Bisher würden Sanitätshäuser und orthopädietechnische Betriebe die Versäumnisse der Krankenkassen und Politik ausgleichen, kritisierte das Bündnis bereits beim ersten Live-Videotalk „Gesundheitspolitik im OTon“ Ende Februar, bei dem Dr. Roy Kühne, Mitglied des Deutschen Bundestags (MdB), aktuell Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und zuständiger Berichterstatter für Hilfsmittel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zu Gast war. Unter anderem kamen der bis dato fehlende finanzielle Ausgleich für die aufgrund der Corona-Pandemie erhöhten Frachtkosten für Hilfsmittellieferungen zur Sprache sowie die gestiegenen Preise für persönliche Schutzausrüstung (PSA). Außerdem sei es an der Zeit, dass die fachliche Expertise des Gesundheitshandwerks und der Hilfsmittelleistungserbringer mehr Einfluss auf die Abstimmungsprozesse im Gemeinsamen Bundesausschuss (G‑BA) erhalte und damit eine bessere Einbindung in die Strukturen der Selbstverwaltung des Gesundheitswesens – ebenfalls eine Forderung des Bündnisses an die Politik. Der G‑BA ist das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen und bestimmt, welche medizinischen Leistungen die rund 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherten beanspruchen können. Kühne sicherte dem Bündnis WvD seine Unterstützung zu – forderte aber auch die entsprechende Transparenz und Bereitschaft, sich in den politischen Prozess aktiv einzubringen: „Dicke Bretter bohren – das heißt in Berlin, ganze Wälder zu durchforsten!“ Letzteres wird sich wohl in der nächsten Legislaturperiode nicht so schnell ändern.
Unterstützung für Leitverträge und Kostenerstattung
Bundesweite Leitverträge für die Hilfsmittelversorgung und PSA-Kostenerstattung gehörten zu den Themen, über die mit Maria Klein-Schmeink MdB, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Sprecherin für Gesundheitspolitik, sowie Martina Stamm-Fibich MdB, Patientenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, diskutiert wurde. Denn für das Bündnis WvD finden darin die vielfältigen Interessen in der Branche Widerhall – und nicht nur die Partikularinteressen einzelner Betriebe. Für Stamm-Fibich eine bedenkenswerte Möglichkeit: „Manche Kassen sind der Meinung, ihre gesetzlichen Pflichten zur Vertragsverhandlung nicht einhalten zu müssen. Dieses Verhalten ist für mich inakzeptabel. Leitverträge (…) mit den Spitzenverbänden und Zusammenschlüssen der Leistungserbringer sind sicherlich eine Option, die als Lösung in Betracht kommt.“ Übrigens hat sich ebenso CDU-Politiker Dr. Roy Kühne für „die Festlegung auf einen Orientierungsrahmen“ ausgesprochen, den Leitverträge bieten könnten, wie bereits im Mai berichtet.
Im Hinblick auf den Dauerbrenner PSA-Kostenerstattung wiederum forderte Klein Schmeink im Live-Videotalk eine Unterscheidung zwischen körpernahen Versorgungen und Versandartikeln. Die WvD-Forderung nach Erstattung des PSA-Mehraufwands fand in der Grünen-Politikerin eine Unterstützerin: „Sobald eine körpernahe Versorgung stattfindet, muss PSA kostendeckend zur Verfügung gestellt werden. Ansonsten würde man den Anreiz schaffen, unhygienisch und nicht im Sinne des Infektionsschutzes zu versorgen. Sie arbeiten mit stark gefährdeten Personengruppen“, erklärte sie. Dies sei dann auch eine Frage des Patient:innenschutzes.
Zu den „Dauerbrennern“ in den orthopädietechnischen Betrieben und Sanitätshäusern gehört die Kritik an einer überbordenden Bürokratie im Arbeitsalltag, was in den Live-Videotalks des WvD-Bündnisses zum Ausdruck kam.
Wohnortnahe Versorgung, Entbürokratisierung, Digitalisierung, CO2-Reduzierung
FDP: „Bepreisung” der Bürokratie- und Berichtspflichten
„Allen Menschen eine wohnortnahe und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung sichern“ und zugleich die „Bürokratie reduzieren“, gehört zu den gesundheitspolitischen Positionen der FDP. „Wir wollen die Entbürokratisierung des Gesundheitswesens vorantreiben und fordern deshalb eine ‚Bepreisung’ der Bürokratie- und Berichtspflichten. Bezahlen soll sie künftig die Person, die sie anfordert“, wie die Freien Demokraten auf OT-Anfrage mitteilten. „Wir wollen außerdem die künstliche Sektorenbarriere zwischen dem ambulanten und dem stationären Versorgungsbereich konsequent abbauen und die Verzahnung und Vernetzung aller Versorgungsbereiche weiterentwickeln“, hieß es weiter. Entbürokratisierung, „Bepreisung“ des Bürokratieaufwands und der Vorsatz: „Wer bestellt, bezahlt“ – dies wird sicherlich von den Hilfsmittelleistungserbringern gern gehört, gerade im Hinblick auf die wachsenden Bürokratiepflichten in Bezug auf die europäische Medizinprodukte-Verordnung MDR (Medical Device Regulation) und die Präqualizierung. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzubringen, gehört gleichermaßen zum Wahlprogramm der Freien Demokraten. Damit stehen sie im Übrigen nicht allein, andere Parteien wollen ebenfalls die „Chancen der Digitalisierung“ (Bündnis 90/Die Grünen) nutzen.
Bündnis 90/Die Grünen: Grüne Krankenhäuser und Gesundheitszentren
Für die Grünen „muss auch das Gesundheitswesen dazu beitragen, CO2-Emissionen zu verringern“, wie es im Wahlprogramm heißt. „Investitionen zum Beispiel in grüne Krankenhäuser und Gesundheitszentren werden wir unterstützen. Umwelt- und Klimaschutz sollen auch bei der Produktion von Arzneimitteln stärker beachtet und ein Qualitätsmerkmal bei Verträgen der Krankenkassen werden.“ Für Leistungserbringer im Bereich Hilfsmittel liegt hier durchaus Potenzial – nicht zuletzt für die Gestaltung einer CO2-neutralen Arbeitsumgebung bzw. der Reduktion von Emissionen im Arbeitsprozess sowie bei der Festlegung von Kriterien für Investitionen. Im Fokus von Bündnis 90/Die Grünen liegt der Ausbau der öffentlichen Gesundheitsfürsorge, so wollen sie ein Bundesinstitut für Gesundheit neu schaffen, das „gemeinsame, langfristige Gesundheitsziele entwickeln, zur Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens berichten, die Qualität und Koordination der Gesundheitsdienste sichern und als zentrales Public-Health-Organ durch die Bündelung bestehender Strukturen des Bundes zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung beitragen“ soll.
Die Linke: Wohnort- und patientennah
Die Linke will die gesundheitliche Versorgung in den Kommunen stärken und mehr Geld in das Gesundheitswesen pumpen. In einem Wahlprüfstein für das Bundesforum katholische Seniorenarbeit (BfKS) schreibt Die Linke, dass sie „eine entsprechende kommunale Strukturförderung auch aus Bundesmitteln“ für die medizinische und pflegerische Versorgung gerade in strukturschwachen bzw. ländlichen Gebieten fordert. Auf ihrer Online-Themenseite „Gesundheit“ betont die Partei, dass Gesundheit als Teil des Sozialstaats öffentlich organisiert werden müsse. „Regionale Versorgungszentren sollen mittelfristig zum Rückgrat der wohnortnahen Gesundheitsversorgung werden“, heißt es im Wahlprogramm. „Wir wollen gemeinsame Planungsgremien auf Landesebene unter Beteiligung von Patient*innenvertretung, Ländern und Kommunen, Ärzt*innen, Krankenhäusern und Krankenkassen einrichten.“ Außerdem müsse im Sinne einer inklusiven und barrierefreien Gesellschaft die „gesundheitliche und pflegerische Versorgung (…) wohnort- und patientennah sichergestellt und zur kommunalen Pflichtaufgabe gemacht werden“. Hilfsmittelleistungserbringer werden nicht explizit erwähnt, sollte es jedoch tatsächlich zu einer Regierungsbeteiligung der Linken und der Umsetzung solcher Vorhaben kommen, wären wohnort- und patientennah sicherlich Schlüsselwörter zur Positionierung.
SPD: Mission Gesundheitswesen
Die Parteien der derzeitigen Regierungskoalition stellen sich natürlich ebenfalls gesundheitspolitisch auf: Für die SPD ist Gesundheit eine von vier „Zukunftsmissionen“, die „zentrale Bedeutung haben“. Die Partei strebt ein „Update für die Gesundheit“ an: „Der Gesundheitssektor braucht wieder mehr politische Aufmerksamkeit und Reformen. Wir brauchen ein klares Leitbild für die nächsten Jahrzehnte.“ Zum Programm gehört, die „Potenziale der Digitalisierung … für die flächendeckende gesundheitliche Versorgung entschlossener“ zu nutzen. Die SPD wolle „geeignete Rahmenbedingungen“ gewährleisten, „damit nicht die großen Plattformen auch die Gesundheitswirtschaft dominieren“, wie es heißt. Die SPD wolle „die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen beenden“. Zudem sei „eine Neuordnung der Rollenverteilung zwischen ambulantem und stationärem Sektor“ im Sinne einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung angestrebt, eine „Überwindung der Sektorengrenzen“. Der Fokus liege auf einer „gute(n) Koordination und Kooperation der medizinischen, psychotherapeutischen und pflegerischen Berufe“ sowie einer „stärkeren Öffnung von Krankenhäusern für ambulante, teambasierte und interdisziplinäre Formen der Versorgung“. Die Kommunen sollen „bei der Einrichtung und beim Betreiben“ integrierter medizinischer Versorgungszentren gestärkt werden, speziell in ländlichen Regionen sollen diese ausgebaut werden.
CDU: Kompetenzen nutzen
„Die Kompetenzen der Heil- und Hilfsmittelerbringer werden wir stärker nutzen“, steht explizit in dem gemeinsamen Programm, mit dem die derzeitigen Regierungsparteien CDU/CSU zur Bundestagswahl antreten. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, welche Stärken das Gesundheitssystem habe – und an welchen Schwächen man arbeiten müsse. „In einem zukunftsfähigen Gesundheitswesen setzen wir deshalb auf stärkere vernetzte Zusammenarbeit der einzelnen Akteure und nutzen das Potenzial der Digitalisierung“, so die CDU/CSU. An die derzeitige E‑Health-Strategie unter anderem zur Einführung der elektronischen Patient:innenakte soll sich nach Willen der CDU der Prozess „Digitale Gesundheit 2025“ anschließen – und zu einer ressortübergreifenden E‑Health-Roadmap namens „Digitale Gesundheit 2030“ mit Handlungsempfehlungen für eine digitalisierte Gesundheitsversorgung weiterentwickelt werden. Interessant ist, dass auch an anderer Stelle Gesundheitshandwerke und Sanitätshäuser als Zielgruppe klar benannt werden: „Wir sorgen dafür, dass alle Bürgerinnen und Bürger einen digitalen, wohnortnahen und möglichst barrierefreien Weg, zum Beispiel zur Haus‑, Fach‑, Zahnarzt- und Notfallversorgung, zu Apotheken, Hebammen, Physiotherapeuten, Gesundheitshandwerken und Sanitätshäusern haben.“ Außerdem wolle die CDU/CSU bei den für die Überprüfung neuer Medizinprodukte in der Europäischen Union zuständigen Benannten Stellen „darauf hinwirken, dass der Ausbau beschleunigt wird“. Ziel: schnellere Zulassung der Produkte.
Qualität, Entbürokratisierung, Digitalisierung, wohnortnahe Versorgung auch im ländlichen Raum – nach der Wahl werden sich die Parteien an ihren Wahlversprechen messen lassen müssen.
Cathrin Günzel
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Weitere Informationen zum gesundheitspolitischen Wahlprogramm der Parteien.
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