In Zukunft sollen alle Rezepte in Deutschland – laut Gematik etwa 500 Millionen pro Jahr – digital verwaltet werden. Im Juli startete eine Testphase für das Arzneimittel-E-Rezept in der Modellregion Berlin-Brandenburg. Ab 1. Januar 2022 wird das E‑Rezept für alle Verordnungen verschreibungspflichtiger Arzneimittel für gesetzlich Versicherte verpflichtend. Die „Schonfrist“ für die Verordnung von Hilfsmitteln ist noch etwas länger: Hier beginnt der Abschied vom Rezepte-Papierkram 2024 mit der Prozessbeschreibung für die elektronische Verordnung. Verpflichtend wird die E‑Rezept-Nutzung für Sanitätshäuser und orthopädietechnische Betriebe (OT-Betriebe) ab Mitte 2026. Damit dann niemand im Regen steht, befasst sich die Arbeitsgruppe (AG) Telematik im Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) schon jetzt mit dem Workflow und plant gegen Ende des Jahres einen ersten Feldversuch.
Das E‑Rezept sei für ihn „Chefsache“, unterstreicht BIV-OT-Präsident Alf Reuter. Denn für die angeschlossenen Betriebe und Sanitätshäuser sei es enorm wichtig, bei der Einführung der damit verbundenen digitalen Prozesse vorn dabei zu sein, um die saubere Umsetzung für die Branche sicherzustellen. Gerade in den letzten beiden Jahren habe die Digitalisierung Fahrt aufgenommen – nicht nur mit positiven Vorzeichen. „Es gibt durchaus politische Bestrebungen, uns den Markt abzuschneiden, indem die Patient:innen unzulässigerweise mithilfe vorkonfigurierter digitaler Verzeichnisse mit ihrem E‑Rezept zu bestimmten Anbietern im Hilfsmittelversorgungsmarkt gelenkt werden. Damit besteht die Gefahr, dass die gesetzlich verbriefte Freiheit bei der Wahl des Leistungserbringers eingeschränkt wird“, hat Reuter beobachtet. Andererseits gebe es Versuche, durch unseriöse Angebote die Unsicherheiten und Ängste der Branche im Hinblick auf die neuen digitalen Möglichkeiten auszunutzen und Geld zu verdienen. „Lassen Sie sich nicht verrückt machen! Wir sind schon seit Jahren ganz eng dran am Thema E‑Rezept und gut aufgestellt!“, so Reuter.
Makelverbot für E‑Rezepte
Der BIV-OT habe die Entstehung des E‑Rezepts seit 2011 begleitet, ergänzt BIV-OT-Vorstandsmitglied Thomas Münch, zuständig für Digitalisierung und Vertreter der AG Telematik. „Bereits 2011 wurde ein Fachbeirat für den Aufbau eines Gesundheitsberuferegisters gegründet. Der BIV-OT war hier als Gründungsmitglied von Anfang an dabei. Zunächst hatte man nämlich beim E‑Rezept und der Digitalisierung die Gesundheitsberufe vergessen und nur an den medizinischen bzw. ärztlichen Bereich gedacht“, sagt Münch. Seit 2020 werde gemeinsam mit dem Unternehmen Opta Data, einem Anbieter für IT, Abrechnung und Services im Gesundheitswesen, sowie Sanitätshäusern und Betrieben verschiedener Größenordnungen intensiv an der konkreten Ausgestaltung des E‑Rezepts für Hilfsmittel gearbeitet. Positiv sei, dass jetzt mit dem in diesem Jahr verabschiedeten Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) ein Fahrplan mit klaren Fristen für die Einführung des E‑Rezepts im Hilfsmittelbereich vorliege. Um Wettbewerbsverzerrungen vorzubeugen, müsse jedoch darauf geachtet werden, dass andere Berufsgruppen wie die schon an die TI angeschlossenen Apotheken bei Hilfsmittelabgabe auf E‑Rezept nicht voranpreschten – und zwar, bevor Sanitätshäuser und orthopädietechnische Werkstätten überhaupt startklar sein könnten. Ein weiteres heißes Eisen war eine Aufweichung des Makelverbots – also des Verbots für Krankenkassen oder Ärzte, Verordnungen bestimmten Leistungserbringern zuzuweisen bzw. ihre Patient:innen entsprechend zu beeinflussen. Laut Münch sind seit dem Inkrafttreten des Patientendaten-Schutzgesetzes (PDSG) im vergangenen Jahr und der Verschärfung durch das DVPMG dahingehende Befürchtungen großteils vom Tisch, sodass hier lediglich Nachbesserungen ein Thema seien.
Prozesse definieren
Ziel sei nun, Prozesse zu definieren und daraus folgend der Gematik Vorschläge für die Abläufe machen zu können, so Münch. Zwar sei die Prozessmodellierung Aufgabe der Gematik, aber man gehe davon aus, dass diese auf die Expertise der Branche zurückgreife. Denn das Hilfsmittel-Rezept unterscheide sich wesentlich von dem für Arzneimittel. Elementar sei vor allem, dass bei der Hilfsmittelversorgung in der Regel den Leistungserbringern die konkrete Auswahl des Einzelprodukts gemäß des Therapiekonzepts obliege. Der Arzt verordne demnach lediglich die Produktart („Siebensteller“), die von den Leistungserbringern zum „Zehnsteller“ ergänzt werde – dies ist die eindeutige Identifikationsnummer, mit der alle Produkte der Hersteller im Hilfsmittelverzeichnis gelistet sind. „Außerdem laufen viele Versorgungen über Kostenvoranschlag, anders als bei verordneten Medikamenten, die sofort ausgegeben werden können“, legt Münch dar.
Nicht final geklärt sei ebenfalls die Ausgabe der personen- bzw. betriebsgebundenen Berechtigungskarten europäischer Berufsausweis (EBA) und Institutionskarte (SMC‑B) – eine zentrale Frage, um überhaupt Zugang zur TI zu erhalten. Vermutlich werde die Kartenausgabe über das elektronische Gesundheitsberuferegister (eGBR) erfolgen, allerdings brauche es eine bestätigende Institution. Diese prüft, ob der Antrag auf einen solchen Ausweis berechtigt ist. Für die in der Handwerksrolle eingetragenen Firmen wurden hierbei die Handwerkskammern (HWKn) bereits gesetzlich benannt und die Handwerksordnung entsprechend angepasst.
Praxis proben
„In der AG Telematik sind verschiedene Betriebsgrößen vertreten, die die Vielfalt der Branche repräsentieren – vom Zwei-Personen-Betrieb bis zum Vollanbieter mit mehr als 100 Angestellten. Damit wollen wir von unserer Seite aus darstellen, wie der Datenfluss beim E‑Rezept ablaufen sollte und welche Schnittstellen es braucht, um diese breite Spanne abzudecken“, erklärt Münch. „Um die gesamte Prozesskette durchzuspielen, planen wir einen Feldtest, der möglichst noch Ende dieses Jahres beginnen soll. Dann muss das, was wir am Tisch entwerfen, den Praxistest bestehen.“ Dabei tausche sich die AG Telematik im BIV-OT regelmäßig mit Nachbarverbänden aus und teile die Erfahrungen. „In der nächsten Ausbaustufe werden wir uns damit befassen, wie die Hilfsmittelversorgung als integraler Bestandteil von Therapie und Rehabilitation sinnvoll in der elektronischen Patientenakte (ePA) hinterlegt werden kann. Denn unsere Betriebe brauchen Schreibzugriff auf die Akte, um beispielsweise wichtige Informationen für Ärzte oder Physiotherapeuten zu hinterlegen“, betont Münch. „Im Ergebnis möchten wir schnellere und schlankere Prozesse erreichen.“
Informiert bleiben?
Seminar- und Kongressanbieter Confairmed plant noch in diesem Jahr einen Livetalk zu TI und E‑Rezept. Auf der OTWorld 2022 wird es Sessions zum Thema geben und die Industrie wird Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) – „Apps auf Rezept“ vorstellen, die mit fortschreitender Digitalisierung und im Zuge der Einführung des E‑Rezepts einen Aufschwung erleben könnten.
Cathrin Günzel
Während bei Arztpraxen und Apotheken das E‑Rezept schon unmittelbar vor der Tür steht, dauert es für die Sanitätshäuser und OT-Betriebe noch etwas länger, bevor sie an die TI angeschlossen und auf der Gesundheitsdaten-Autobahn unterwegs sind:
- 28. Mai 2024 – die Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung des Anschlusses der Hilfsmittelleistungserbringer an die TI durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) steht.
- 1. Juli 2024 – OT-Betriebe und Sanitätshäuser können sich freiwillig an die TI anschließen, die Umsetzung des E‑Rezepts für die Verordnung von Hilfsmitteln startet. GKV-Erstattungen für die TI-Hardware werden angefragt.
- 1. Januar 2026 – OT-Betriebe und Sanitätshäuser sollten sich ihre Hardware besorgt haben und an die TI anbinden. Die Ausgabe der personen- und betriebsgebundenen Karten zur Zugangsberechtigung sollte festgelegt sein.
- 1. Juli 2026 – das E‑Rezept bzw. die elektronische Verordnung wird für die Hilfsmittelversorger verpflichtend.
- E‑Health-Gesetz, Januar 2016 – für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen; legt den Grundstein für TI und Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die sogenannten „Apps auf Rezept“
- Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), Mai 2019 – für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung, legt den Grundstein für das E‑Rezept für Arzneimittel
- Digitale-Versorgungs-Gesetz (DVG), Dezember 2019/Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG), Oktober 2020/Januar 2021 – u. a. Makelverbot von E‑Rezepten für Vertragsärzte und Kliniken
- Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG), Mai 2021 – Grundstein für das E‑Rezept in der Hilfsmittelversorgung
Am 1.1.2022 wird das E‑Rezept für alle Verordnungen verschreibungspflichtiger Arzneimittel für alle gesetzlich Versicherten verpflichtend. Um die Rezepte elektronisch empfangen und einlösen zu können, ist die von der Gematik entwickelte E‑Rezept-App „Das e‑Rezept“ nötig, welche zudem Informationen zu Einnahme und Dosierung der Medikamente enthält. Zum Einlösen wird entweder der Rezeptcode in der App geöffnet und in der Apotheke vorgezeigt oder das Rezept vorab an eine Apotheke übermittelt. Voraussetzungen:
- NFC-fähiges Smartphone (= mit kontaktloser Schnittstelle; Betriebssystem ab iOS 14 oder Android 7), elektronische Gesundheitskarte mit NFC-Unterstützung zur Anmeldung in der App (zu erkennen an einer sechsstelligen Zugangsnummer unter den Deutschland-Farben) plus PIN-Code, bestellbar bei der jeweiligen Krankenkasse.
- Ohne Anmeldung mit der Gesundheitskarte ist die App nur mit Medienbruch verwendbar: Dann lassen sich ausgedruckte Rezeptcodes einscannen und zum Vorzeigen in der Apotheke speichern.
- Informationen der Gematik: https://www.das-e-rezept-fuer-deutschland.de
Noch schaut das Angebot an Digitalen Gesundheitsanwendungen eher mager aus: Gerade mal 19 Apps, die sich gesetzlich Versicherte verschreiben und von ihrer Krankenkasse bezahlen lassen können, hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bislang in sein DiGA-Verzeichnis aufgenommen. „Apps auf Rezept“ gibt es derzeit unter anderem zur Unterstützung von Brustkrebspatient:innen, zur Therapieunterstützung von Patient:innen mit Depressionen und depressiven Verstimmungen, zum digitalen Diabetesmanagement, zur Tinnitustherapie, zur Unterstützung der Nachsorge von Schlaganfallpatient:innen, zur Behandlung von Schlafstörungen oder Übungen zur Behandlung von Rücken‑, Knie- und Hüftschmerzen. Die ersten DiGAs wurden im November 2020 zertifiziert. Mit einem Wachstum ist in den kommenden Jahren zu rechnen. So sind weitere DiGAs für Rehasport oder auch ergänzend zu Hilfsmittelversorgungen denkbar. Auf der OTWorld 2022 wird erwartet, dass die Industrie einige Neuheiten in diesem Bereich im Köcher hat.
- DiGA-Verzeichnis https://diga.bfarm.de/de
Die Anfänge des E‑Rezepts sind nicht zuletzt verbunden mit der EU-Richtlinie 2011/24/EU vom 9. März 2011 „über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung“ zum sicheren und effizienten Austausch von Gesundheitsdaten zwischen den Mitgliedsstaaten. Daraus resultierende Gesundheitsdienstleistungen werden schrittweise in den EU-Ländern eingeführt. Dazu gehört die elektronische Verschreibung, die es den EU-Bürger:innen ermöglicht, ihre Arzneimittel in einem anderen EU-Mitgliedsstaat zu erhalten. Die Vorreiter bei der Umsetzung sitzen aber nicht in Deutschland: Bereits seit 21. Januar 2019 wandern E‑Rezepte von Finnland über die digitale eHealth-Diensteinfrastruktur (eHDSI) der Europäischen Union in estnische Apotheken, als Teil der EU-Strategie für Gesundheitsversorgung und Pflege. Weitere Länder sind inzwischen dazugekommen, zum Beispiel können kroatische Bürger:innen ihre elektronischen Verschreibungen bei Apotheken in Finnland und Portugal abholen, Bürger:innen Estlands in Finnland und Kroatien, finnische Bürger:innen neben Estland in Kroatien und Portugal, Portugies:innen in Estland, Finnland und Kroatien.
Die eHDSI verbindet die nationalen eHealth-Dienste, darüber können Gesundheitsdaten ausgetauscht werden. So soll die medizinische Versorgung der EU-Bürger:innen gewährleistet bleiben, wenn sie außerhalb ihres Wohnsitzlandes in der EU unterwegs sind. Elektronische Verschreibungen zählen zu grenzüberschreitenden Gesundheitsdiensten mit der Kennzeichnung „MyHealth@EU“. Bis 2025 sollen sie schrittweise in 25 EU-Ländern eingeführt werden.
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