Aus­ge­zeich­ne­tes Kor­sett: Bestä­ti­gung für Arbeit, Zeit und Liebe

Im Regionalwettbewerb Bonn-Köln von Jugend forscht wurde in diesem Jahr ein Projekt aus der Technischen Orthopädie ausgezeichnet. Die 18-jährige Franziska Völzgen erhielt einen zweiten Preis im Fachbereich „Arbeitswelt“ und einen Sonderpreis von Make für ihr Projekt „Behandlungsmethoden für Skoliose: Entwicklung eines nachhaltigen Korsetts“. Im Gespräch mit der OT-Redaktion verrät die Abiturientin ihre Motivation und Vorgehensweise.

OT: War­um haben Sie sich mit einer Behand­lungs­me­tho­de für Sko­lio­se beschäftigt? 

Fran­zis­ka Völz­gen: Das hat per­sön­li­che Grün­de: Mit 12 Jah­ren erhielt ich die Dia­gno­se Sko­lio­se und kurz vor mei­nem 13. Geburts­tag dann mein ers­tes Kor­sett. Über die Jah­re hat mir das Kor­sett vie­le Schmer­zen genom­men, auch wenn es nicht immer ange­nehm war, 23 Stun­den am Tag eine Plas­tik­scha­le zu tra­gen. Inzwi­schen bin ich in der Abtrai­nie­rungs­pha­se und tra­ge nur noch nachts mein Kor­sett. Das The­ma Sko­lio­se beschäf­tigt mich aber dar­über hin­aus sehr und als ich in der 11. Klas­se an mei­ner Schu­le, dem Mäd­chen­gym­na­si­um Lieb­frau­en­schu­le in Bonn, eine Fach­ar­beit schrei­ben soll­te, woll­te ich daher unbe­dingt zu die­sem The­ma schreiben.

OT: Was war Ihre Grund­idee für das Projekt?

Völz­gen: Die Grund­idee, ein Kor­sett zur Behand­lung von Sko­lio­se im 3D-Druck­ver­fah­ren zu erstel­len, ent­stand gemein­sam mit mei­ner Bio­lo­gie­leh­re­rin Dr. Bar­ba­ra Busert unter ande­rem vor dem Hin­ter­grund, dass wir an unse­rer Schu­le einen 3D-Dru­cker haben. Dabei war die Idee, den bio­lo­gisch abbau­ba­ren Kunst­stoff Poly­l­ac­tat (PLA) zu ver­wen­den, um ein umwelt­freund­li­ches Kor­sett zu entwickeln.

OT: Wie sind Sie vorgegangen? 

Völz­gen: Ganz klas­sisch. Im ers­ten Schritt habe ich mich mit dem Krank­heits­bild, sei­nen Ursa­chen und Behand­lungs­me­tho­den aus­ein­an­der­ge­setzt. Danach stand ein Mate­ri­al­ver­gleich auf dem Pro­gramm. Die meis­ten Kor­setts wer­den aus Poly­ethy­len (PE) gefer­tigt, die­ses Mate­ri­al ist aber nicht bio­lo­gisch abbau­bar. Poly­l­ac­tat hin­ge­gen kann unter indus­tri­el­len Bedin­gun­gen kom­pos­tiert wer­den. Um die Eigen­schaf­ten bei­der Mate­ria­li­en für ein Kor­sett zu tes­ten, habe ich daher Norm­prüf­kör­per ent­wor­fen und in der Schu­le aus­ge­druckt. Anschlie­ßend bin ich in die Dr. Rein­old Hagen Stif­tung in Bonn gegan­gen und habe dort unter Anlei­tung des Diplom Inge­nieurs Jorg Hoch­stät­ter die Zug­fes­tig­keit von PLA und PE ver­gli­chen. Das Ergeb­nis war nicht ganz ein­deu­tig. PE hat eine deut­lich höhe­re Dehn­bar­keit auf­ge­wie­sen als PLA. Daher war ich mir nicht sicher, ob PLA sich eig­nen wür­de, und ich muss­te also den Druck des Kor­setts abwar­ten, um es mit Sicher­heit sagen zu kön­nen. Dadurch, dass PLA aber eine sehr gro­ße Sta­bi­li­tät auf­weist, bin ich das Risi­ko ein­ge­gan­gen. Und das hat sich gelohnt! Die Dehn­bar­keit und auch die bio­lo­gi­sche Abbau­bar­keit von PLA hängt von den Addi­ti­ven ab, die den PLA-Fila­men­ten hin­zu­ge­ge­ben wer­den kön­nen. Hier fiel mei­ne Wahl auf ein Fila­ment mit mög­lichst wenig Addi­ti­ven, das einen weiß-trans­pa­ren­ten Kör­per ergibt. Denn je weni­ger che­mi­sche Addi­ti­ve im Mate­ri­al ent­hal­ten sind, des­to bes­ser ist es für die Umwelt.

OT: Wie konn­ten Sie Ihr Pro­jekt prak­tisch umset­zen?  

Völz­gen: Hier war der Maker Space in Bonn (MSB) eine rie­sen­gro­ße Hil­fe. Der MSB ver­fügt über zahl­rei­che 3D-Dru­cker. Dort konn­te ich den 12 cm gro­ßen Pro­to­ty­pen model­lie­ren und dru­cken. Der Pro­to­typ ließ sich gut genug bie­gen, um ihn anzie­hen zu kön­nen. Gleich­zei­tig war das Mate­ri­al sta­bil genug, um der Wir­bel­säu­le Halt zu geben. Natür­lich gab es an der einen oder ande­ren Stel­le des Pro­to­typs noch Ver­bes­se­rungs­be­darf. Aber das Ori­gi­nal soll­te weit­ge­hend auf Grund­la­ge des Pro­to­typs her­ge­stellt wer­den. Dafür benö­tig­te ich aber einen sehr gro­ßen Dru­cker, denn mein Kor­sett soll­te um die 45 cm Höhe auf­wei­sen. Zum Glück hat­te das MSB gera­de einen ent­spre­chen­den Dru­cker erwor­ben, es fehl­ten aller­dings noch Erfah­rungs­wer­te im Umgang mit dem für uns alle neu­en Dru­cker. Das Team vom MSB hat zahl­rei­che Stun­den sei­ner Frei­zeit inves­tiert, um mit mir eine Lösung zu fin­den und die Umset­zung zu rea­li­sie­ren. Nach etli­chen Fehl­dru­cken war es dann end­lich, zwei Tage vorm Wett­be­werb, soweit und wir hiel­ten „mein“ Kor­sett in den Hän­den. In die­sem Moment war ich unglaub­lich stolz und erleich­tert. Es war wirk­lich ein Zit­tern bis zum letz­ten Moment…

OT: Kön­nen Sie das Kor­sett für sich nutzen? 

Völz­gen: Lei­der nein. Ursprüng­lich woll­te ich ein Modell auf Grund­la­ge mei­nes Kör­pers erstel­len, mir fehl­te aber der Zugang zu einem 3D-Ganz­kör­per­scan, des­halb ist das Kor­sett an eine fik­ti­ve Per­son angepasst.

OT: Wie lan­ge haben Sie am Pro­jekt gear­bei­tet?  

Völz­gen: Viel län­ger als gedacht: Die Idee ent­stand im Herbst 2018. Die Prä­sen­ta­ti­on des Kor­setts und sei­ner Ent­ste­hungs­ge­schich­te fand am 28. Febru­ar 2020 zum Regio­nal­wett­be­werb Bonn-Köln von Jugend forscht statt. Wäh­rend die­ser Zeit habe ich nicht nur von mei­ner Schu­le und dem MSB-Team sowie mei­nen Eltern viel Unter­stüt­zung erhal­ten. Auch stell­te mir mein Kor­sett­bau­er, Mar­tin Kem­per vom Sani­täts­haus Appel­rath Kem­per, PE zur Ver­fü­gung und Prof. Dr. Vio­la Bull­mann, Chef­ärz­tin der Wir­bel­säu­len­chir­ur­gie am St. Fran­zis­kus Hos­pi­tal in Köln, Daten. Außer­dem besorg­te mir eine Freun­din mei­ner Schwes­ter Fach­bü­cher, die sie als Medi­zin­stu­den­tin aus der Biblio­thek ent­lei­hen konn­te, die mir als Schü­le­rin nicht zugäng­lich waren.

OT: Wor­in unter­schei­det sich Ihr Pro­to­typ von bis­he­ri­gen Skoliosekorsetts?

Völz­gen: Im Wesent­li­chen sind hier zwei Punk­te zu nen­nen: Das Kor­sett wur­de nicht wie üblich durch das auf­wän­di­ge Gips­ab­druck­ver­fah­ren vom Ortho­pä­die-Tech­ni­ker her­ge­stellt, son­dern per 3D-Druck­ver­fah­ren. Zudem besteht mein Kor­sett aus dem umwelt­scho­nen­de­ren PLA, statt dem gän­gi­gen PE, das aus der end­li­chen Res­sour­ce Erd­öl gewon­nen wird.

OT: Was bedeu­tet Ihnen die Aus­zeich­nung von Jugend forscht? 

Völz­gen: Schon allein die Teil­nah­me hat mir viel bedeu­tet. In den ein­ein­halb Jah­ren der Erar­bei­tung des Kor­sett­pro­jek­tes bin ich vie­len beein­dru­cken­den Men­schen begeg­net. Das setz­te sich auch wäh­rend des Wett­be­werbs fort. Die Aus­zeich­nung war zusätz­lich eine Bestä­ti­gung für die Arbeit, Zeit und Lie­be, die ich mit Unter­stüt­zung so vie­ler in das Kor­sett gesteckt habe.

OT: Wer­den Sie jetzt nach dem Abitur beruf­lich in Rich­tung Ortho­pä­die-Tech­nik gehen? 

Völz­gen: Gera­de habe ich mei­ne Bewer­bung um ein Lehr­amts­stu­di­um für die Grund­schu­le abge­schickt. Ortho­pä­die-Tech­nik und die Sachen, die man in die­sem Gebiet noch erfor­schen kann, sind aber unge­heu­er span­nend. Daher habe ich mir fest vor­ge­nom­men, par­al­lel zum Stu­di­um wei­ter an mei­nem Pro­jekt zu arbei­ten. Außer­dem wer­de ich wei­ter erfor­schen, ob man das aus (noch ess­ba­ren!) Mais gewon­ne­ne PLA-Mate­ri­al nicht res­sour­cen­scho­nen­der her­stel­len kann. Viel­leicht fin­de ich ja in den nächs­ten Jah­ren die Zeit und Men­schen, die mich in mei­ner wei­te­ren For­schung unter­stüt­zen würden.

Fran­zis­ka Völz­gen besuch­te von 2012 bis Juni 2020 die Erz­bi­schöf­li­che Lieb­frau­en­schu­le Bonn. Sie möch­te allen, die Sko­lio­se haben und ein Kor­sett benö­ti­gen, aber auch sonst allen, die erkrankt sind, noch mit auf den Weg geben: “Ich habe die Erfah­rung gemacht, dass es sowohl für mich, als auch für mei­ne Mit­men­schen am Ein­fachs­ten ist, offen mit sei­ner Erkran­kung und den Hilfs­mit­teln, die man benö­tigt, umzu­ge­hen, sich also nicht zu ver­ste­cken, son­dern zu erklä­ren war­um, wie­so und wofür…”

Die Fra­gen stell­te Ruth Justen.

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