Ampu­ta­tio­nen der unte­ren Extre­mi­tät am wach­sen­den Ske­lett – eine Übersicht

A. Horsch, M. Alimusaj, C. Putz
Es gibt wesentliche Unterschiede zwischen Amputationen im Kindes- und im Erwachsenenalter – auch hinsichtlich der Nachbehandlung: Unabhängig davon, ob es sich um einen angeborenen oder erworbenen Gliedmaßendefekt handelt, steht man bei Heranwachsenden sowohl beim operativen Vorgehen als auch bei der Prothesenversorgung vor besonderen Herausforderungen. Dazu zählen das noch nicht abgeschlossene Skelettwachstum, das die Schaffung eines stabilen, endbelastbaren Stumpfes erschwert, sowie die hohen funktionellen Ansprüche an die Prothese. Die Fortschritte bei der Prothesenversorgung, insbesondere für die untere Extremität, haben die Eigenständigkeit von Menschen mit Amputation erheblich verbessert. Das gilt auch für Kinder. Die Voraussetzung für eine gut sitzende Prothese und ein zufriedenstellendes funktionelles Ergebnis ist jedoch ein stabiler Stumpf. Daher ist es von größter Bedeutung, dass Chirurgen bei Amputationen im frühen Alter die Folgen des angewandten Verfahrens berücksichtigen, um im interdisziplinären Team das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt spielt somit eine entscheidende Rolle und hat großen Einfluss auf die Lebensqualität der kleinen Patienten. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die korrekte Anwendung einiger grundlegender Amputationsprinzipien, wie sie im folgenden Artikel – unter anderem anhand zweier Fallbeispiele – vorgestellt werden, sowie ein individueller Behandlungsplan, gefolgt von einer engmaschigen interdisziplinären Nachbehandlung, in der Regel zu guten funktionellen Ergebnissen führen und einem Kind mit Amputation eine weitreichende Teilhabe ermöglichen.

Ein­lei­tung

Eine Ampu­ta­ti­on ist ein trau­ma­ti­sie­ren­des Ereig­nis und stellt einen schwer­wie­gen­den Ein­griff in die kör­per­li­che Inte­gri­tät der Betrof­fe­nen dar, ins­be­son­de­re wenn es sich dabei um Kin­der han­delt. Da es in Deutsch­land kein lan­des­wei­tes Ampu­ta­ti­ons­re­gis­ter gibt, kann die genaue Anzahl der Ampu­ta­tio­nen nicht exakt bestimmt wer­den; die Zah­len vari­ie­ren je nach Quel­le zwi­schen 60.000 und 70.000 pro Jahr, davon etwa 1.000 bei Kin­dern 1 2. Grund­sätz­lich gilt für Ampu­ta­tio­nen, dass die Indi­ka­ti­on sehr streng gestellt wer­den soll­te, ins­be­son­de­re dann, wenn kei­ne direk­te Lebens­ge­fahr droht. Dies gilt umso mehr bei Kindern.

Die wich­tigs­te Erkennt­nis bei der Behand­lung von Kin­dern besteht dar­in, dass sie kei­ne „klei­nen Erwach­se­nen“ sind. Dar­aus erge­ben sich eini­ge Beson­der­hei­ten. So unter­schei­den sich die Indi­ka­tio­nen zur Ampu­ta­ti­on bei Kin­dern maß­geb­lich von denen bei Erwach­se­nen: In der erwach­se­nen Bevöl­ke­rung stel­len vas­ku­lä­re Erkran­kun­gen, gefolgt von Trau­ma­ta und Tumo­ren, die häu­figs­te Indi­ka­ti­on zur Ampu­ta­ti­on dar; bei Kin­dern hin­ge­gen ste­hen Trau­ma und Tumo­ren im Vor­der­grund, gefolgt von Infek­tio­nen, ange­bo­re­nen oder erwor­be­nen Defor­mi­tä­ten und neu­ro­tro­phen Stö­run­gen 3 4.

Der (Kinder-)Orthopäde ist häu­fig der ers­te Ansprech­part­ner für die Fami­li­en betrof­fe­ner Kin­der bei ange­bo­re­nen Glied­ma­ßen­de­fek­ten. Dabei kann es sich ent­we­der um eine iso­liert auf­tre­ten­de Defor­mi­tät oder aber die Aus­prä­gung eines kom­ple­xe­ren Syn­droms sein. Die Eltern der betrof­fe­nen Kin­der suchen häu­fig ver­zwei­felt nach Ant­wor­ten bezüg­lich sofor­ti­ger Behand­lungs­mög­lich­kei­ten und nach Infor­ma­tio­nen zur Lang­zeit­pro­gno­se. Die Ursa­che der Defor­mi­tät und die Aus­sicht, ein wei­te­res Kind mit einem ähn­li­chen Defekt zu bekom­men, berei­ten ihnen Sor­gen. Ein mul­ti­dis­zi­pli­nä­rer Ansatz ein­schließ­lich gene­ti­scher Bera­tung ist unter die­sen Umstän­den unerlässlich.

Eine wei­te­re Beson­der­heit ergibt sich durch das appo­si­tio­nel­le Wachs­tum des Gewe­bes; das bedeu­tet, dass der Ampu­ta­ti­ons­stumpf mit­wächst und sich somit unter Umstän­den mit zuneh­men­dem Alter des Kin­des ver­formt. Dar­aus ergibt sich, dass das zu erwar­ten­de Wachs­tum bei der Pla­nung chir­ur­gi­scher Ein­grif­fe an der betrof­fe­nen Extre­mi­tät berück­sich­tigt und jede Abwei­chung auf­grund einer Ver­let­zung oder Beschä­di­gung der rele­van­ten Wachs­tums­fu­gen anti­zi­piert wer­den muss.

Auch die mecha­ni­schen und funk­tio­nel­len Anfor­de­run­gen sowohl an die Rest­ex­tre­mi­tät als auch an die Pro­the­se unter­schei­den sich bei Kin­dern maß­geb­lich von denen bei Erwach­se­nen mit Ampu­ta­ti­on und müs­sen bei der The­ra­pie­pla­nung berück­sich­tigt wer­den. Auch bei opti­ma­ler ope­ra­ti­ver und tech­ni­scher Ver­sor­gung kann es im wei­te­ren Ver­lauf über Mona­te und Jah­re hin­weg zu Pro­ble­men – z. B. Achs­fehl­stel­lun­gen – kom­men, die aber meist dank moder­ner Pro­the­sen­tech­nik ohne wei­te­re Ope­ra­ti­on gelöst wer­den kön­nen 5.

Jedoch spie­len nicht nur die rein ana­to­mi­schen Aspek­te, son­dern auch die psy­cho­lo­gi­schen Her­aus­for­de­run­gen, die mit dem Extre­mi­tä­ten­ver­lust und häu­fig auch mit der zugrun­de­lie­gen­den Erkran­kung (z. B. einer ange­bo­re­nen Anoma­lie oder einem bös­ar­ti­gen Tumor) ein­her­ge­hen, eine wich­ti­ge Rol­le. Bei der Ent­schei­dung für oder wider eine Ampu­ta­ti­on im Kin­des­al­ter sind neben der medi­zi­ni­schen Indi­ka­ti­on, der Funk­ti­on und kos­me­ti­schen Fra­gen auch Über­le­gun­gen zu kul­tu­rel­len und sozia­len Aspek­ten anzu­stel­len. Ins­be­son­de­re bei ange­bo­re­nen Fehl­bil­dun­gen soll­te die Ope­ra­ti­on bei gege­be­ner Indi­ka­ti­on durch­ge­führt wer­den, bevor das Kind sein indi­vi­du­el­les Kör­per­sche­ma ent­wi­ckelt hat. Daher emp­fiehlt es sich, abla­ti­ve Ein­grif­fe ent­we­der vor dem 3. Lebens­jahr oder erst nach Beginn der Puber­tät – wenn der Pati­ent die Ent­schei­dung mit­tra­gen kann – durch­zu­füh­ren 6 7. Vor- und Nach­tei­le des Extre­mi­tä­ten­er­halts gegen­über der Ampu­ta­ti­on sind kri­tisch abzu­wä­gen. Dabei ist auch zu berück­sich­ti­gen, dass auf­wen­di­ge Rekon­struk­ti­ons­ver­fah­ren (z. B. Ver­län­ge­run­gen), oft gefolgt von plas­ti­schen Ope­ra­tio­nen, das Kind durch lan­ge Hos­pi­ta­li­sie­rung und Ent­frem­dung (auf­grund lan­ger Tren­nung vom gewohn­ten Umfeld) erheb­lich belas­ten. In nicht weni­gen Fäl­len wäre daher laut Grei­temann und Kol­le­gen ex post eine Ampu­ta­ti­on die bes­se­re Wahl gewe­sen 8.

Prin­zi­pi­en der kind­li­chen Amputationschirurgie

Das pri­mä­re Behand­lungs­ziel bei Kin­dern, bei denen eine Ampu­ta­ti­on durch­ge­führt wer­den soll, besteht im maxi­mal mög­li­chen Funk­ti­ons­er­halt und der dar­aus resul­tie­ren­den Gewähr­leis­tung der maxi­mal mög­li­chen kind­li­chen Ent­wick­lung. Um dies zu gewähr­leis­ten, wird emp­foh­len, fol­gen­de Prin­zi­pi­en der kind­li­chen Ampu­ta­ti­ons­chir­ur­gie zu beachten:

  • Ein knö­cher­ner Län­gen­er­halt ist unbe­dingt anzu­stre­ben – zum einen, um eine mög­lichst gute post­ope­ra­ti­ve Funk­ti­on zu gewähr­leis­ten, zum ande­ren, um nach Mög­lich­keit die Wachs­tums­fu­gen zu erhal­ten. Ins­be­son­de­re bei der Behand­lung sehr jun­ger Kin­der kann das epi­phy­sä­re Wachs­tum die Län­ge der Extre­mi­tät oder des Ampu­ta­ti­ons­stump­fes stark beein­flus­sen. Dies gilt beson­ders für das dista­le Femur und die pro­xi­ma­le Tibia.
  • Im Fal­le kri­ti­scher Weich­teil­si­tua­tio­nen kön­nen Haut­trans­plan­ta­tio­nen (Mesh­graft, Rota­ti­ons- und freie Lap­pen­trans­fers) ein­ge­setzt wer­den. In Anbe­tracht der spä­te­ren Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung sind die­se Ver­fah­ren jedoch stets gut abzu­wä­gen, da die Bet­tung im Schaft einer Orthop­ro­the­se häu­fig pro­ble­ma­tisch ist. Dadurch kann jedoch die dista­le Epi­phy­sen­fu­ge und meist der Gelenk­knor­pel erhal­ten wer­den, wodurch wie­der­um Durch­spie­ßun­gen vor­ge­beugt wird und eine belast­ba­re Stumpf­bil­dung zur opti­ma­len Pro­the­sen­ver­sor­gung erfol­gen kann, womit der Nut­zen für den Pati­en­ten maxi­miert wird. Einen wesent­li­chen Vor­teil der Exar­ti­ku­la­ti­on stellt der sta­bi­le Stumpf dar; der ver­blei­ben­de Gelenk­knor­pel senkt das Risi­ko mecha­ni­scher Kom­pli­ka­tio­nen und wirkt somit wie eine zusätz­li­che „Pols­te­rung“. Des Wei­te­ren gewähr­leis­tet die ver­blei­ben­de Gelenk­flä­che mit ihrer grö­ße­ren Ober­flä­che nicht nur eine sta­bi­le­re Adap­ti­on, son­dern auch einen bes­se­ren Sitz der Orthop­ro­the­se. Die­se Vor­tei­le über­wie­gen bei Wei­tem den mög­li­chen Nach­teil, dass der Stumpf zu lang sein könnte.
  • Die Län­ge des Stump­fes kann beim wach­sen­den Kind rela­tiv ein­fach durch eine sorg­fäl­tig geplan­te Epi­phy­si­ode­se kon­trol­liert wer­den; bei aus­ge­wach­se­nen Pati­en­ten ist dage­gen eine Ver­kür­zungs­os­teo­to­mie mög­lich. Als Bei­spiel ist die Syme-Ampu­ta­ti­on zu nen­nen, bei der es sich um eine ech­te Exar­ti­ku­la­ti­on han­delt. Das Ver­fah­ren kann bei vie­len Glied­ma­ßen­de­fek­ten im Kin­des­al­ter – ein­schließ­lich Längs­de­fek­ten wie den ver­schie­de­nen Arten von Fibu­la- und Tibia-Hemi­me­li­en – ange­wandt wer­den. Durch die Syme-Exar­ti­ku­la­ti­on kann bei Kin­dern ein end­be­last­ba­rer Stumpf mit sehr gutem funk­tio­nel­lem Ergeb­nis geschaf­fen wer­den, bei dem auch im Lang­zeit­ver­lauf nicht mit grö­ße­ren Kom­pli­ka­tio­nen zu rech­nen ist. Den­noch bleibt anzu­mer­ken, dass die Syme-Ampu­ta­ti­on im Kin­des­al­ter de fac­to ein eher sel­te­ner Ein­griff ist.
  • Die knö­cher­ne Durch­spie­ßung des Stump­fes ist bei Wei­tem die häu­figs­te Kom­pli­ka­ti­on bei tran­sossä­ren Ampu­ta­tio­nen im Kin­des­al­ter; die The­ra­pie gestal­tet sich oft schwie­rig 9 10. Die chir­ur­gi­sche Exzi­si­on des zu lan­gen Kno­chens ist zwar zunächst wirk­sam, jedoch auf Kos­ten der Stumpf­län­ge. Zudem ist sie mit hohen Rezi­div­ra­ten ver­bun­den. So wird in bis zu 87 % der Fäl­le von Revi­sio­nen berich­tet; in ca. 18 % der Fäl­le waren mehr­fa­che Revi­sio­nen not­wen­dig 11. Feh­len­de Kennt­nis­se der zugrun­de lie­gen­den Patho­phy­sio­lo­gie haben im Lau­fe der Zeit zu unter­schied­li­chen Ansät­zen geführt. Das Pro­blem der Durch­spie­ßung konn­te jedoch weder mit einer pro­xi­ma­len Epi­phy­se­o­de­se und einem groß­zü­gi­gem Weich­teil­man­tel noch durch loka­le Exzi­si­on des Peri­osts bzw. Kau­te­ri­sie­rung gelöst werden.
  • Die Über­kap­pung des Mark­raums weist gute Ergeb­nis­se auf. Für die Kap­pen­plas­tik kann bio­lo­gi­sches oder syn­the­ti­sches Mate­ri­al ver­wen­det wer­den. Für auto­ge­ne Kap­pen eig­net sich die dista­le Wachs­tums­fu­ge, ein Fibu­la­in­ter­po­nat oder Becken­kamm­spon­gio­sa. Dage­gen zei­gen Kap­pen aus Sili­kon­kau­tschuk, Poly­ethy­len oder Titan schlech­te Ergeb­nis­se; die Revi­si­ons­ra­te ist auf­grund insuf­fi­zi­en­ter Fixie­rung, Infek­ti­on, Implan­tat­bruch oder schwie­ri­gen Weich­teil­ver­hält­nis­sen hoch. Tef­lon­im­plan­ta­te mit Revi­si­ons­ra­ten von bis zu 29 % zei­gen bei den syn­the­ti­schen Kap­pen die bes­ten Ergeb­nis­se; sie sind so mit den bio­lo­gi­schen Kap­pen eben­bür­tig 12. Obwohl vie­le ver­schie­de­ne Ver­fah­ren beschrie­ben wur­den, kann kei­nes expli­zit emp­foh­len wer­den 13. Daher gilt es, den Pro­the­sen­schaft zur Mini­mie­rung von Stumpf­pro­ble­men sorg­fäl­tig anzu­pas­sen und bei Bedarf eine umsich­ti­ge chir­ur­gi­sche Revi­si­on durch­zu­füh­ren. Häu­fi­ge Revi­sio­nen gilt es jedoch aus offen­sicht­li­chen Grün­den zu vermeiden.
  • Kli­nisch kom­men regel­mä­ßig soge­nann­te Trak­ti­ons­pro­the­sen zum Ein­satz. Dazu wer­den Liner­schäf­te gefer­tigt, bei denen ent­ge­gen der sonst indi­zier­ten Pra­xis bewusst kei­ne Stump­fendbe­las­tung umge­setzt wird (es han­delt sich eher um eine Art „Offe­n­end­schaft“); viel­mehr kommt dabei eine mecha­ni­sche Elon­ga­ti­on des dista­len Weich­teil­man­tels durch eine inte­grier­te Trak­ti­ons­vor­rich­tung zum Ein­satz. Dies dient der fak­ti­schen Deh­nung der Weich­tei­le und wirkt der dro­hen­den Durch­spie­ßung wenigs­tens zeit­wei­se ent­ge­gen. So kann eine Revi­si­on zwar nicht zwin­gend ver­hin­dert, aber doch in den meis­ten Fäl­len hin­aus­ge­zö­gert wer­den, und die klei­nen Pati­en­ten blei­ben wei­ter­hin mit Orthop­ro­the­se oder Pro­the­se aktiv.
  • Grund­sätz­lich soll­ten – sofern mög­lich – Exar­ti­ku­la­tio­nen tran­sossä­ren Ampu­ta­tio­nen vor­ge­zo­gen wer­den, aber auch hier muss stets eine indi­vi­du­el­le Risi­ko-Nut­zen-Abwä­gung erfol­gen 14, ins­be­son­de­re beim Erhalt des Knie­ge­len­kes. Vie­le Stu­di­en, die sich mit dem Gang­bild, dem Ener­gie­auf­wand und den funk­tio­nel­len Ergeb­nis­sen nach einer Ampu­ta­ti­on beschäf­tig­ten, haben gezeigt, dass dem akti­ven Knie­ge­lenk eine immens wich­ti­ge Bedeu­tung für die Bio­me­cha­nik und die Funk­ti­on der unte­ren Extre­mi­tät zukommt. Wenn mög­lich, soll­te daher das Knie­ge­lenk funk­tio­nell erhal­ten wer­den, obwohl eine trans­ti­bia­le Ampu­ta­ti­on im wei­te­ren Ver­lauf ggf. im Hin­blick auf die Bil­dung eines sta­bi­len Stump­fes pro­ble­ma­ti­scher ist 15 16 17. Daher soll­ten alle Anstren­gun­gen unter­nom­men wer­den, um bei Pati­en­ten mit trans­ver­sa­len oder lon­gi­tu­di­na­len Glied­ma­ßen­de­fek­ten ein funk­tio­nel­les Knie­ge­lenk zu erhal­ten. Selbst ein sehr kur­zes pro­xi­ma­les Tibiafrag­ment kann bei erhal­te­ner Tube­ro­si­tas tibiae und damit funk­tio­nel­lem Knie­stre­cker­ap­pa­rat bei einem Kind letzt­end­lich zu einem funk­tio­na­len Unter­schen­kel­am­pu­ta­ti­ons­stumpf wer­den – ent­we­der durch natür­li­ches Wachs­tum (vor­aus­ge­setzt, die dista­le Epi­phy­sen­fu­ge bleibt erhal­ten) oder durch chir­ur­gi­sche Ver­län­ge­rungs­ver­fah­ren in Kom­bi­na­ti­on mit einer inno­va­ti­ven und moder­nen pro­the­ti­schen Versorgung.
  • Bei Pati­en­ten mit lon­gi­tu­di­na­len Defek­ten wie z. B. einem pro­xi­ma­len foka­len Femur­de­fekt (PFFD) oder einer tibia­len Hemi­me­lie kön­nen rekon­struk­ti­ve Ver­fah­ren ein­ge­setzt wer­den, um ein knie­ge­lenks­ähn­li­ches Gelenk zu schaf­fen; hier ist unter ande­rem die Umkehr­plas­tik nach Borggre­ve zu nen­nen 18.
  • Bei mul­ti­plen Glied­ma­ßen­de­fek­ten ist jedoch äußers­te Vor­sicht gebo­ten: zum einen, da Kin­der mit­un­ter gro­ße Her­aus­for­de­run­gen an das chir­ur­gi­sche Kön­nen des Ope­ra­teurs stel­len, zum ande­ren, da in vie­len Fäl­len z. B. unvoll­stän­dig ange­leg­te Füße gera­de bei gleich­zei­ti­ger Betrof­fen­heit der obe­ren Extre­mi­tä­ten die ein­zi­gen Greif­or­ga­ne sind, die dem Pati­en­ten zur Ver­fü­gung ste­hen. Es ist oft erstaun­lich zu sehen, wie beweg­lich und funk­tio­nell Füße bei Akti­vi­tä­ten wie Essen, Schrei­ben, Zeich­nen und Spie­len sein kön­nen. Somit besteht häu­fig kei­ne Not­wen­dig­keit für einen chir­ur­gi­schen Ein­griff, bzw. die­ser wür­de sich eher nega­tiv auf die Gesamt­funk­ti­on aus­wir­ken. Es gilt daher, der Ver­su­chung zu wider­ste­hen, Füße aus ästhe­ti­schen Grün­den zu kor­ri­gie­ren, mit der Fol­ge, dass sie steif und funk­ti­ons­un­fä­hig werden.

Im Fol­gen­den wird anhand zwei­er Fall­bei­spie­le dar­ge­legt, wie sich Ver­sor­gungs­ver­läu­fe und Inter­ven­tio­nen in der Pra­xis dar­stel­len können.

Fall­bei­spiel 1

Ein 12-jäh­ri­ger Pati­ent weist eine Unter­schen­kel-Dys­me­lie und eine Varus­fehl­stel­lung des Stump­fes auf. Im Alter von 13 Jah­ren wur­den eine Epi­phy­se­o­de­se der pro­xi­ma­len late­ra­len Tibia und eine Fibu­la-Epi­phy­se durch­ge­führt (Abb. 1a). Nach Wachs­tums­ab­schluss zeigt sich wei­ter­hin eine vari­sche Unter­schen­kel­ach­se, ins­be­son­de­re im dista­len Anteil (Abb. 1b). Die Bein­ach­se kann zwar durch die orthop­ro­the­ti­sche Ver­sor­gung bzw. den kor­rek­ten Auf­bau berück­sich­tigt wer­den, es ent­steht jedoch rezi­di­vie­rend eine Druck­stel­le am Stumpf­pol sowie late­ral an der pro­xi­ma­len Fibu­la durch mecha­ni­sche Über­be­las­tung (Abb. 1c). Dar­aus resul­tie­ren mas­si­ve funk­tio­nel­le Ein­schrän­kun­gen und letzt­lich die Indi­ka­ti­on zur Stumpf­re­vi­si­on; dadurch kann die mecha­ni­sche Belas­tung auf den Stumpf redu­ziert und gleich­zei­tig funk­tio­nell die Bein­ach­se kor­ri­giert werden.

Fall­bei­spiel 2

Es han­delt sich um ein 9‑jähriges Mäd­chen, dem im Rah­men einer Strep­to­kok­ken­sep­sis im Alter von 4 Jah­ren beid­sei­tig die Unter­schen­kel ampu­tiert wur­den. Durch die frü­he Ampu­ta­ti­on ent­stand eine sehr kur­ze Tibia, die sich im wei­te­ren Ver­lauf jedoch nicht wei­ter­ent­wi­ckel­te. Erfreu­li­cher­wei­se hat sich aber die Fibu­la durch die beson­de­re Belas­tung und den „Pro­the­sen­druck“ der Tibia qua­si unter­stellt (Abb. 2). Somit ist nicht nur eine aus­rei­chen­de Stumpf­län­ge zur Pro­the­sen­ver­sor­gung, son­dern auch eine aus­rei­chen­de Sta­bi­li­tät gege­ben, wodurch das Knie­ge­lenk funk­tio­nell erhal­ten bleibt. Zwar müs­sen dabei auf­grund der sehr kur­zen und eigen­tüm­li­chen Hebel­ver­hält­nis­se bestimm­te Ein­schrän­kun­gen hin­sicht­lich der Kraft­über­tra­gung zwi­schen Stumpf und Schaft in Kauf genom­men wer­den, und die Bet­tung des Stump­fes erfor­dert beson­de­re Modell­tech­ni­ken, die nicht ana­log zu einem klas­si­schen Stumpf sind, aber es erge­ben sich doch gute funk­tio­nel­le Ergeb­nis­se. Den­noch bedarf es einer engen Anbin­dung an das Ver­sor­gungs­team und einer eng­ma­schi­gen Kon­trol­le der Pati­en­tin im wei­te­ren Ver­lauf, um poten­zi­ell nega­ti­ven Ent­wick­lun­gen recht­zei­tig begeg­nen zu können.

Fazit

Zusam­men­fas­send lässt sich fest­stel­len, dass die Beson­der­hei­ten kind­li­cher Ampu­ta­tio­nen ins­be­son­de­re bei ange­bo­re­nen Glied­ma­ßen­fehl­bil­dun­gen kom­plex sind: Die The­ra­pie erfor­dert nicht nur ein hohes Maß an chir­ur­gi­scher und tech­ni­scher Exper­ti­se, son­dern es müs­sen indi­vi­du­el­le und ganz­heit­li­che Behand­lungs­stra­te­gien für den ein­zel­nen Pati­en­ten ent­wi­ckelt wer­den. Nur mit ent­spre­chen­der Erfah­rung und unter Anwen­dung des gesam­ten Spek­trums der ver­schie­de­nen geeig­ne­ten Ver­fah­ren kön­nen schwer­wie­gen­de Fehl­ent­schei­dun­gen zum Nach­teil der betrof­fe­nen Pati­en­ten ver­mie­den wer­den. Die Behand­lung soll­te daher zwin­gend in spe­zia­li­sier­ten Zen­tren erfol­gen – ins­be­son­de­re, da die Funk­ti­on der Pro­the­se und die damit ver­bun­de­ne Lebens­qua­li­tät direkt vom Erfolg der initia­len The­ra­pie abhän­gig ist.

Für die Autoren:
Dr. med. Axel Horsch, Assistenzarzt
Zen­trum für Ortho­pä­die, Unfallchir­ur­gie und Paraplegiologie
Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Heidelberg
Schlier­ba­cher Land­stra­ße 200a
69118 Hei­del­berg
axel.horsch@med.uni-heidelberg.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

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