Einleitung
Das Lymphsystem im Körper ist ein Drainagesystem, das schädliche gelöste Stoffe aus dem Interstitium, dem Gewebe zwischen den Zellen, abtransportiert. Dieser Prozess wird insbesondere durch Venenerkrankungen beeinträchtigt. Mit einer Venenklappeninsufizienz geht häufig ein gestörter venöser Rückfluss mit anschließender Druckerhöhung in der Vene und konsekutiv vermehrter Flüssigkeitsanlagerung im Interstitium („Ödem“) einher. Spätestens zu diesem Zeitpunkt handelt es sich um ein Phlebo-Lymphödem, also auch um ein lymphologisches Krankheitsbild. Aus der Verlängerung der Diffusionsstrecke ergibt sich eine mangelnde Gewebeversorgung mit Sauerstoff (Hypoxie) und Nährstoffen, die den Untergang des betroffenen Gewebes und die Ausbildung eines Ulcus cruris venosum herbeiführt. Behandlungserfolge bei Ulcera cruris gibt es insbesondere in der Verknüpfung von adäquater Wundbehandlung, manueller Lymphdrainage und anschließender Kompressionsbehandlung.
Wundbehandlung und ‑reinigung
Die folgenden Ausführungen betreffen die häufigsten Formen der in der Praxis des Verfassers behandelten Ulcera. An erster Stelle steht das Ulcus cruris venosum, weniger häufig kommen Ulcus cruris mixtum, Ulcus cruris arteriosum sowie Ulcus bei diabetischem Fuß vor.
Nur eine saubere Wunde kann abheilen – daher kommt der Wundreinigung ein hoher Stellenwert zu. Es gibt vier verschiedene Arten der Wundreinigung nach der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e. V. 1:
1. Debridement
Dies ist eine rein chirurgische, also ärztliche Wundreinigung. Das bedeutet: radikales Entfernen avitalen Gewebes bis ins intakte Gewebe.
2. Dekontamination
Hierunter versteht man eine antiseptische, mechanische Wundreinigung zur weitgehenden Beseitigung lokaler Entzündungen oder zur Prävention einer systemischen Infektionserkrankung.
3. Aktive periodische Wundreinigung (APW)
Hierbei handelt es sich um eine gezielte wiederkehrende mechanische Wundreinigung (Wundspüllösung) im Rahmen des Verbandwechsels. Dieses Vorgehen wird in der Praxis des Verfassers favorisiert und sehr erfolgreich angewendet, da es zeitgleich mit der Lymphdrainage durchgeführt werden kann.
4. Passive periodische Wundreinigung (PPW)
Dieser Reinigungsprozess findet unterhalb des Sekundärverbandes statt. Es gibt verschiedene Wundauflagen. Werden z. B. NaCl-Kissen auf die Wunde appliziert, geben diese Flüssigkeit in die Wunde ab. Beim späteren Entfernen der Wundauflage ist die Wunde wieder in einem besseren, gereinigten Zustand. Dabei ist zu beachten, dass solche Wundauflagen nicht länger als 12 bis 24 Stunden auf dem Wundareal appliziert sein dürfen, weil es sonst zu verstärkter Mazeration in der Umgebungshaut kommen kann.
Exsudataufkommen
Bei den ersten fünf bis sechs Behandlungen mittels manueller Lymphdrainage zeigt sich in der Wundtherapie ein vermehrtes Exsudataufkommen. Dieses vermindert sich infolge der Behandlungen. Es ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass durch die starke Erhöhung der Lymphangiomotorik die Zwischenzellflüssigkeit besser über das Lymphgefäßsystem abgeleitet werden kann. Es handelt sich hierbei allerdings nur um einen klinischen Befund, der studienseitig noch nicht gesichert ist.
Trockene Nekrosen
Eine trockene Nekrose sollte nicht mit feuchten Wundauflagen behandelt werden, sondern ist durch einen Arzt zu beurteilen und zu behandeln. Wenn sich unter feuchter Wundbehandlung eine trockene Nekrose löst, kann es zu Blutungen kommen, die zu kontrollieren der Physiotherapeut nicht in der Lage wäre. Trockene Nekrosen unterliegen also zunächst einer ärztlichen Beurteilung und können erst danach vom Wundtherapeuten behandelt werden.
Wundtherapeutika
Hierbei ist auch die Wirtschaftlichkeit zu bedenken: Wundauflagen und modernes Wundmanagement sind von hohen Therapie- und Materialkosten geprägt. Das Robert-Koch-Institut empfiehlt, beim Verbandwechsel nur sterile Materialien zu verwenden. Leitungswasser gilt als nicht keimfrei und sollte nicht zur Wundbehandlung eingesetzt werden. Verwendet werden können sterile, neutrale Spüllösungen wie Ringer-Lösung oder NaCl 0.9 % sowie Spüllösungen mit chemischen Zusätzen wie polyhexanid- oder octenidinhaltige Antiseptika. Welche Präparate eingesetzt werden und wie lange sie eingesetzt werden dürfen, lernt der Wundtherapeut in seiner Ausbildung. Die vom Produkthersteller gegebenen Empfehlungen sind dabei einzuhalten. Diese unverzichtbaren Kenntnisse sind nur mittels einer zertifizierten Ausbildung zu erlernen.
Manuelle Lymphdrainage
Bei einer Verwundung des Integuments entsteht immer ein Ödem. Dies ist Ausdruck der Verletzung des Gewebes und der daraufhin einsetzenden Reparaturmechanismen. Allen Ödemen bei Wunden, ob chronisch oder akut, ist gemeinsam, dass sie eine Verschlechterung der Makro- und Mikrozirkulation zur Folge haben. Durch die manuelle Lymphdrainage wird unter anderem die Lymphangiomotorik erhöht. Hieraus ergibt sich die Reduzierung des Umfanges der betroffenen Extremität und somit eine Verbesserung der Mikro- und Makrozirkulation im Gewebe sowie ein Abbau von Zelltrümmern und entzündungsfördernden Stoffen 2. Daraus wiederum resultiert eine bessere Wundheilung.
Dabei spielen die Lymphknoten eine wichtige Rolle. „Es ist die Aufgabe der Lymphknoten, die Lymphe zu filtern und die Phagozytose von Mikroorganismen und Toxinen zu befreien.“ 3 Auch bei diesen Krankheitsbildern gilt, dass die manuelle Lymphdrainage nicht am eigentlichen Wundgebiet beginnt, sondern dass zunächst die Halslymphknoten aktiviert werden. Anschließend folgt die Aktivierung der axillären Lymphknoten, dann die Flanken- und Bauchbehandlung, daraufhin die Aktivierung der beidseitigen inguinalen Lymphknoten.
Handelt es sich um eine einseitige Problematik, so wird nur die betroffene Extremität von proximal nach distal – Druckrichtung proximal voranschreitend – behandelt. Sollte es sich um eine beidseitige Problematik handeln, werden beide Beine von proximal nach distal – Druckrichtung proximal voranschreitend – behandelt.
Kompressionstherapie
Die Reduzierung des Ödems durch manuelle Lymphdrainage bei akuten und chronischen Wunden wird in der Wundtherapie durch eine adäquate Kompressionstherapie mit Bandagierung inklusive späterer Strumpfversorgung unterstützt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zunächst die arterielle Situation geprüft werden muss. Hierfür werden Fuß‑, Knie- und Leistenpulse palpiert. Wenn diese nicht ausreichend tastbar sind, sollte eine Auskultation mit einem Taschendoppler durchgeführt werden. Falls auch hierdurch keine aussagekräftige Befundung zu erbringen ist, muss eine ABI-Messung (ABI = „ankle-brachial index“; Knöchel-Arm-Index oder Doppler-Index) durchgeführt werden. Dabei wird der Blutdruck im Arm mit dem Blutdruck am Fußknöchel verglichen (Abb. 1). Die Werte einer ABI-Messung, die entweder vom Wundtherapeuten oder vom behandelnden Arzt durchgeführt wird, sollten vom Therapeuten ins Konzept eingepflegt werden und sind dringlich zu beachten. Ein zu hoher Kompressionsdruck ohne vorherige Prüfung des Gefäßstatus kann desaströse Folgen für die verwundete Region haben.
Eine Kompressionstherapie ist bei einem Wert unter 0,75 mmHg kontraindiziert, weil in diesem Fall eine Ischämie unterstellt werden muss, deren Akuität sich durch die Kompressionstherapie dramatisch verschlechtern würde. Bei Werten zwischen 0,75 und 0,9 mmHg kann eine moderate Kompressionstherapie durchgeführt werden. Bei Werten zwischen 0,9 und 1,2/1,3 mmHg kann eine Kompressionstherapie erfolgen 4. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Bandagen nicht zu fest angelegt werden. Eine langsame Steigerung des Kompressionsdruckes kann versucht werden. Verträglicher ist für den Patienten ein initial milder, sogenannter moderater Kompressionsdruck. Abbildung 2 zeigt einen lymphologischen Kompressionsverband (beidseitig A‑D) nach MLD und lokaler Wundbehandlung, jedoch vor dem entstauenden Gefäßtraining. Wichtig ist zudem eine begleitende Hautp ege mit hypoallergenen Produkten.
Merkmale des Behandlungskonzepts
Bei dem in der Praxis des Verfassers angewandten Behandlungskonzept für chronische Wunden, insbesondere Ulcera cruris venosum, werden die Prinzipien der manuellen Lymphdrainage und der modernen Wundbehandlung mit anschließender Kompressionstherapie und physiotherapeutischer Gelenkmobilisation bzw. strukturiertem Gefäßtraining kombiniert. Vor der Behandlung eines Patienten mit einer chronischen Wunde muss zusätzlich zum lymphologischen auch ein genauer wundtherapeutischer Befund erhoben werden. Dabei wird, ausgehend von der vom Arzt gestellten Diagnose, vom ausgebildeten Wundassistenten bzw. Wundtherapeuten durch genaue Anamnese, Inspektion und Palpation ein Befund des Krankheitsbildes „chronische Wunde“ erhoben. Dies dient der Therapieplanung und der Qualitätskontrolle des angewendeten therapeutischen Konzeptes innerhalb der Praxis.
Folgende Schritte umfasst das kombinierte Lymphdrainage-Wundtherapie-Konzept im Rahmen einer sogenannten Nass-Trocken-Therapie 4:
- Entfernen des Verbandes
- Wund- und Ödeminspektion
- Nassphase (ca. 20 min.) mit PPW/ APW (passiver/aktiver periodischer Wundreinigung) mittels steriler Flüssigkeiten
- in dieser Zeit MLD (Abb. 3)
- mechanische Wundreinigung (APW)
- Trockenphase (ca. 15 min.) mit dem Auflegen steriler Kompressen
- in dieser Zeit MLD, anschließend APW
- Fotodokumentation (alle 2 Wochen)
- lokale Wundversorgung
- begleitende therapeutische Maßnahmen, z. B. Krankengymnastik für das obere Sprunggelenk, Ernährungsscreening, Gefäßtraining (Abb. 4), ABI-Messung (arterielle Druckmessung)
- Anlegen eines lymphologischen/ phlebologischen Kompressionsverbandes
- Erstellung der Dokumentation
In direkter Nähe zum Wundrand sollte aus hygienischen und prophylaktischen Gründen keine MLD durchgeführt werden – es wird stets ein Abstand von ca. 10 Zentimetern zum Wundrand eingehalten. Ein direkter Kontakt mit dem Wundbett ist zu vermeiden („Non-Touch-Technik“). Eine Keimverschleppung durch die MLD, die theoretisch denkbar wäre, und ein daraus z. B. resultierendes Erysipel haben sich bis heute bei keinem der behandelten Patienten gezeigt.
Folgende Ziele sollen mit der Behandlung der chronischen Wunden erreicht werden:
- Verbesserung der Lebensqualität
- Schmerzreduzierung
- Geruchsverminderung
- schließlich komplette Abheilung der Wunde
Abbildung 5 dokumentiert das Ergebnis einer erfolgreichen Behandlung nach diesem Konzept.
Fazit
Die Wirkmechanismen der manuellen Lymphdrainage und der Kompressionstherapie bei der Behandlung von Lymphödemen sind heute unumstritten. Nach der Erfahrung des Autors lohnt es sich, manuelle Lymphdrainage (MLD) und lymphologische Kompressionstherapie auch im Therapieregime der Versorgung chronischer Wunden einzusetzen. Eine krankengymnastische Behandlung tut ein Übriges, um einem modernen Behandlungsschema zu entsprechen.
Die komplexe Behandlung chronischer Wunden, insbesondere von Ulcera cruris venosum, hat sich in der Praxis zu einem vielversprechenden Behandlungskonzept entwickelt, das nicht zuletzt dank einer guten Patienten-Compliance sehr gute Therapieergebnisse vorweisen kann.
Diese komplexe Therapieform sollte ausgebildeten Therapeuten vorbehalten bleiben, wobei die Therapiehoheit weiter dem Arzt obliegt. Die Physiotherapeuten sollten daher eine Ausbildung als Lymphdrainagetherapeuten und zusätzlich eine Ausbildung zum Wundassistenten WAcert® DGfW unter der Aufsicht eines Wundtherapeuten WTcert® DGfW absolvieren.
Der Autor:
Hauke Cornelsen
Lymphdrainagetherapeut, Physiotherapeut, Wundtherapeut WTcert® DGfW,
Gefäßsporttrainer nach BGPR
Mühlenkamp 18
22303 Hamburg
info@cornelsen-lymphe.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Cornelsen H. Wundbehandlung mit manueller Lymphdrainage bei Ulcus cruris venosum – Erfahrungen aus der Praxis. Orthopädie Technik, 2015; 66 (8): 41–44
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- Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e. V. S3-Leitlinie 091–001 „Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronische venöse Insuf zienz“. Stand: 12.06.2012 Version 1. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/091–001l_S3_Lokaltherapie_chronischer_Wunden_2012-06.pdf (Zugriff am 01.03.2015)
- Földi M, Kubik S. Lehrbuch der Lymphologie. 5. Au age. München, Jena: Urban & Fischer, 2002
- Dissemond J. Ulcus cruris – Genese, Diagnostik und Therapie. 4., neubearb. Au age. Bremen: Uni-Med Science, 2012
- Deutsche Gesellschaft für Angiologie/Gesellschaft für Gefäßmedizin. Leitlinie zu Diagnostik und Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK). http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/065–003_S3_Diagnostik_und_Therapie_der_peripheren_arteriellen_Verschlusskrankheit_PAVK_abgelaufen_01.pdf (Zugriff am 01.03.2015)