OT: Auf welche Bereiche verteilen sich Ihre Auszubildenden?
Felix Peste: Als größter Gesundheitsdienstleister in der Region Berlin/Brandenburg bilden wir im Schnitt zehn Orthopädietechnik-Mechaniker und zehn Orthopädieschuhmacher aus. In jeder unserer sieben Fitting-Werkstätten wird je ein Orthopädietechnik-Mechaniker und ein Orthopädieschuhmacher ausgebildet. In unserem Leistungszentrum in Berlin kommen wir pro Fachbereich auf zwei bis drei Ausbildungsplätze. Zudem bieten wir zehn Ausbildungsplätze in weiteren fünf Berufen, unter anderem im kaufmännischen Bereich, in unseren 63 Filialen an.
OT: Wie und wo werben Sie um Bewerber?
Peste: Da gehen wir über die klassischen Wege: Unsere Personalabteilung schaltet Stellenanzeigen, die wir zusätzlich auf unserer Website und unseren Social Media-Kanälen veröffentlichen. Damit sich die jungen Menschen ein besseres Bild von unseren Berufen machen können, haben wir pro Fachbereich einen Imagefilm erstellen lassen, auf den sich die Bewerber gerne und oft beziehen.
OT: Wer bewirbt sich um die Ausbildungsplätze bei Ihnen?
Marco Gänsl: Wir verzeichnen für die Ausbildungsplätze als Orthopädietechnik-Mechaniker vor allem Bewerbungen von Abiturienten. Bereits seit drei Jahren liegt der Frauenanteil hier bei 60 bis 70 Prozent. Uns erreichen aber ebenso Bewerbungen von jungen Menschen mit einem Hauptschulabschluss oder von Studienabbrechern, ob für Orthopädie-Technik, Orthopädie-Schuhtechnik oder die kaufmännischen Berufe, wobei auf den Beruf des Orthopädieschuhmachers die wenigsten Anwärter entfallen.
OT: Woran liegt das?
Gänsl: In der Orthopädie-Technik haben sich die Ausbildungsmöglichkeiten in den letzten Jahren vielfältig entwickelt, denken Sie nur an das Meisterdiplom der BUFA oder die vielfältigen Bachelor- oder Masterstudiengänge. Das fehlt im Bereich Orthopädie-Schuhtechnik. Außerdem hat die Hightech im Bereich Orthopädie-Technik stärker Einzug gehalten als in der Orthopädie-Schuhtechnik. Die Mischung aus Handwerk und Hightech macht aber die Attraktivität des Berufes gerade für junge Menschen aus. Das erleben wir immer wieder bei unseren Hospitanten.
OT: Was erwarten Sie von Ihren Bewerbern?
Gänsl: Bewerber müssen schon einiges mitbringen: Sie brauchen handwerkliches Geschick, Interesse an neuen Technologien, Empathie sowie Teamfähigkeit und Leistungsbereitschaft.
OT: Welche Leistungen oder Angebote machen Ihren OT-Betrieb attraktiv für Bewerber?
Peste: Wenn man wie wir die besten Auszubildenden haben will, muss man auch entsprechend vergüten. Deshalb haben wir einen eigenen Seeger-Tarif entwickelt, der über den Empfehlungen der Berliner Innung liegt. Unser Image und unsere fachliche Kompetenz als führendes Unternehmen der Region tragen natürlich dazu bei, dass sich Bewerber, die sich Verantwortung und Perspektive erhoffen, für uns interessieren. Im Übrigen schließen wir keinen Ausbildungsvertrag ohne vorhergehende Hospitanz ab, damit beide Seiten sich besser kennenlernen können.
Gänsl: Diese Strategie geht auf. In den viereinhalb Jahren, die ich jetzt im Unternehmen bin, habe ich erst einmal erlebt, dass ein Auszubildender abgebrochen hat. Attraktiv für Bewerber ist auch, dass sie schon während der Ausbildung, aber auch später als Gesellen oder Meister in den kleineren Fitting-Werkstätten größere Verantwortung übernehmen können, als es in unserem Leistungszentrum mit seinen Hierarchien möglich wäre. Unsere Auszubildenden können nicht nur zwischen Berlin oder einen der anderen kleineren Standorte wählen, sondern auch blockweise in der Metropole und in einer der kleineren Werkstätten lernen. Viele merken erst dadurch, dass das Leben und Arbeiten außerhalb Berlins eine gute Alternative für sie sein könnte. Ein weiterer Pluspunkt unseres Hauses ist aus meiner Sicht, dass die Orthopädie-Technik und Orthopädie-Schuhtechnik eingroßer Bereich ist, in dem Ausbildung und Arbeit Hand in Hand erfolgen. Davon profitieren beide Sparten und das Team wächst besser zusammen.
OT: Können Sie über Ihre Auszubildenden Ihren Fachkräftebedarf sichern?
Peste: Wir entscheiden uns schon beim Ausbildungsvertrag für eine langfristige Zusammenarbeit. Die maximal zehn Prozent, die frühzeitig das Unternehmen während oder nach der Ausbildung verlassen, teilen entweder nicht unsere Firmenphilosophie oder ziehen ganz einfach um in ein anderes Bundesland. Etwa 90 Prozent der Gesellen übernehmen wir und können uns damit für beide Seiten zukunftssicher aufstellen.
Der schönste Beruf der Welt
OT: Wie sind Sie beide zur OT gekommen?
Peste: Per Wiege. Solange ich denken kann, spielen die Berufe rund um unser Gesundheitshaus eine Rolle in meinem Leben. Unsere Branche ist attraktiv, sinnvoll und zukunftsträchtig! Der Leitsatz meines Vaters ist es, gleichzeitig das Handwerk hochzuhalten und auf Innovationen zu setzen. Insofern habe ich ein großes Verständnis für die Handwerke in unserer Branche, habe aber einen anderen, meinen Talenten entsprechenden Weg gewählt und im Jahr 2011 einen Master in Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt auf Marketing und Vertrieb erworben.
Gänsl: Bis mich mein Onkel, der aus der Medizin kommt, auf den Beruf Orthopädietechnik-Mechaniker aufmerksam gemacht hat, hatte ich noch nie von dem Beruf gehört. Ich fürchte, das trifft auch heute noch auf viele Schulabsolventen zu. Als passionierter Modellbauer war ich von der Verbindung aus Handwerk und Medizin, die der Beruf bietet, begeistert. Nach verschiedenen Praktika habe ich beim Sanitätshaus Graf meine Ausbildung als Orthopädietechnik-Mechaniker im Jahr 2000 nach dreieinhalb Jahren abgeschlossen, danach im Jahr 2009 den Meister an der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (BUFA) abgelegt und 2011 ein Betriebswirtschaftsstudium drangehängt. Ich übe den schönsten Beruf der Welt aus!
OT: Wie beurteilen Sie die aktuelle Ausbildung in Bereich Technische Orthopädie?
Gänsl: Seit der neuen Ausbildungsordnung 2013 hat sich natürlich einiges verändert. Die Ausbildung dauert drei statt dreieinhalb Jahre. Dadurch bleibt weniger Zeit für die Übungsmöglichkeiten und Vertiefungen. Dafür findet eine frühere Spezialisierung bereits in der Ausbildung statt und die Azubis lernen sich besser zu präsentieren. Grundsätzlich finde ich die Ausbildung heute sehr gut strukturiert. Ich würde mir aber – ganz unabhängig vom aktuellen Corona-Geschehen – eine Digitalisierungsoffensive von Seiten der Ausbildungsbetriebe, der jeweiligen Innungen sowie der Politik wünschen. Als Mitglied des Meisterprüfungsausschusses in Berlin und Brandenburg erlebe ich große Wissenslücken im Bereich Digitale Fertigung bei den Prüflingen. Das liegt daran, dass viele kleinere Betriebe auf diesem Gebiet aus finanziellen Gründen nicht investieren können. Zum Teil interessieren sich die Ausbilder aber auch gar nicht für neue Techniken. Wir versuchen in Berlin und Brandenburg mit großem privatem Kraftaufwand der Prüfungsausschussmitglieder in der Überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (ÜLU) Wissenslücken zu schließen. Hier erhoffen wir uns zukünftig mehr Unterstützung und Investitionen von den Kollegen, Innungen und der Politik, um das Ausbildungsniveau in der Orthopädie-Technik und Orthopädie-Schuhtechnik unabhängig von den betrieblichen Gegebenheiten gleich hoch gestalten zu können.
OT: Steigert der #systemrelevant die Attraktivität des Berufes Orthopädietechnik-Mechaniker/in?
Peste: Ehrlich gesagt, glaube ich, dass Jugendliche oder junge Erwachsene nicht in der Kategorie Systemrelevanz denken. Für Jugendliche und junge Erwachsene müssen unsere Berufe noch anziehender oder besser sexy werden. Dann können wir mit der einzigartigen Verbindung von traditionellem Handwerk und neuen Technologien punkten. Neben einer angemessenen Bezahlung sind auch weitere kreative Angebote wichtig für die Bewerber.
Für uns als Betrieb ist dennoch die Systemrelevanz von großer Bedeutung. Sie gibt uns Planungssicherheit und damit unseren Mitarbeitern sichere Arbeitsplätze.
OT: Was nehmen Sie aus der Corona-Krise für die Ausbildung oder den Berufsalltag Ihrer Betriebe mit?
Peste: Hygiene spielt in unserer Branche schon immer eine große Rolle. Corona hat den Blick auf das Thema aber noch mal geschärft. Das wird bleiben.
Gänsl: Gesund bleiben! Das ist bei unseren körpernahen Berufen das Wichtigste. Dessen sind wir uns alle nochmal bewusster geworden. Wir legen großen Wert im Haus auf ein enges Teamgefüge. Der Sicherheitsabstand und das Schichtsystem führen leider auch zu einem größeren mentalen Abstand der Teammitglieder. Diesen Effekt müssen wir dringend wieder auffangen.
Seeger – Das Gesundheitshaus wurde 1938 von Orthopädiemechaniker-Meister Kurt Seeger gegründet und bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989 geleitet. Zu DDR-Zeiten auf einen Standort beschränkt, expandierte das Unternehmen unter der Führung von Enkelsohn André Peste, Orthopädiemechaniker-Meister, stark. Aktuell betreibt die Firma mit rund 500 Mitarbeitern 63 Filialen in Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Der Betriebswirt Felix Peste, Jahrgang 1985, ist Urenkel des Firmengründers und gehört seit 2018 neben seinem Vater André Peste und Sebastian Aman der Geschäftsleitung des Gesundheitshauses an. Orthopädiemechaniker-Meister Marko Gänsl ergänzt seit Januar 2016 das Team. Er leitete zunächst den Fachbereich Orthopädie-Technik und ist seit Januar 2019 Bereichsleiter Orthopädie-Technik und Orthopädieschuhtechnik sowie Leiter der Abteilung Forschung & Entwicklung und damit für die Auszubildenden in der OT und OST verantwortlich.
Die Fragen stellte Ruth Justen.
- 24 Video-Stunden zum Tag des Handwerks — 15. September 2020
- Mechanisches Hüftgelenk in der Weiterentwicklung — 3. September 2020
- Partnerschaft: PFH Göttingen und Sanitätshaus Wittlich — 1. September 2020