Einleitung
Die AOK Nordost betreut als regionale Krankenkasse in den Bundesländern Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ca. 1,8 Millionen Versicherte 1. Damit zählt sie zu den Hauptversicherern in diesen Regionen 1. Eine Auswertung der AOK Nordost ergab, dass ihre Versicherten überdurchschnittlich häufig von Diabetes mellitus betroffen sind: Die regionale Prävalenz von Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 beträgt teilweise bis zu 20 % 2. Auch nach einer Adjustierung dieser Werte auf die Alters- und Geschlechtsstruktur der Region beträgt die Prävalenz weiterhin bis zu 13,5 % in Mecklenburg-Vorpommern und 12 % im Durchschnitt über alle drei Bundesländer der AOK Nordost. Damit wird der bundesdeutsche Durchschnitt von ca. 9,8 % 3 deutlich überschritten.
Mit der Krankheitsdauer steigt bei Diabetikern das Risiko, eine der schwerwiegendsten Komplikationen der Stoffwechselerkrankung zu entwickeln: ein Diabetisches Fußsyndrom (DFS). Diese Verletzung an Füßen von Diabetikern 4 entsteht aus dem Zusammentreffen mehrerer Folgeerscheinungen eines Diabetes: einer eingeschränkten sensorischen Empfindung durch Nervenschädigungen (Polyneuropathie) sowie Schäden an großen und kleinen Gefäßen, die zu einer Minderdurchblutung führen (Makro- und Mikroangiopathie).
Das Vorliegen eines DFS geht mit einem hohen Risiko des Verlustes des betroffenen Körperteils einher. Unterschieden werden dabei Teilamputationen (Minoramputationen), bspw. eines Zehs, und Amputationen des gesamtes Fußes oder darüber hinaus (Majoramputationen). Von den insgesamt etwa 62.000 im Jahr 2004 durchgeführten Minor- und Majoramputationen wurden 70 %, also etwa 40.000 Amputationen, an Diabetikern durchgeführt. Diabetesassoziierte Amputationen sind ein ernstzunehmendes Problem: Neben den enormen körperlichen Einschränkungen, die eine Amputation mit sich bringen kann, steigt durch sie auch das Risiko des Versterbens des Patienten: Bis zu 50 % der Patienten mit Majoramputation sind nach 3 Jahren verstorben 5.
(Regel-)Versorgung von Versicherten mit DFS
Seit 2003 gibt es das Disease-Management-Programm (DMP) „Diabetes mellitus Typ 2“, seit 2005 das DMP „Diabetes mellitus Typ 1“. Durch deren Einführung hat sich die ambulante Versorgung der Diabetiker insgesamt verbessert. Die DMP enthalten Regelungen, die zum frühzeitigen Erkennen und damit Behandeln der diabetesbedingten Folgeerkrankungen beitragen sollen. Bezogen auf das DFS soll mindestens einmal jährlich bei allen Diabetikern eine Fußinspektion und ‑untersuchung durchgeführt werden. Liegt bereits ein erhöhtes Risiko beim Patienten vor, sind diese ärztlichen Kontrolluntersuchungen in kürzeren Intervallen durchzuführen. Bei der ärztlichen Fußuntersuchung werden Berührungssensibilität und Vibrationsempfinden untersucht. Ergänzend soll der Patient angehalten werden, jeden Tag seine Füße anzuschauen, auf Veränderungen zu achten sowie sein Schuhwerk zu kontrollieren. Dazu bekommt der Diabetiker Informations- und Aufklärungsmaterialien, die helfen sollen, eine regelmäßige Fußbeobachtung selbst durchzuführen, um Warnsignale frühzeitig zu erkennen. Die AOK Nordost hält hierzu eine Auswahl an Informationsmaterial für betroffene Patienten vor. Unterstützt durch Bilder werden beispielsweise Tipps zur selbstständigen und richtig durchgeführten Fußpflege vermittelt.
Aufgabe des behandelnden DMP-Arztes ist zudem die frühzeitige Einleitung einer multiprofessionellen Behandlung. Hierzu zählen bei Bedarf oder bei medizinischer Notwendigkeit der Einbezug orthopädischer Schuhmacher zur Konfektion diabetischer Schutzschuhe, die Verordnung podologischer Behandlungen sowie die Überweisung in eine für die Behandlung von Patienten mit DFS qualifizierte Einrichtung (beispielsweise Diabetologen mit Fußeinrichtung). Die frühzeitige Einleitung einer multiprofessionellen Behandlung kann schwere Endstadien des DFS positiv beeinflussen. Oberstes Ziel ist es, Patienten mit einem DFS vor einer Amputation zu bewahren, da diese mit einer großen Einschränkung der Lebensqualität und hoher Mortalität einhergeht.
Wichtiger Bestandteil der DMP-Verträge sind auch die Regelungen zur Qualitätssicherung. Dort sind Qualitätsziele festgelegt, die über die Angaben in der elektronischen DMP-Dokumentation (die viertel- oder halbjährlich von jedem Arzt für jeden seiner Patienten erstellt wird) ausgewertet werden können. Das Qualitätsziel „DFS“ umfasst die Quote der Versicherten, die nach Feststellen eines auffälligen Fußstatus in eine darauf spezialisierte Praxis überwiesen werden. Auch die Frequenz der durchgeführten Fußuntersuchungen bei den Diabetikern sowie das Ergebnis der Untersuchung lassen sich durch die DMP-Dokumentation nachvollziehen. Die AOK Nordost prüft das Erreichen der Qualitätsziele und die im DMP dokumentierten Daten regelmäßig und leitet dementsprechende steuernde Maßnahmen ein.
In der Vergangenheit wurde bei der Auswertung der DMP-Daten jedoch festgestellt
- dass die im DMP festgelegte mindestens jährliche Fußuntersuchung nicht lückenlos bei allen Diabetikern durchgeführt wurde,
- dass bei der Feststellung eines auffälligen Fußstatus nicht in jedem Fall eine Überweisung an eine auf DFS spezialisierte Einrichtung erfolgte oder dass die Überweisung zu spät erfolgte,
- dass die interprofessionelle Mit- und Weiterbehandlung des auffälligen Fußes nur stark verzögert eingeleitet wurde und
- dass es zu Amputationen kam, obwohl in den DMP-Dokumentationen stetig nur niedrige Schweregrade (wie z. B. Wagner/Armstrong 0A) angegeben waren.
Auswertung der DMP-Dokumentation
Diese Auffälligkeiten bei der Auswertung der DMP-Dokumentation nahm die AOK Berlin, jetzt AOK Nordost, im Jahr 2010 zum Anlass, mittels einer telefonischen Stichprobenbefragung bei den betroffenen Versicherten den Ergebnissen auf den Grund zu gehen. Hierzu wurden Versicherte befragt, bei denen ein auffälliger Fußstatus dokumentiert worden war. Ein Teil der Versicherten war in hausärztlicher, der andere in fachärztlicher diabetologischer Betreuung. Bei der Befragung fiel auf, dass beim Großteil der Versicherten in hausärztlicher Versorgung keine Überweisung zur fachärztlichen Mitbehandlung vorlag (83 % der beim Hausarzt betreuten Versicherten). Positiv konnte dagegen festgestellt werden, dass ca. 89 % der angerufenen Diabetiker angaben, dass sie ihre Füße eigenständig oder mit Hilfe von Angehörigen kontrollieren und auf Auffälligkeiten untersuchen. Aus den Angaben über Wagner-Grade (0 bis 5) und den Armstrong-Klassifikationen (A bis D) ergab sich anhand der Daten der AOK Nordost für die Region Berlin, dass es zwar absolut mehr Typ-2-Diabetiker mit auffälligem Fußstatus gibt, der Anteil der Betroffenen unter den Typ-1-Diabetikern aber prozentual höher liegt. Der Schweregrad nach Wagner/Armstrong-Ausprägung war bei Typ-1-Diabetikern wiederum niedriger als bei Typ-2-Diabetikern. Insgesamt waren 14,5 % der Typ-1-Diabetiker und 9,5 % der Typ-2-Diabetiker von einem DFS betroffen. Typ-2-Diabetiker waren doppelt so häufig von einem DFS mit einem Wagner-Grad über 0 betroffen wie Typ-1-Diabetiker (Abb. 1).
Aus den Auswertungen der DMP- Dokumentationen musste das Fazit gezogen werden, dass trotz der Regelungen im DMP auch nach Jahren noch keine optimale Versorgungssituation hinsichtlich des DFS erreicht wurde: Die Anzahl der Betroffenen mit einem DFS war relativ hoch, die Überweisung zu spezialisierten Ärzten bzw. Diabetologen war nur unzureichend, und die diabetesbedingte Anzahl der Amputationen war noch immer auf einem inakzeptabel hohen Niveau.
Die Anzahl der diabetesbedingten Amputationen positiv zu beeinflussen und in der Folge zu senken – dieses Ziel hatte sich die AOK Nordost gesetzt. Durch die Stärkung einfacher und zuverlässiger Maßnahmen sollten schnell und sicher die Ursachen der Erkrankung diagnostiziert sowie Vorsorge- bzw. Behandlungsmaßnahmen eingeleitet werden. Versicherte mit einem Risikofuß sollten die Möglichkeit erhalten, dauerhaft und kontinuierlich eine Sekundärprophylaxe bei auf die Behandlung des DFS spezialisierten Ärzten wahrnehmen zu können
Inhalte des Versorgungsprogramms
Als Reaktion auf die unzureichende Versorgung im Rahmen der DMP hat die AOK Nordost im Jahr 2011 für die Region Berlin einen Versorgungsvertrag zur Behandlung von Patienten mit DFS geschlossen, der bis heute gilt. Vertragspartner sind Ärztinnen und Ärzte mit dem Schwerpunkt Diabetologie sowie einer Spezialisierung auf die Behandlung des DFS. Eine besondere Teilnahmevoraussetzung ist die ambulante Zertifizierung als Fußbehandlungseinrichtung durch die Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Diese sollte die Grundlage für eine hochspezialisierte ärztliche Versorgung sein. Teilnehmende Ärzte an diesem Versorgungsvertrag sind nicht nur zertifiziert, sondern auch untereinander vernetzt, nehmen an regelmäßigen Qualitätszirkeln teil und unterliegen einem jährlichen Benchmarking zur Selbstkontrolle. Alle Versicherten der AOK Nordost, die an Diabetes erkrankt sind, im DMP „Diabetes mellitus Typ 1“ oder „Diabetes mellitus Typ 2“ eingeschrieben sind und bei denen ein auffälliger Fußstatus festgestellt wurde, können an diesem Vertrag teilnehmen.
Ziele des Versorgungsvertrages sind neben der Reduktion der Mortalität und der Erhöhung der Lebensqualität der Patienten mit DFS eine Reduktion oder gar Vermeidung von Amputationen, insbesondere von Majoramputationen. Erreicht werden soll dies durch die Einflussnahme auf eine regelmäßige und frühzeitige Fußkontrolle. Der Diabetiker als Risikopatient mit DFS verbleibt, ggf. auch zusätzlich zu seiner Behandlung beim Hausarzt, dauerhaft in der kontinuierlichen, begleitenden, präventiven und sekundärpräventiven Mitbetreuung beim spezialisierten Diabetologen. So sind beste Voraussetzungen gegeben, eventuell entstehende Druckstellen oder Wunden bereits in einem frühen Stadium zu erkennen und entsprechende Maßnahmen unverzüglich einzuleiten. Hierfür sind bei diesen Diabetologen qualifizierte Wundpfleger angestellt. Die Vertragsärzte koordinieren den gesamten interdisziplinären (also alle Fachdisziplinen einbeziehenden) Behandlungsprozess über alle Versorgungsebenen – im ambulanten und stationären bzw. rehabilitativen Versorgungsbereich. So sollen schwere Wundstadien, wiederkehrende Wundzustände (Rezidive) und Amputationen vermieden sowie Wundheilungszeit und Behandlungsdauer verkürzt werden. Derzeit nehmen 26 Ärztinnen und Ärzte am Vertrag „Zur Behandlung des Diabetischen Fußsyndroms in der Region Berlin“ teil und behandeln aktuell etwa 1.500 Patientinnen und Patienten mit auffälligen Füßen (Stand Mai 2017).
Ergebnisse des Versorgungsprogramms
Mit einer in regelmäßigen Zeitabständen durchgeführten Evaluation werden die Auswirkungen des Vertrages überprüft. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Anzahl der Amputationen und Rezidive gelegt. In Bezug auf die Amputationen wird geprüft, ob in der Interventionsgruppe weniger Amputationen auftreten als in einer Kontrollgruppe. Außerdem wird analysiert und bewertet, ob mit den Kosten der verhinderten Amputationen die Kosten des Programms gedeckt werden können. Der Untersuchung zugrunde liegen Abrechnungsdaten der AOK Nordost. Es wird ein Kontrollgruppendesign („retrospektive Kohortenstudie“) gewählt. Dabei wird unterschieden zwischen einer Interventionsgruppe (IG) aus Versicherten, die am DMP „Diabetes“ sowie am Versorgungsvertrag zur Behandlung des DFS der AOK Nordost teilnehmen, und einer Kontrollgruppe (KG) aus Versicherten, die ebenfalls Teilnehmer am DMP „Diabetes“ sind und mindestens eine Dokumentation über einen auffälligen Fuß aufweisen, aber nicht am genannten Versorgungsvertrag der AOK Nordost teilnehmen. Das Studiendesign ist Abbildung 2 zu entnehmen.
Aufgrund zweier unterschiedlicher Behandlungsansätze werden beide Untersuchungsgruppen in jeweils zwei Subpopulationen unterteilt: die Amputationssubpopulation (AP) und die Präventionssubpopulation (PP). Die AP umfasst Versicherte, bei denen mindestens einmal ein Wagner-Grad größer 0, also eine offene Läsion, dokumentiert wurde. Diese Versicherten sind ab der Dokumentation eines Wagner-Grades größer 0 amputationsgefährdet. In der PP sind Versicherte enthalten, bei denen die DMP-Dokumentation immer den Wagner-Grad 0 aufweist. Diese Versicherten sind nicht amputationsgefährdet. Beim Vergleich der Untersuchungsgruppen (IG und KG) werden jeweils die AP der IG mit den AP der KG und die PP der IG mit den PP der KG verglichen. Die Versicherten von IG und KG teilen sich wie in Abbildung 3 dargestellt auf die Subpopulationen auf.
In einem vorab für jeden Versicherten definierten Beobachtungszeitraum (1 bis 3 Jahre) wurde ermittelt, ob die Versicherten Amputationen erleben und welche Amputationskosten, Amputationsfolgekosten und sonstige DFS- und/oder diabetesassoziierten Leistungsausgaben generiert werden. Die amputationsgefährdeten Versicherten der AP werden in dieser Beobachtungsstudie ab der erstmaligen Dokumentation eines Wagner-Grades größer 0 bezüglich Amputationsereignissen und Leistungsinanspruchnahmen beobachtet. Bei den nicht amputationsgefährdeten Versicherten der PP werden nur die Leistungsinanspruchnahmen im Beobachtungszeitraum ermittelt. Wegen der fehlenden Randomisierung wird versucht, den Einfluss der bekannten und messbaren Störfaktoren mit geeigneten Verfahren (Adjustierungen) zu kontrollieren. Allerdings sind, wie bei allen Beobachtungsstudien, weitere systematische Verzerrungen durch nicht messbare und/oder unbekannte Störfaktoren möglich.
Die ersten Ergebnisse lauten wie folgt:
- Die Amputationsquoten (Anzahl der Amputationen geteilt durch die Anzahl der amputationsgefährdeten Versicherten) sind in der AP der IG im Beobachtungszeitraum geringer als in der AP der KG (22,55 vs. 26,60 %).
- Die Inzidenzrate (im Beobachtungszeitraum neu aufgetretene Amputationsfälle geteilt durch die Gesamtrisikozeit) ist in der AP der IG deutlich niedriger als in der AP der KG: 7,69 Amputationen in 100 Personenjahren in der AP der IG vs. 13,32 Amputationen in 100 Personenjahren in der AP der KG (Tab. 1).
- In der AP der IG treten im Beobachtungszeitraum 23 Amputationen weniger auf, als nach den Verhältnissen in der AP der KG zu erwarten gewesen wären.
- Eine Cox-Regression ergab, dass das Risiko, im Beobachtungszeitraum amputiert zu werden, in der AP der IG um ca. 16 % niedriger ist als in der AP der KG (Hazard Ratio = 0,84; KI 0,63–1,12). Die Schätzung ist allerdings noch unpräzise und das Ergebnis noch nicht statistisch signifikant.
- Durch die vermiedenen Amputationen entwickeln sich die Leistungsausgaben für Amputationen in der AP der IG günstiger als in der AP der KG.
Als weitere diabetesassoziierte Leistungen werden in dieser Evaluation Antidiabetika (Insuline und orale Antidiabetika), Verbandstoffe, podologische Behandlungen, orthopädische Schuhversorgung und die Versorgung mit Prothesen definiert. Abbildung 4 zeigt die prozentuale Verteilung der Versorgung der Versicherten der amputationsgefährdeten Subpopulation (AP) mit DFS-spezifischen Heil- und Hilfsmitteln. Erkennbar ist, dass deutlich mehr Versicherte der AP der IG im Beobachtungszeitraum mit solchen Heil- und Hilfsmitteln versorgt sind als Versicherte der AP der KG.
Durch die stärkere Versorgung der Versicherten der IG kommt es im Vergleich zur KG zu einer ungünstigeren Kostenentwicklung im Leistungsbereich „Heil- und Hilfsmittel“ – bis auf den Bereich „Prothesen“, in dem die Inanspruchnahme in der IG unter der KG liegt und damit auch die Kostenentwicklung. Die Ausgaben für die Leistungsposition „Krankenhausaufenthalte wegen Diabetes ohne Amputationen“ sind in der IG höher als in der KG. Während der Krankenhausaufenthalte mit Diabetes ohne Amputation erfolgen sehr viele Maßnahmen zur Diagnostik von Neuropathie und Angiopathie. Die Ausgaben für die Leistungspositionen „Verbandstoffe“ und „orale Antidiabetika“ sind in der IG geringer als in der KG.
Aus den Ergebnissen der Evaluation können folgende Hypothesen abgeleitet werden:
- Eine intensivierte Behandlung des DFS, wie in der IG, führt zur Verringerung von Amputationen (insbesondere Majoramputationen) und zur Verringerung von Amputationskosten im Vergleich zur nächstbesten Alternative (Behandlung des DFS im Rahmen eines Diabetes- DMPs wie in der KG).
- Leitliniengerechte Diagnostik und Therapie – wie in der IG erfolgt – führen zu höheren Leistungsausgaben im Krankenhausbereich (Abklärung von Neuro- und Angiopathien bei Krankenhausaufenthalten mit Diabetes ohne Amputation) und zu häufigerer Verordnung podologischer Behandlungen sowie orthopädischer Schuhe – tragen aber letztendlich auch zur Vermeidung von Amputationen bei.
- Aus der deutlichen Verringerung von Amputationen in der AP der IG kann indirekt auf einen Nutzen für die Versicherten geschlossen werden, da Amputationen die Lebensqualität erheblich einschränken und häufig in kurzer Zeit zum Tod führen.
Ausblick
Das wichtigste Ergebnis des besonderen Versorgungsangebotes ist die Verringerung der Anzahl der Amputationen in der AP der IG im Vergleich zu dieser Subpopulation der KG im Beobachtungszeitraum. Es konnten dadurch Kosten für Krankenhausaufenthalte mit Amputationen in der AP der IG reduziert werden. Ausgaben für sonstige diabetesassoziierte Leistungen wie bspw. im Leistungsbereich „Heil- und Hilfsmittel“ sind im Beobachtungszeitraum in der IG höher als in der KG. Diese höheren Ausgaben sind aber für eine besonders qualifizierte und hochwertige Behandlung zunächst notwendig und tragen höchstwahrscheinlich dazu bei, letztlich Anzahl und Kosten von Amputationen zu verringern. Die Sicherstellung einer kontinuierlichen Betreuung durch spezialisiertes Personal – auch in Phasen ohne akute Behandlungsnotwendigkeit, also „nur“ zur sekundärpräventiven Kontrolle der Füße – zeigt Wirkung. Diese Ergebnisse bestärken die AOK Nordost und ihre Vertragspartner, bei der Behandlung des DFS den richtigen Weg gegangen zu sein. Als nächster Schritt sollten die Vertragsinhalte weiterentwickelt werden, um die bisherigen Ergebnisse zu halten und weiter zu verbessern.
Basis hierfür ist auch die 2015 erstmalig durchgeführte Befragung unter den am Vertrag teilnehmenden Versicherten. Dafür wurden alle am Vertrag teilnehmenden Versicherten telefonisch kontaktiert und anhand eines strukturierten Fragebogens um ihre Einschätzung der Behandlung ihres DFS und deren Qualität gebeten. Ziel war es, die Versicherten der AOK Nordost, die von der Folgekomplikation des Diabetes betroffen sind, in die Weiterentwicklung des Versorgungsangebotes einzubeziehen. Von den ca. 1.500 kontaktierten Personen nahmen über 500 an der Befragung teil – ein hoher Rücklauf, der das große Interesse der Versicherten am Versorgungsvertrag ausdrückt. Die Ergebnisse der Befragung waren ebenso erfreulich: Über 80 % der befragten Versicherten sind sehr zufrieden mit der Behandlung durch ihren Arzt im Rahmen des Programms. Etwa 70 % sind sehr zufrieden mit der Teilnahme am Versorgungsprogramm; genauso viele würden die Teilnahme am Programm auf jeden Fall weiterempfehlen 6. Eine Wiederholung der Versichertenbefragung ist für 2017 geplant.
Die positiven Ergebnisse des Versorgungsansatzes der AOK Nordost hinsichtlich medizinischer Erfolge, Versorgungsrelevanz und Versichertenzufriedenheit wurden 2016 mit dem MSDGesundheitspreis ausgezeichnet. Diese Wertschätzung motiviert, weiterhin an der kontinuierlichen Verbesserung des Ansatzes zu arbeiten und weitere Ärztinnen, Ärzte und Versicherte zur Teilnahme am Versorgungsprogramm der AOK Nordost zu gewinnen. Ebenso ist es weiterhin das Ziel, diese qualifizierte Versorgung im ambulanten Sektor zu stärken und eine Übertragbarkeit in andere, insbesondere ländliche Regionen, vorzubereiten und umzusetzen.
Weitere Informationen
Eine Übersicht über die Inhalte des Versorgungsvertrages sowie ein kurzer Film über das Vorgehen sind abrufbar unter https://nordost.aok.de/inhalt/hilfe-bei-diabetischem-fusssyndrom/.
Für die Autorinnen:
Lea Grabley, MPH
AOK Nordost – Die Gesundheitskasse
Versorgungsmanagement
Behlertstraße 33 A
14467 Potsdam
Lea.Grabley@nordost.aok.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Riesner P, Grabley L, Feldt S. Versorgungsprogramm Diabetisches Fußsyndrom – Erfahrungen der AOK Nordost. Orthopädie Technik, 2017; 68 (9): 62–67
- Kinder mit Trisomie 21: Einsatz der Ganganalyse zur adäquaten Schuh- und Orthesenversorgung — 5. November 2024
- Rehabilitation aus orthopädietechnischer und physiotherapeutischer Sicht – Osseointegration und Schaftprothesen der unteren Extremität im Vergleich — 5. November 2024
- Belastungsprofile von knochenverankerten Oberschenkelimplantaten verbunden mit modernen Prothesenpassteilen — 5. November 2024
- AOK Nordost. Die AOK auf einen Blick. https://nordost.aok.de/inhalt/die-aok-in-zahlen-und-fakten‑4/ (Zugriff am 04.05.2017)
- AOK Nordost. Auswertung über Versicherte mit Diabetes in den Regionen Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern [unpubliziert]
- Goffrier B, Schulz M, Bätzing-Feigenbaum J. Administrative Prävalenzen undInzidenzen des Diabetes mellitus von 2009 bis 2015. Berlin: Zentralinstitut fürdie kassenärztliche Versorgung in Deutschland, 2017
- Lawall H. Das Diabetische Fuß-Syndrom. In: diabetesDE – Deutsche Diabeteshilfe (Hrsg.). Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2015. Die Bestandsaufnahme. Mainz: Kirchheim Verlag, 2015: 82–93
- Spraul M. Amputationshäufigkeiten in Deutschland. Diabetes-Forum, 2011;23 (5): 10–13
- Riesner P, Feldt S. Versorgungsmanagement im Selektivvertrag „DiabetischesFußsyndrom“. In: Weatherly JN (Hrsg.). Versorgungsmanagement in der Praxisdes Deutschen Gesundheitswesens. Konkrete Projekte, Theoretische Aufarbeitung. Berlin: Springer Verlag, 2016: 253–264