Tech­no­lo­gie und Funk­ti­ons­wei­se eines neu­en Prothesenkniegelenksystems

Ph. Kampas, D. Seifert
Mit dem Kenevo wird ein Prothesensystem vorgestellt, das mit neuartiger Technologie spezifisch auf die Anforderungen zielt, die sich aus der Analyse von Aktivitäten des täglichen Lebens von Anwendern niedrigerer Mobilitätsgrade ergeben. Durch verschiedene Modi lässt es sich an den Rehabilitationsfortschritt des Anwenders anpassen. Dieser Artikel beschreibt die technischen Hintergründe sowie die angestrebten Vorteile der Aktivitätsmodi und der in die Modi eingebetteten Funktionen, die spezifisch für Menschen mit niedriger Mobilität und eingeschränkter Motorik entwickelt wurden.

Ein­lei­tung

Mit Ein­füh­rung der Mecha­tro­nik in die Pro­the­tik der unte­ren Extre­mi­tät hat Otto­bock den Stand der Tech­nik für die Ver­sor­gung von Anwen­dern der Mobi­li­täts­gra­de 3 und 4 defi­niert. Der Fokus beim C‑Leg-Knie­ge­lenk­sys­tem liegt auf dem siche­ren Gehen in ver­schie­de­nen Geschwin­dig­kei­ten sowie auf Ram­pen und Trep­pen. Zwei Zusatz­mo­di ermög­li­chen die Unter­stüt­zung zusätz­li­cher Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens 1. Beim Geni­um und Geni­um X3 ist das Ziel, das Gang­bild phy­sio­lo­gi­scher zu gestal­ten und damit eine deut­li­che Ver­rin­ge­rung der Ungleich­heit zwi­schen natür­li­cher Kör­per­funk­ti­on und künst­li­chem Ersatz zu errei­chen. Ver­schie­de­ne Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens wer­den durch Funk­tio­nen unter­stützt, die nicht wie Zusatz­mo­di bewusst akti­viert wer­den müs­sen, son­dern mög­lichst intui­tiv in der Situa­ti­on unter­stüt­zen, ohne Auf­merk­sam­keit vom Anwen­der zu benö­ti­gen 2.

Stu­di­en haben erge­ben, dass auch Anwen­der des Mobi­li­täts­gra­des 2 von mecha­tro­ni­schen Knie­ge­len­ken wie dem C‑Leg Com­pact pro­fi­tie­ren 3 4. Aus die­sem Anlass wur­den die spe­zi­fi­schen Bedürf­nis­se von Anwen­dern nied­ri­ge­rer Mobi­li­täts­gra­de genau­er ana­ly­siert, um auf die Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens die­ser Anwen­der durch neu­ar­ti­ge Funk­tio­nen ein­zu­ge­hen. Die Hypo­the­se lau­tet, dass gera­de Anwen­der nied­ri­ger Mobi­li­tät und ein­ge­schränk­ter Moto­rik von moder­ner Tech­no­lo­gie beson­ders pro­fi­tie­ren kön­nen und damit für die­se Anwen­der grö­ße­re Erfol­ge im Reha­bi­li­ta­ti­ons­er­geb­nis erzielt wer­den kön­nen. Das Ergeb­nis ist das Kene­vo, ein mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­tes Knie­ge­lenk­sys­tem, wel­ches auf die Bedürf­nis­se von Ampu­tier­ten der Mobi­li­täts­gra­de 1 und 2 ein­geht (Abb. 1).

Anwen­der­grup­pen

Die Ana­ly­se der Bedürf­nis­se der Anwen­der der Mobi­li­täts­gra­de 1 und 2 ergab drei Anwendergruppen:

  • Für die Anwen­der­grup­pe A ist die größ­te Her­aus­for­de­rung das Auf­ste­hen und Hin­set­zen. Ein­mal auf­ge­stan­den gehen die­se Anwen­der nur weni­ge Schrit­te. Oft benut­zen sie auch wei­te­re Hilfs­mit­tel wie bei­spiels­wei­se Geh­hil­fen oder einen Roll­stuhl. Nichts­des­to­trotz ist das Ver­ti­ka­li­sie­ren ein wich­ti­ger Bestand­teil der Reha­bi­li­ta­ti­on und der Selbst­stän­dig­keit die­ser Anwen­der. Sie benö­ti­gen eher ein gesperr­tes Knie, um jeder­zeit Kon­trol­le und Sicher­heit über die Pro­the­se zu haben, und legen weni­ger Wert auf eine höhe­re Mobi­li­tät, die durch eine Schwung­pha­sen­aus­lö­sung ermög­licht wird.
  • Für die Anwen­der­grup­pe B stellt das Auf­ste­hen und Hin­set­zen durch­aus auch noch eine Hür­de dar, sie sind aber bereits beschränkt im Außen­be­reich unter­wegs. Die­se Anwen­der nut­zen zumin­dest zeit­wei­se noch Hilfs­mit­tel wie Geh­hil­fen und bevor­zu­gen die Sicher­heit eines wäh­rend der Stand­pha­se gesperr­ten Knies. Sie gehen nicht alter­nie­rend Trep­pen oder Ram­pen hin­un­ter. Eine Aus­lö­sung der Schwung­pha­se ermög­licht ihnen eine erhöh­te Sicher­heit (Boden­frei­heit), ver­rin­ger­te Kom­pen­sa­ti­ons­be­we­gun­gen und ver­bes­ser­te Mobilität.
  • Die Anwen­der­grup­pe C ist fähig, alter­nie­rend Trep­pen und Ram­pen berg­ab zu gehen, ist aber nur mit nied­ri­ger oder mitt­le­rer Geh­ge­schwin­dig­keit unterwegs.

Es ist wich­tig fest­zu­stel­len, dass die fixe Zuord­nung der Anwen­der zu einer Anwen­der­grup­pe gera­de für Anwen­der mit nied­ri­gem Mobi­li­täts­grad oft nicht mög­lich ist, da sich die Mobi­li­tät die­ser Anwen­der durch den Reha­bi­li­ta­ti­ons- oder Krank­heits­fort­schritt oft kurz­fris­tig ver­än­dert. Wenn z. B. eine wich­ti­ge Hür­de gemeis­tert und Ver­trau­en in die Pro­the­se gewon­nen wird, sind Sprün­ge zwi­schen den Anwen­der­grup­pen möglich.

Akti­vi­täts­mo­di

Für die unter­schied­li­chen Anwen­der­grup­pen wur­den spe­zi­fi­sche Akti­vi­täts­mo­di programmiert:

  • Der Akti­vi­täts­mo­dus A „Locked Mode“ für die Anwen­der­grup­pe A erkennt das Auf­ste­hen und Hin­set­zen auto­ma­tisch und unter­stützt den Anwen­der in die­ser Situa­ti­on durch spe­zi­fi­sche Wider­stands­ver­läu­fe. Beim Gehen bleibt das Knie­ge­lenk­sys­tem gesperrt.
  • Der Akti­vi­täts­mo­dus B/B+­„Semi­Locked Mode“ für die Anwen­der­grup­pe B erkennt und unter­stützt das Auf­ste­hen und Hin­set­zen wie­der Akti­vi­täts­mo­dus A. Das Kene­vo bleibt wäh­rend der Stand­pha­se gesperrt; es ist jedoch mög­lich, die Schwung­pha­se aus­zu­lö­sen. Das Knie­ge­lenk­sys­tem über­wacht die gesam­te Schwung­pha­se und schal­tet im Fal­le eines Stol­perns auf einen erhöh­ten Wider­stand. Im Akti­vi­täts­mo­dus B+ „Semi Locked­Mo­de mit Stand­pha­sen­beu­gung“ ist eine begrenz­te Stand­pha­sen­beu­gung möglich.
  • Im Akti­vi­täts­mo­dus C für die Anwen­der­grup­pe C ist das Kene­vo wäh­rend der Stand­pha­se nicht gesperrt, son­dern bleibt auf hohem Wider­stand. Damit ist das alter­nie­ren­de Her­ab­ge­hen von Trep­pen und Ram­pen mög­lich. Es kann zudem die Schwung­pha­se aus­ge­löst wer­den. Das Knie­ge­lenk­sys­tem über­wacht dabei die gesam­te Schwung­pha­se und schal­tet im Fal­le eines Stol­perns auf einen erhöh­ten Wider­stand. Das Auf­ste­hen und Nie­der­set­zen wird wei­ter­hin durch spe­zi­fi­sche Wider­stands­ver­läu­fe unter­stützt. Bleibt der Anwen­der ste­hen, unter­stützt ihn die intui­ti­ve Stehfunktion.

Eine eige­ne Funk­ti­on erlaubt es in allen Akti­vi­täts­mo­di, beim Sit­zen im Roll­stuhl das Knie in einer fast gestreck­ten Posi­ti­on zu sper­ren, sodass die Pro­the­se beim Fah­ren ohne Auf­la­ge nicht unter den Roll­stuhl gezo­gen wird.

Die Akti­vi­täts­mo­di kön­nen nach den tem­po­rä­ren Bedürf­nis­sen der Anwen­der gewählt wer­den. Das Knie­ge­lenk­sys­tem eig­net sich damit zur Anpas­sung des Pro­the­sen­sys­tems an den The­ra­pie­fort­schritt oder den Krank­heits­ver­lauf eines Anwenders.

Tech­no­lo­gie

Das Kene­vo-Bein­pro­the­sen­sys­tem ist ein mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­tes, ein­ach­si­ges Knie­ge­lenk­sys­tem. Es ver­wen­det eine Hydrau­lik mit dem bereits vom C‑Leg bekann­ten 2‑We­ge-Prin­zip, bei der die Wider­stän­de in Fle­xi­ons- und Exten­si­ons­rich­tung unab­hän­gig von­ein­an­der durch den Mikro­pro­zes­sor 100-mal pro Sekun­de stu­fen­los gestellt wer­den kön­nen 5. Die Sen­so­ren umfas­sen eine Axi­al­kraft­mes­sung, eine Knö­chel­mo­ment­mes­sung, einen Knie­win­kel- und Knie­win­kel­ge­schwin­dig­keits­sen­sor sowie eine neu­ar­ti­ge 6‑achsige Raum­la­ge­ein­heit (Iner­ti­al Moti­on Unit, IMU), wel­che die Lage und Rota­ti­ons­ge­schwin­dig­keit des Knie­ge­lenk­sys­tems im Raum bestimmt (Abb. 2).

Die Funk­tio­nen im Detail

Das unter­stütz­te Hinsetzen

Das Bedürf­nis

Anwen­der mit hohem Sicher­heits­be­dürf­nis wer­den oft mit einem Sperr- oder Brems­knie ver­sorgt, weil die­se Gelen­ke das gewünsch­te Sicher­heits­ge­fühl beim Gehen und Ste­hen bie­ten. Beim Hin­set­zen sind die­se Gelen­ke aber oft ver­un­si­chernd. Die Geh­hil­fe muss los­ge­las­sen wer­den, um die Sper­re zu ent­rie­geln, und wenn das Gelenk ein­mal frei­ge­schal­tet ist, gibt es kei­ne Unter­stüt­zung beim Hin­set­zen. Der sicher­heits­be­dürf­ti­ge und zumeist moto­risch ein­ge­schränk­te Anwen­der muss alles mit der kon­tra­la­te­ra­len Sei­te kom­pen­sie­ren und kommt in eine unsi­che­re und moto­risch anspruchs­vol­le Situation.

Die Lösung

Das gesperr­te Kene­vo erkennt über eine paten­tier­te Steue­rung, die auf der Raum­la­ge­ein­heit beruht, die Bewe­gung der Hüf­te nach hin­ten und löst kon­ti­nu­ier­lich die Sper­re, wenn die Pro­the­se belas­tet ist (Abb. 3). Soll­te das Hin­set­zen abge­bro­chen wer­den, wird die Sper­re wie­der akti­viert. Wäh­rend des Hin­set­zens regelt das Gelenk­sys­tem den Wider­stand so, dass über den gesam­ten Beu­ge­win­kel jeweils der benö­tig­te Wider­stand ein­ge­stellt wird – anfangs etwas nied­ri­ger, in der Mit­te der Beu­gung etwas höher und gegen Schluss wie­der etwas nied­ri­ger (Abb. 4).

Der Vor­teil

Der Anwen­der hat beim Hin­set­zen somit sei­ne Hän­de frei und kann sich z. B. an einer Geh­hil­fe oder an der Arm­stüt­ze des Stuhls fest­hal­ten. Wäh­rend des Hin­set­zens kann er bei­de Bei­ne belas­ten; die Pro­the­se unter­stützt ihn beim Hin­set­zen mit einem kon­trol­lier­ten Wider­stand. Der Kör­per­schwer­punkt kann in der Mit­te zwi­schen den Bei­nen blei­ben; der Anwen­der hat eine brei­te­re Unter­stüt­zungs­flä­che und muss nicht auf einem Bein balan­cie­ren. Er gewinnt an Sta­bi­li­tät und Sicherheit.

Das unter­stütz­te Aufstehen

Das Bedürf­nis

Sperr- oder Brems­knie bie­ten dem Anwen­der kei­ne Unter­stüt­zung, soll­te der Auf­steh­vor­gang abge­bro­chen wer­den. Der Anwen­der muss das Hin­set­zen mit der kon­tra­la­te­ra­len Sei­te oder den Hän­den abfan­gen. Gera­de bei einem abge­bro­che­nen Auf­steh­vor­gang ist aber damit zu rech­nen, dass der Anwen­der nicht in der Lage ist, das zu tun. Er fällt somit meis­tens unge­bremst in den Stuhl zurück, fühlt sich ver­un­si­chert und kann sich dabei sogar verletzen.

Die Lösung

Wäh­rend Kene­vo für das Auf­ste­hen den Exten­si­ons­wi­der­stand nied­rig schal­tet, ist die Wider­stands­cha­rak­te­ris­tik für das Hin­set­zen in Fle­xi­ons­rich­tung aktiv (1 in Abb. 5). Ab 45° gestreck­ter Posi­ti­on sperrt das Gelenk in Beu­ge­rich­tung (2 in Abb. 5), um ein Zurück­sin­ken zu ver­hin­dern. Soll­te der Anwen­der es nicht schaf­fen, durch die Unter­stüt­zung der Sper­re auf­zu­ste­hen, erkennt das Gelenk­sys­tem über die Raum­la­ge­ein­heit die Rück­wärts­be­we­gung der Hüf­te und schal­tet in die Funk­ti­on zum unter­stütz­ten Hin­set­zen um (3 in Abb. 5).

Der Vor­teil

Soll­te der Anwen­der das Auf­ste­hen abbre­chen und sich doch wie­der hin­set­zen wol­len, wird er vom Kene­vo beim Hin­set­zen unter­stützt. Wenn ihm das Auf­ste­hen fast gelingt, wird ihn das Gelenk mit einer Sper­re unter­stüt­zen. Die Sper­re wird wie­der gelöst, falls der Anwen­der zurück­zu­fal­len droht. Er wird situa­ti­ons­be­dingt in sei­ner Bewe­gung unter­stützt und kann daher auf sei­ne Pro­the­se vertrauen.

Die Schwung­pha­sen­aus­lö­sung im Akti­vi­täts­mo­dus B/B+

Das Bedürf­nis

Anwen­der mit nied­ri­gen Mobi­li­täts­gra­den haben oft ein stark asym­me­tri­sches Gang­mus­ter mit gro­ßer Varia­bi­li­tät. Sie benut­zen oft Geh­hil­fen, die die Belas­tung der Pro­the­se beein­flus­sen. Her­kömm­li­che Tech­no­lo­gien zur Schwung­pha­sen­aus­lö­sung — sei­en sie mecha­nisch oder mecha­tro­nisch – kom­men damit schlecht zurecht, weil die Algo­rith­men auf klar aus­ge­präg­ten Sen­sor­si­gnal­ver­läu­fen beru­hen und fixe Schwell­wer­te ver­wen­den. Die Fol­ge ist, dass der Zeit­punkt der Schwung­pha­sen­aus­lö­sung oft nicht erkannt wird und die Pro­the­se zu haken beginnt (Abb. 6). Dreht man die Schwell­wer­te so weit hin­un­ter, dass die Schwung­pha­se öfter aus­ge­löst wird, besteht wie­der­um die Gefahr, dass das Knie­ge­lenk auch unter Bedin­gun­gen nach­gibt, unter denen dies nicht gewünscht ist. Letzt­end­lich wer­den die Anwen­der oft mit einem Sperr­knie ver­sorgt, wel­ches ihnen die Sta­bi­li­tät gibt, die sie benö­ti­gen, sie aber in ihrer Mobi­li­tät behindert.

Die Lösung

Kene­vo bestimmt die Schwel­le zum Aus­lö­sen der Schwung­pha­se für jeden Schritt neu. Erst wenn die Belas­tung der Pro­the­se in der ter­mi­na­len Stand­pha­se nach dem Maxi­mum abnimmt (Abb. 7) und wenn die Raum­la­ge­ein­heit eine Vor­wärts­nei­gung und eine Vor­wärts­ro­ta­ti­on erkannt hat, wird die Schwung­pha­se frei­ge­schal­tet. Das pas­siert ent­spre­chend dem Bedürf­nis der Anwen­der spä­ter als bei akti­ve­ren Anwen­dern (Abb. 9). Dabei redu­ziert das Knie­ge­lenk den Wider­stand nicht schlag­ar­tig, son­dern ver­rin­gert ihn kon­ti­nu­ier­lich mit sin­ken­der Belas­tung. Soll­te der Anwen­der wider Erwar­ten den Schritt abbre­chen und die Pro­the­se doch wie­der belas­ten, wird der Wider­stand sofort ange­ho­ben, um den Anwen­der zu unter­stüt­zen. Wäh­rend der gesam­ten Schwung­pha­se wird die Pro­the­se durch den Stol­per­schutz Plus (sie­he unten) überwacht.

Der Vor­teil

Der Anwen­der pro­fi­tiert dadurch von der Sicher­heit, dass die Schwung­pha­se weit­ge­hend unab­hän­gig von sei­nem Gang­mus­ter und der Ver­wen­dung von Geh­hil­fen kor­rekt aus­ge­löst wird. Sein Sicher­heits­be­dürf­nis wird gleich­zei­tig mit sei­nem Bedürf­nis nach Mobi­li­tät erfüllt. Er kann auf die Pro­the­se ver­trau­en und damit sei­ne Mobi­li­tät verbessern.

Die Schwung­pha­sen­aus­lö­sung im Akti­vi­täts­mo­dus C

Das Bedürf­nis

Obwohl auch Anwen­der mit hohem Mobi­li­täts­grad 2 durch­aus noch unre­gel­mä­ßi­ge Schrit­te machen und teil­wei­se Geh­hil­fen benut­zen, wäre die Schwung­pha­sen­aus­lö­sung wie zuvor beschrie­ben für ihr dyna­mi­sche­res Geh­ver­hal­ten zu spät und zu lang­sam. Die Pro­the­se könn­te bei man­chen Schrit­ten haken oder sich „zu lang­sam“ anfühlen.

Die Lösung

Kene­vo ver­wen­det im Akti­vi­täts­mo­dus C einen dem Geni­um ver­wand­ten Algo­rith­mus, um die Schwung­pha­se aus­zu­lö­sen. Wenn die Boden­re­ak­ti­ons­kraft wäh­rend der Stand­pha­se über die Fuß­mit­te nach vor­ne gewan­dert ist und gleich­zei­tig die Raum­la­ge­ein­heit eine Vor­wärts­nei­gung und eine Vor­wärts­ro­ta­ti­on erkannt hat, wird die Schwung­pha­se frei­ge­schal­tet (Abb. 8) 2. Der nied­ri­ge Schwung­pha­sen­wi­der­stand wird gegen­über dem Akti­vi­täts­mo­dus B/B+ also frü­her und schnel­ler erreicht (Abb. 9). Auch im Akti­vi­täts­mo­dus C wird die Pro­the­se wäh­rend der gesam­ten Schwung­pha­se durch den Stol­per­schutz Plus (sie­he unten) überwacht.

Der Vor­teil

Da die Lage und nicht die Grö­ße der Boden­re­ak­ti­ons­kraft für die Aus­lö­sung der Schwung­pha­se aus­schlag­ge­bend ist, wer­den Schwan­kun­gen wie z. B. durch ein Abstüt­zen an Geh­hil­fen kom­pen­siert. Das Timing der Aus­lö­sung unter­stützt die Bedürf­nis­se der Anwen­der, die sich in ihrer Reha­bi­li­ta­ti­on schon an der Gren­ze zu Mobi­li­täts­grad 3 befin­den. Kene­vo unter­stützt die zuneh­men­de Mobilität.

Stol­per­schutz Plus

Das Bedürf­nis

Anwen­der mit nied­ri­gen Mobi­li­täts­gra­den haben beschränk­te moto­ri­sche Fähig­kei­ten und Kraft, um ein Stol­pern zu kon­trol­lie­ren. Ein unre­gel­mä­ßi­ges Gang­mus­ter macht aber die Wahr­schein­lich­keit eines Stol­perns z. B. durch ein Hän­gen­blei­ben mit der Zehe in der Schwung­pha­se höher.

Die Lösung

Alle mecha­tro­ni­schen Otto­bock-Knie­ge­len­ke bie­ten anhand der 2‑We­ge-Hydrau­lik und „default­s­tance“ inhä­ren­te Sicher­heit wäh­rend der Schwung­pha­sen­ex­ten­si­on, wäh­rend der ein Hän­gen­blei­ben mit der Zehe meis­tens pas­siert. Wäh­rend der Exten­si­on ist das Fle­xi­ons­ven­til schon prä­ven­tiv auf Stand­pha­sen­wi­der­stand ein­ge­stellt und wird damit bei einer Bewe­gungs­um­kehr durch ein Stol­pern sofort wirk­sam. Der Stol­per­schutz Plus erwei­tert die­ses Kon­zept um zwei Aspek­te: Einer­seits wird der Fle­xi­ons­wi­der­stand wäh­rend der Schwung­pha­sen­ex­ten­si­on über den Wert der Stand­pha­se hin­aus erhöht. So wird in die­ser Situa­ti­on, in der das Gelenk plötz­lich mit hohen Kräf­ten in gebeug­ter Stel­lung belas­tet wird, zusätz­li­che Unter­stüt­zung gege­ben. Ande­rer­seits wird die Bewe­gung des Gelenks auch in der Schwung­pha­sen­fle­xi­on über­wacht. Sobald Kene­vo eine von einer nor­ma­len Schwung­pha­se abwei­chen­de Bewe­gung erkennt, wird der Fle­xi­ons­wi­der­stand eben­so auf einen Wert über dem Stand­pha­sen­wi­der­stand erhöht.

Der Vor­teil

Der erhöh­te Wider­stand unter­stützt den Anwen­der in einer kri­ti­schen Situa­ti­on. Dadurch wird es für ihn leich­ter, ein Stol­pern zu kon­trol­lie­ren und damit das Sturz­ri­si­ko zu reduzieren.

Anwen­der­grup­pen, Akti­vi­täts­mo­di und Funk­tio­nen im Überblick

Durch die unter­schied­li­chen Akti­vi­täts­mo­di eig­net sich das neue Knie­ge­lenk beson­ders gut, um Anwen­der als the­ra­pie­un­ter­stüt­zen­des Hilfs­mit­tel im Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­zess zu beglei­ten. Die Funk­tio­na­li­tät kann an die wach­sen­de Fähig­keit des Anwen­ders oder auch an the­ra­peu­ti­sche Rück­schrit­te ange­passt wer­den. Das zer­ti­fi­zier­te Fach­per­so­nal kann mit­tels einer PC-Ein­stell­soft­ware (K‑Soft) und der im Kene­vo inte­grier­ten Blue­tooth­Schnitt­stel­le die Ein­stel­lun­gen anpas­sen und den Akti­vi­täts­mo­dus wäh­len. Die Ein­stell­soft­ware unter­stützt die Ein­stel­lung mit pati­en­ten­in­di­vi­du­el­len Vor­schlä­gen und beim Auf­bau der Pro­the­se. Die Auf­bau­emp­feh­lung ent­spricht der Otto­bock-Stan­dard­emp­feh­lung für mono­zen­tri­sche, mecha­tro­ni­sche Knie­ge­lenk­sys­te­me wie das C‑Leg.

Design für den Alltag

Neben den Funk­tio­nen zur spe­zi­fi­schen Unter­stüt­zung der Akti­vi­tä­ten des All­tags spielt auch das Gewicht einer Pro­the­se für die­se Anwen­der­grup­pen eine über­pro­por­tio­nal wich­ti­ge Rol­le. So wur­de auf beson­ders kom­pak­tes und leich­tes Design geach­tet. Kene­vo ist mit einer mini­ma­len dista­len Sys­tem­hö­he von 270 mm und einem Gewicht von 915 g deut­lich klei­ner und leich­ter als ande­re mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te Knie­ge­len­ke. Es ist für Anwen­der bis 125 kg Kör­per­ge­wicht freigegeben.

Die induk­ti­ve Lade­ein­heit ist auch für moto­risch ein­ge­schränk­te Anwen­der leicht anzu­le­gen. Der als Zube­hör erhält­li­che Pro­tek­tor bie­tet Schutz für das Gelenk, natür­li­ches Volu­men und ein den Vor­lie­ben der Anwen­der­grup­pe ent­spre­chen­des Design.

Fazit

Das neue Sys­tem wur­de ent­wi­ckelt, um den spe­zi­fi­schen Bedürf­nis­sen von Anwen­dern mit nied­ri­ger Mobi­li­tät gerecht zu wer­den. Die Funk­tio­nen gehen aus einer ganz­heit­li­chen Betrach­tung der Akti­vi­tä­ten des All­tags typi­scher Anwen­der­grup­pen her­vor und erlau­ben es, den Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­zess zu beglei­ten. Zur Bestä­ti­gung der Hypo­the­se wur­den kli­ni­sche Stu­di­en begon­nen, wel­che die guten Ergeb­nis­se des Feld­tests bestä­ti­gen sol­len. Der Her­stel­ler ist über­zeugt, Men­schen mit dem Kene­vo Mobi­li­tät zu ermög­li­chen, die Gefahr lau­fen, die­se voll­stän­dig zu ver­lie­ren, und damit Tech­no­lo­gie denen zugäng­lich zu machen, die sie am meis­ten brauchen.

Für die Autoren:
Dipl.-Ing. Phil­ipp Kam­pas, MBA
Otto Bock Health­ca­re GmbH
Brehm­stra­ße 16 • 1110 Wien
Philipp.Kampas@ottobock.com

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Kam­pas Ph, Sei­fert D. Tech­no­lo­gie und Funk­ti­ons­wei­se eines neu­en Pro­the­senknie­ge­lenk­sys­tems, Ortho­pä­die Tech­nik. 2015; 66 (9): 46–50
Anwendergruppe/Aktivitätsmodus
A
B
C
Unter­stütz­tes Auf­ste­hen und Hinsetzen
ja
jaja
Stand­pha­sen­wi­der­standgesperrt
gesperrt
hoch
Stand­pha­sen­beu­gung
-begrenzt (Mode B+)unbe­grenzt
Schwung­pha­se
-jaja
Stol­per­schutz Plus
-jaja
Intui­ti­ve Stehfunktion
--ja
Roll­stuhl­funk­ti­on
jajaja
Tab. 1 Anwen­der­grup­pen, Akti­vi­täts­mo­di und Funk­tio­nen im Überblick.

 

  1. Kam­pas P, Bell­mann M, Weigl-Pol­lack A. Das neue C‑Leg und sei­ne erwei­ter­ten Funk­tio­nen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2011; 62 (10): 722–727
  2. Kam­pas P, Seyr M. Tech­no­lo­gie und Funk­ti­ons­wei­se des Geni­um-Pro­the­senknie­ge­lenks. Ortho­pä­die Tech­nik, 2011; 62 (12): 898–903
  3. Kan­nen­berg A, Zacha­ri­as B, Pröbs­ting E. Bene­fits of micro­pro­ces­sor pro­sthe­tic kne­es to limi­t­ed com­mu­ni­ty ambu­la­tors: A sys­te­ma­tic review. J Reha­bil Res Dev, 2014; 51 (10): 1469–1496
  4. Haf­ner BJ, Smith DG. Dif­fe­ren­ces in func­tion and safe­ty bet­ween Medi­ca­re Func­tion­al Clas­si­fi­ca­ti­on Level‑2 and ‑3 trans­fe­mo­ral ampu­tees and influence of pro­sthe­tic knee joint con­trol. J Reha­bil Res Dev, 2009; 46 (3): 417–434
  5. Thie­le J, Wes­teb­be B, Bell­mann M, Kraft M. Designs and per­for­mance of micro­pro­ces­sor­con­trol­led knee joints. Bio­med Tech, 2014; 59 (1): 65–77
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