Moder­ne Stumpf­chir­ur­gie: (plas­tisch-) chir­ur­gi­sche The­ra­pie­op­tio­nen bei loka­li­sier­ba­ren Stumpfschmerzen

J. Ernst, D. Liebetanz, C. Halsband, D. Wüstefeld, E. Andres, J. Siegel, H. Stinus, F. Braatz, H. Burchhardt, A. F. Schilling, W. Lehmann, G. Felmerer
Chirurgische Revisionen sind bei Stumpfschmerzen indiziert, bei de­nen eine eindeutige Pathologie identifizierbar und lokalisierbar ist. Moderne Chirurgie eröffnet man­nigfaltige, innovative Therapieop­tionen. Wo es keine offensichtliche Pathologie gibt, ist es empfehlens­wert, eine chirurgische Revision des Stumpfes zu vermeiden und die dif­fusen Schmerzen ähnlich wie Phan­tomschmerzen gemeinsam mit spe­zialisierten Schmerztherapeuten zu behandeln.

Phan­tom­emp­fin­den, Stumpf­schmer­zen und Phantomschmerz

Nach der Ampu­ta­ti­on eines Kör­per­teils, ins­be­son­de­re von Extre­mi­tä­ten, kön­nen drei ver­schie­de­ne Phäno­mene auf­tre­ten: 1. Phan­tom­emp­fin­den, 2. Stumpf­schmer­zen, 3. Phan­tom­schmerz 1. Die­se drei Phä­no­me­ne bedin­gen sich mit­un­ter gegen­sei­tig 2. Ihre Dif­fe­ren­zie­rung ist daher essen­zi­ell für eine geziel­te Therapie:

1. Phan­tom­emp­fin­den beschreibt das Emp­fin­den ampu­tier­ter Kör­per­tei­le. Die­se „Phan­tom­emp­fin­dun­gen“ tre­ten in der Regel sofort nach der Ampu­ta­ti­on oder Tage oder sogar Wochen danach ver­zö­gert auf. Die­se Emp­fin­dun­gen haben eine varia­ble Dau­er 13. Phan­tom­emp­fin­den ist sel­ten ein kli­ni­sches Pro­blem, denn defi­ni­ti­ons­ge­mäß ist es nicht schmerz­haft und tritt nahe­zu regel­haft auf 13. Die Auf­klä­rung der Pati­en­ten über die Mög­lich­keit die­ser Emp­fin­dun­gen ist sehr wich­tig, vor allem bei Kin­dern, um dar­aus erwach­sen­de Ängs­te über­win­den zu kön­nen 3.

2. Stumpf­schmer­zen sind zunächst ein aku­ter nozi­zep­ti­ver Schmerz (ein Schmerz, der über Schmerz­re­zep­to­ren ver­mit­telt wird), der unmit­tel­bar nach der Ampu­ta­ti­on auf­tritt und in der Regel nach eini­gen Wochen, wenn die Wun­de am Ampu­ta­ti­ons­stumpf geheilt ist, abnimmt 3. Infek­tio­nen oder Wund­de­his­zen­zen kön­nen die­se post­ope­ra­ti­ven Schmer­zen pro­lon­gie­ren. In eini­gen Fäl­len kön­nen Stumpf­schmer­zen aller­dings über die Pha­se der Wund­hei­lung hin­aus über Mona­te oder Jah­re persistieren.

3. Phan­tom­schmer­zen tre­ten nor­ma­ler­wei­se inner­halb der ers­ten Woche nach einer Ampu­ta­ti­on auf. Sie kön­nen sich aber auch Mona­te oder Jah­re danach ent­wi­ckeln 12. Phan­tom­schmer­zen kön­nen unter­schied­li­che Qua­li­tä­ten haben; Bei­spie­le sind eine „elek­tri­sche“, „ein­schie­ßen­de“, „bren­nen­de“ oder „kramp­fen­de“ Schmerz­qua­li­tät 4. Cha­rak­te­ris­ti­scher­wei­se sind Phan­tom­schmer­zen im dista­len Bereich des Phan­tom­glie­des loka­li­siert. Eini­ge betrof­fe­ne Ampu­tier­te berich­ten einen kon­stan­ten Schmerz unter­schied­li­cher Inten­si­tät; ande­re erle­ben inter­mit­tie­ren­de Epi­so­den hoch­in­ten­si­ver Schmer­zen in einer täg­li­chen, wöchent­li­chen oder weni­ger häu­fi­gen Fre­quenz. Die Dau­er der Sym­pto­me ist unvor­her­seh­bar. Wenn der Phan­tom­schmerz län­ger als sechs Mona­te bestehen bleibt, ist die Pro­gno­se für spon­ta­ne Ver­bes­se­rung schlecht 14. Peri­phe­re, spi­na­le und supra­spi­na­le Mecha­nis­men wer­den für die Ent­ste­hung die­ser Schmerz­qua­li­tät ver­ant­wort­lich gemacht 1.

Inzi­den­zen

50 bis 80 % der Ampu­tier­ten lei­den unter Phan­tom­schmer­zen 15; 25 % der Betrof­fe­nen lei­den 15 Stun­den am Tag dar­an, 20 % für min­des­tens eine Stun­de täg­lich 6. Bei 12 % der Ampu­tier­ten tritt die­ser Schmerz unmit­tel­bar nach der Ampu­ta­ti­on auf, bei 2 % in einem Inter­vall von drei Wochen 7 . 13 bis 71 % der Ampu­tier­ten lei­den unter Stumpf­schmer­zen 8. Stumpf­schmer­zen wur­den bei 66 % der Pati­en­ten mit Phan­tom­schmer­zen und bei 50 % der Pati­en­ten ohne Phan­tom­schmer­zen fest­ge­stellt 6. Lang­zeit­stumpf­schmer­zen sind nega­tiv pro­gnos­tisch für das Auf­tre­ten lang­fris­ti­ger Phan­tom­schmer­zen 6. Es konn­te gezeigt wer­den, dass Stumpf­schmer­zen, die in der ers­ten post­ope­ra­ti­ven Woche auf­tra­ten, mit dem Auf­tre­ten von Phan­tom­schmer­zen in der ers­ten post­ope­ra­ti­ven Woche kor­re­lie­ren 2. Der Prä­ven­ti­on von Stumpf­schmer­zen kommt somit ein bedeu­ten­der Stel­len­wert zu 9.

Inter­dis­zi­pli­nä­re The­ra­pie des Stumpfschmerzes

Die Behand­lung anhal­ten­der Stumpf­schmer­zen kann sehr schwie­rig sein 310: Die davon betrof­fe­nen Pati­en­ten haben neben dem gra­vie­ren­den Ereig­nis der Ampu­ta­ti­on häu­fig eine frus­tra­ne medi­zi­ni­sche und ortho­pä­die­tech­ni­sche His­to­rie erlebt. Die adäqua­te Behand­lung und das Manage­ment der Stumpf­schmer­zen hän­gen vor allem von ihrer Ursa­che ab 3. Ent­spre­chend ist zunächst eine prä­zi­se Dia­gnos­tik unter Ein­be­zie­hung der Phy­sio- und Ergo­the­ra­peu­ten, der Reha­bi­li­ta­ti­ons­ein­rich­tung und des ver­sor­gen­den Ortho­pä­die-Tech­ni­kers für den The­ra­pie­er­folg grundlegend.

Der über­wie­gen­de Anteil der Ampu­tier­ten schil­dert emp­find­li­che Stel­len am Stumpf. In man­chen Fäl­len von Stumpf­schmer­zen ist es mög­lich, sie nicht-inva­siv durch kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie­maß­nah­men (Desen­si­bi­li­sie­rung bei schmerz­haf­ten Stumpf­n­eu­ro­men), die Opti­mie­rung von Pro­the­sen­pass­tei­len und die Anpas­sung inno­va­ti­ver Schaft­tech­no­lo­gien zu lösen. In der Ver­gan­gen­heit zeig­ten explo­ra­ti­ve chir­ur­gi­sche Ein­grif­fe – das heißt Ope­ra­tio­nen, die haupt­säch­lich durch­ge­führt wur­den, um die Ursa­che der Beschwer­den zu ermit­teln – kei­ne zufrie­den­stel­len­den­post­ope­ra­ti­ven Ergeb­nis­se 610. Chir­ur­gi­sche Revi­sio­nen sind daher den Stumpf­schmer­zen vor­be­hal­ten, bei denen eine Patho­lo­gie iden­ti­fi­zier­bar und loka­li­sier­bar ist. Dies sind zum Bei­spiel Kno­chen­frag­men­te, Kno­chen­se­ques­ter, Haut­lä­sio­nen, insuf­fi­zi­en­ter Weich­teil­man­tel, Nar­ben­ge­we­be, abge­rutsch­te Mus­kel­sch­lin­gen, schmerz­haf­te Neu­ro­me, Osteo­mye­li­tis oder Abs­zes­se 3610.

Die Abbil­dun­gen 1a und b zei­gen den an der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Göt­tin­gen eta­blier­ten inter­dis­zi­pli­nä­ren Dia­gnos­tik- und The­ra­pie­pfad zur Behand­lung the­ra­pie­re­frak­tä­rer Stumpfschmerzen.

Team der interdiszipli­nären Sprechstunde

Die inter­dis­zi­pli­nä­re Sprech­stun­de umfasst Chir­ur­gen, Neu­ro­lo­gen, Ortho­pä­die-Tech­ni­ker, spe­zia­li­sier­te Phy­sio­the­ra­peu­ten und Ergo­the­ra­peu­ten. Im Ver­sor­gungs­raum Göt­tin­gen han­delt es sich dabei um ein fes­tes Team. Für Pati­en­ten außer­halb des Ver­sor­gungs­raums wer­den die behan­deln­den Tech­ni­ker und The­ra­peu­ten mit zum Kon­sul­ta­ti­ons­ter­min in die Sprech­stun­de ein­ge­la­den. Die­se inter­dis­zi­pli­nä­re Arbeits­wei­se hat deut­li­che Vor­tei­le gezeigt, da das kom­ple­xe Krank­heits­bild der Stumpf­schmer­zen auf die­se Wei­se mul­ti­mo­dal behan­delt wer­den kann.

Die Pati­en­ten wer­den auf­ge­for­dert, ihre bis­he­ri­gen pro­the­ti­schen Ver­sor­gun­gen und Schaft­sys­te­me in die Sprech­stun­de mit­zu­brin­gen. Mit­tels einer initia­len Ana­mne­se, einer kli­ni­schen Unter­su­chung des Stump­fes, einer Inspek­ti­on und Unter­su­chung der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung sowie einer Basis­dia­gnos­tik gilt es zunächst den Stumpf­schmerz von Phan­tom­emp­fin­den oder Phan­tom­schmer­zen abzu­gren­zen oder Misch­for­men zu iden­ti­fi­zie­ren. Die­se Dif­fe­ren­zie­rung ist ele­men­tar, da Phan­tom­schmer­zen vor allem medi­ka­men­tös oder durch the­ra­peu­ti­sche Maß­nah­men wie Spie­gel­the­ra­pie, nicht aber durch chir­ur­gi­sche Ein­grif­fe erfolg­reich behan­delt wer­den kön­nen. Zudem erge­ben sich aus der Ana­mne­se und der kli­ni­schen Unter­su­chung Hin­wei­se, ob die zugrun­de­lie­gen­de Patho­lo­gie des Stumpf­schmer­zes weich­tei­li­ger, neu­r­a­ler, knö­cher­ner oder ent­zünd­li­cher Ätio­lo­gie ist. Es kön­nen auch Misch­for­men vorliegen.

Weich­tei­li­ge Pathologien

Häu­fig füh­ren Nar­ben zu Schmer­zen am Stumpf 7 . Ein­ge­zo­ge­ne oder hyper­tro­phe Nar­ben kön­nen den Tra­ge­kom­fort der Pro­the­se trotz inno­va­ti­ver Schaft­tech­no­lo­gien ein­schrän­ken. Gelen­küber­grei­fen­de Nar­ben kön­nen zu Bewe­gungs­ein­schrän­kun­gen durch soge­nann­te Nar­ben­kon­trak­tu­ren füh­ren. Eine Resek­ti­on des Nar­ben­ge­we­bes oder mul­ti­ple Z‑Plastiken ent­fer­nen das stö­ren­de, schmerz­haf­te und bewe­gungs­li­mi­tie­ren­de Gewebe.

Bei trau­ma­ti­schen Ampu­ta­tio­nen ist der Stumpf häu­fig mit Spalt­haut gedeckt. Es fehlt das abpols­tern­de sub­ku­ta­ne Fett­ge­we­be, das zugleich auch Gleit­la­ger ist. Bei mus­ku­lär sehr atro­phen Ampu­ta­ti­ons­stümp­fen kön­nen knö­cher­ne Struk­tu­ren in der Belas­tungs­zo­ne pal­pa­bel sein und füh­ren auf­grund des feh­len­den Weich­teil­pols­ters eben­falls zu Druck­stel­len und Schmer­zen. Dies kann auch bei dis­lo­zier­ten Mus­kel­sch­lin­gen auf­tre­ten. Loka­le oder freie (Muskel-)Lappenplastiken kön­nen in sol­chen Fäl­len eine nach­hal­ti­ge Lösung bie­ten. Bei Inak­ti­vi­täts­atro­phien auf­grund län­ge­rer Bett­lä­ge­rig­keit kann trans­ku­ta­ne Elek­tro­sti­mu­la­ti­on neben Phy­sio­the­ra­pie hel­fen, die Mus­ku­la­tur wie­der aufzubauen.

Ein kom­ple­xes Pro­blem stel­len chro­ni­sche Wun­den dar. Hier gilt es Risi­ko­fak­to­ren zu iden­ti­fi­zie­ren. Eine unzu­rei­chen­de Durch­blu­tung, ein uner­kann­ter oder insuf­fi­zi­ent ein­ge­stell­ter Dia­be­tes mel­li­tus, Niko­tin­ab­usus, Poly­neu­ro­pa­thien, Immun­de­fi­zi­en­zen, All­er­gien gegen Schaft­ma­te­ria­li­en oder ein Eiweiß­man­gel soll­ten aus­ge­schlos­sen wer­den 11.

Bei kli­ni­schen und labor­che­mi­schen Ent­zün­dungs­zei­chen (Rötung, Schwel­lung) soll­te ein Wund­ab­strich mit kal­ku­lier­ter Anti­bio­ti­ka­the­ra­pie erfol­gen. In die­sem Fall soll­te eine Osteo­mye­li­tis oder ein Abs­zess glei­cher­ma­ßen durch wei­ter­füh­ren­de bild­ge­ben­de Dia­gnos­tik (MRT, 2‑Pha­sen-Kno­chen­szin­ti­gra­phie) aus­ge­schlos­sen wer­den. Die kom­ple­xe chir­ur­gi­sche Sanie­rung einer Osteo­mye­li­tis erfolgt in Koope­ra­ti­on mit den Chir­ur­gen der Ortho­pä­die, z. B. durch intra­me­dul­lä­re mus­ku­lä­re Lap­pen­plas­ti­ken (Tech­nik nach Baum­gart­ner) (Abb. 2a u. b). Eine nicht­in­va­si­ve The­ra­pie­op­ti­on bei infi­zier­ten Wun­den und Mikro­zir­ku­la­ti­ons­stö­run­gen, wie sie häu­fig bei Dia­be­ti­kern auf­ tre­ten, bie­tet die Behand­lung mit medi­zi­ni­schem Kalt­plas­ma („di_CAP Plas­ma­Derm®“). Über eine anti­mi­kro­biel­le und durch­blu­tungs­stei­gern­de Wir­kung kann der Hei­lungs­ver­lauf chro­ni­scher Wun­den posi­tiv beein­flusst wer­den 12. Sofern kei­ne der oben genann­ten Risi­ko­fak­to­ren iden­ti­fi­ziert wer­den konn­ten, soll­te über eine Biop­sie eine mali­gne Grund­er­kran­kung wie z. B. ein Plat­ten­epi­thel­kar­zi­nom aus­geschlossen werden.

Ossä­re Pathologien

Druck­schmer­zen ohne sicht­ba­re Druck­stel­len kön­nen mit schar­fen Kno­chen­frag­men­ten am Stump­fen­de oder Fremd­kör­pern asso­zi­iert sein. Rönt­gen­bil­der oder zusätz­li­che fein­schich­ti­ge CT-Auf­nah­men loka­li­sie­ren die­se Patho­lo­gien. Eine chir­ur­gi­sche Resek­ti­on ermög­licht eine nach­hal­ti­ge Endbelastung.

Neu­r­a­le Pathologien

Neu­ro­me sind eine reak­ti­ve Gewebs­neu­bil­dung, die ent­we­der post­trau­ma­tisch aus rege­ne­rie­ren­den Axo­nen, Schwann-Zel­len und peri­neu­r­a­lem Hüll­ge­we­be der neu gebil­de­ten Ner­ven­fas­zi­kel besteht oder auf­grund von Druck­be­las­tun­gen als Fibro­se des peri­neu­r­a­len Hüll­ge­we­bes ent­ste­hen kann 7 . Nar­bi­ges Gewe­be aus der Umge­bung oder eine ober­fläch­li­che Loka­li­sa­ti­on der Ner­ven­stümp­fe in einer Belas­tungs­zo­ne kön­nen durch unver­hält­nis­mä­ßi­ge Druck­be­las­tun­gen zu Neu­rom­schmer­zen füh­ren. Der Schmerz wird von den Betrof­fe­nen als „ein­schie­ßend“, „aus­strah­lend“ und „elek­trisch“ beschrie­ben. Cha­rak­te­ris­tisch ist eben­so, dass mul­ti­ple Schaft­sys­te­me, ein ange­pass­ter Pro­the­sen­auf­bau und mul­ti­mo­da­le medi­ka­men­tö­se The­ra­pie­re­gime zu kei­ner Schmerz­lin­de­rung füh­ren. Neu­rom­schmer­zen sind akri­bisch von Phan­tom­schmer­zen abzu­gren­zen, da Neu­ro­me chir­ur­gisch, Phan­tom­schmer­zen dahin­ge­gen medi­ka­men­tös oder durch the­ra­peu­ti­sche Maß­nah­men wie Spie­gel­the­ra­pie behan­delt wer­den 31013.

Kli­nisch impo­nie­ren die trau­ma­ti­schen Neu­ro­me durch ein „Hoff­mann­Ti­nel-Zei­chen“. Die­ser durch Beklop­fen aus­lös­ba­re Schmerz mikro­ana­to­mi­scher bul­bö­ser Enden rege­ne­rie­ren­der Axo­ne wird auch „Hoffmann’sches Klopf­zei­chen“ genannt. Das „Hoff­mann-Tinel-Zei­chen“ beschreibt die abnor­me Irri­tier­bar­keit von Ner­ven­fa­sern mit unzu­rei­chen­der Bemar­kung der Axo­ne 14. Der durch den mecha­ni­schen Sti­mu­lus pro­vo­zier­ba­re Schmerz wird cha­rak­te­ris­ti­scher­wei­se als „elek­tri­scher, aus­strah­len­der“ Impuls ins ent­spre­chen­de ehe­ma­li­ge ner­va­le Ver­sor­gungs­ge­biet pro­ji­ziert. Dies ist vor allem an den Ver­let­zungs­stel­len der Fall 15. Das „Hoff­mann-Tinel-Zei­chen“ ist ein ein­fa­cher, aber relia­bler kli­ni­scher Test. Der oben beschrie­be­ne schmerz­haf­te Punkt wird dabei am Stumpf markiert.

Die Ent­wick­lung neu­er Ultra­schall­sys­te­me mit Mul­ti­fre­quenz­li­ne­ar­schall­köp­fen von 12 bis 18 MHz und die Ein­füh­rung ver­bes­ser­ter Bild­ver­ar­bei­tung ermög­li­chen eine nicht-inva­siv, dyna­mi­sche, kon­trast­mit­tel­freie und zugleich kos­ten­güns­ti­ge Dar­stel­lung sowohl groß­ka­li­bri­ger peri­phe­rer Ner­ven als auch klei­ner sen­si­bler Nervenend­äste bis auf die Fas­zi­kel­ebe­ne 16. Daher wächst der Stel­len­wert die­ser ul­ tra­schall­ba­sier­ten Bild­ge­bung gegen­über der Hoch­feld-Magnet­re­so­nanz-Neu­ro­gra­phie ste­tig. Die­se neue Tech­no­lo­gie ermög­licht erst­ma­lig die Echt­zeit-Loka­li­sa­ti­on schmerz­haf­ter kleins­ter sen­si­bler Stumpf­n­eu­ro­me (Abb. 3a u. b).

Die aktu­el­le AWMF-Leit­li­nie „Ver­sor­gung peri­phe­rer Ner­ven­ver­let­zun­gen“ 17 schil­dert zahl­rei­che chir­ur­gi­sche und nicht-chir­ur­gisch Tech­ni­ken zur The­ra­pie schmerz­haf­ter Neu­ro­me mit unter­schied­li­cher Evi­denz. Bei Ver­sa­gen kon­ser­va­ti­ver Maß­nah­men (z. B. Desen­si­bi­li­sie­rung) stellt eine Ope­ra­ti­on eine Behand­lungs­op­ti­on dar, wobei nach der oben genann­ten Leit­li­nie kei­ne Emp­feh­lung für eine spe­zi­el­le Tech­nik gege­ben wer­den kann – die Aus­wahl muss indi­vi­du­ell erfol­gen. Es besteht die Mög­lich­keit der Ver­la­ge­rung des Ner­ven­stump­fes in die Mus­ku­la­tur 18, einer End-zu-Seit-Neu­ror­rha­phie 19, der Ver­la­ge­rung in eine Vene sowie des Ver­sen­kens des Neu­roms bzw. Ner­ven­endes im Kno­chen 20. Wei­te­re chir­ur­gi­sche Ver­fah­ren sind die Abkap­se­lung des Ner­ven­endes durch Epi­neu­ri­al-Slee­ve-Tech­nik 20(Sila­s­tic-Kap­pen, Sili­kon-Tubes), die mikro­chir­ur­gi­sche Appli­ka­ti­on destru­ie­ren­der Agen­zi­en („mole­cu­lar neu­ro­sur­gery“) oder eine Bede­ckung durch Fett­lap­pen 17.

Auf­grund posi­ti­ver Erfah­run­gen im Bereich des selek­ti­ven Ner­ven­trans­fers zur Steue­rung myo­elek­tri­scher Pro­the­sen („Tar­ge­ted Mus­cle Rein­ner­va­ti­on; TMR“) 2122 füh­ren die Ver­fas­ser die­sen selek­ti­ven Ner­ven­trans­fer auch bei schmerz­haf­ten Stumpf­n­eu­ro­men durch. Die direk­te Nerv-Nerv-Koapt­a­ti­on erfolgt sowohl bei sen­so­ri­schen als auch bei moto­ri­schen Ner­ven. In einem initia­len Pati­en­ten­kol­lek­tiv von 15 trans­hu­me­ral und glen­oh­u­me­ral Ampu­tier­ten konn­te der Neu­rom­schmerz nach einem selek­ti­ven Ner­ven­trans­fer (TMR) nach­hal­tig redu­ziert wer­den 23. Intra­ope­ra­tiv wer­den die Neu­ro­me dazu bis auf gesun­de Fas­zi­kel­struk­tu­ren zurück­ge­kürzt und durch eine mikro­chir­ur­gi­sche Ner­ven­naht mit benach­bar­ten Ner­ven in direk­ter End­zu-End-Ner­ven­naht koap­tiert (Abb. 4). Eine wei­te­re Mög­lich­keit besteht dar­in, den Ner­ven­stumpf auf das Epi­my­si­um benach­bar­ter, aber ober­flä­chen­fer­ner Mus­keln, die sich außer­halb der Belas­tungs­zo­ne befin­den, zu koap­tie­ren. Die Ner­ven­naht soll­te drei Wochen post­ope­ra­tiv nicht belas­tet wer­den. Im Pati­en­ten­kol­lek­tiv der Autoren konn­ten zuvor nicht pro­the­tisch ver­sorg­ba­re Pati­en­ten mit loka­li­sier­ba­ren schmerz­haf­ten Stumpf­n­eu­ro­men nach die­sem Ein­griff schließ­lich erfolg­reich pro­the­tisch ver­sorgt wer­den, da auf die­se Wei­se eine aus­rei­chen­de Belast­bar­keit des Stump­fes her­ge­stellt wer­den konnte.

Ins­ge­samt führt jedoch nicht jede Nerv­en­durch­tren­nung zwangs­läu­fig zu einer Neurom­bil­dung 24. Da das Behand­lungs­er­geb­nis bei einem schmerz­haf­ten Neu­rom ins­ge­samt nach aktu­el­ler Lite­ra­tur­la­ge zumeist unbe­frie­di­gend ist, kommt der Prä­ven­ti­on der Neu­ro­m­ent­ste­hung im Rah­men der Ampu­ta­ti­on eine beson­de­re Bedeu­tung zu 252426.

Schluss­fol­ge­run­gen

Die Mani­fes­ta­ti­ons­for­men von „Schmer­zen am Stumpf” sind eben­so hete­ro­gen wie deren Ätio­lo­gie. Eine erfolg­rei­che Schmerz­re­duk­ti­on erfor­dert einen geeig­ne­ten The­ra­pie­al­go­rith­mus und ein inter­dis­zi­pli­nä­res Behand­lungs­kon­zept. Chir­ur­gi­sche Revi­sio­nen des Stump­fes füh­ren dann zu einer nach­hal­ti­gen Schmerz­re­duk­ti­on, wenn es eine nach­weis­ba­re Patho­lo­gie gibt. Bei schmerz­haf­ten Ampu­ta­ti­ons­neu­ro­men bie­ten hoch­auf­lö­sen­des Ner­venul­tra­schall und selek­ti­ve Ner­ven­trans­fers neue Dia­gnos­tik- und The­ra­pie­op­tio­nen, chro­ni­sche Wun­den im Stumpf­be­reich kön­nen durch inno­va­ti­ve, nicht­in­va­si­ve plas­ma­ba­sier­te Wund­heil­ver­fah­ren erfolg­reich behan­delt werden.

Für die Autoren:
Dr. med. Jen­ni­fer Ernst
Uni­ver­si­täts­me­di­zin Göttingen
Kli­nik für Unfall­chir­ur­gie, Orthopädie
und Plas­ti­sche Chirurgie
Robert-Koch-Str. 40
37075 Göt­tin­gen
jennifer.ernst@med.uni-goettingen.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
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