Die Erfassung von Kinematik und Kinetik erlaubt die Beurteilung von Pathologien auf mehreren Ebenen der unteren Extremitäten, etwa bei Patienten mit spastischer infantiler Zerebralparese, was klinisch nicht immer möglich ist. Die Anwendung unnötiger oder insuffizienter Hilfsmittel kann so vermieden werden; bei bestehenden Hilfsmitteln kann die Funktion verbessert und somit eine maximale Hilfestellung im Alltag erreicht werden.
Einleitung
Der Wunsch, den Vorgang des Gehens zu verstehen und den Ablauf eines Gangzyklus zu vermessen, besteht schon lange. Bereits der griechische Philosoph Aristoteles (384– 322 v. Chr.) hat dies in seinem Werk „De motu animalium“ anhand von Pferden durch Beobachtung versucht 1. Jedoch konnte erst mit der Entwicklung der Fotografie das Gangbild auch dokumentiert werden: Étienne-Jules Marey ließ im Jahr 1868 mit weißen Leuchtstreifen präparierte Probanden beim Gehen fotografieren, was zumindest eine zweidimensionale Auswertung erlaubte 2. Ebenfalls um diese Zeit entwickelte Gaston Carlet Druckluftsensoren, die in die Schuhe eingebaut wurden, um eine Unterscheidung von Stand- und Schwungphase zu ermöglichen. Um 1895 entwickelten die Militärärzte Otto Fischer und Christian Wilhelm Braune unter Zuhilfenahme eines zweiten, im 90-Grad-Winkel zum ersten aufgestellten Fotoapparates die Grundzüge der bis in die Gegenwart gebräuchlichen dreidimensionalen Ganganalyse, die heute allerdings um einiges ausgefeilter ist. Eine Auswertung der beim Gehen auftretenden Kräfte (Kinetik) erfolgte seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, nachdem entsprechende in den Boden eingearbeitete Druckmessplatten entwickelt worden waren.
Ganganalyse heute
Durch die kontinuierliche technische Entwicklung stehen heute umfangreiche Methoden zur Vermessung sowohl des physiologischen Gehens als auch der möglichen pathologischen Situationen zur Verfügung. Die heute gebräuchlichen Analysemethoden umfassen die einfache Videoanalyse und die Laufbandanalyse, die bei einfachen Fragestellungen eingesetzt werden können, sowie den Goldstandard, die dreidimensionale instrumentierte Ganganalyse, die zudem die Basis für Modellrechnungen (Modelling) mittels diverser Computersimulationen liefert. Die Vor- und Nachteile der genannten Analysevarianten sind in Tabelle 1 aufgeführt.
Klinische Beurteilung | Videoanalyse | Laufbandanalyse | 3D-Analyse | |
Bewegungen | zu schnell, verzerrt | verzerrt | verzerrt | dreidimensional |
Slow Motion | keine | ja | ja | ja |
Muskelaktivität | keine | (EMG) | (EMG) | EMG/Modelling |
Kräfte generell | keine | keine | eventuell | 3D |
Kräfte Detail | keine | keine | keine | Modelling |
Tab. 1 Vergleich der verschiedenen Analysemöglichkeiten mit Vor- und Nachteilen.
Neuere Systeme mit Highspeed-Kameras erlauben zudem eine markerlose Analyse über eine Erkennung der Silhouette sowie ein sogenanntes Hybridverfahren als Mix zwischen markerloser und instrumentierter Ganganalyse, das deutlich weniger Marker benötigt als bei einer herkömmlichen markerbasierten Analyse. Das bedeutet eine Zeitersparnis im klinischen Alltag bei identischer Genauigkeit 34. Die markerlose Analyse ist vor allem im Bereich des Fußes und des Beckens, also Körperteilen, die beim Gehen ihre Form wenig verändern, noch ungenauer.
Ablauf einer dreidimensionalen instrumentierten Ganganalyse
Zu jeder Ganganalyse gehört eine ausführliche körperliche Untersuchung, die den Bewegungsumfang der Gelenke, die Muskelkraft, eine allfällige Spastizität der Muskulatur sowie die Körpermaße dokumentiert. Anschließend wird je nach verwendetem System eine größere oder kleinere Zahl reflektierender oder ein Signal erzeugender Marker auf definierte Stellen am Körper des Probanden geklebt. Eine Variante der möglichen Markerpositionen am gesamten Körper ist in Abbildung 1 dargestellt. Durch die Marker werden die Extremitäten in mehrere Segmente eingeteilt; die Bewegung dieser Segmente gegeneinander wird abgebildet. Bei der eigentlichen Analyse laufen die Probanden mehrmals eine definierte Strecke ab und werden dabei von mehreren Kameras gefilmt (Abb. 2). Die beim Gehen auftretenden Kräfte werden mit in den Boden eingearbeiteten Kraftmessplatten aufgenommen. Anschließend erfolgt die Auswertung mit Hilfe verschiedener Computerprogramme. Als Ergebnis werden Kurven erstellt, welche die Stellung jedes Gelenkes (Kinematik) zu jedem Zeitpunkt des Gangzyklus abbilden, sowie Kurven, die die dabei auftretende Kräfte (Kinetik) abbilden. Ein Beispiel einer kinematischen Kurve ist Abbildung 3 zu entnehmen. Zudem wird die Muskelaktivität der oberflächlichen Muskulatur der unteren Extremitäten durch Elektromyografie über kabellose Sensoren aufgezeichnet, was einen Rückschluss auf den Zeitpunkt von Aktivität und Inaktivität der entsprechenden Muskelgruppen zu jedem Zeitpunkt eines Gangzyklus zulässt.
Kinematische Auswertung der Ganganalyse
Um die folgenden Beispiele besser verstehen zu können, wird zunächst die kinematische Auswertung einer Ganglaborkurve erläutert. Auf die Aspekte Kinetik sowie Elektromyografie wird zur Vereinfachung verzichtet. In den meisten Laboren wird das linke Bein durch eine rote Linie, das rechte Bein durch eine blaue Line dargestellt. Grau hinterlegt ist die Normkurve, die die Bewegung des Durchschnitts einer gesunden Population darstellt (siehe das Beispiel in Abb. 3). Abgebildet wird ein Gangzyklus von 0 bis 100 % in der Sagittal‑, Frontal- und Coronarebene auf der x‑Achse des Diagramms. Jedes Gelenk wird in jeder Ebene dargestellt. Der Gangzyklus wird in eine Standphase, in welcher der Fuß Bodenkontakt hat, und eine Schwungphase, in der er keinen Bodenkontakt hat, unterteilt. Die beiden Phasen werden zudem in mehrere Unterphasen segmentiert (Tab. 2 u. 3).
Standphasen | Initialer Bodenkontakt
|
Belastungsantwort
|
Mittlere Standphase
|
Standphasenende
|
Gangzyklus | 0 % | 0–12 % | 12‑31 % | 31‑50 % |
Hüfte | 20° Flexion | 20° Flexion | 0° Flexion | -20° Hyperextension |
Knie | 0°–5° Flexion | 20° Flexion | 0°–5° Flexion | 0°–5° Flexion |
Sprunggelenk | 0° | 5°–10° Plantarflexion | 5° Dorsalflexion | 10° Dorsalflexion |
Funktion | Fersenkontakt mit
dem Boden
|
Stoßdämpfung in Knie und Sprunggelenk
Lastübernahme und Stabilität in der Hüfte
|
kontrollierte Vorwärtsbewegung
der Tibia
Verlagerung des Schwerpunktes nach vorne
|
kontrollierte Dorsalextension am Sprunggelenk mit Ablösung der Ferse vom Boden
|
Schwung-phasen | Schwungphasen-
vorbereitung
|
Initiale Schwungphase
|
Mittlere Schwungphase
|
Terminale Schwungphase
|
Gangzyklus | 50–62 % | 62–75 % | 75–87 % | 87–100 % |
Hüfte | -10° Hyperextension | 15° Flexion | 25° Flexion | 20° Flexion |
Knie | 40° Flexion | 60°–70° Flexion | 25° Flexion | 0°–5° Flexion |
Sprunggelenk | 15° Plantarflexion | 5° Plantarflexion | 0° | 0° |
Funktion | passive Kniegelenks-flexion von 40°
Plantarflexion des Sprunggelenks
|
mind. 55° Knieflexion für genügend Bodenfreiheit
|
zunehmende Hüftflexion auf 25°
Dorsalextension des Sprunggelenks bis Neutral-Null-Stellung
|
Kniegelenkextension
bis Neutral-Flexion
Vorbereitung auf Standphase |
Tab. 2 und 3 Übersicht über die einzelnen Phasen eines Gangzyklus.
Die beiden Phasen werden durch einen senkrechten roten und blauen Strich unterteilt, der beim Gesunden bei etwa 60 % des Gangzyklus liegt. In horizontaler Ebene (y- Achse) werden je nach Bewegungsebene und Gelenk die Aspekte Flexion/ Extension, Innen-/Außenrotation, Abduktion/Adduktion, Valgus/Varus sowie anterior/posterior durch eine schwarze Linie getrennt und in Grad angegeben. Die Abweichungen von der Normkurve werden evaluiert und zur Auswertung herangezogen.
Allgemeine Anwendungen der Ganganalyse
Im klinischen Alltag der Orthopädie, insbesondere der Neuroorthopädie, wird die Ganganalyse zur Verlaufskontrolle einer allfälligen Verschlechterung der Gehleistung, zur Indikationsstellung sowie zur Planung und Überprüfung konservativer und operativer Therapien verwendet. Auge und Gehirn des Menschen können komplexe Bewegungsabläufe und auch das Zusammenspiel von mechanischer Bewegung, auftretenden Kräften und Muskelaktivität nur in begrenztem Maß aufnehmen und verarbeiten. Zur genauen Beurteilung der Abläufe beim Gehen, insbesondere bei einem pathologischen Gangbild, stellt die Ganganalyse ein wertvolles diagnostisches Hilfsmittel dar, das die Abläufe beim Gehen erkennbar und auswertbar macht. In den weiteren Ausführungen wird insbesondere auf die Verwendung der Ganganalyse innerhalb der Orthopädie-Technik eingegangen.
Fallbeispiele: Die Rolle der Ganganalyse in der Orthopädie-Technik
Die Indikation für eine Orthese oder Prothese sowie für Schuhversorgungen kann bis zu einem gewissen Grad klinisch gestellt werden. Bei schwierigen Situationen wie Pathologien auf mehreren Ebenen der unteren Extremität, etwa bei Patienten mit spastischer infantiler zerebraler Tetraparese, oder in Grenzfällen hilft die Ganganalyse, die Entscheidung für das optimale Hilfsmittel zu fällen. Abbildung 4 gibt die kinematische Gangkurve des Sprunggelenkes und des Kniegelenkes in der Sagittalebene eines Patienten mit spastischer Hemiparese rechts wieder. Es zeigt sich eine deutliche Spitzfußstellung rechts mit Hyperextension des rechten Kniegelenkes. Abbildung 5 zeigt die Gangkurve desselben Patienten nach einer operativen Verlängerung der Achillessehne sowie einer Verkürzung der Tibialis-anterior-Sehne zur Korrektur des Spitz- und Fallfußes. Es zeigt sich ein noch verbleibender gering ausgeprägter Fallfuß bei nun nicht mehr vorhandener Spitzfußstellung sowie regelrechter Kniestreckung rechts; lediglich zu Beginn der Standphase ist die Kniebeugung etwas vermindert. Zudem verbleibt noch ein fehlender initialer Bodenkontakt mit der Ferse der in einem unphysiologischen retrograden Abrollen resultiert. Aufgrund dieser Daten wurde der Patient lediglich mit einer Fußheberschiene vom Typ Heidelberg versorgt, die sein Gangbild sowohl am Sprunggelenk als auch am Kniegelenk beinahe normalisieren konnte (Abb. 6).
Durch die Ganglaboranalyse konnte gezeigt werden, dass der Patient keine dynamische Unterschenkelorthese mehr benötigt, was klinisch bei diesem Grenzfall nicht sicher zu entscheiden war. Zudem erlaubt die Ganganalyse die Kontrolle der erfolgten orthopädietechnischen Versorgung, um eine optimale Funktion zu gewährleisten. Die kinematischen Gangkurven in Abbildung 7 zeigen die Sagittalebene des Fuß-Boden-Winkels eines Patienten mit spastischer zerebraler Tetraparese. Auf beiden Seiten besteht beim initialen Bodenkontakt ein spitzfüßiges Auftreten, das heißt, der erste Bodenkontakt erfolgt unphysiologisch nicht mit der Ferse, sondern im Bereich des Mittel- oder Vorfußes. Die Pathologie ist nur gering ausgeprägt und beträgt nur wenige Grad. Dennoch hat dies Auswirkungen auf das Gangbild des Patienten: Ein retrogrades Abrollen des Fußes führt zu einem weniger flüssigen Gangbild und kann zu Überlastungsreaktionen am Fuß sowie den angrenzenden Gelenken führen; es kann sogar Einfluss auf die Knie- und Hüftgelenke haben. Abbildung 8 zeigt die Ergebnisse für denselben Patienten bei der Verwendung steifer Unterschenkelorthesen. Per Ganganalyse kann gezeigt werden, dass er nun einen sicheren Fersenballengang erreicht – die Kurve beginnt bei 0 % des Gangzyklus deutlich in Dorsalextension. Die Ganggeschwindigkeit steigt mit dieser Versorgung von sehr langsamen 0,3 Metern pro Sekunde auf 0,75 Meter pro Sekunde (Norm: 1,34 Meter pro Sekunde).
Neben der funktionellen Kontrolle bestehender Orthesen kann auch eine insuffiziente Versorgung aufgezeigt werden: Abbildung 9 zeigt die Kinematik des Sprunggelenkes sowie des Kniegelenkes einer erwachsenen Patientin mit Hemiparese links nach einem Schlaganfall. Sie leidet unter Knieschmerzen auf der linken Seite und war bei Erstvorstellung mit einer Fußheberschiene Typ Heidelberg versorgt. Es zeigt sich barfuß (s. Abb. 9) im Sprunggelenk eine leicht vermehrte Plantarflexion in der Standphase sowie eine Fallfüßigkeit in den letzten 20 % des Gangzyklus. Das linke Kniegelenk ist in der gesamten Standphase massiv hyperextendiert, was für die Knieschmerzen verantwortlich sein kann. Abbildung 10 zeigt die kinematische Kurve mit der bestehenden Versorgung mittels einer konfektionierten Fußheberschiene vom Typ Heidelberg. Die Fallfüßigkeit kann damit gut korrigiert werden; das Kniegelenk bleibt allerdings unbeeinflusst, da die Schiene zu weich ist, um es kontrollieren zu können. Auch besteht nach wie vor eine vermehrte Plantarflexion im Sprunggelenk in der Standphase. Mit der im Anschluss an die Ganganalyse empfohlenen maßgefertigten Unterschenkelorthese mit einem Gelenk, das eine Dorsalflexion im Sprunggelenk zulässt, aber die Plantarflexion sperrt und somit die Hyperextension im Kniegelenk in der Standphase limitiert, war die Patientin rasch beschwerdefrei.
„Orthesentuning“
Das Ziel einer jeden orthetischen Versorgung sollte die bestmögliche Funktion des Hilfsmittels und somit eine hohe Akzeptanz und eine adäquate Unterstützung im Alltag sein. Dabei spielen neben Gewicht, Optik und Tragekomfort auch funktionelle Aspekte eine Rolle. Ein Hilfsmittel, das dem Patienten nicht hilft, wird bekanntermaßen nicht verwendet. Die Anfertigung eines Hilfsmittels nach Maß bedeutet einen großen zeitlichen und finanziellen Aufwand, daher sollte es auch optimal funktionieren. Um das zu erreichen, kann die Ganganalyse wertvolle Hinweise liefern. Einstellbare Federgelenke an flexiblen Unterschenkelorthesen lassen sich entsprechend den Bedürfnissen der Patienten einstellen, um etwa eine zu ausgeprägte Dorsalflexion im Sprunggelenk in der Standphase zu minimieren, die zudem zu einer vermehrten Kniebeugung führt, was langfristig negative Auswirkungen auf die Mobilität haben und zu Gelenkkontrakturen führen kann.
Bei Patienten mit Kauergang, also einer vermehrten Dorsalflexion des Sprunggelenkes und einer vermehrten Beugung der Kniegelenke sowie der Hüftgelenke in der Standphase, kann die Höhe des Orthesenabsatzes und somit die Vor- respektive die Rücklage des Unterschenkels in Bezug zum Boden eruiert und notfalls korrigiert werden, was klinisch in gleicher Genauigkeit nicht möglich ist. Auch die Ausrichtung der Füße in Gangrichtung, der sogenannte „foot progression angle“, kann mittels Ganganalyse visualisiert und durch Anpassungen an der Orthese korrigiert werden. Es ergeben sich somit vielfältige Möglichkeiten, die Orthese an die bestehende Pathologie und die Bedürfnisse des Patienten individuell anzupassen.
Ganganalyse in der Schuhtechnik
Im Bereich Schuhtechnik liefert die Pedobarografie bereits Hinweise auf erhöhte Druckbelastungen, die zur Vermeidung von Druckulzera abgefangen werden müssen. Eine solche Untersuchung ist allerdings statisch und spiegelt somit nicht die vorherrschenden Druckverhältnisse beim Gehen wider. Die Ganganalyse erlaubt mittels spezieller Methoden wie zum Beispiel dem „Oxford Foot Model“ 5[5] eine Darstellung der Bewegungen des Fußes beim Gehen.
Mittels computerunterstützter Modellierung und Finite- Elemente-Berechnungen können in Zusammenschau mit einem individuellen Röntgenbild des Patienten dreidimensionale Fußmodelle aus einer dreidimensionalen Rekonstruktion des Computertomogramms eines gesunden Normfußes modelliert (Abb. 11) und die Druck- und Zugspannungen in den einzelnen Knochen des Fußes dargestellt werden, und zwar zu jedem Zeitpunkt der Standphase eines Gangzyklus. Somit können einzelne Überlastungen dargestellt und mittels orthopädietechnischer Bettung exakt abgefangen werden. Des Weiteren kann die Flexibilität des Fußes – zum Beispiel des Rückfußes gegenüber dem Vorfuß – dargestellt werden, um zu beurteilen, ob eine korrigierende Schuhversorgung sinnvoll ist oder ob sie – bei einem zu rigiden Fuß – wahrscheinlich zu Druckstellen führen würde und eine In-situ-Bettung des Fußes sinnvoller ist.
Limitierungen der Ganganalyse
Nicht jede Fragestellung von Interesse kann mit einer Ganglaboranalyse beantwortet werden. So lassen sich zwar mittels Druckmesseinlagen die vorherrschenden Druckverhältnisse in einer Unterschenkel- oder Fußorthese oder einem Maßschuh messen – die Bewegungen des Fußes im Hilfsmittel lassen sich aber nicht darstellen, somit auch nicht die Korrektur der Fußform durch das Hilfsmittel. Auch die Bewegungen im Hilfsmittel selbst, etwa Verwindungen beim Laufen, lassen sich nicht gut wiedergeben.
Limitierend kann es sich des Weiteren auswirken, wenn das Hilfsmittel während der Analyse nicht korrekt getragen wird: Wenn zum Beispiel der Fuß mit der Ferse aus dem Maßschuh rutscht, da dieser nicht korrekt geschlossen ist, ist keine korrekte Analyse des Hilfsmittels möglich, und die Ergebnisse werden verfälscht. Neben diesen speziellen Limitierungen gibt es auch allgemeine Einschränkungen. So ist eine Ganganalyse erst ab etwa dem 6. Lebensjahr sinnvoll, da vorher eine Compliance für eine solche teilweise zeitaufwendige Untersuchung noch nicht gegeben ist. Zudem ist eine Körpergröße von etwa einem Meter nötig, um die diversen Marker in genügend Abstand zueinander platzieren zu können. Ein weiterer kritischer Aspekt ist schließlich die artifizielle Laborsituation, in der die Untersuchungen durchgeführt werden.
Ausblick
Um eine möglichst vergleichbare Situation zwischen zwei Messungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu schaffen, ist man auf die Kontinuität einer Ganganalyse unter Laborbedingungen angewiesen. Da die Hilfsmittelversorgung von den Patienten im Alltag und nicht nur im Labor angewandt werden soll, muss das Ziel der Ganganalyse sein, dies widerspiegeln zu können – wenn auch in weniger komplexer Analyse als im Labor. Die Parameter „Schritte pro Tag“, „Gehdistanz“, „Gehdauer“ und „Höhenmeter“können heute bereits mit beinahe jedem Smartphone aufgezeichnet werden. Sie dienen als Indikatoren für eine verbesserte Gehleistung nach einer Orthesenversorgung oder auch einerOperation. Aus Gründen des Datenschutzes ist eine Auswertung im klinischen Umfeld allerdings schwierig. Die Simulation von Alltagssituationen wie etwa Laufen auf unebenem Grund, Aufstehen aus einem Stuhl oder Treppensteigen wird in Zukunft vermehrt in die Ganganalyse implementiert werden müssen, um den Alltag der Patienten besser abbilden zu können.
Der Autor:
Dr. med. univ. Thomas Schlemmer
Oberarzt der Abteilung für Kinder‑, Jugend- und Neuroorthopädie Krankenhaus Rummelsberg
Rummelsberg 71,
90592 Schwarzenbruck
thomas.schlemmer@sana.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Schlemmer T. Ganganalyse in der Orthopädie- Technik – Grundlagen und klinische Anwendungsmöglichkeiten. Orthopädie Technik. 2019; 70 (12): 20–24
- Die neue Leitlinie zum Lipödem-Syndrom: mehr Licht als Schatten. Konsequenzen für die Praxis — 5. Dezember 2024
- Orthesenversorgung bei Läsion des Plexus brachialis — 4. Dezember 2024
- Anforderungen an additiv gefertigte medizinische Kopfschutzhelme — 4. Dezember 2024
- Nussbaum MC. The Text of Aristotle’s De Motu Animalium. Harvard Studies in Classical Philology, 1976; 80: 111–159
- Marey E. Du mouvement dans les fonctions de la vie (leçons faites au Collège de France). Paris: Germer Baillière, 1868
- Becker L, Russ P. Evaluation of joint angle accuracy using markerless silhouette-based tracking and hybrid tracking against traditional marker tracking – evaluation for complex movements [Poster]. Masterarbeit, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, 2015
- Corazza S, Mündermann L, Gambaretto E, Ferrigno G, Andriacchi TP. Markerless Motion Capture through Visual Hull, Articulated ICP and Subject Specific Model Generation.Int J Comput Vis, 2009; 87 (1): 156–169
- Stebbins J, Harrington M, Thompson N, Zavatsky A, Theologis T. Repeatability of a model for measuring multi-segment foot kinematics in children. Gait Posture, 2006; 23 (4): 401–410