Sind Orthe­sen im Trai­ning zur Prä­ven­ti­on von OSG-Dis­tor­sio­nen sinnvoll?

C. Lukas
OSG-Distorsionen sind die häufigste Sportverletzung und weisen zudem ein hohes Rezidivrisiko auf. Goldstandard ist die frühfunktionelle Therapie mit Orthese und Stabilisationstraining. Präventive Möglichkeiten sind ein gezieltes Übungsprogramm, Tape-Verbände und Orthesen. Für alle diese Optionen ist eine deutliche Reduktion des Verletzungsrisikos nachgewiesen.

Nach­tei­le der Tape-Behand­lung sind eine hohe Kom­pli­ka­ti­ons­ra­te und die Kos­ten, sodass aktu­ell die Kom­bi­na­ti­on von funk­tio­nel­len Übun­gen und Orthe­se emp­feh­lens­wert erscheint. Auf­ga­be des Arz­tes ist es, die für den Sport­ler geeig­ne­te Orthe­se zu ver­ord­nen. Leis­tungs­ein­bu­ßen bei getra­ge­ner Orthe­se schei­nen sich, wenn vor­han­den, in einem akzep­ta­blen Aus­maß zu bewe­gen, ver­gli­chen mit der erziel­ten Risikoreduktion.

Anzei­ge

Ein­lei­tung

Das Mei­nungs­bild ist dis­pa­rat: Das eine Lager ist sich sicher, dass das Tra­gen von Orthe­sen im Trai­ning ein sinn­vol­les Prä­ven­ti­ons­hilfs­mit­tel sei, durch das die Ver­let­zungs­häu­fig­keit ver­min­dert wer­den kön­ne. Die ande­ren hin­ge­gen äußern Ängs­te, dass durch Ban­da­gen oder Orthe­sen die Mus­ku­la­tur, die das Gelenk schüt­zen soll, zu sehr ent­las­tet wer­de und dadurch hypo­tro­phie­re. Vie­le Sport­ler sind zudem besorgt, dass sie durch Orthe­sen zu sehr ein­ge­schränkt wer­den und dadurch Leis­tungs­ein­bu­ßen entstehen.

Die Dis­tor­si­on des obe­ren Sprung­ge­len­kes stellt mit Abstand die häu­figs­te Ver­let­zung im Sport dar 1 2 3. Daher ist es wich­tig, sich dies­be­züg­lich um die Prä­ven­ti­on Gedan­ken zu machen, ins­be­son­de­re, da die OSG-Dis­tor­si­on kei­ne Baga­tell­ver­let­zung dar­stellt; ca. 30 % der Pati­en­ten bekla­gen anhal­ten­de Rest­be­schwer­den 4. Zudem stellt die erlit­te­ne Sprung­ge­lenks­ver­let­zung den größ­ten Risi­ko­fak­tor für ein Rezi­div dar: Bis zu 80 % der Pati­en­ten erlei­den inner­halb eines Jah­res ein erneu­tes Sprung­ge­lenkstrau­ma 5. Ein Zusam­men­hang zwi­schen dem initia­len Ver­let­zungs­aus­maß und dem Rezi­div­ri­si­ko lässt sich aller­dings nicht nach­wei­sen 6, was im Umkehr­schluss bedeu­tet, dass auch leich­te Ver­let­zun­gen nicht baga­tel­li­siert wer­den soll­ten. Wäh­rend die bevor­zug­te Behand­lung bis ca. 1990 die ope­ra­ti­ve Band­naht dar­stell­te 7, hat sich zwi­schen­zeit­lich die früh­funk­tio­nel­le kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie als min­des­tens eben­bür­tig erwie­sen 8.

Pha­sen der früh­funk­tio­nel­len Therapie

Die früh­funk­tio­nel­le The­ra­pie beginnt opti­ma­ler­wei­se bereits am Unfall­ort. Hier soll­te nach dem bekann­ten PECH-Sche­ma erst­ver­sorgt wer­den. Im nächs­ten Schritt ist eine gründ­li­che Unter­su­chung und eine adäqua­te bild­ge­ben­de Dia­gnos­tik erfor­der­lich – zum einen, um das genaue Ver­let­zungs­aus­maß beur­tei­len zu kön­nen, zum ande­ren aber auch, um die durch­aus häu­fi­gen Begleit­ver­let­zun­gen zu erkennen.

Die wei­te­re The­ra­pie erfolgt dann in Abhän­gig­keit von den klas­si­schen bio­lo­gi­schen Hei­lungs­pha­sen. In der Akut­pha­se (0–3 Tage) geht es vor allem dar­um, Schwel­lung zu ver­mei­den bzw. die ent­stan­de­ne Schwel­lung bzw. Ein­blu­tung zu redu­zie­ren. Neben dem Fort­füh­ren des PECH-Sche­mas ist dabei eine Lymph­drai­na­ge emp­feh­lens­wert; bei Bedarf kann an Unter­arm­geh­stüt­zen ent­las­tet werden.

In der Pro­li­fe­ra­ti­ons­pha­se (4–28 Tage) sol­len die vol­le Mobi­li­tät des Gelenks und ein nor­ma­les Gang­bild wie­der­her­ge­stellt wer­den. Zudem soll über pro­prio­zep­ti­ves Trai­ning die für die vol­le Belast­bar­keit und für die Rück­kehr zum Sport erfor­der­li­che Koor­di­na­ti­on wie­der­her­ge­stellt wer­den (Abb. 1). Um im Rah­men des Trai­nings in die­ser Pha­se ein Rezi­div zu ver­mei­den, soll­te je nach Bean­spru­chung gege­be­nen­falls eine Orthe­se getra­gen werden.

In der drit­ten Pha­se (4–12 Wochen) geht es dann dar­um, die vol­le Sport­fä­hig­keit wie­der­her­zu­stel­len. Hier­zu müs­sen die dyna­mi­sche Sta­bi­li­tät, die Ath­le­tik und die sport­art­spe­zi­fi­sche Belas­tungs­fä­hig­keit wie­der­her­ge­stellt wer­den (Sche­ma nach 9).

Ursa­chen einer Ver­let­zung des Sprunggelenkes

Vor­aus­set­zung ist, dass es inter­ne Risi­ko­fak­to­ren gibt, die den Ath­le­ten für eine Ver­let­zung prä­dis­po­nie­ren. Dies kön­nen erlit­te­ne Vor­ver­let­zun­gen, Ermü­dung oder ein schlech­ter Trai­nings­zu­stand sein. Auch Fuß­fehl­stel­lun­gen oder Risi­ko­ver­hal­ten fal­len in die­sen Bereich. Kom­men nun äuße­re Risi­ko­fak­to­ren hin­zu, wird aus dem prä­dis­po­nier­ten ein ver­let­zungs­an­fäl­li­ger Ath­let. Exter­ne Risi­ko­fak­to­ren kön­nen zum Bei­spiel schlech­tes Schuh­werk oder schlech­ter Boden­be­lag, feh­len­de Schutz­aus­rüs­tung oder die aus­ge­üb­te Sport­art sein. Sind die­se Vor­aus­set­zun­gen erfüllt, kann es in der ent­spre­chen­den Gefah­ren­si­tua­ti­on zur Ver­let­zung kom­men 10.

Prä­ven­ti­on im Trai­ning heißt dem­zu­fol­ge, die Risi­ko­fak­to­ren so weit wie mög­lich zu redu­zie­ren. Im Fol­gen­den wird dar­auf ein­ge­gan­gen, inwie­weit eine Reduk­ti­on der Ver­let­zungs­häu­fig­keit durch pro­prio­zep­ti­ves Trai­ning, Tape bzw. Orthe­sen mög­lich ist.

Reduk­ti­on der Verletzungshäufigkeit

Pro­prio­zep­ti­ves Trai­ning ist ins­be­son­de­re in der sekun­dä­ren und ter­tiä­ren Prä­ven­ti­on bei Risi­ko­s­port­ar­ten effek­tiv 11; ohne Vor­ver­let­zun­gen zei­gen sich weni­ger Effek­te. Eine Erklä­rung hier­für ist, dass es durch die Ver­let­zung zu Defi­zi­ten im pro­prio­zep­ti­ven Bereich kommt, die durch das Trai­ning wie­der aus­ge­gli­chen wer­den kön­nen 12 13. Die Reduk­ti­on des Ver­let­zungs­ri­si­kos liegt je nach unter­such­tem Pro­gramm zwi­schen 36 und 50 % 14 15. Ein Unter­schied zwi­schen ange­lei­te­tem Üben und Durch­füh­ren eines Heim­pro­gram­mes ließ sich nicht nach­wei­sen 16. Bezüg­lich des geführ­ten Pro­gram­mes ist es wich­tig, dass auch unter Vor­ermü­dung, unter Dyna­mik und sport­art­spe­zi­fisch trai­niert wird 17. Um hier­bei deut­li­che Effek­te zu erzie­len, soll­te min­des­tens zwei­mal pro Woche min­des­tens 10 Minu­ten lang geübt wer­den 18.

Auch Tape-Ver­bän­de kön­nen das Risi­ko um ca. 50 % redu­zie­ren 19; die Behand­lung birgt jedoch eini­ge Pro­ble­me: Die Ver­bän­de ver­lie­ren rasch an Stei­fig­keit und müss­ten opti­ma­ler­wei­se alle 30 Minu­ten erneu­ert wer­den 20. Bei 59 % der Pati­en­ten konn­ten Kom­pli­ka­tio­nen wie Druck­stel­len, All­er­gien oder Haut­ir­ri­ta­tio­nen nach­ge­wie­sen wer­den 21. Zudem lie­gen die ent­ste­hen­den Kos­ten ca. drei­mal höher als bei einer Prä­ven­tiv­be­hand­lung mit Orthe­se 22.

Die Wir­kung von Orthe­sen im Trai­ning besteht in einer gewis­sen Ent­las­tung, Füh­rung und Sta­bi­li­sie­rung des Gelen­kes bis hin zur Immo­bi­li­sa­ti­on, je nach ver­wen­de­ter Orthe­se. Mit Kom­pres­si­ons­ban­da­gen kann auch eine rheo­lo­gi­sche Wir­kung erzielt wer­den; ein sen­so­mo­to­ri­scher Effekt wur­de eben­falls belegt 23. Bereits 1999 hat­ten 124 ver­schie­de­ne Model­le eine Heil­mit­tel-Num­mer 24, bis heu­te ist die Anzahl sicher nicht gerin­ger gewor­den. Orthe­sen bzw. Ban­da­gen las­sen sich grob in Kom­pres­si­ons­ban­da­gen, Funk­ti­ons­si­che­rungs­ban­da­gen und Sta­bi­li­sie­rungs­ban­da­gen unter­tei­len. Für den Arzt gilt es ein Modell zu fin­den, das für den Sport­ler einen adäqua­ten Kom­pro­miss zwi­schen Schutz und Funk­ti­ons­er­halt dar­stellt (Abb. 2).

Auch für Orthe­sen gilt, dass sie ins­be­son­de­re in der Sekun­där- und Ter­ti­är­prä­ven­ti­on sowie bei Risi­ko­s­port­ar­ten sinn­voll sind 25. Dadurch sin­ken nicht nur das abso­lu­te Ver­let­zungs­ri­si­ko (um ca. 50 % 26) und das Risi­ko einer Rezi­div­ver­let­zung 27 28, son­dern es wird auch das Ver­let­zungs­aus­maß redu­ziert 29. Ein Ein­fluss auf die Rota­ti­ons­sta­bi­li­tät 30 ließ sich dage­gen nicht nach­wei­sen. Die Pro­phy­la­xe mit Orthe­se zeigt sich jedoch effek­ti­ver als eine Tape-Behand­lung 31 oder sen­so­mo­to­ri­sches Trai­ning 32. Da im ers­ten Jahr nach einer Ver­let­zung das Rezi­div­ri­si­ko beson­ders groß ist 33, wird für die­sen Zeit­raum das Tra­gen einer Orthe­se beim Sport emp­foh­len 34 35 (Abb. 3).

Bleibt die Fra­ge, ob es durch das Tra­gen einer Orthe­se zu rele­van­ten Funk­ti­ons­ein­schrän­kun­gen kommt. MacKe­an konn­te 1995 eine gene­rel­le Beein­träch­ti­gung der sport­li­chen Leis­tung ermit­teln 36, wäh­rend auf bas­ket­ball­spe­zi­fi­sche Fer­tig­kei­ten (Lau­fen, Sprin­gen) kein Ein­fluss nach­ge­wie­sen wer­den konn­te 37 38. Burks hin­ge­gen konn­te 1991 signi­fi­kan­te Ein­schrän­kun­gen der Leis­tungs­fä­hig­keit mit Tape, aller­dings nur gerin­ge Ein­schrän­kun­gen mit Orthe­se ermit­teln 39. Im Star Excur­si­on Balan­ce Test erga­ben sich bezüg­lich der Balan­ce kei­ne Unter­schie­de und bezüg­lich der Beweg­lich­keit kei­ne signi­fi­kan­ten Ein­schrän­kun­gen 40.

Hin­sicht­lich der ver­wen­de­ten Sport­schu­he gilt: Ein pro­tek­ti­ver Effekt durch soge­nann­te High-Top-Schu­he lässt sich nicht nach­wei­sen 41, die Neu­wer­tig­keit der Schu­he ist wich­ti­ger als die Schnitt­hö­he 42.

Fazit

Sprung­ge­lenks­or­the­sen sind ins­be­son­de­re in der Sekun­där- und Ter­ti­är­prä­ven­ti­on sinn­voll; nach Sprung­ge­lenks­ver­let­zun­gen soll­te 12 Mona­te lang eine Orthe­se beim Sport getra­gen wer­den. Leis­tungs­ein­bu­ßen durch die Orthe­se schei­nen sich in einem ver­tret­ba­ren Aus­maß zu bewe­gen. Sen­so­mo­to­ri­sches Trai­ning ist effek­tiv, auch in Eigen­re­gie. Opti­mal scheint die Kom­bi­na­ti­on von sen­so­mo­to­ri­schem Trai­ning und Orthe­se zu sein.

Der Autor:
Dr. Chris­toph Lukas
Lei­ten­der Arzt im Reha-Zen­trum Hess
Stein­hei­mer Stra­ße 7
74321 Bie­tig­heim-Bis­sin­gen
praxis@drlukas.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

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