Einleitung
Der endoprothetische Ersatz des Kniegelenks stellt ein gebräuchliches und meist auch komplikationsfreies Verfahren bei arthrotischen Veränderungen des Kniegelenks dar. Bisweilen kommt es aber zu chronisch rezidivierenden Infekten der Implantate, die allen konservativen und operativen Maßnahmen zum Trotz erst zum Stillstand kommen, wenn das Kunstgelenk ein für alle Mal entfernt wird. Die Osteomyelitis führt zur Lockerung der Prothese und sekundär zur Osteoporose, zu Weichteil- und Knochennekrosen und spontanen Frakturen (Abb. 1a–c). Die septische Chirurgie stellt ungewohnte Anforderungen an den Mediziner. Verspätete Diagnostik und eine insuffiziente Therapie verschlimmern die Situation oft zusätzlich. Leider werden die möglichen Komplikationen häufig totgeschwiegen. So werden sie weder in dem 2013 erschienenen Buch über „Infektionen des Bewegungsapparates“ 1 noch im Übersichtsbeitrag in der Swiss Medical Weekly von Ahmad et al. 2 erwähnt. Hingegen berichtet Greitemann aus Bad Rothenfelde, in seiner Rehabilitationsklinik Münsterland habe er seit 1995 38 solcher Patienten mit Amputationen aufgenommen 3.
Die Infektion kommt erst zum Stillstand, nachdem alle Fremdkörper und abgestorbenen Weichteile entfernt worden sind. Infiziertes Knochengewebe im Bereich von Prothese und Knochenzement ist zu debridieren. Entstandene Hohlräume müssen durch gestielte Muskellappen verschlossen werden, um den Infekt definitiv unter Kontrolle zu bringen.
Nach dem Entfernen der Knieprothese und weiterer Fremdkörper (Knochenzement) sowie nekrotisch gewordener Weichteile und Knochen (Sequester) stehen drei Möglichkeiten zur Verfügung:
- Amputation
- Arthrodese (Versteifung)
- Resektion des Kniegelenks
Amputation
In unserer Statistik finden wir Amputationen nach der Entfernung von Gelenkprothesen auf jeder Höhe der unteren Extremität: Sie scheint oft die größtmögliche Sicherheit zu bieten, den Infekt zu überwinden. Ist die Prothese mit je einem Stiel in der Markhöhle von Femur und Tibia verankert, muss unbedingt der Infekt dort saniert werden 4. Das Eröffnen der Markhöhlen durch einen vorderen Deckel erleichtert den Zugang zur Prothese und zu weiteren Fremdkörpern wie Knochenzement. Ein Maximum an Länge ist zu erhalten, wenn möglich noch mit einem Stück der Femurkondylen. Nach gründlichem mechanischem Débridement sind Hohlräume durch gut durchblutetes Gewebe lückenlos zu schließen, um den Bakterien keinen neuen Nährboden zu liefern. Diese Aufgabe übernehmen gefäßgestielte Muskellappen, bei denen also die Verbindung zur Blutversorgung erhalten bleibt. Der um 1/3 bis 1/2 verringerte Querschnitt von Femur und Tibia genügt vollauf zur angestrebten axialen Vollbelastung im Prothesenschaft (Abb. 1d, e).
Der Preis der Amputation ist der unwiederbringliche Verlust der körperlichen Integrität. Hinzu gesellt sich die Gefahr von Stumpf- und Phantomschmerzen. Gegenüber den beiden folgenden Methoden besteht aber hier der große Vorteil in der relativ raschen Mobilisation. Nach komplikationsloser Wundheilung kann der Patient aufstehen, und die Prothesenversorgung sowie die Gehschulung beginnen schon nach 3 bis 4 Wochen.
Rückblickend stellt sich jedoch bei jeder Amputation die Frage, ob es nicht doch möglich gewesen wäre, das Bein zu retten.
Arthrodese (Versteifung)
Nach Entfernung der Knieprothese hat die Versteifung des Kniegelenks zum Ziel, den Infekt zu beherrschen, ohne Unterschenkel und Fuß opfern zu müssen. Die körperliche Integrität bleibt somit erhalten.
Durch sparsame Resektion wird versucht, eine möglichst breite Kontaktfläche zwischen Femur und Tibia zu erreichen und die Beinverkürzung gering zu halten. Die auf drei Seiten angefrischte Kniescheibe vergrößert die knöcherne Kontaktfläche. Die Arthrodese erfolgt in 0 bis 5° Flexion und in einem symmetrisch zur Gegenseite außenrotierten Fuß.
Als Osteosynthesematerial dient ein Fixateur externe, der sich auf die beiden knienahen Drittel erstreckt (Abb. 2a u. b). Der Durchbau dauert bis zu einem Jahr. Nach 3 bis 4 Monaten kann der Fixateur durch eine hintere Schalenorthese mit beweglicher Sandale ersetzt werden. Damit lassen sich die ersten Schritte unternehmen. Nachträglich lassen sich die beiden Knochenstümpfe durch eine Arthrodese mit einem Marknagel stabilisieren 5.
Der Preis für Stabilität und Schmerzfreiheit ist das steife Knie: Es ist hinderlich beim Sitzen, Treppensteigen, beim Transport mit dem Rollstuhl und im Auto und Flugzeug.
Ein Wechsel zur nachträglichen Resektion des Kniegelenks oder zur Amputation ist möglich.
Resektion des Kniegelenks
Verglichen mit der Arthrodese hat die Resektion des Kniegelenks den Vorteil, ein bewegliches „Pseudoknie“ zu schaffen, ein eigentliches „Schlottergelenk“ (Abb. 3a–c). Die körperliche Integrität des Patienten bleibt erhalten. Die operative Vorgehensweise stellt sich wie folgt dar:
- Zugang wenn möglich durch vorbestehende Schnitte; Traumatisieren der Gewebe auf ein Minimum beschränken; Prothese freilegen.
- Alles körperfremde Material (Prothese, Knochenzement und Nahtmaterial) ist radikal zu entfernen.
- Die anliegenden Knochen und Weichteile müssen gründlich mechanisch gereinigt (debridiert), Nekrosen reseziert (entfernt) werden.
- Ist die Knieprothese entfernt, werden durch Femur und Tibia zwei parallele Schnittflächen exakt in der Transversalebene geschaffen. Um die entstehende Lücke so klein wie möglich zu halten, muss die Resektion durch die Spongiosa so sparsam wie möglich erfolgen. Dabei sind Kunstgelenke mit geringer Aufbauhöhe von Vorteil (Abb. 4).
- Fixateur externe zur Ruhigstellung der Wundfläche für 2 bis 3 Wochen; dann Übergang zur Lagerungsorthese.
Indiziert ist eine solche Vorgehensweise bei einer Knieprothese von geringer Aufbauhöhe, in der Regel beschränkt auf den Bereich der Spongiosa von Femur- und Tibiakondylus. Die Amerikaner Falhee et al. berichten über 28 Resektionen zur Rettung des Kniegelenks bei Infektionen nach Knieprothesen 5. In einigen Fällen erstreckte sich die Resektion bis in den Femur- und Tibiaschaft hinein. Die Option zur Kniearthrodese oder zur Amputation bleibt bestehen.
Versorgungsbeispiel
Ein 85-jähriger Patient (171 cm, 81 kg) stellte sich zwei Jahre nach Entfernen der Endoprothese wegen rezidivierender Osteomyelitis bei Prof. Dr. med. Peter Ochsner vor. In Absprache mit dem Patienten wurde eine Resektion des Gelenks vorgenommen, und im weiteren Behandlungsverlauf wurden verschiedene orthetische Versorgungen durchgeführt.
Erste Orthese
Als erste Versorgung kam eine Oberschenkel-Lagerungsorthese (KAFO: Knee-Ankle-Foot Orthosis) ohne Kniegelenk und ohne Tuberaufsitz zum Einsatz. Die Maßnahme und Anprobe erfolgte bei liegendem Fixateur. Dieser konnte entfernt werden, sobald die Orthese passte (Abb. 5a u. b). Versorgungsziel war es, das postoperative Ergebnis zu halten, ohne dass zu diesem Zeitpunkt eine axiale Belastung geplant war.
Zweite Orthese
Die zweite Versorgung bildete eine Oberschenkelorthese mit Tuberaufsitz und sperrbarem Kniegelenk (Abb. 6a u. b.). Ihre Hauptaufgabe war die Stabilisierung des Kniegelenks in Frontal- und Sagittalebene. Des Weiteren verfolgte die Mobilisierung mit der Orthese folgende Ziele:
- den Abstand zwischen den Schnittflächen von Femur und Tibia verkleinern,
- die Osteoporosegefahr verringern,
- die Zirkulation verbessern,
- die Rehabilitation fördern.
Dritte Orthese
In der dritten Orthese, die wiederum mit einem Tuberaufsitz versehen war, wurde in Zusammenarbeit mit der Firma Fior & Gentz das Neurotronic-Systemkniegelenk mit freier Schwungphase eingesetzt 6. Das elektromechanisch gesteuerte Kniegelenk wird durch einen Drucksensor in der Ferse aktiviert. Ein leichtes Extensionsmoment bei der Fersenhebung entsperrt das Gelenk (Abb. 7a–c). Der Aufbau erfolgte in voller Streckstellung (0°).
Der Patient kam jedoch mit diesem kerzengeraden Aufbau nicht zurecht und klagte über Schmerzen im Kniegelenk. Entsprechend wurde die Orthese in Flexion des Knies umgebaut. Sowohl die Flexionsstellung des Kniegelenks als auch die Kombination mit einem Tuberaufsitz stellen relative Kontraindikationen des Gelenks dar und sollten in diesen Fällen nur in Absprache mit dem Hersteller zum Einsatz kommen. In dem Jahr, in dem die Orthese getragen wurde, kam es aufgrund der Grenzindikation jedoch zu einigen Stürzen, weshalb der Patient die Versorgung schlussendlich ablehnte.
Vierte Orthese
Die unbefriedigenden Ergebnisse gaben Anlass für einen Erfahrungsaustausch zwischen dem versorgenden Orthopädie-Techniker und einem orthopädietechnisch versierten Orthopäden. Beschränkte sich die Zusammenarbeit bisher auf die Verordnung „Oberschenkelorthese mit Tubersitz“, suchten nun beide Fachleute gemeinsam mit dem Patienten nach einer besseren Lösung. Das Ergebnis war die vierte Orthese. Sie ist grundsätzlich auf die Vorstellungen des Patienten ausgerichtet worden und nicht auf diejenigen tradierter Versorgungen.
Es erschien zunächst naheliegend, die Resektionsstellen mit Hilfe einer Tuberbank zu entlasten. Dieser Weg wurde auch bei unserem Patienten beschritten. Doch die axiale Entlastung mittels Abstützung am Becken war hier zu hinterfragen. Im beschriebenen Fall wollte man primär das Schlotterknie stabilisieren, indem die beiden Resektionsflächen ohne Verzug aufeinanderzupressen waren. Dazwischen hatte die Natur ein Narbengewebe geschaffen, welches einen direkten Kontakt zwischen den beiden knöchernen Resektionsflächen verhinderte. Die Entlastung der Strukturen durch eine Tuberbank war also nicht nur kontraindiziert, sondern hatte weitere schwerwiegende Nachteile. Sie kippte das Becken nach vorne, was einen Ausgleich der Knieachse erforderte (Abb. 6a u. b).
Mit einem Knie, gehalten in 20° Flexion, fühlte sich der Patient subjektiv am wohlsten. Daher musste auf jede Dynamik verzichtet werden, weil kein dynamisches Orthesengelenk der mechanischen Belastung bei 20° Flexion gewachsen ist (Abb. 8a u. b).
Die „Schweizer Sperre“ wurde verdeckt eingebaut und die Verschlussriemen mit Deckteilen ausgerüstet (Abb. 9). In unserem Fall war die Knieflexion ungesperrt auf 30° Flexion beschränkt. Später wurde sie auf 60° erhöht.
Die zunehmende axiale Belastung erhöhte der Patient in eigener Regie mit Hilfe zweier Unterarmgehstützen und des Rollators, bei wiederholter Kontrolle mit Hilfe einer simplen Körperwaage im Rahmen der intensiven Physiotherapie.
Fünfte Orthese
Um eine sichere Gehfähigkeit zu erzielen und dann dauernd halten zu können, muss der Patient regelmäßig seine Muskulatur trainieren. Dies geschieht am besten und am sichersten auf dem Stehfahrrad. Um hier das Gelenk seitlich zu stabilisieren, trug der Patient eine konfektionierte Knieorthese, Marke MOS Genu Bauerfeind (Abb. 10a u. b).
Zum Stehen und Gehen ist sie nicht geeignet. Denn das Sprunggelenk bedarf ebenfalls der Stabilisierung durch die Orthese. Die Resektion des Knies hat insbesondere den zweigelenkigen Wadenmuskel (M. gastrocnemius) relativ verlängert und geschwächt. Dasselbe geschah mit dem Kniestrecker, doch ließ sich dieser Muskel auftrainieren.
Orthopädische Schuhzurichtungen
Neben der orthetischen Versorgung muss sowohl nach einer Arthrodese als auch nach Knieresektion der Schuh orthopädisch zugerichtet werden (Abb. 11). Hierbei war auf folgende Anforderungen zu achten:
- Genügend Platz für die Orthese; umgekehrt muss die Sandale der Orthese auch auf den Schuh abgestimmt sein.
- Verkürzungsausgleich: stärker am Absatz als an der Sohle; eine Restverkürzung von 2–3 cm ist zu belassen.
- Mittelfußrolle
- Klettverschlüsse
Ergebnis
Seit zwei Jahren ist der Patient mit Hilfe seiner Orthese und mit Unterarmgehstöcken oder dem Rollator selbstständig mobilisiert.
Fazit
Wie so oft bestand auch in diesem Fall die Zusammenarbeit zwischen Orthopäden und Orthopädie-Techniker initial aus dem Rezept, enthaltend die Diagnose und die Verordnung einer Orthese ohne größere Spezifikationen. Doch waren beide mit der außergewöhnlichen Aufgabe überfordert. Auf sich allein angewiesen suchte der Techniker im dritten Anlauf die Zusammenarbeit mit einem modernen, renommierten Passteilhersteller. Doch auch dieser Versuch war wegen der Grenzindikation nicht von Erfolg gekrönt. Der Durchbruch gelang erst mit der vierten Orthese, welche an Ort und Stelle gemeinsam mit einem Orthopäden entwickelt wurde, der sich der Technischen Orthopädie verschrieben hatte. Allen jahrelangen Anstrengungen zum Trotz hat sich diese Konstellation leider nicht flächendeckend durchsetzen können – Berührungsängste und Prestigedenken sind oft immer noch zu groß.
Festzuhalten bleibt abschließend, dass die Resektion des Kniegelenks bei entsprechender orthetischer Versorgung eine für den Patienten gewinnbringende Alternative zu Amputation und Arthrodese ist.
Für die Autoren:
Prof. em. Dr. med. René Baumgartner
1985–1996 Direktor der Klinik für Technische Orthopädie und Rehabilitation
Westfälische Wilhelms-Universität
Münster
Langwisstrasse 14
CH-8126 Zumikon
rabaumgart@bluewin.ch
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Baumgartner R, Fischer M, Ochsner P, Berli M. Kasuistik einer Kniegelenksresektion als Alternative zur Amputation nach infektbedingter Entfernung einer Knieendoprothese. Orthopädie Technik, 2015; 66 (9): 34–39
- Kinder mit Trisomie 21: Einsatz der Ganganalyse zur adäquaten Schuh- und Orthesenversorgung — 5. November 2024
- Rehabilitation aus orthopädietechnischer und physiotherapeutischer Sicht – Osseointegration und Schaftprothesen der unteren Extremität im Vergleich — 5. November 2024
- Belastungsprofile von knochenverankerten Oberschenkelimplantaten verbunden mit modernen Prothesenpassteilen — 5. November 2024
- Expertengruppe „Infektionen des Bewegungsapparates“ der Schweizerischen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie und der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie (Hrsg.). Infektionen des Bewegungsapparates. Grundlagen, Prophylaxe, Diagnostik und Therapie. 1. Auflage. Grandvaux: swiss orthopaedics, 2013
- Ahmad SS et al. Knee arthroplasty – current strategies for the management of knee osteoarthritis. Swiss Medical Weekly, 2015 Feb 9; 145: w14096. doi: 10.4414/ smw.2015.14096
- Greitemann B. Persönliche Mitteilung vom 28.03.2015
- Baumgartner R. Operative und orthopädietechnische Möglichkeiten nach der Entfernung von Kniegelenksendoprothesen. Medizinisch-Orthopädische Technik, 1980; 100: 143–145
- Falahee MH, Matthews LS, Kaufer H. Resection Arthroplasty as a Salvage Procedure for a Knee with Infection after a Total Arthroplasty. J Bone Joint Surg Am, 1987; 69 (7): 1013–1021
- Fior & Gentz: Firmenprospekt. http://www.fior-gentz.de