt­zung diver­ser Kran­ken­kas­sen sowie der extrem posi­ti­ve Zuspruch durch ande­re Sani­täts­häu­ser bestä­ti­gen uns auf unse­rem Kurs. Gewun­dert hat uns hier nur, dass Innun­gen, Ver­bän­de und Poli­tik bis­lang nicht den Dia­log mit uns gesucht haben, um die Bran­che kun­den­ori­en­tiert wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Die Kom­mu­ni­ka­ti­on zum The­ma fand lei­der fast aus­schließ­lich über die Medi­en statt.

OT: Gab es von Ihrer Sei­te aus im Vor­feld des Ver­trags­schlus­ses Schrit­te, um die Rea­li­sier­bar­keit  der Koope­ra­ti­on zu verifizieren?

Bir­ner: Alle Abläu­fe, Pro­duk­te und Ser­vices wur­den umfang­reich getes­tet und geprüft. Es hat Ver­pro­bun­gen mit zahl­rei­chen Testkund:innen gege­ben und für die recht­li­che Prü­fung wur­den Abstim­mungs­ge­sprä­che mit der Bun­des­auf­sichts­be­hör­de sowie Kran­ken­kas­sen geführt.

OT: Ihr Ver­trag ist der­zeit aus­ge­setzt. Sehen Sie eine Mög­lich­keit, im Kon­zept der E‑Versorgung wie­der „auf Rezept“ zu versorgen?

Bir­ner: Da die Kran­ken­kas­sen auch wei­ter­hin am neu­ar­ti­gen Ver­sor­gungs­an­satz fest­hal­ten möch­ten, sind wir hier zuver­sicht­lich. Tele­me­di­zin, Fern­ver­sor­gung, E‑Rezept – all die­se heu­te noch unge­wöhn­lich anmu­ten­den Neue­run­gen wer­den kom­men und schon bald ein fes­ter Bestand­teil des All­tags sein. Dann wer­den wir uns fra­gen, wie wir jemals ohne sie aus­ge­kom­men sind. Dazu bleibt unse­rer altern­den Gesell­schaft in einem immer kost­spie­li­ge­ren Gesund­heits­sys­tem gar nichts ande­res übrig. Ohne die Digi­ta­li­sie­rung der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung wer­den wir nicht allen Men­schen gerecht wer­den können.

OT: Wie müss­te eine Abän­de­rung Ihres Ver­fah­rens aus­se­hen, damit es dem der Sani­täts­häu­ser gleich­wer­tig ist?

Bir­ner: Wir bie­ten aktu­ell eine medi­zi­nisch gleich­wer­ti­ge, wenn nicht sogar über­le­ge­ne Ver­sor­gungs­qua­li­tät an. Das wur­de auch von Brancheninsider:innen bestä­tigt. Alle hand­werk­li­chen Pro­zes­se lau­fen iden­tisch zu denen im sta­tio­nä­ren Sani­täts­haus ab. Am alten Wall in Ham­burg ver­sor­gen wir außer­dem auch klas­sisch vor Ort. Der wesent­li­che Unter­schied besteht also in der Erwei­te­rung unse­res Ange­bots um die Onlin­ever­sor­gung, in deren Rah­men der per­sön­li­che Kon­takt zwi­schen Sani­täts­haus­per­so­nal und Kund:innen soweit mög­lich digi­tal aus­ge­la­gert wird. Wir selbst – und auch meh­re­re ande­re Anbieter:innen inner­halb Deutsch­lands – haben hier, gemein­sam mit unse­ren Kund:innen, sehr gute Erfah­run­gen gemacht, sodass wir dar­aus kei­ne Not­wen­dig­keit für die Abän­de­rung unse­res Ver­fah­rens her­lei­ten konnten.

Para­dig­men­wech­sel im Blick auf die Digitalisierung

OT: Was bedeu­tet aus Ihrer Sicht „Digi­ta­li­sie­rung der Orthopädietechnik-Branche“?

Bir­ner: Schon heu­te fin­den viel Fort­schritt und Digi­ta­li­sie­rung in Sachen medi­zi­ni­scher Tech­no­lo­gien und Ana­ly­se­ver­fah­ren statt. Was jedoch nur sehr schwer­fäl­lig gelingt, ist die Digi­ta­li­sie­rung von den Kund:innen her den­kend. Den Zugang zu hoch­wer­ti­gen Ver­sor­gun­gen mit ortho­pä­di­schen Hilfs­mit­teln für Kund:innen zu erleich­tern, haben wir uns zur Auf­ga­be gemacht. Digi­ta­li­siert wird alles, was die Ver­sor­gung für die Kund:innen erleich­tert und qua­li­ta­tiv ver­bes­sert. Und zwar nicht um der Digi­ta­li­sie­rung Wil­len, son­dern aus Sicht der Kund:innen, weil die­se das in ande­ren Bran­chen schon als selbst­ver­ständ­lich ange­bo­ten bekommen.

OT: Wo sehen Sie bran­chen­weit Nachholbedarf?

Bir­ner: Jun­ge Gene­ra­tio­nen ver­bin­den medi­zi­ni­sche Hilfs­mit­tel mit „Oma Erna“ und ihren arthri­ti­schen Knien, ­sehen sich selbst aber nicht als poten­zi­el­le Kund:innen, weil das Sani­täts­haus und des­sen Image sie nicht anspre­chen. Wo sich das klas­si­sche Sani­täts­haus nicht den heu­ti­gen Bedürf­nis­sen und Inter­es­sen von Kund:innen (und poten­zi­el­len Privatzahler:innen) nähert, drän­gen min­der­wer­ti­ge Life­style-Vari­an­ten auf den Markt und wir­ken gesundheitsgefährdend.

OT: Für Ihre E‑Versorgung stel­len Sie Ihren Kund:innen ein Abdruck­set zur Ver­fü­gung. Wie vie­le Para­me­ter kön­nen Sie dem Abdruck ent­neh­men und wie stel­len Sie sicher, dass der Abdruck nicht feh­ler­haft ist?

Bir­ner: Wir arbei­ten mit den glei­chen Abdruck-Metho­den wie ande­re Sani­täts­häu­ser, die dar­über hin­aus auch von der Ver­ord­nung vor­ge­se­hen sind. Eine aktu­el­le Umfra­ge mit mehr als 10.000 Ver­si­cher­ten bestä­tigt sogar, dass die Mehr­heit aller Ver­mes­sun­gen in Deutsch­land durch Tritt­schaum und Tritt­spur durch­ge­führt wird und nicht durch Sen­sor-unter­stütz­te Lauf­mat­ten. Unse­re Kund:innen wer­den umfang­reich ange­lei­tet und unse­re Orthopädie(schuh)technik-Meister:innen prü­fen den Abdruck vor der Einlagenfertigung.

Kei­ne Unter­schie­de zwi­schen sta­tio­nä­rer und digi­ta­ler Versorgung

OT: Sie haben Ihre Wur­zeln in einem Ham­bur­ger Sani­täts­haus. Auf der dazu­ge­hö­ri­gen Web­site geben Sie drei Schrit­te zum maß­ge­fer­tig­ten Pro­dukt an: Analyse/Vermessung, Fer­ti­gung und Abholung/Anpassung. Steht das nicht kon­trär zu den „Craftsoles“-Aussagen, eine dem Sani­täts­haus gleich­wer­ti­ge Ver­sor­gung zu leisten?

Bir­ner: Wir sind ein Ham­bur­ger Sani­täts­haus, aller­dings mit digi­ta­len Ver­sor­gungs­an­ge­bo­ten. Wir schlüs­seln die Abläu­fe auf unse­rer Web­site mitt­ler­wei­le detail­lier­ter auf, um noch mehr Trans­pa­renz zu bieten.

OT: Noch ein­mal ganz kon­kret: Sie wer­ben für Ihr Sani­täts­haus selbst mit einer kos­ten­lo­sen Gang­ana­ly­se für eine opti­ma­le Ver­sor­gung. War­um soll­ten Patient:innen mit einem Rezept auf die­sen Ser­vice ver­zich­ten und statt­des­sen Ein­la­gen online ordern?

Bir­ner: Unse­re Kund:innen erhal­ten sta­tio­när als auch online die glei­che qua­li­ta­ti­ve Ver­sor­gung und Ana­ly­se. Kund:innen aus­zu­schlie­ßen, nur weil sie mit einem Rezept in ein Sani­täts­haus kom­men „müs­sen”, wäre nicht mehr zeit­ge­mäß und berück­sich­tigt nicht die heu­ti­gen tech­ni­schen Mit­tel. Man­che Kund:innen nei­gen zu einem per­sön­li­chen Kon­takt und man­che nicht.

OT: Der Markt für Privatzahler:innen steht Ihnen unver­min­dert offen. Wie schät­zen Sie da das Kun­den­po­ten­ti­al ein? Sind es eher Lifest­lye-ori­en­tier­te Kund:innen (Stich­wort: Selbstoptimierer:innen) oder wen­den sich Kund:innen mit kon­kre­ten Krank­heits­pro­fi­len an Sie?

Bir­ner: Es sind Men­schen, die ihre Gesund­heit selbst in die Hand neh­men, die vor­beu­gen und sich gut infor­mie­ren. Und das vor allem, weil ihnen von außen nicht genü­gend gehol­fen wird. Men­schen, die Sport trei­ben und die Signa­le ihres Kör­pers ernst neh­men. Men­schen, die bereits nega­ti­ve Erfah­rung in der sta­tio­nä­ren Ver­sor­gung gemacht haben oder auch soge­nann­te Selbstoptimierer:innen, die nicht die Moti­va­ti­on auf­brin­gen, sich lan­gen sta­tio­nä­ren Auf­ent­hal­ten in einem Sani­täts­haus zu unterziehen.

Anfor­de­run­gen im HMV sind nicht mehr zeitgemäß

OT: Glau­ben Sie, dass der „klas­si­sche Weg“ mit dem Gang zum Arzt und der anschlie­ßen­den Ver­sor­gung mit der direk­ten E‑Versorgung ver­kürzt wer­den kann?

Bir­ner: Ja, aber es geht um viel mehr. Wir bie­ten eine Alter­na­ti­ve für die Abläu­fe der sta­tio­nä­ren Ver­sor­gung und rufen die gesam­te Bran­che zu mehr Trans­pa­renz und Fle­xi­bi­li­tät auf. Ärzt:innen blei­ben jedoch nach wie vor das Kom­pe­tenz­zen­trum der Dia­gnos­tik und The­ra­pie – dar­um unse­re Zusam­men­ar­beit mit gesetz­li­chen Krankenkassen.

OT: Hal­ten Sie die im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis hin­ter­leg­ten Anfor­de­run­gen für eine Ein­la­gen­ver­sor­gung noch für zeit­ge­mäß?

Bir­ner: Nein, wir hal­ten die­se nicht mehr für zeit­ge­mäß. Die Ver­sor­gung mit Hilfs­mit­teln ist eine der­art bedeut­sa­me Leis­tung zum Woh­le der Men­schen, dass sie mög­lichst zugäng­lich sein soll­te. Die Hilfs­mit­tel­kri­te­ri­en haben sich nicht den tech­ni­schen Mit­teln unse­rer Zeit angepasst.

OT: Wagen Sie einen Aus­blick: Wird sich Craft­so­les am Markt ori­en­tie­ren oder hof­fen Sie, dass sich in Zukunft der Markt am Craft­so­les-Kon­zept ori­en­tie­ren wird? Gibt es viel­leicht schon Ideen in der Schub­la­de für ein „digi­ta­les“ Sani­täts­haus, in dem wei­te­re Ver­sor­gun­gen ange­bo­ten wer­den könnten?

Bir­ner: So wie Fiel­mann einst den Markt für Bril­len umge­krem­pelt hat, wol­len wir den Hilfs­mit­tel­markt umkrem­peln und in die Zukunft füh­ren. Unse­re Köp­fe sind voll mit Ideen, die einen ech­ten Unter­schied bewir­ken kön­nen. Wir machen das zum Woh­le der Kund:innen, des gesam­ten Gesund­heits­sys­tems und um das deut­sche Hand­werk zu schüt­zen. Es gibt noch viel zu tun!

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

 

 

 

 

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