Refe­ren­ten­ent­wurf des neu­en Digitalgesetzes

„Wir begrüßen, dass die Digitalisierung nun weiter voranschreiten kann und das elektronische Rezept (E-Rezept) bald in den Sanitätshäusern Einzug hält. Der vorliegende Referentenentwurf geht in die richtige Richtung, erfordert aber noch Feintuning, damit beispielsweise das E-Rezept die Komplexität und die Kompetenzen des Gesundheitshandwerks, wie beispielsweise die Auswahl des konkreten Versorgungskonzepts, konsequent darstellen kann“, kommentiert Alf Reuter, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT), den Referentenentwurf des „Digitalen Versorgung und Pflege – Modernisierungs-Gesetzes“ (DVPMG).

Der wich­tigs­te Punkt des neuen­ Digi­ta­li­sie­rungs­ge­set­zes aus dem Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um aus Sicht der Hilfs­mit­tel­bran­che ist sicher­lich die Ter­mi­nie­rung bis 2024 für die Anbin­dung an die Tele­ma­tik­in­fra­struk­tur (TI). Das geplan­te Gesetz ver­an­kert die Gesund­heits­hand­wer­ke als fes­ten Bestand­teil der TI, die künf­tig alle Ver­sor­gungs­be­rei­che und Leis­tungs­er­brin­ger im Gesund­heits­we­sen ver­net­zen soll.

Anzei­ge

„Mensch­li­che Zuwen­dung ist Vor­aus­set­zung für gute Pfle­ge. Aber gute Pfle­ge kann noch bes­ser wer­den, wenn sie digi­tal unter­stützt wird. Des­halb machen wir digi­ta­le Anwen­dun­gen jetzt auch für die Pfle­ge nutz­bar. Sinn­vol­le Apps und digi­ta­le Anwen­dun­gen kön­nen Pfle­ge­be­dürf­ti­gen hel­fen, ihren All­tag bes­ser zu bewäl­ti­gen“, erklär­te Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn im Rah­men der Vor­stel­lung des Referentenentwurfs.

Die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te (ePA) zählt zu den zen­tra­len Bau­stei­nen der neu­en digi­ta­len Infra­struk­tur im Gesund­heits­we­sen. Der Refe­ren­ten­ent­wurf zum DVPMG (§341 Abs. 2 Num­mer 11) sieht vor, dass „Ver­ord­nungs- und Dis­pen­sier­in­for­ma­tio­nen elek­tro­ni­scher Ver­ord­nun­gen nach § 360“ in die ePA ein­ge­stellt wer­den kön­nen. Damit erhal­ten nicht­ärzt­li­che Leis­tungs­er­brin­ger – in dem Fall Apo­the­ker – ein Schreib­recht in die Akte. Die Ver­wal­tung der ePA kann somit Teil des Auf­ga­ben­be­reichs eines Leis­tungs­er­brin­gers sein – und wird damit auch für die Hilfs­mit­tel­ver­sor­ger rele­vant. Ins­ge­samt soll­ten die Aus­stat­tungs- und Betriebs­kos­ten, die den Gesund­heits­hand­wer­ken auf­grund der Anbin­dung an die digi­ta­le Infra­struk­tur ent­ste­hen, durch das Sys­tem der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung (GKV-Sys­tem) finan­ziert wer­den. Nach dem Gesetz­ent­wurf (§ 380 Ref­Ent DVPMG) soll dies über Ver­ein­ba­run­gen zwi­schen dem GKV-Spit­zen­ver­band und den maß­geb­li­chen Spit­zen­or­ga­ni­sa­tio­nen der Leis­tungs­er­brin­ger auf Bun­des­ebe­ne gere­gelt wer­den. Aller­dings sei­en die betrieb­li­chen Struk­tu­ren der Gesund­heits­hand­wer­ke sehr hete­ro­gen, wor­aus sich Orga­ni­sa­ti­ons­for­men mit Haupt- und Neben­be­trie­ben, Zen­tral­la­bo­ren/-werk­stät­ten, Filia­len oder mobi­len Diens­ten für die häus­li­che, wohn­ort­na­he Ver­sor­gung ergeben.

Kom­pe­tenz­ent­zug verhindern

Auch beim E‑Rezept müs­se die Ver­ant­wor­tung für indi­vi­du­el­le Ver­sor­gungs­kon­zep­te und Pro­duk­te bei den Fach­leu­ten in den Sani­täts­häu­sern und Ortho­pä­die­tech­nik-Betrie­ben ver­blei­ben, so Reu­ter. „Die Ärz­te legen im Rezept ­ledig­lich die Anwen­dungs­art des Hilfs­mit­tels fest. Dies sind die ers­ten sie­ben Stel­len des zehn­stel­li­gen Codes (10-Stel­lers), mit dem jedes Hilfs­mit­tel im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis (HMV) gelis­tet ist. Die Aus­wahl des kon­kre­ten Arti­kels aus dem HMV obliegt den dafür aus­ge­bil­de­ten Hilfs­mit­tel­leis­tungs­er­brin­gern. Sie ver­voll­stän­di­gen die letz­ten drei Stel­len der ein­deu­ti­gen Iden­ti­fi­ka­ti­ons­num­mer.“ Diese­ Zustän­dig­keit und Kom­pe­tenz schei­nen bei man­cher Kran­ken­kas­se in Ver­ges­sen­heit zu gera­ten, kri­ti­siert Reuter.

Kon­kre­ti­sie­run­gen regt der BIV-OT genau­so im Hin­blick auf Fol­ge­ver­sor­gun­gen mit Hilfs­mit­teln an. So lege § 312 Abs. 1 Num­mer 14 des Refe­ren­ten­ent­wurfs (Ref­Ent) fest, dass die Gema­tik bis zum 1. Janu­ar 2024 alle Maß­nah­men durch­füh­ren sol­le, damit ärzt­li­che Ver­ord­nun­gen im Hilfs­mit­tel­be­reich in elek­tro­ni­scher Form über­mit­telt wer­den kön­nen. Das DVPMG ergänzt das „Gesetz zum Schutz elek­tro­ni­scher Pati­en­ten­da­ten in der Tele­ma­tik­in­fra­struk­tur“ (PDSG) und das „Digi­ta­le-Ver­sor­gung-Gesetz“ (DVG), ­wel­che bei­de die struk­tu­rel­len Ver­än­de­run­gen im Gesund­heits­we­sen vor­an­trei­ben sol­len. Zu den fünf Gesund­heits­hand­wer­ken, die durch das neue Gesetz einen Digi­ta­li­sie­rungs­schub erle­ben kön­nen, gehö­ren Ortho­pä­die-Tech­nik, Ortho­pä­die­schuh­tech­nik, Augen­op­tik, Hör­akus­tik und Zahn­tech­nik. Laut Zen­tral­ver­band des Deut­schen Hand­werks (ZDH) umfas­sen sie 31.100 Betrie­be mit ins­ge­samt 201.554 Beschäf­tig­ten sowie einen Umsatz von knapp über 17 Mil­li­ar­den Euro.

Alf Reu­ter: Nach­jus­tie­rung drin­gend nötig

Alf Reu­ter, Prä­si­dent des Bun­des­in­nungs­ver­ban­des für Ortho­pä­die-Tech­nik (BIV-OT), ord­ne­te den Refe­ren­ten­ent­wurf des neu­en Digi­tal­ge­set­zes DVPMG für sei­nen Ver­band ein und erklärt, war­um die Poli­tik noch wei­te­re Maß­nah­men ergrei­fen sollte.

OT: Herr Reu­ter, das neu­es­te Digi­ta­li­sie­rungs­ge­setz aus dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Gesund­heit mit dem etwas sper­ri­gen Namen „Digi­ta­le Ver­sor­gung und Pfle­ge – Moder­ni­sie­rungs-Gesetz“ (DVPMG) liegt nun als Refe­ren­ten­ent­wurf vor. Wie ist Ihr ­ers­ter Eindruck?

Reu­ter: Grund­sätz­lich ist die­ser Geset­zes­ent­wurf ein Schritt in die rich­ti­ge – digi­ta­le – Rich­tung. Wir haben es mit unse­ren nach­hal­ti­gen For­de­run­gen geschafft, dass nun die Anbin­dung der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung gesetz­lich durch den schritt­wei­sen Anschluss an die Tele­ma­tik­in­fra­struk­tur (TI) ver­an­kert wird. Dadurch haben wir die Mög­lich­keit an digi­ta­len Lösun­gen, wie dem E‑Rezept, zu par­ti­zi­pie­ren. Aller­dings, das muss ich an die­ser Stel­le klar beto­nen, gibt es aus unse­rer Sicht – also vom Bun­des­in­nungs­ver­band für Ortho­pä­die-Tech­nik – noch eini­ge wich­ti­ge Punk­te, wo eine Nach­jus­tie­rung drin­gend nötig ist.

OT: Wel­che Punk­te mei­nen Sie explizit?

Reu­ter: Bereits jetzt haben Apo­the­ken als nicht­ärzt­li­che Leis­tungs­er­brin­ger Schreib­recht z. B. für Dis­pen­sier­in­for­ma­tio­nen in der elek­tro­ni­schen Pati­en­ten­ak­te. Das macht auch Sinn, denn hier sol­len künf­tig alle Infor­ma­tio­nen, die für eine erfolg­rei­che The­ra­pie nötig sind, zusam­men­kom­men. Auch wir tra­gen im Sin­ne des SGB V Ver­ant­wor­tung für das Ver­sor­gungs­kon­zept und müs­sen Infor­ma­tio­nen für ande­re Leis­tungs­er­brin­ger zugäng­lich machen kön­nen. Bei­spiels­wei­se regelt die Hilfs­mit­tel-Richt­li­nie in § 7 Abs. 3 grund­sätz­lich, dass der Ortho­pä­die­tech­ni­ker das konkrete­ Ver­sor­gungs­kon­zept durch den Ein­trag des 10-Stel­lers auf dem Rezept ver­ant­wor­tet und aus­wählt. Wie bei den Apo­the­ken und den Ärz­ten muss die­se Ver­wal­tungs­tä­tig­keit natür­lich auch abre­chen­bar sein, da sie Zeit und Auf­wand kos­tet. Auch in der Aus­stat­tung mit Hard­ware liegt der Teu­fel im Detail. Im Moment sieht das Gesetz ledig­lich sta­tio­nä­re Gerä­te in den Pra­xen und Apo­the­ken vor – doch in unse­rem Gewerk fin­det die Ver­sor­gung mit Hilfs­mit­teln auch viel­fach außer­halb des Laden­ge­schäf­tes statt. Dafür braucht es mobi­le Lösungen.

OT: Die Bar­mer Ersatz­kas­se hat zusam­men mit der HMM Deutsch­land GmbH, als Anbie­ter von Ver­sor­gungs- und Abrech­nungs­lö­sun­gen, bereits einen Pilo­ten für die Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung auf­ge­setzt, um das E‑Rezept zu tes­ten. HMM-Grün­der Istok Kespret schreibt in sei­nem Blog: „… die Wahr­neh­mung der Ärz­te [ist, dass] ins­be­son­de­re der Hilfs­mit­tel­pro­zess intrans­pa­rent, büro­kra­tisch und arbeits­in­ten­siv ist. Hilfs­mit­tel, Ver­trä­ge und das Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis sind unüber­sicht­lich, schwer zu nut­zen in der Anwen­dung, und die Ver­trags­la­ge zwi­schen Kran­ken­kas­sen und Hilfs­mit­tel­leis­tungs­er­brin­gern ist den Ärz­ten in der Regel völ­lig unbe­kannt. Des­we­gen sei die Lösung der eVer­ord­nung von HMM vor allem eine Erleich­te­rung für Ärz­te und Pati­en­ten.“ Was ent­geg­nen Sie ihm?

Reu­ter: Zum einen fin­de ich es sehr beden­kens­wert, wie hier mit Ver­si­cher­ten­gel­dern umge­gan­gen wird. Die Gema­tik ist sei­tens der Bun­des­re­gie­rung beauf­tragt, die Pro­zes­se auf­zu­set­zen und zu regeln. Hier wird schritt­wei­se ver­fah­ren, da vie­le Din­ge zu beach­ten und zu klä­ren sind. Pilo­ten, die im Blind­flug und ohne Abstim­mung mit den Regu­la­ri­en der Gema­tik auf­ge­setzt wer­den, rech­nen mit dem Auf­wand, Din­ge wie­der ein­zu­stamp­fen. Da wird Geld ver­brannt. Zudem haben wir uns die Pilo­ten inzwi­schen ein­mal anse­hen kön­nen und haben hier auch Beden­ken, was die Geset­zes­kon­for­mi­tät angeht. Das SGB V legt gro­ßen Wert auf die Wahl­frei­heit des Pati­en­ten. Schon heu­te kann der Arzt nicht ein­fach von sich aus einen Leis­tungs­er­brin­ger emp­feh­len. Ein lapi­da­res Feld, das den Pati­en­ten fragt, ob er eine Emp­feh­lung sei­tens der Kran­ken­kas­se oder des Arz­tes wünscht, ver­stößt klar gegen das Makel­ver­bot gem. §33 Abs. 6 SGB V. Es wür­de ja auch kei­ner auf die Idee kom­men, dass der Pati­ent mit sei­nem Rezept künf­tig nicht mehr in die Apo­the­ke geht, son­dern es gleich bei sei­ner Kran­ken­kas­se abgibt. Da soll­ten wir die Kir­che schon im Dorf lassen.

OT: Kön­nen Sie denn nach­voll­zie­hen, dass Ärz­te auf Grund ­der Viel­zahl von Ver­trä­gen den Über­blick verlieren?

Reu­ter: Natür­lich. Ich bin selbst Unter­neh­mer und mei­ne Ver­wal­tungs­ab­tei­lung hat bald mehr Mit­ar­bei­ten­de als mei­ne Werk­statt. Aber das steht auf einem ande­ren Blatt. Es stellt sich die Fra­ge, war­um HMM über­haupt meint, dass Ärz­te die Ver­trä­ge ken­nen soll­ten. Ärz­te sind für die Dia­gno­se­stel­lung und die Ver­ord­nung einer Ver­ord­nungs­grup­pe zustän­dig. Als Bei­spiel: Bei einer Ampu­ta­ti­on ver­ord­net der Arzt die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung. Weil wir als Ortho­pä­die­tech­ni­ker für die Ver­sor­gung mit Hilfs­mit­teln aus­ge­bil­det sind, legen wir das kon­kre­te The­ra­pie­kon­zept fest. Wie die ein­zel­nen The­ra­pie­kon­zep­te abzu­rech­nen sind, wird in der Regel von den Ver­bän­den oder Leis­tungs­er­brin­ger­ge­mein­schaf­ten mit den Kran­ken­kas­sen ver­han­delt. Dar­um muss sich also der Arzt gar nicht erst küm­mern. Außer HMM sähe die Ver­sor­gung lie­ber in den Hän­den der Ärz­te­schaft. Auch dies spricht für eine Ver­ken­nung der Versorgungsrealität.

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

 

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