Pati­en­ten­com­pli­ance: Wor­auf legen Gonar­thro­se-Pati­en­ten bei der Aus­wahl von ent­las­ten­den Orthe­sen Wert? – Eine Multi-Center-Studie

J. Rogoschin
Im Rahmen des interdisziplinären Gonarthrose-Managements werden unikompartimentell entlastende Orthesen eingesetzt. Einen wesentlichen Erfolgsfaktor für die Effizienz dieser Intervention stellt die Patientencompliance dar, die maßgeblich von den Anforderungen der Patienten an das Hilfsmittel bestimmt wird. Mittels einer Befragung von 73 Patienten an vier Zentren wurden die Erwartungen im Hinblick auf Funktion, Design und Anwenderfreundlichkeit von Entlastungsorthesen identifiziert. Das Ergebnis: Dem optimalen Sitz der Orthese und der Orthesengröße sowie einem nicht auftragenden Design wurde mehr Bedeutung beigemessen; weniger Wert legten die Befragten dagegen auf die Farbe und das Muster, ein Design in Strumpfform oder eine Wirkung nur in der akuten Schmerzperiode. Darüber hinaus war ein Trend für den Wunsch nach Selbstkontrolle und einer optimalen Perzeption erkennbar. Eine einfache Anwendung und Reinigung sowie möglichst wenig notwendiges Zubehör waren ebenfalls erwünscht.

Ein­lei­tung

Arthro­se stellt eine gro­ße, glo­bal wach­sen­de Her­aus­for­de­rung für die öffent­li­che Gesund­heit dar, die mit einer wei­te­ren pro­gre­di­en­ten Ent­wick­lung ein­her­geht. Ursäch­lich sind die stei­gen­de Lebens­er­war­tung der Welt­be­völ­ke­rung und eine Zunah­me der Risi­ko­fak­to­ren wie Über­ge­wicht und Bewe­gungs­man­gel 1 2. Welt­wei­te Schät­zun­gen demons­trie­ren eine durch­schnitt­li­che Prä­va­lenz sym­pto­ma­ti­scher Arthro­se bei 9,6 % aller über 60-jäh­ri­gen Män­ner und bei 18,0 % aller über 60-jäh­ri­gen Frau­en. Dabei wei­sen etwa 30 % der Män­ner und Frau­en über 65 Jah­re posi­ti­ve radio­lo­gi­sche Befun­de einer Gonar­thro­se auf 3.

Die funk­tio­nel­len Ein­schrän­kun­gen sowie Restrik­tio­nen bezüg­lich der Par­ti­zi­pa­ti­on kor­re­lie­ren mit der Schmerz­stär­ke, einem erhöh­ten Kör­per­ge­wicht und mit psy­chi­schen Fak­to­ren wie all­ge­mei­nen Angst­zu­stän­den, ins­be­son­de­re der Angst vor Hilf­lo­sig­keit 4. Dar­über hin­aus beschrei­ben aktu­el­le Stu­di­en einen Zusam­men­hang zwi­schen sym­pto­ma­ti­scher Gonar­thro­se und einem erhöh­ten Mor­ta­li­täts­ri­si­ko durch eine Kau­sa­li­tät mit Über­ge­wicht und Co-Mor­bi­di­tä­ten, ins­be­son­de­re Herz-Kreis­lauf-Stö­run­gen, Typ-2-Dia­be­tes, Blut­hoch­druck und Depres­sio­nen 5 6 7. Die­se Fak­to­ren demons­trie­ren den hohen gesell­schaft­li­chen Stel­len­wert der Erkran­kung und zei­gen die Wich­tig­keit adäqua­ter Behand­lungs­me­tho­den auf, denen eine genaue Kennt­nis über die Ätio­lo­gie der Erkran­kung und den Pathome­cha­nis­mus zugrun­de lie­gen muss.

Die Risi­ko­fak­to­ren für die Ent­wick­lung einer Gonar­thro­se las­sen sich in Fak­to­ren auf Per­so­nen­ebe­ne und Fak­to­ren auf Gelen­kebe­ne klassifizieren:

  • Bei den Fak­to­ren auf der Per­so­nen­ebe­ne sind Alter, Geschlecht, Neben­er­kran­kun­gen und Coping­stra­te­gien im All­tag zu nen­nen. Zusätz­lich kann der indi­vi­du­el­le psy­chi­sche Sta­tus das arthro­ti­sche Schmerz­er­le­ben und die Schmerz­in­ten­si­tät beein­flus­sen und zur Aus­prä­gung des Krank­heits­ver­laufs beitragen.
  • Die Fak­to­ren auf struk­tu­rel­ler Gelen­kebe­ne bezie­hen sich auf vor­her­ge­hen­de Ver­let­zun­gen, Fehl­stel­lun­gen und abnor­ma­le Kraft­be­las­tun­gen im Gelenk 8. Es bestehen ein­deu­ti­ge Hin­wei­se, dass Bein­ach­sen­fehl­stel­lun­gen einen unab­hän­gi­gen Risi­ko­fak­tor für das Fort­schrei­ten der radio­lo­gi­schen und der struk­tu­rel­len Gonar­thro­se im Zusam­men­hang mit Varus- und Val­gus-Mala­lignment dar­stel­len 9.

Leit­li­ni­en wie die S2k-Leit­li­ne „Gonar­thro­se“ der Deut­schen Gesell­schaft für Ortho­pä­die und Ortho­pä­di­sche Chir­ur­gie (DGOOC) emp­feh­len ein inter­dis­zi­pli­nä­res Gonar­thro­se-Manage­ment basie­rend auf Akti­vi­täts­stei­ge­rung, Gewichts­re­duk­ti­on und Selbst­edu­ka­ti­on des Pati­en­ten. Eine wei­te­re The­ra­pie­op­ti­on inner­halb die­ser Behand­lungs­emp­feh­lung stellt der Ein­satz von Hilfs­mit­teln und bio­me­cha­ni­schen Inter­ven­tio­nen dar. Basie­rend auf bio­me­cha­ni­schen Unter­su­chun­gen wer­den eine Reduk­ti­on des Knie­ad­duk­ti­ons­mo­ments von bis zu 32 % durch val­gi­sie­ren­de Ent­las­tungs­or­the­sen sowie Ver­bes­se­run­gen auf der Befind­lich­keits­ska­la und in funk­tio­nel­len Knie-Scores beschrie­ben 10. Dabei wer­den die Effek­ti­vi­tät und das Resul­tat der Behand­lung durch die Pati­en­ten­com­pli­ance stark beeinflusst.

Aspek­te der Pati­en­ten­com­pli­ance bei Gonarthrose

Der Com­pli­ance-Erfolg des Pati­en­ten – zunächst unab­hän­gig von der jewei­li­gen Erkran­kung – kann fun­da­men­tal von fol­gen­den Fak­to­ren beein­flusst wer­den 11:

  • pati­en­ten­zen­trier­te,
  • the­ra­pie­be­zo­ge­ne,
  • sozia­le,
  • öko­no­mi­sche,
  • gesund­heits­sys­tem­be­zo­ge­ne und
  • krank­heits­spe­zi­fi­sche Faktoren.

Wäh­rend bei­spiels­wei­se gesund­heits­sys­tem­be­zo­ge­ne Fak­to­ren nicht durch den Leis­tungs­er­brin­ger gesteu­ert wer­den kön­nen, kann die­ser jedoch durch­aus Ein­fluss auf die psy­cho­lo­gi­schen pati­en­ten­zen­trier­ten Fak­to­ren aus­üben. Dazu zäh­len fol­gen­de Aspek­te 12:

  • der Glau­be an die The­ra­pie und die Motivation,
  • die Ein­stel­lung gegen­über der Therapie,
  • die Bezie­hung zwi­schen Leis­tungs­er­brin­ger und Patient,
  • die all­ge­mei­ne Gesund­heits­kennt­nis des Pati­en­ten sowie
  • eine aus­führ­li­che Auf­klä­rung über die Erkran­kung und die durch­ge­führ­te Behandlungsform.

Eine bewuss­te und akti­ve Inte­gra­ti­on des Pati­en­ten in die The­ra­pie-Ent­schei­dun­gen wird eben­falls als posi­ti­ver Ein­fluss­aspekt auf­ge­führt. Dar­über hin­aus erscheint es wich­tig, die Erwar­tun­gen des Pati­en­ten, die er an die The­ra­pie stellt, zu ken­nen, da die­se mit der Akzep­tanz und der Anwen­dung der Maß­nah­me stark ver­knüpft sind 13.

Die auf­ge­führ­ten Gesichts­punk­te las­sen sich auch auf die Anwen­dung bio­me­cha­ni­scher Inter­ven­tio­nen wie eine Ver­sor­gung mit Ent­las­tungs­or­the­sen bei uni­kom­par­ti­men­tel­ler Gonar­thro­se über­tra­gen, die ihre Effi­zi­enz aus­schließ­lich bei einer sach­ge­mä­ßen und regel­mä­ßi­gen Anwen­dung ent­fal­ten kön­nen. Eine zusätz­li­che Her­aus­for­de­rung ist die lang­fris­ti­ge Anwen­dung von Ent­las­tungs­or­the­sen inner­halb der chro­ni­schen dege­ne­ra­ti­ven Gonar­thro­se, bei der das Hilfs­mit­tel im indi­vi­du­el­len All­tag über eine län­ge­re Peri­ode akzep­tiert wer­den muss. Dem­nach hängt der The­ra­pie­er­folg stark mit der Com­pli­ance des Pati­en­ten zusam­men, wel­che in ers­ter Linie auf der Ein­bin­dung des Pati­en­ten in die The­ra­pie­ent­schei­dung und auf der Kennt­nis über die Pati­en­ten­er­war­tun­gen basiert. Dies spielt bei der Aus­wahl des geeig­ne­ten Hilfs­mit­tels eine pri­mä­re Rol­le und soll­te daher sowohl von Ortho­pä­die­tech­ni­kern als auch vom ver­ord­nen­den Arzt berück­sich­tigt wer­den, wäh­rend posi­tiv aus­ge­präg­te psy­cho­lo­gi­sche pati­en­ten­zen­trier­te Fak­to­ren für eine ver­bes­ser­te Akzep­tanz und den regel­mä­ßi­gen Gebrauch des Hilfs­mit­tels sorgen.

Basie­rend auf die­sen Ein­fluss­fak­to­ren lässt sich die Hypo­the­se for­mu­lie­ren, dass eine Orthe­se, die den Pati­en­ten­wün­schen und Anfor­de­run­gen gerecht wird, eine höhe­re Com­pli­ance mit sich bringt. Das Ziel die­ser Arbeit war es dem­nach, Kennt­nis­se und Ein­sich­ten in die Pati­en­ten­wün­sche und Anfor­de­run­gen an Ent­las­tungs­or­the­sen bei Gonar­thro­se zu erlan­gen, um The­ra­pie­er­geb­nis­se ver­bes­sern zu kön­nen. Die­se Erkennt­nis­se haben auch eine hohe Rele­vanz für Her­stel­ler, um Hilfs­mit­tel mög­lichst opti­mal ent­spre­chend dem Pati­en­ten­wunsch gestal­ten zu können.

Mate­ri­al und Methoden

Zur Erlan­gung genaue­rer Kennt­nis­se über die Pati­en­ten­an­for­de­run­gen an ent­las­ten­de Orthe­sen wur­den Gonar­thro­se-Pati­en­ten vor ihrer Ver­sor­gung über ihre Erwar­tun­gen befragt. Die Erhe­bung geschah mit­tels eines neu ent­wi­ckel­ten stan­dar­di­sier­ten Fra­ge­bo­gens, der an den ers­ten Teil („assis­ti­ve device“) des QUEST‑2.0‑Fragebogens ange­lehnt war. Der Bogen umfass­te ins­ge­samt 15 Fra­gen und glie­der­te sich in die drei Kate­go­rien Funk­ti­on, Design und Anwen­der­freund­lich­keit mit jewei­li­gen Unter­ka­te­go­rien. Die Pati­en­ten wur­den auf­ge­for­dert, die Unter­ka­te­go­rien nach ihrer indi­vi­du­el­len Wich­tig­keit zu wählen.

Die Befra­gung wur­de in vier bun­des­deut­schen Sani­täts­häu­sern durch­ge­führt. Die sta­tis­ti­sche Aus­wer­tung erfolg­te mit­tels ANOVA mit einem Signi­fi­kanz­ni­veau von α = 0.05. Als Post-hoc-Test wur­de der Bon­fe­ro­ni-Test ver­wen­det. Ins­ge­samt haben 73 Pro­ban­den an der Befra­gung teil­ge­nom­men; sie wie­sen ein Durch­schnitts­al­ter von 65,94 ± 4,38 Jah­ren auf. Das Ver­hält­nis von Frau­en gegen­über Män­nern lag bei 52 % zu 48 %.

Ergeb­nis­se

Funk­ti­on

In der Kate­go­rie „Funk­ti­on“ war es 70 % der befrag­ten Pati­en­ten wich­tig, dass die Orthe­se opti­mal sitzt und nicht ver­rutscht (Abb. 1). Die­se Ant­wort reprä­sen­tiert den wich­tigs­ten Fak­tor und war signi­fi­kant wich­ti­ger als der Wunsch nach einer Ver­wen­dung nur in der schmerz­haf­ten Akut­pha­se, der nur 10 % der Befrag­ten eine Wich­tig­keit bei­ma­ßen. Der zweit­wich­tigs­te Fak­tor, der von 66 % aller Befrag­ten als wesent­lich gewich­tet wur­de, war der Wunsch nach einer selbst kon­trol­lier­ba­ren und indi­vi­du­el­len Ent­las­tung, die unkom­pli­ziert und ohne Auf­wand in jeder Situa­ti­on jus­tiert wer­den kann. Der Wunsch nach einer Orthe­se, die das Bewe­gungs­aus­maß des Knie­ge­lenks nicht ein­schränkt und kein Fremd­kör­per­ge­fühl ver­mit­telt, wur­de von 65 % der Befrag­ten geäu­ßert. Des Wei­te­ren erhoff­ten sich 42 % der Befrag­ten eine Ent­las­tung nur am betrof­fe­nen Gelenk – ohne Ein­fluss­nah­me auf ande­re Struk­tu­ren, die nicht von Arthro­se betrof­fen sind. Wei­te­re 41 % stell­ten die Anfor­de­rung an die Orthe­se, kei­nen Druck aufzubringen.

Design

Die Kate­go­rie „Design“ demons­trier­te die Wich­tig­keit der Orthe­sen­grö­ße (Abb. 2). Dem­nach war es für 86 % aller Befrag­ten ent­schei­dend, dass die Orthe­se mög­lichst klein und unter der Klei­dung trag­bar, wenig auf­tra­gend und leicht­ge­wich­tig ist. Den zweit­wich­tigs­ten Fak­tor in die­ser Kate­go­rie stell­te das Mate­ri­al dar. Hier war es von 69 % der befrag­ten Pati­en­ten erwünscht, dass das Pro­dukt aus einem wei­chen und kom­for­ta­blen Mate­ri­al besteht, wel­ches sich dem Kör­per opti­mal anpasst. Über­ein­stim­mend mit dem wich­tigs­ten Fak­tor die­ser Kate­go­rie und dem Wunsch nach einer mög­lichst klei­nen und nicht auf­tra­gen­den Orthe­se war es den Befrag­ten in 62 % der Fäl­le wich­tig, dass das Pro­dukt ein schlan­kes, nicht auf­tra­gen­des und doch effi­zi­en­tes Orthe­sen­ge­lenk auf­weist. Im Hin­blick auf die Optik gaben 42 % der Befrag­ten an, dass sie sich eine moder­ne und neu­zeit­li­che Orthe­sen­op­tik wün­schen. Dem­ge­gen­über maßen nur 18 % der Befrag­ten der Far­be und dem Mus­ter sowie 12 % der Design­art in Form eines Strump­fes Rele­vanz bei. Die sta­tis­ti­sche Aus­wer­tung ergab, dass der Wunsch nach einer klei­nen, unter der Klei­dung trag­ba­ren und nicht auf­tra­gen­den Orthe­se signi­fi­kant wich­ti­ger war als die Anfor­de­rung an die Far­be und das Mus­ter. Eben­so war die Grö­ße signi­fi­kant wich­ti­ger als die For­de­rung nach einer Orthe­se in Strumpfform.

Anwen­der­freund­lich­keit

In der drit­ten Kate­go­rie wur­den die Anfor­de­run­gen an die Anwen­der­freund­lich­keit eva­lu­iert (Abb. 3). Hier­bei wur­den kei­ne Unter­schie­de bezüg­lich der Wich­tig­keit der drei erfrag­ten Unter­ka­te­go­rien „Posi­tio­nie­rung“, „Reinigung/Hygiene“ und „Zube­hör“ ermit­telt. Die Ergeb­nis­se zei­gen den Wunsch nach einer Unter­stüt­zung bei einer kor­rek­ten Anla­ge und Posi­tio­nie­rung der Orthe­se bei 39 % der Befrag­ten. Zudem wün­schen sich 36 % eine Orthe­se, die leicht und unkom­pli­ziert zu rei­ni­gen ist und deren Instand­hal­tung kei­nes gro­ßen Auf­wands bedarf. Wei­ter­hin leg­ten 35 % der Befrag­ten Wert dar­auf, dass kei­ne Zube­hör­tei­le für eine kor­rek­te Anwen­dung und Jus­tie­rung not­wen­dig sind.

Dis­kus­si­on und Schlussfolgerung

Die Ergeb­nis­se der hier vor­ge­stell­ten Erhe­bung demons­trie­ren den Wunsch der Pati­en­ten nach einem opti­ma­len Sitz der Orthe­se ohne Migra­ti­on, der wäh­rend der Akti­vi­tät und Bewe­gung im All­tag gewähr­leis­tet sein soll. Dabei kann pos­tu­liert wer­den, dass nicht nur der Pro­zess der Sitz­kor­rek­tur einen ein­schrän­ken­den Fak­tor in der all­täg­li­chen Anwen­dung dar­stellt, son­dern dass viel­mehr der opti­ma­le Sitz der Orthe­se mit der Effi­zi­enz des Hilfs­mit­tels ein­her­ge­hen könn­te, weil nur mit der rich­ti­gen Posi­tio­nie­rung eine effi­zi­en­te Unter­stüt­zung und opti­ma­le Funk­ti­on gewähr­leis­tet wer­den kann. Ange­sichts des Man­gels an Unter­su­chun­gen auf die­sem Gebiet sind wei­te­re Ana­ly­sen die­ser Fra­ge­stel­lung notwendig.

Im Ver­gleich zum opti­ma­len Sitz war den Befrag­ten eine Anwen­dung nur wäh­rend der schmerz­haf­ten Peri­ode signi­fi­kant unwich­ti­ger. Als grund­le­gend hier­für kann ein Wunsch nach wei­te­ren vor­teil­haf­ten Eigen­schaf­ten wie bei­spiels­wei­se einer ver­bes­ser­ten Sta­bi­li­tät dis­ku­tiert wer­den. Dem­nach schei­nen sich Pati­en­ten eine lang­fris­ti­ge und kon­ti­nu­ier­li­che all­tags­be­glei­ten­de Lösung zu wünschen.

Des Wei­te­ren war der Trend erkenn­bar, dass ein Wunsch nach einer selbst kon­trol­lier­ten Ent­las­tung in indi­vi­du­el­len All­tags­si­tua­tio­nen besteht. Dies geht mit dem Umstand ein­her, dass eine bes­se­re The­ra­pie-Com­pli­ance des Pati­en­ten über eine akti­ve Inte­gra­ti­on in das The­ra­pie­re­gime erreicht wer­den kann 14. Zudem ist der Wunsch nach Unab­hän­gig­keit und Selbst­kon­trol­le ins­be­son­de­re bei älte­ren Pati­en­ten ein erstre­bens­wer­ter und zugleich not­wen­di­ger Fak­tor in der medi­zi­ni­schen The­ra­pie 15.

Eine wei­te­re Anfor­de­rung wird an die Per­zep­ti­on gestellt, denn den Befrag­ten war es wich­tig, dass die Orthe­se nicht als Fremd­kör­per wahr­ge­nom­men wird und zu kei­ner Ein­schrän­kung des Bewe­gungs­aus­ma­ßes des Knie­ge­lenks führt. Die­ser Aspekt kor­re­liert haupt­säch­lich mit der Kon­struk­ti­on der Orthe­se und ist mit Fak­to­ren wie Gewicht, Mate­ri­al, Pass­form und Pro­fil­di­cke ver­bun­den. Die­ser Befund wird von einer sys­te­ma­ti­schen Über­sichts­ar­beit um Brou­wer et al. unter­mau­ert. Dort wur­den hohe Drop-out-Raten und eine ver­rin­ger­te Com­pli­ance in den Orthe­sen­grup­pen beschrie­ben 16. Hier­bei ist zu ver­mu­ten, dass die Kon­struk­ti­on und das Design der Orthe­se einen wesent­li­chen Bei­trag zum Aus­maß der Com­pli­ance und der Akzep­tanz leis­ten, denn Stu­di­en über Kon­struk­tio­nen nach dem Prin­zip „low­pro­fi­le, sin­gle-upright“ wie­sen einen Trend für gerin­ge­re Drop-out-Raten auf, die inner­halb der emp­foh­le­nen Coch­ra­ne-Stan­dards lagen 17 18 19. Die­se Hypo­the­se wird auch durch die Ergeb­nis­se im Hin­blick auf das Design bestä­tigt, denn die Befrag­ten for­der­ten eine klei­ne Orthe­se und ein schlan­kes Design.

Weni­ger wich­tig erschie­nen dage­gen die Far­be und das Mus­ter der Orthe­se sowie ein Design in Strumpf­form. Des Wei­te­ren erwar­te­ten die Pati­en­ten eine unkom­pli­zier­te und ein­fach zu bedie­nen­de Orthe­se, die bei der Anle­ge­pro­ze­dur und der Posi­tio­nie­rung ohne not­wen­di­ges Zube­hör unter­stüt­zen kann.

Neben die­sen Erkennt­nis­sen wird emp­foh­len, zur Wahl des opti­ma­len Hilfs­mit­tels einen Unloa­der-Brace-Test (UBT) durch­zu­füh­ren, um Respon­der und Non-Respon­der zu iden­ti­fi­zie­ren. Dazu soll­te der Pati­ent zunächst über die ihm zur Ver­fü­gung ste­hen­den Hilfs­mit­tel auf­ge­klärt und in die Orthe­sen­wahl mit­ein­be­zo­gen wer­den. Dar­auf­hin wer­den die Effi­zi­enz und der Erfolg der gewähl­ten Orthe­se für jeden Pati­en­ten mit­tels UBT eva­lu­iert und doku­men­tiert. Der UBT ermög­licht eine Ein­schät­zung der durch die Orthe­se erreich­ten Schmerz­re­duk­ti­on und detek­tiert Ver­än­de­run­gen des Sta­bi­li­täts­emp­fin­dens. Der Orthe­sen­ef­fekt wird unter­sucht, indem der Pati­ent gebe­ten wird, vor und nach der Ver­sor­gung die­sel­be Stre­cke auf ebe­nem Unter­grund zu gehen sowie im sel­ben Set­ting min­des­tens fünf Trep­pen­stu­fen zu bewäl­ti­gen. Wäh­rend­des­sen wird für die­se zwei Bedin­gun­gen (mit/ohne Orthe­se) das jewei­li­ge Schmerz­emp­fin­den mit­tels Nume­ric Rating Sca­le (NRS) erfragt sowie Ver­än­de­run­gen des Sta­bi­li­täts­emp­fin­dens regis­triert. Zusätz­lich wird ana­ly­siert, ob ein selbst­stän­di­ger Umgang mit der Orthe­se mög­lich ist, der sub­jek­tiv ein­ge­schätz­te Vor­teil einer Nut­zung im Rah­men der Par­ti­zi­pa­ti­on eva­lu­iert sowie der Tra­ge­kom­fort erfragt. Der Orthe­sen­nut­zen wird deut­lich, wenn der Pati­ent in der Lage ist, Akti­vi­tä­ten wie­der aus­zu­füh­ren, die auf­grund von Schmerz oder einer Insta­bi­li­täts­pro­ble­ma­tik ein­ge­schränkt waren bzw. nicht mehr aus­ge­führt wer­den konn­ten. Eine posi­ti­ve Emp­feh­lung basie­rend auf dem UBT wird nur dann aus­ge­stellt, wenn eine Schmerz­re­duk­ti­on um min­des­tens 2 Punk­te auf der NRS-Ska­la ver­zeich­net wer­den konn­te und wenn der Pati­ent ein selbst­stän­di­ges Hand­ling der Orthe­se gewähr­leis­ten kann sowie expli­zit der Mei­nung ist, dass die Orthe­se ihm im All­tag einen Vor­teil bie­ten wird.

Zu den Limi­ta­tio­nen die­ser Erhe­bung gehört der explo­ra­to­ri­sche Cha­rak­ter des Fra­ge­bo­gens und sei­ne noch nicht defi­nier­te Validität.

Fazit

Kon­klu­siv kann fest­ge­stellt wer­den, dass die hier auf­ge­zeig­ten ers­ten Ein­bli­cke in die all­ge­mei­nen Anfor­de­run­gen von Gonar­thro­se-Pati­en­ten bezüg­lich ihrer Orthe­sen­ver­sor­gung den Wunsch nach einer leich­ten und nicht auf­tra­gen­den Orthe­se mit schlan­kem Design und nach trotz­dem effi­zi­en­ten sym­ptom­be­ein­flus­sen­den Eigen­schaf­ten iden­ti­fi­zie­ren. Zudem wird ein Bedarf nach einer ein­fa­chen Anwen­dung und Unter­stüt­zung bei der Anla­ge sowie nach Unkom­pli­ziert­heit im Sin­ne von mög­lichst wenig not­wen­di­gem Zube­hör deutlich.

Die Autorin:
Jana Rogo­schin, M. Sc., B. Sc.
Cli­ni­cal Inves­ti­ga­ti­on Specialist,
Össur Deutsch­land GmbH
Rese­ar­cher, Insti­tut für Biomechanik
und Ortho­pä­die, Deut­sche Sport­hoch­schu­le Köln
jana.rogoschin@stud.dshs-koeln.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Rogo­schin J. Pati­en­ten­com­pli­ance: Wor­auf legen Gonar­thro­se-Pati­en­ten bei der Aus­wahl von ent­las­ten­den Orthe­sen Wert? – Eine Mul­ti-Cen­ter-Stu­die. Ortho­pä­die Tech­nik, 2021; 72 (4): 46–50

 

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