1 La Trobe University, Melbourne, VIC, Australien
2 The Australian Orthotic Prosthetic Association, Camberwell, VIC, Australien
Einleitung
Bei der Rehabilitation von Menschen mit Amputationen der unteren Extremität steht oft das Gehen in gerader Linie oder sicheres Treppensteigen im Vordergrund1. Doch spielt bei vielen Rehaprogrammen ein dynamisches Mobilitätstraining mit multidirektionalen Aktivitäten, Agilität oder Tempo oftmals keine maßgebliche Rolle2 3. Somit ist die Mobilität vieler Menschen mit Amputation der unteren Extremitäten eingeschränkt4 5 6. Wer unter einer eingeschränkten Beweglichkeit leidet, kann weniger an Aktivitäten teilnehmen, die dem Leben Sinn und Freude verleihen; dies ist eine Erklärung für die soziale Ausgrenzung, für Depressionen und verminderte Lebensqualität vieler Menschen mit Amputation der unteren Extremitäten7 8 9 10.
Dabei lassen sich Mobilitätseinschränkungen reduzieren und das ‑potenzial noch weiter über das hinaus steigern, was viele Patienten im Rahmen der Reha erreicht haben, und somit lässt sich auch die Lebensqualität verbessern.
Die Mobilitätsseminare „Mobility Clinics“ (Össur Australien), die seit Jahren in ganz Australien durchgeführt werden, verfolgen das Ziel, die Mobilität und den Umgang mit Prothesen zu maximieren11. Diese 2‑tägigen Mobilitätstrainings speziell für Menschen mit Amputationen der unteren Extremität bieten neben dem individuellen Anwendertraining auch Vorträge, Unterstützung durch gleichermaßen Betroffene sowie ein Fitness- und Bewegungstraining und werden in australischen Großstädten i. d. R. einmal pro Jahr angeboten. Die vielfach multidirektionalen Übungen fördern das Gleichgewicht und sichere Drehbewegungen mit der Prothese, aber auch Laufen und Sporttraining für die unterschiedlichsten Freizeitaktivitäten sind Teil des Trainings (s. Abb. 1).
Das Mobilitätstraining erfreut sich in den letzten Jahren großer Beliebtheit. Es gibt allerdings keine Hinweise darauf, ob und falls ja, in welchem Maß das Training Mobilität und Lebensqualität verbessert. Wenn ein Mobilitätstraining zu messbaren Verbesserungen der Beweglichkeit und somit der Lebensqualität führen würde, wäre dies ein starkes Argument, Menschen mit Amputationen der unteren Extremität ein solches in den Monaten und Jahren nach der Amputation anzubieten.
Hierfür wurde eine Studie durchgeführt mit dem Ziel, den Mobilitätsgrad von Menschen mit Amputationen der unteren Extremität vor und 12 Wochen nach der Teilnahme an einem Mobilitätstraining zu vergleichen. Die Hypothese, dass eine Veränderung des Mobilitätsgrades sowohl eine Woche wie auch 12 Wochen nach dem Training erkennbar sein würde, veranlasste uns herauszufinden, ob eine Veränderung der Mobilität im Zusammenhang mit einer Veränderung der Lebensqualität steht.
Da die Auswirkungen der Teilnahme an einem Mobilitätstraining bisher unerforscht sind, empfahl sich die Durchführung einer Pilotstudie. So können die Auswirkungen bei der Wahl der Mobilitätsmessung berücksichtigt und die erhobenen Daten zur Schätzung der für eine abschließende Studie erforderlichen Stichprobengröße verwendet werden.
Methoden
Die ethische Zulassung dieser Studie wurde vom La Trobe University College of Science, Health and Engineering-Unterausschuss der Ethik-Kommission (HEC18068) bewilligt.
Studienpopulation
An dem Mobilitätstraining konnten Amputierte der unteren Extremitäten teilnehmen. Das Seminar wurde in den sozialen Medien, auf der Ossur-Website sowie von der Amputierten-Initiative Limbs4Life und in Prothetikzentren beworben. Interessenten konnten sich auf eine Anzeige für das Training direkt bei den Veranstaltern des Seminars bewerben. Im Auftrag der Prüfärzte wurden alle registrierten Teilnehmer, die älter als 18 Jahre waren, von den Veranstaltern per E‑Mail zur Teilnahme an der Studie eingeladen. Die Einladung enthielt Erklärungen zum Zweck der Studie, Kontaktangaben für Rückfragen und einen elektronischen Link zu einer Onlineumfrage. Mit Übermittlung der Umfrage wurde implizit auch die Zustimmung zur Studienteilnahme erteilt.
Ausrüstung
Die Daten wurden über die Umfrageplattform SurveyMonkey elektronisch erfasst. Die Onlineumfrage umfasste das 12-Item-Kurzformular „Prosthetic Limb Users Survey of Mobility“ (dt.: Mobilitätsumfrage unter Prothesenträgern, PLUS‑M) 12, den 36-Item-Fragebogen (Kurzformular) zum medizinischen Outcome und Gesundheitszustand, Version 2 (SF-36v2) 13, und demographische Fragen zur Einschätzung von Alter, Geschlecht, Grund und Umfang der Amputation, Begleiterkrankungen, Jahreseinkommen und Bildungsstand der Studienpopulation.
PLUS-M914 ist ein Instrument zur Messung der Mobilität von Menschen mit Amputationen der unteren Extremität nach eigener (subjektiver) Einschätzung; definiert wird dabei die Mobilität als die Fähigkeit, sich unabhängig und bewusst von Ort zu Ort zu bewegen. PLUS‑M wurde gemeinsam mit Fokusgruppen15 und im Rahmen von kognitiven Interviews16 mit Menschen mit Amputationen der unteren Extremität entwickelt. PLUS‑M schneidet in der schriftlichen und elektronischen Form sowie in der Kurzform und der ausführlichen Form ähnlich gut ab17, weist keine Boden- oder Deckeneffekte auf18, hat eine gute Konstruktvalidität19 und ist im Gruppen- und Einzelvergleich mit einem Intraklassen-Korrelationskoeffizienten (ICC) von > 0,9 bei der Test-Retest-Reliabilität zuverlässig20. PLUS‑M beinhaltet eine Auswahl von 12 kalibrierten Fragen aus der Artikeldatenbank von PLUS‑M. PLUS‑M ergab einen T‑Score von 17,5 bis 76,6 mit einem Mittel von 50 und einer Standardabweichung (SD) von 10. Ein T‑Score von 50 steht für die sich aus der Entwicklungsstichprobe ergebende mittlere Mobilität; höhere Scores zeigen mehr Mobilität an. Das 12-Item-Kurzformular PLUS‑M ist in ca. 2–3 Minuten ausgefüllt.
Der SF-36v2, ein weit verbreiteter Fragebogen mit Fragen zum allgemeinen Gesundheitszustand, misst die subjektiv eingeschätzte gesundheitsbezogene Lebensqualität21. Er hat sich nicht nur bei verschiedenen Populationen als valide und zuverlässig erwiesen22 23 24, sondern wird von dieser Population auch durch seine weite Verbreitung bei Studien mit Menschen mit Amputationen der unteren Extremität25 26 27 28 29 als Messwert der Lebensqualität akzeptiert. Der SF-36v2 umfasst 36 Fragen zu folgenden Gesundheitsbereichen: körperliche (physikalische) Funktionsfähigkeit, Rollenverhalten wegen körperlicher Funktionsbeeinträchtigung, Schmerzen, allgemeiner Gesundheitszustand, Vitalität, soziale Funktionsfähigkeit, Rollenverhalten wegen mentaler Funktionsbeeinträchtigung, mentale (psychische) Funktionsfähigkeit. Ergebnisse aus dem SF-36v2 werden als Zusammenfassung der körperlichen (PCS) und der mentalen Komponenten (MCS) berichtet. Der SF-36v2 bedient sich ähnlich wie der PLUS‑M einer normbasierten Wertung mit T‑Scores von über 50, was auf eine überdurchschnittlich hohe Lebensqualität hindeutet. Die SF-36v2-Scores beruhen jedoch auf Normen erstellt auf Grundlage der Allgemeinbevölkerung der Vereinigten Staaten. Für die Bearbeitung des SF-36v2 müssen ca. 10 Minuten Zeit veranschlagt werden.
Verfahrensweise
Wer im Rahmen der Onlineumfrage der Teilnahme zustimmte, erhielt insgesamt drei Onlineumfragen per E‑Mail: eine Woche vor dem Mobilitätstraining (T1) sowie eine Woche (T2) und 12 Wochen (T3) nach der Teilnahme. Denjenigen, die die Umfrage jeweils 3 bzw. 7 Tage nach diesen drei Zeitpunkten nicht ausgefüllt hatten, erhielten jeweils eine Erinnerungsmail.
Das Mobilitätstraining fand in einer Sport- und Freizeiteinrichtung in der australischen Großstadt Adelaide statt, genauer gesagt in einer Sporthalle und auf dem Rasen im Stadion. Das 2‑tägige Training richtete sich an Menschen mit Amputation der unteren Extremitäten aller Mobilitätsgrade mit besonderem Augenmerk auf das Gehen, Laufen und Sport. Physiotherapeuten und Sporttrainer hielten täglich 6 Stunden lang Vorträge und leiteten durch Aktivitäten, die auf die Trainingsteilnehmer und deren unterschiedlichen Mobilitätsgrad zugeschnitten waren. Die Teilnehmer nahmen nicht nur an verschiedenen Gruppensportarten und Freizeitaktivitäten teil, sondern auch an Kräftigungsübungen speziell für Amputierte der unteren Extremitäten. Darüber hinaus gab es Vorträge von Motivationsrednern und von Gruppen gleichermaßen Betroffener.
Datenanalyse
Nach abgeschlossener Datenerhebung wurden die demographischen Daten und die PLUS-M-Daten in eine Tabellenkalkulation (Microsoft Excel) übertragen. Die Rohdaten der Scores wurden wie im Benutzerhandbuch beschrieben in einen T‑Score umgewandelt30. Die SF-36v2-Daten wurden mit Hilfe der QualityMetric Incorporated Health Outcomes Scoring-Software (QualityMetric Incorporated, Lincoln, RI) gesammelt. Aus diesen ließen sich dann die PCS- und MCS-Scores ableiten. Die Daten wurden mit Berechnung der zentralen Tendenz und der Datentyp-spezifischen Variabilität beschrieben.
Mittels einfaktorieller Varianzanalyse mit Messwiederholung (ANOVA) und Bonferroni-korrigierter Post-hoc-Analyse wurden signifikante Unterschiede bei den PLUS‑M T‑Scores über die drei Mess-Zeitpunkte hinweg auf Basis der von Lund und Lund beschriebenen Techniken geprüft31. Entsprechend wurden Verstöße gegen die Annahmen von Normalität und Sphärizität getestet, und zusätzlich wurden die Daten auf Ausreißer hin überprüft. Um zu ermitteln, inwieweit Veränderungen der Beweglichkeit die Variation bei den SF-36v2 PCS- und MCS-Scores begründeten, wurden einfache lineare Regressionsmodelle nach den von Lund und Lund beschriebenen Techniken erstellt32, u. a. Annahmeprüfungen bzgl. Linearität, Unabhängigkeit der Residuen, Homoskedastizität und Normalität. Parameterschätzungen einschließlich von standardisierten Regressionskoeffizienten (β), p‑Werten und Teilkorrelationskoeffizienten wurden berichtet.
Ergebnisse
Studienpopulation
Zwei der elf Studienteilnehmer haben am Follow-up nicht teilgenommen, weil sie im Anschluss an ihre Seminarteilnahme keinen der beiden Fragebögen vollständig bearbeiteten. Diese beiden Teilnehmer ähnelten demographisch betrachtet den in die Studie aufgenommenen Teilnehmern (mittleres Alter: 45,5 Jahre, beides Männer, einer mit einseitiger Amputation, der andere mit bilateraler Unterschenkelamputation). Die meisten der neun Teilnehmer, die die Studie abschlossen, waren Frauen mit unilateraler Unterschenkelamputation aufgrund eines jahrelang zurückliegenden Traumas (Tab. 1).
Veränderung der Mobilität im Zeitablauf
Bei der Veränderung der Mobilität im Zeitverlauf war eine signifikante Hauptwirkung zu beobachten (F216 = 8,798, p = 0,003, hp2 = 0,524). Laut Post-hoc-Analyse waren die PLUS-M-Scores von T1 (55,23 ± 4,73) auf T3 (60,57 ± 6,30) angestiegen, was statistisch signifikant war (Δ5,33, 95 % Konfidenzintervall (KI): 1,31–9,36, p = 0,012).
Die Veränderungen bei den PLUS-M-Scores von T1 (55,23 ± 4,73) bis T2 (58,10 ± 4,11) waren nicht signifikant (Δ2,87, 95 % KI: 0,44–6,17, p = 0,092). Auch die Unterschiede bei den PLUS-M-Scores von T2 (58,10 ± 4,11) bis T3 (60,57 ± 6,30) waren statistisch nicht signifikant (Δ2,467, 95 % KI –1,66 bis 6,60, p = 0,328, Abb. 2).
Veränderung der Beweglichkeit und ihre Wirkung auf die Lebensqualität
Mittels einer einfachen linearen Regression wurde ermittelt, inwieweit Veränderungen bei PLUS‑M Veränderungen bei SF-36v2 MCS und PCS im Laufe der Zeit erklären (Tab. 2).
Eine Veränderung bei den PLUS-M-Scores von T1 bis T3 erklärte 54 % der Veränderung bei den SF-36v2 MCS-Scores über den gleichen Zeitraum hinweg (R2 = 0,54), was statistisch signifikant war (F1,7 = 8,25, p = 0,024, Tab. 3).
Veränderungen bei den PLUS-M-Scores von T1 bis T3 erklärten <1 % der Veränderung bei den SF-36v2 PCS-Scores über den gleichen Zeitraum hinweg (R2 = 0,009), was statistisch nicht signifikant war (F1,7 = 0,67, p = 0,804, Tab. 3).
Diskussion
Ziel dieser Studie war der Vergleich der Mobilität von Menschen mit Amputationen der unteren Extremität vor und 12 Wochen nach der Teilnahme an einem Mobilitätstraining. Die Hypothese, dass sich die Mobilität durch das Training verändern würde, veranlasste uns herauszufinden, ob Mobilitätsveränderungen auch Veränderungen bei der Lebensqualität erklären.
Interessant ist die Frage, warum sich der Grad der Beweglichkeit verglichen mit dem für die Zeit vor der Teilnahme an den im Seminar ermittelten Ausgangswert nicht bereits eine Woche, sondern erst 12 Wochen nach Seminarbesuch signifikant verbesserte. Laut unserer Hypothese ist es unwahrscheinlich, dass die Teilnehmer in der ersten Woche nach dem Seminarbesuch Gelegenheit hatten, ihre neu erworbenen Fertigkeiten in die Praxis umzusetzen. Demgegenüber hatten sie in den nachfolgenden Wochen wiederholt ein breites Angebot an gemeinschaftlichen Mobilitätsaktivitäten, das mit dem PLUS‑M gemessen werden soll: etwa Tragen eines Einkaufskorbs in einer Hand (PLUS‑M, Frage 6) oder Gehen entlang einer unbeleuchteten Straße oder auf einem Fußweg (PLUS‑M, Frage 8). Wir vermuten, dass die Teilnahme an dem Training und die anschließende Umsetzung des Erlernten in der Praxis 12 Wochen nach der Seminarteilnahme zu einer verbesserten Beweglichkeit geführt haben.
Interessant ist auch die Frage, warum die Veränderungen der Beweglichkeit während der gemessenen Zeit mehr als die Hälfte der Varianz bei den SF-36v2-MCS-Scores erklären, aber nicht die PCS-Scores. Wir nehmen an, dass die verbesserte Mobilität ggf. zu einer verbesserten Fähigkeit zur Teilnahme an Aktivitäten geführt hat, die dem Leben Sinn und Freude verleihen, somit das soziale Engagement unterstützen und die mentale Funktionsfähigkeit verbessern. Diese Annahme trifft jedoch nicht gänzlich zu, wenn man bedenkt, dass die verbesserte Beweglichkeit sich im Laufe der Zeit bei den verbesserten SF-36v2-PCS-Scores hätte widerspiegeln müssen, was jedoch nicht der Fall war. Obgleich die Mobilität nur ein Aspekt der körperlichen Funktionsfähigkeit ist, zielen viele der SF-36v2-Fragen im Bereich der körperlichen Funktionsfähigkeit auf die Fähigkeit zur Mobilisierung ab. Eine alternative Hypothese ist, dass angesichts der wahrscheinlichen Interaktion zwischen Mobilität und zahlreichen anderen Faktoren, die die Lebensqualität bekanntlich beeinflussen, wie z. B. Schmerzen, der Grad der sozialen Unterstützung oder Begleiterkrankungen, die signifikanten Teile der Varianz bei den SF-36v2-PCS-Scores mit der Mobilität als einzige unabhängige Variable sich nicht erklären ließen.
Unseres Wissens ist dies die erste Studie, die die Veränderungen der Mobilität infolge der Teilnahme an einem Mobilitätstraining und den Einfluss des Trainings auf die Lebensqualität beschreibt. Die Erkenntnisse, die wir bei dieser Pilotstudie gewonnen haben, lassen sich für die Gestaltung künftiger Forschungsarbeiten in diesem Bereich nutzen.
Anhand der Rekrutierungsquote (52 %) aus diesem Training kann auf die Zahl der Mobilitätstrainings geschlossen werden, die für die benötigte Stichprobengröße erforderlich ist. Unter Zuhilfenahme des Gruppenmittels und der SDs zur Ermittlung der Effektstärke wären insgesamt 42 Teilnehmer erforderlich, um einen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen auf der Grundlage der Fehlerwahrscheinlichkeit (α = 0,05), Power (1–β) = 0,8 und Effektstärke (dz = 0,45) mit einem Zweistichprobentest mit Messwiederholung (G*Power v. 3.1.9.4; Kiel, Deutschland) festzustellen. Unter der Annahme einer typischen Fehlerwahrscheinlichkeit (α = 0,05), Power (1 – β) = 0,8 und kleinen Effektstärke (f2 = 0,15) würde eine Stichprobe mit 42 Personen als Power für eine einfache lineare Regression mit nur zwei unabhängigen Variablen ausreichen. Aus diesem Grund schlagen wir vor, bei künftigen Studien die benötigte Stichprobengröße zu berücksichtigen, sofern die Anzahl der erforderlichen unabhängigen Variablen und die Stärke des Zusammenhangs zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen bekannt ist.
Die Ergebnisse dieser Studie legen die Vermutung nahe, dass das PLUS-M-Instrument sensibel auf Mobilitätsveränderungen infolge der 2‑tägigen Teilnahme an einem Mobilitätstraining reagiert hat und sich bei künftigen Untersuchungen dieser Art einsetzen ließe.
Einschränkungen
Die Ergebnisse dieser Pilotstudie sollten unter Berücksichtigung der Grenzen dieser Studie betrachtet werden. Bedauerlicherweise konnten wir bei diesen Studien nicht auf einen Intention-to-treat-Ansatz zurückgreifen, da beide verlorenen Follow-up-Teilnehmer die ersten Umfragen nach der Seminarteilnahme nicht abschlossen, sodass nach der Intervention keine weiteren Daten mehr erhoben werden konnten.
Bei einem Forschungsprojekt wie diesem wäre eine randomisierte Kontrollstudie das ideale Studiendesign, um mögliche Selektivitätsverzerrungen zu vermeiden. Bei einem solchen Design wäre die Durchführung einer aussagekräftigen Kontrolle, die keine Teilnahme an kollegialem Austausch oder Aktivitäten zur Verbesserung der Beweglichkeit beinhaltet, allerdings ausgesprochen schwierig. Ein besseres Design wäre beispielsweise ein Zeitreihenansatz mit mehreren Evaluierungen vor und nach der Intervention, um so Vertrauen für die Stabilität der Messung vor der Intervention aufzubauen.
Angesichts der wenigen Studienteilnehmer besteht das Risiko, dass die zwischen Baseline und einer Woche nach Teilnahme an dem Mobilitätstraining beobachteten geringfügigen Unterschiede bei einer größeren Stichprobe statistisch signifikant gewesen wären. Mit Blick auf die Heterogenität der Stichprobe ist es auch wahrscheinlich, dass die Mobilitätsvarianz bei nach Ursache und Amputationsgrad stratifizierten Stichproben geringer ausfällt und dass Unterschiede bei dieser Stratifizierung im Laufe der Zeit ggf. leichter zu erkennen wären.
Bekanntlich wirken sich viele Faktoren auf die Lebensqualität von Menschen mit Amputationen der unteren Extremität aus. Aus diesem Grund sollte bei künftigen Studien eine ausreichend große Stichprobe ausgewählt werden, um störende Einflüsse wie höheres Alter, Begleiterkrankungen und andere Faktoren im Rahmen der Regressionsanalyse besser kontrollieren zu können. Auf diese Weise lassen sich die wahrscheinlichen Interaktionen zwischen Mobilität und anderen Faktoren so kontrollieren, dass sich die Varianz bei der Lebensqualität erklären lässt.
Die Studienteilnehmer können zwar typisch für diejenigen sein, die an einer Teilnahme an einem Mobilitätstraining interessiert sind, die Gesamtpopulation der Menschen mit Amputationen der unteren Extremität repräsentieren sie jedoch nicht. Somit lassen sich die Ergebnisse nur mit Vorsicht auf diese Gesamtpopulation übertragen, insbesondere auf ältere Menschen mit dysvaskulärer Amputation und multiplen Begleiterkrankungen.
Fazit
Die Ergebnisse dieser Studie legen den Schluss nahe, dass signifikante Veränderungen der Mobilität erst 12 Wochen nach Teilnahme an dem Mobilitätstraining beobachtet werden können. Veränderungen der Mobilität waren der Grund für signifikante Teile der Varianz bei den SF-36v2-MCS-Scores, aber nicht bei den PCS-Scores. Das PLUS-M-Instrument scheint sensibel auf Veränderungen der Mobilität infolge der Teilnahme an einem Mobilitätstraining zu reagieren und eignet sich wahrscheinlich für den Einsatz bei ähnlichen Studien. Aufgrund der bei dieser Pilotstudie gewonnenen Ergebnisse sind bestimmte Anforderungen an die Stichprobengrößen für künftige Studien empfehlenswert.
Obgleich für die Bestätigung der Ergebnisse weitere Untersuchungen erforderlich sind, legen unsere Ergebnisse den Schluss nahe, dass Mobilitätstrainings das Mobilitätspotenzial von Menschen mit Amputationen der unteren Extremität verbessern können und dass sich dies positiv auf die Lebensqualität auswirken kann.
Klinische Relevanz
Diesen vorläufigen Daten zufolge verbessert ein Mobilitätstraining die Mobilität und die mentalen Komponenten der Lebensqualität bei Menschen mit Amputationen der unteren Extremität. Der PLUS‑M scheint sensibel auf Veränderungen der Mobilität infolge der Teilnahme an einem Mobilitätstraining zu reagieren.
Der Pilotstudie folgte ein größeres internationales Projekt, um einen noch besseren Einblick dazu zu erhalten, welche Auswirkungen Mobilitätstrainings auf Menschen mit Extremitätenverlust haben. Dabei wurde anhand der Daten von Teilnehmer in Australien, den Vereinigten Staaten, Südafrika und Europa ermittelt, ob sich die Erfahrungen mit und Veränderungen bei der Mobilität, die in der Pilotstudie festgestellt wurden, auch auf andere Gegebenheiten und eine größere Gruppe von Teilnehmern übertragen lassen. Das Projekt wird voraussichtlich 2024 abgeschlossen sein.
Interessenkonflikt
Die Autor:innen haben keine potenziellen Interessenkonflikte hinsichtlich von Forschung, Urheberschaft und/oder Veröffentlichung dieses Artikels angegeben. Zum Zweck von Forschung, Urheberschaft und/oder Veröffentlichung dieses Artikels wurden die Autor:innen wie folgt finanziell unterstützt: Das Projekt wurde von Össur ehf, R&D, Medical Office/Island finanziert.
Für die Autoren:
Sarah Anderson
La Trobe University
Kingsbury Drive
Bundoora
Melbourne, VIC 3086
Australien
sarah.anderson@latrobe.edu.au
Alle Autoren haben gleichermaßen an der Erstellung dieses Manuskripts mitgewirkt.
Hinweis
Dieser Beitrag wurde bereits auf Englisch im „Prosthetics and Orthotics International Journal“ veröffentlicht; DOI: 10.1177/0309364620921749.
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Anderson S, Ridgewell E, Dillon M. Die Auswirkungen der Teilnahme an einem Mobilitätstraining auf die subjektiv eingeschätzte Mobilität und Lebensqualität von Menschen mit Amputationen der unteren Extremität: eine Pilotstudie. Orthopädie Technik, 2023; 74 (6): 48–55
Alter (Jahre) | 42,1 ± 7,23 |
---|---|
Geschlecht | 3: männlich; 6: weiblich |
Amputationsgrad | 2: Oberschenkel; 7: Unterschenkel |
Jahre seit Amputation | 9,13 ± 8,86 |
Grund für Amputation | 5: Trauma; 3: Dysvaskulär; 1: Kongenital |
Jahreseinkommen (AU$) | 4: >100.000; 5: 40.000 – 85.000 |
Höchster erreichter Bildungsgrad | 3: Weiterführende Schule; 3: >Weiterführende Schule; 3: Nicht berichtet |
Begleiterkrankungen | 2: Asthma; 1: Typ-2-Diabetes; 1: Sehstörungen |
Tab. 2 Mittelwert (Standardabweichung) SF-36v2 MCS- und PCS-Scores bei T1, T2 und T3.
T1 | T2 | T3 | |
---|---|---|---|
SF-36v2 MCS | 56,71 (7,11) | 57,29 (5,30) | 57,77 (3,31) |
SF-36v2 PCS | 50,40 (4,38) | 51,62 (4,95) | 49,61 (7,06) |
SF-36v2: Kurzformular zum Gesundheitszustand, Version 2
MCS: seelische Komponentenzusammenfassung
PCS: körperliche Komponentenzusammenfassung
Tab. 2 Mittelwert (Standardabweichung) SF-36v2 MCS- und PCS-Scores bei T1, T2 und T3.
Abhängige Variable | Beta (Regressionskoeffizient) | p | Teilkorrelationskoeffizient |
---|---|---|---|
SF-36v2 MCS | 6,104 | 0,024 | 0,736 |
SF-36v2 PCS | -1,65 | 0,804 | 0,095 |
PLUS‑M: Mobilitätsumfrage unter Prothesenträgern, 12-Item-Kurzformular
SF-36v2: Kurzformular zum Gesundheitszustand, Version 2
MCS: seelische Komponentenzusammenfassung
PCS: körperliche Komponentenzusammenfassung
Tab. 3 Lineare Regression für die Prädiktorvariable: Veränderung der PLUS-M-Scores von T1 bis T3.
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