Pro­the­sen­ver­kör­pe­rung und Phantomschmerz

I. Kehl, R. Bekrater-Bodmann
Nach einer Amputation leidet die Mehrheit aller Betroffenen unter Phantomschmerzen. Veränderungen in kortikalen Körperkarten stehen mit den schmerzhaften Empfindungen in Verbindung. Die Nutzung einer funktionellen Prothese ist mit geringeren Phantomschmerzen und geringeren neuronalen Veränderungen verbunden. Es mehren sich die Hinweise, dass der Wahrnehmung der Prothese dabei eine besondere Rolle zukommt: Prothesen, die als Teil des Körpers empfunden werden, könnten die positiven Effekte verstärken. Erste Studien identifizierten die individuellen und technischen Voraussetzungen für die „Verkörperung“ von Prothesen, was wichtige Impulse für die prothetische Rehabilitation der Zukunft geben könnte.

Ein­lei­tung

Die Ampu­ta­ti­on eines Armes oder Bei­nes stellt einen der schwer­wie­gends­ten Ein­grif­fe in die kör­per­li­che Inte­gri­tät eines Men­schen dar. Die Mehr­zahl aller Men­schen mit Ampu­ta­ti­on nimmt den nicht mehr vor­han­de­nen Kör­per­teil als soge­nann­tes Phan­tom wahr. Beson­de­re kli­ni­sche Rele­vanz hat der Phan­tom­schmerz (PSz), also eine schmerz­haf­te Emp­fin­dung, die im Phan­tom und damit außer­halb des phy­si­schen Kör­pers ver­or­tet wird. Etwa 75 % aller Men­schen mit Ampu­ta­ti­on 1 berich­ten über chro­ni­schen PSz, der nur unzu­rei­chend auf medi­ka­men­tö­se The­ra­pien anspricht 2.

Anzei­ge

Kor­ti­ka­le Kör­per­kar­ten und Phantomschmerz

Neben Ver­än­de­run­gen des peri­phe­ren Ner­ven­sys­tems schei­nen vor allem ampu­ta­ti­ons­be­ding­te Anpas­sun­gen des Zen­tral­ner­ven­sys­tems maß­geb­lich an der Ent­ste­hung und Auf­recht­erhal­tung des PSz betei­ligt zu sein. Dem pri­mä­ren soma­to­sen­so­ri­schen Kor­tex (S1) kommt dabei eine beson­de­re Rol­le zu: Tra­di­tio­nell wird die­ser Hirn­be­reich als pri­mä­re Ver­ar­bei­tungs­in­stanz für soma­to­sen­so­ri­sche Infor­ma­tio­nen wie bei­spiels­wei­se Berüh­rungs­rei­ze ange­se­hen; tat­säch­lich ist sei­ne Funk­ti­on jedoch um ein Viel­fa­ches kom­ple­xer, und er scheint maß­geb­lich an sen­so­mo­to­ri­schen Lern­pro­zes­sen betei­ligt zu sein. In S1 ist jeder Teil des Kör­pers in einem eige­nen Bereich reprä­sen­tiert, der in sei­ner Grö­ße der Berüh­rungs­sen­si­ti­vi­tät des jewei­li­gen Kör­per­teils ent­spricht. So ist in die­ser soge­nann­ten Kör­per­kar­te bei­spiels­wei­se die Lip­pe über­pro­por­tio­nal groß und nah zur eben­falls über­pro­por­tio­nal ver­grö­ßer­ten Reprä­sen­ta­ti­on der Hand loka­li­siert. Nach einer Ampu­ta­ti­on ver­schiebt sich die Kör­per­kar­te in S1: Bei Men­schen mit einer Arm­am­pu­ta­ti­on bei­spiels­wei­se brei­tet sich die Reprä­sen­ta­ti­on der Lip­pe in den ehe­ma­li­gen Arm­be­reich aus, sodass die Ner­ven­zel­len die­ser Regi­on von nun an sen­so­ri­sche Infor­ma­tio­nen aus dem Gesicht ver­ar­bei­ten 3. Die­ser als „Reor­ga­ni­sa­ti­on“ bezeich­ne­te Pro­zess stellt ein neu­ro­phy­sio­lo­gi­sches Äqui­va­lent zur ver­än­der­ten Kör­per­in­te­gri­tät nach einer Ampu­ta­ti­on dar. Inter­es­san­ter­wei­se steht das Aus­maß der Reor­ga­ni­sa­ti­on mit der Stär­ke des PSz in direk­ter Rela­ti­on: Je mehr die Lip­pen­re­prä­sen­ta­ti­on in das ehe­ma­li­ge Hand­are­al ein­ge­wan­dert ist, des­to stär­ker ist der PSz 4. Bei Men­schen mit einer Bein­am­pu­ta­ti­on fin­den ver­gleich­ba­re Pro­zes­se statt, die sich jedoch auf ande­re Reprä­sen­ta­tio­nen der Kör­per­kar­te, bei­spiels­wei­se die Hüf­te, bezie­hen. Obwohl die Art des Zusam­men­hangs noch nicht voll­stän­dig geklärt ist, kann ver­mu­tet wer­den, dass die Ver­hin­de­rung oder Rück­gän­gig­ma­chung der Kör­per­kar­ten­ver­än­de­rung einen viel­ver­spre­chen­den Ansatz für die The­ra­pie von PSz dar­stellt. Pro­the­sen könn­ten hier­für beson­ders geeig­net sein.

Pro­the­sen­nut­zung und Phantomschmerz

So wur­de berich­tet, dass die Nut­zung einer akti­ven Arm­pro­the­se, die durch Kon­trak­tio­nen der ver­blie­be­nen Mus­keln im Stumpf bewegt wird, im Ver­gleich zur Nut­zung einer pas­si­ven Pro­the­se mit einem gerin­ge­ren PSz asso­zi­iert ist 5 6. Inter­es­san­ter­wei­se weist der S1 von Men­schen mit Arm­am­pu­ta­ti­on, die eine myo­elek­tri­sche Pro­the­se nut­zen, auch ein gerin­ge­res Aus­maß an Reor­ga­ni­sa­ti­on auf als der S1 von Nut­zern einer kos­me­ti­schen Pro­the­se 7 (Abb. 1a u. b). Die­ser Befund deu­tet dar­auf hin, dass die Erhal­tung oder Wie­der­her­stel­lung mög­lichst natür­li­cher moto­ri­scher Akti­vi­täts­mus­ter dys­funk­tio­na­le Ver­än­de­run­gen in S1 ver­hin­dern kann, die mit PSz in Bezie­hung stehen.

Ein Grund­prin­zip der Gehirn­funk­ti­on im All­ge­mei­nen und der S1-Funk­ti­on im Spe­zi­el­len besteht dar­in, eher auf die wahr­ge­nom­me­ne als auf die phy­si­ka­li­sche Rea­li­tät zu reagie­ren. So zeigt bei­spiels­wei­se die Kör­per­kar­te in S1 adap­ti­ve Anpas­sun­gen, wenn nicht ampu­tier­ten Pro­ban­den durch expe­ri­men­tel­le Mani­pu­la­ti­on der Ein­druck ver­mit­telt wird, ihr Arm sei unna­tür­lich ver­län­gert 8. Die­ser Befund lässt ver­mu­ten, dass auch indi­vi­du­el­le Wahr­neh­mun­gen in Bezug auf die Pro­the­se Ein­fluss auf Gehirn­pro­zes­se von Men­schen mit Ampu­ta­ti­on haben könn­ten. Beson­de­re Bedeu­tung könn­te in die­sem Kon­text einer Wahr­neh­mung zukom­men, die von Exper­ten bereits als ent­schei­dend für den reha­bi­li­ta­ti­ven Erfolg einer pro­the­ti­schen Ver­sor­gung iden­ti­fi­ziert wur­de 9: die Emp­fin­dung, die Pro­the­se sei ein Teil des Körpers.

Kör­per­wahr­neh­mung

Die Über­zeu­gung, dass „mein“ Kör­per der eige­ne ist und somit „mir“ gehört, ist nicht so selbst­ver­ständ­lich, wie es auf den ers­ten Blick erschei­nen mag. Als Grund­la­ge gilt die Inte­gra­ti­on ver­schie­de­ner kör­per­be­zo­ge­ner Sin­nes­ein­drü­cke. Die Gum­mi­hand-Illu­si­on 10 ist ein ein­drucks­vol­les Bei­spiel dafür, wie das Zusam­men­spiel von Sin­nes­ein­drü­cken die Kör­per­wahr­neh­mung beein­flusst. In die­sem expe­ri­men­tel­len Stan­dard­pa­ra­dig­ma wird ein nicht ampu­tier­ter Pro­band gebe­ten, sei­ne bei­den Hän­de mit den Hand­flä­chen nach unten auf eine Tisch­plat­te zu legen. Eine Hand wird nun durch einen Sicht­schutz aus dem Blick­feld ent­fernt. In das Sicht­feld des Pro­ban­den wird – mög­lichst nah an der Posi­ti­on der ver­deck­ten Hand – eine rea­lis­tisch aus­se­hen­de, aber ein­deu­tig künst­li­che Gum­mi­hand gelegt. Wird nun sowohl die künst­li­che sicht­ba­re als auch die eige­ne ver­deck­te Hand gleich­zei­tig mit Pin­seln berührt, berich­tet die Mehr­heit der Pro­ban­den, die künst­li­che Gum­mi­hand als eige­ne Hand wahr­zu­neh­men: Die künst­li­che Hand wird vor­über­ge­hend in die eige­ne Kör­per­re­prä­sen­ta­ti­on inte­griert – ein Pro­zess, der als „Ver­kör­pe­rung“ (engl. „embo­di­ment“) bezeich­net wird. „Ver­kör­pe­rung“ (VK) ist in die­sem Kon­text wört­lich zu ver­ste­hen: Ein künst­li­ches Objekt wird als inte­gra­ler Teil des Kör­pers emp­fun­den (es wird „ver­kör­pert“) und ersetzt zeit­wei­se den bio­lo­gi­schen Kör­per­teil. Wird die Gum­mi­hand bedroht, z. B. durch ein Mes­ser, zei­gen vie­le Stu­di­en­teil­neh­mer Angst­re­ak­tio­nen, die denen ver­gleich­bar sind, die bei Bedro­hung der eige­nen Hand auf­tre­ten 11. Durch ähn­li­che Expe­ri­men­te konn­te gezeigt wer­den, dass das Phä­no­men der VK auf ande­re Kör­per­tei­le als die Hän­de über­tra­gen und auch durch syn­chro­ne Bewe­gun­gen zwi­schen künst­li­chem und rea­lem Kör­per­teil erreicht wer­den kann.

Wel­che Bedeu­tung hat jedoch die­ses Phä­no­men für Men­schen mit Ampu­ta­ti­on, die eine Pro­the­se nut­zen? Inter­es­san­ter­wei­se kann auch bei Per­so­nen, die vor lan­ger Zeit ihren Arm durch Ampu­ta­ti­on ver­lo­ren haben, die Gum­mi­hand-Illu­si­on bei gleich­zei­ti­ger Berüh­rung einer künst­li­chen Hand und des Stump­fes indu­ziert wer­den 12. Die Ver­mu­tung liegt daher nahe, dass auch Pro­the­sen ver­kör­pert wer­den kön­nen und dass hier ver­gleich­ba­re Pro­zes­se wie bei der expe­ri­men­tel­len VK im Rah­men der Gum­mi­hand-Illu­si­on zugrun­de lie­gen. Tat­säch­lich blieb die­ser Aspekt des Pro­the­sen­er­le­bens jedoch lan­ge Zeit von der Wis­sen­schaft unbeachtet.

Ver­kör­pe­rung von Prothesen

Einen Zustand zu errei­chen, in dem ein Nut­zer sei­ne Pro­the­se ver­kör­pert, ist unter meh­re­ren Gesichts­punk­ten ein erstre­bens­wer­tes Ziel der pro­the­ti­schen Reha­bi­li­ta­ti­on: Ver­kör­per­te Pro­the­sen wur­den bereits mit einer sta­bi­le­ren Kör­per­hal­tung 13, einem qua­li­ta­tiv bes­se­ren Pro­the­sen­ge­brauch 14 und einer höhe­ren Zufrie­den­heit in Bezug auf Pro­the­sen­funk­tio­na­li­tät und ‑ästhe­tik in Ver­bin­dung gebracht 15. Die­se Befun­de legen nahe, dass VK das Risi­ko einer Pro­the­sen­ab­leh­nung mini­mie­ren kann. Dar­über hin­aus wird VK als essen­zi­ell für eine intui­ti­ve Pro­the­sen­nut­zung ange­se­hen 16. Auf­grund von Befra­gun­gen zumeist klei­ner Stich­pro­ben war bis­her jedoch unklar, ob über­haupt eine nen­nens­wer­te Zahl von Men­schen mit Ampu­ta­ti­on ihre Pro­the­se ver­kör­pert. Tat­säch­lich zeig­te die Ana­ly­se von 118 Daten­sät­zen zur kürz­lich ver­öf­fent­lich­ten Pro­the­sen-Embo­di­ment-Ska­la 17, dass über 85 % der ein­ge­schlos­se­nen Men­schen mit Bein­am­pu­ta­ti­on ihre Pro­the­se – zumin­dest zu einem gewis­sen Grad – ver­kör­pert hatten.

In wel­chem Aus­maß Men­schen mit Ampu­ta­ti­on ihre Pro­the­se ver­kör­pern, ist von ver­schie­de­nen Fak­to­ren abhän­gig. An einer gro­ßen Stich­pro­be von Men­schen mit Arm- und Bein­am­pu­ta­tio­nen 18 zeig­te sich, dass fol­gen­de Aspek­te die VK der Pro­the­se zu begüns­ti­gen scheinen:

  1. ein jün­ge­res Alter,
  2. ein nied­ri­ge­res Amputationsniveau,
  3. eine höhe­re Fre­quenz der Pro­the­sen­nut­zung und
  4. ein län­ge­res Zurück­lie­gen der Amputation.

Bei Arm­pro­the­sen ist eine funk­tio­nel­le Pro­the­se im Ver­gleich zu einer kos­me­ti­schen mit einem höhe­ren Grad der VK asso­zi­iert; Bein­pro­the­sen wer­den häu­fi­ger als Teil des eige­nen Kör­pers emp­fun­den, wenn sie in modu­la­rer Bau­wei­se – im Unter­schied zur Scha­len­bau­wei­se – ange­fer­tigt wur­den 19. Die­se Befun­de beto­nen die Bedeu­tung nut­zungs­ab­hän­gi­ger Effek­te für die VK von Pro­the­sen, die umso leich­ter statt­fin­det, wenn die Funk­ti­ons­wei­se einer Pro­the­se auf natur­na­hen Prin­zi­pi­en beruht.

In einer ande­ren Stu­die, die nur an Men­schen mit Bein­am­pu­ta­ti­on durch­ge­führt wur­de, wur­den des Wei­te­ren ein rea­lis­ti­sches Aus­se­hen der Pro­the­se, eine gute Stumpf­bet­tung und eine gute Stumpf­ge­sund­heit als wich­ti­ge mit der VK von Pro­the­sen zusam­men­hän­gen­de Fak­to­ren iden­ti­fi­ziert 20. Obwohl die Wahr­neh­mung eines Phan­toms (Abb. 2a) per se wohl kei­nen Prä­dik­tor für die VK einer Pro­the­se dar­stellt, legt eine vor­läu­fi­ge Aus­wer­tung eige­ner unver­öf­fent­lich­ter Daten nahe, dass das Gefühl, das Phan­tom über­la­ge­re die Pro­the­se und bil­de mit ihr eine Ein­heit (Abb. 2b), posi­tiv mit der VK zusam­men­hängt; weicht das Phan­tom der Pro­the­se aus und wird iso­liert von ihr wahr­ge­nom­men, ist die VK gerin­ger (Abb. 2c). Die­ses Ergeb­nis deu­tet dar­auf hin, dass eine erfolg­rei­che Phan­tom-Pro­the­se-Inter­ak­ti­on das Erle­ben von VK begüns­ti­gen kann. Die For­schung zu den Vor­aus­set­zun­gen von VK steht aller­dings erst am Anfang, sodass die Bedeu­tung der hier berich­te­ten Effek­te bis­her noch nicht abschlie­ßend bewer­tet wer­den kann.

Pro­the­sen­ver­kör­pe­rung und Phantomschmerz

Wie oben beschrie­ben, ten­diert das Gehirn zu wahr­neh­mungs­ab­hän­gi­gen Reak­tio­nen. Daher kann ver­mu­tet wer­den, dass die Pro­the­sen­wahr­neh­mung im All­ge­mei­nen und die VK von Pro­the­sen im Spe­zi­el­len einen Zusam­men­hang mit PSz auf­wei­sen könn­ten. Tat­säch­lich wur­de ein sol­cher Zusam­men­hang im Rah­men einer deutsch­land­wei­ten Befra­gung ermit­telt 21:

  • Men­schen mit Ampu­ta­tio­nen, die ihre Pro­the­se als Fremd­kör­per beschrie­ben, lit­ten zu etwa 88 % an PSz;
  • Men­schen mit Ampu­ta­tio­nen, die ihre Pro­the­se als Teil des Kör­pers emp­fan­den, gaben hin­ge­gen nur eine Prä­va­lenz von etwa 62 % an.

Da aller­dings die VK von Pro­the­sen – wie oben aus­ge­führt – von vie­len Fak­to­ren abhängt, die selbst PSz modu­lie­ren kön­nen, ist die Bewer­tung die­ses Zusam­men­hangs nicht eindeutig.

Die aktu­el­le Stu­die 22 eines der Autoren des vor­lie­gen­den Arti­kels hat­te eine tie­fer­ge­hen­de Ana­ly­se des Phä­no­mens zum Ziel. Zusam­men mit Kol­le­gen wur­de die VK von Pro­the­sen in einer Stich­pro­be von mehr als 2.200 pro­the­sen­nut­zen­den Men­schen mit Arm- und Bein­am­pu­ta­tio­nen erfasst: Auf einer Ska­la von 0 („Die Pro­the­se ist ein Fremd­kör­per“) bis 10 („Die Pro­the­se ist mit mei­nem Kör­per ver­schmol­zen“) soll­ten die Pro­ban­den ihre Pro­the­sen­wahr­neh­mung cha­rak­te­ri­sie­ren. Neben demo­gra­fi­schen Daten der Teil­neh­mer wur­den fol­gen­de zusätz­li­che Infor­ma­tio­nen erhoben:

  • zur Ampu­ta­ti­on (z. B. Zeit seit der Ampu­ta­ti­on, Ampu­ta­ti­ons­hö­he oder Sei­te der Amputation),
  • zur Pro­the­se (z. B. Nut­zungs­fre­quenz) und
  • zu Schmer­zen (PSz, Stumpfschmerz).

Es zeig­te sich, dass Per­so­nen, die ihre Pro­the­se stark ver­kör­per­ten, eine um 34 % gerin­ge­re Prä­va­lenz für PSz auf­wie­sen als Per­so­nen, die ihre Pro­the­se deut­lich als Fremd­kör­per wahr­nah­men (Abb. 3a). Ver­gleich­ba­re Ergeb­nis­se zeig­ten sich, wenn nur die­je­ni­gen Pro­ban­den betrach­tet wur­den, die über­haupt über PSz klag­ten: Men­schen mit Ampu­ta­tio­nen, die die Pro­the­se als stark mit dem Kör­per ver­schmol­zen wahr­nah­men, hat­ten eine um 38 % gerin­ge­re PSz-Inten­si­tät ver­gli­chen mit Pro­ban­den, die über kei­ne VK berich­te­ten (Abb. 3b). Für Stumpf­schmerz gab es weni­ger deut­li­che Effekte.

Ent­schei­dend war jedoch das Ergeb­nis einer wei­te­ren Ana­ly­se, in der die Effek­te ande­rer Varia­blen (z. B. Ampu­ta­ti­ons­ni­veau und Pro­the­sen­nut­zungs­fre­quenz) sta­tis­tisch kon­trol­liert wur­den: Hier zeig­te sich, dass die VK der Pro­the­se signi­fi­kant nega­tiv mit PSz asso­zi­iert war, wäh­rend die Fre­quenz der Pro­the­sen­nut­zung für sich genom­men kei­nen signi­fi­kan­ten Zusam­men­hang zeig­te. Dies deu­tet dar­auf hin, dass wahr­neh­mungs­ab­hän­gi­ge Effek­te der Pro­the­sen­nut­zung eine ent­schei­den­de Rol­le für das Erle­ben von PSz spie­len könn­ten: Ver­mut­lich nor­ma­li­siert die Pro­the­sen­nut­zung die durch die Ampu­ta­ti­on gestör­te Inte­gra­ti­on sen­so­ri­scher und moto­ri­scher Infor­ma­tio­nen, was durch eine ver­kör­per­te Wahr­neh­mung der Pro­the­se noch ver­stärkt wird. Soll­te sich die­se Ver­mu­tung bestä­ti­gen, könn­te dies bedeu­ten, dass eine hoch­gra­dig ver­kör­per­te Pro­the­se die mit dem PSz zusam­men­hän­gen­den Gehirn­ver­än­de­run­gen ver­hin­dern oder sogar rück­gän­gig machen könn­te. Tat­säch­lich deu­ten eige­ne, unver­öf­fent­lich­te Daten dar­auf hin, dass die VK der Pro­the­se mit einer nor­ma­li­sier­ten Kör­per­kar­te in S1 asso­zi­iert ist. Die Fra­ge jedoch, ob die Zusam­men­hän­ge kau­sa­ler Natur sind, kann noch nicht abschlie­ßend beant­wor­tet werden.

Fazit und Ausblick

Das Erle­ben von PSz nach einer Ampu­ta­ti­on hängt mit Reor­ga­ni­sa­ti­ons­pro­zes­sen der Kör­per­kar­te in S1 zusam­men. Funk­tio­nel­le Pro­the­sen schei­nen sowohl die dys­funk­tio­na­len Gehirn­ver­än­de­run­gen als auch PSz zu redu­zie­ren. Das Grund­prin­zip des Gehirns, auf die wahr­ge­nom­me­ne Rea­li­tät zu reagie­ren, könn­te dem posi­ti­ven Effekt auf den PSz im Zusam­men­hang mit ver­kör­per­ten Pro­the­sen zugrun­de lie­gen. Somit emp­fiehlt es sich, die Wahr­neh­mung eines Men­schen mit Ampu­ta­ti­on in Bezug auf sei­ne Pro­the­se in den Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­zess mit einzubeziehen.

Tech­ni­sche Lösun­gen, die den Fokus auf eine natur­na­he Sen­so­rik und Moto­rik legen, könn­ten in der Zukunft bes­se­re Vor­aus­set­zun­gen für die VK einer Pro­the­se schaf­fen. Obwohl der all­täg­li­che Ein­satz von „füh­len­den“ Pro­the­sen noch eine Her­aus­for­de­rung dar­stellt, zei­gen ers­te Stu­di­en, dass Arm- 23 24 und Bein­pro­the­sen 25, die Berüh­run­gen an die Haut des Stumpfs rück­mel­den, mit einem erhöh­ten Aus­maß von VK asso­zi­iert sind. Weil sol­che Pro­the­sen dem Gehirn sen­so­ri­sche Infor­ma­tio­nen zur Ver­fü­gung stel­len, die durch die Ampu­ta­ti­on ver­lo­ren gegan­gen sind, führt ihre Nut­zung auch zu gerin­ge­rem PSz 26 27.

Für die VK funk­tio­nel­ler Pro­the­sen ist des Wei­te­ren die Bewe­gungs­kon­trol­le von Bedeu­tung 28 29: Unter­su­chun­gen legen nahe, dass Ver­zö­ge­run­gen zwi­schen der Bewe­gungs­in­itia­ti­on – im Fall von Men­schen mit Ampu­ta­tio­nen abge­lei­tet z. B. von Mus­keln im Stumpf – und der Ansteue­rung der Pro­the­se mög­lichst klein gehal­ten wer­den soll­ten, da sonst nega­ti­ve Effek­te für die VK zu erwar­ten sind (vgl. 30).

Gegen­wär­tig wird an tech­ni­schen Umset­zun­gen gear­bei­tet, die die sen­so­ri­schen und moto­ri­schen Infor­ma­tio­nen nicht mehr nur an die Haut über­tra­gen oder von die­ser ablei­ten, son­dern das Ner­ven­sys­tem direkt mit ein­be­zie­hen 31. Die Unmit­tel­bar­keit der Infor­ma­ti­ons­über­tra­gung erscheint für die VK von Pro­the­sen und die asso­zi­ier­ten posi­ti­ven Effek­te auf Hirn­or­ga­ni­sa­ti­on und PSz beson­ders viel­ver­spre­chend, wenn­gleich sie noch über­wie­gend expe­ri­men­tel­ler Natur sind.

Auch bestimm­te Ampu­ta­ti­ons­tech­ni­ken könn­ten geeig­net sein, dem Nut­zer einer Pro­the­se ein mög­lichst natur­na­hes Erle­ben des künst­li­chen Kör­per­teils zu ermög­li­chen. So wer­den bei­spiels­wei­se bei der soge­nann­ten geziel­ten Mus­kel-Neu­ver­bin­dung (engl. „tar­ge­ted mus­cle rein­ner­va­ti­on“) die moto­ri­schen Ner­ven­strän­ge, die den ver­lo­re­nen Kör­per­teil steu­er­ten, mit intak­tem Mus­kel­ge­we­be ver­bun­den, sodass spä­ter eine intui­ti­ve Steue­rung von Pro­the­sen mög­lich ist 32. Bei einer wei­te­ren Tech­nik für elek­ti­ve Ampu­ta­tio­nen, der soge­nann­ten Ewing-Ampu­ta­ti­on 33, wer­den Mus­kel­paa­re aus dem ampu­tier­ten Bein in den Stumpf ver­legt, die anschlie­ßend für die Pro­the­sen­an­steue­rung genutzt wer­den kön­nen. Bei­de Ampu­ta­ti­ons­tech­ni­ken könn­ten durch die intak­te Moto­rik und Sen­so­rik die VK von Pro­the­sen begüns­ti­gen, was auch zu den berich­te­ten posi­ti­ven Befun­den in Bezug auf PSz bei­tra­gen könn­te 34 35. Auf die­se Wei­se könn­ten chir­ur­gi­sche und pro­the­ti­sche Ver­sor­gung in Zukunft zusam­men­wir­ken, um die wahr­ge­nom­me­ne kör­per­li­che Inte­gri­tät nach einer Ampu­ta­ti­on wie­der­her­zu­stel­len. Wei­te­re Unter­su­chun­gen müs­sen jedoch noch die genau­en psy­cho­bio­lo­gi­schen Mecha­nis­men bes­ser cha­rak­te­ri­sie­ren, um die VK von Pro­the­sen gezielt für die The­ra­pie von PSz einzusetzen.

Hin­weis

Die­se Arbeit wur­de von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft geför­dert (BE 5723/4–1).

Für die Autoren:
Dipl.-Psych. Dr. Robin Bekrater-Bodmann
Insti­tut für Neu­ro­psy­cho­lo­gie und
Kli­ni­sche Psychologie
Zen­tral­in­sti­tut für See­li­sche Gesundheit
Qua­drat J5
68159 Mann­heim
r.bekrater-bodmann@zi-mannheim.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Kehl I, Bekra­ter-Bod­mann R. Pro­the­sen­ver­kör­pe­rung und Phan­tom­schmerz. Ortho­pä­die Tech­nik, 2021; 72 (5): 44–48

 

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