Inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit in der Schlag­an­fall-Nach­sor­ge – eine Fallbetrachtung

U. Thiel
Als Ursache für eine dauerhafte körperliche Beeinträchtigung steht der Schlaganfall an erster Stelle. Die Behandlung der dadurch entstehenden chronischen Bewegungsstörungen verlangt nach einem interdisziplinären Ansatz. Nach dem Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik wird diese Arbeit in der Langzeitrehabilitation zu einer zunehmend größeren Herausforderung. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Rehabilitationsforschung zeigen, dass die Therapieintensität einer der wichtigsten Faktoren für die Wiedererlangung motorischer Funktionen ist. In der vorliegenden Einzelfallschilderung wird aufgezeigt, inwiefern eine adäquate interdisziplinäre Zusammenarbeit unter Einsatz moderner Hilfsmittel – von dynamischen Orthesen über gerätegestützte Therapie bis hin zur Robotik – auch nach Jahren relevante Verbesserungen erzielen kann.

Fall­be­schrei­bung

Schlag­an­fall – eine Dia­gno­se, durch die das Leben des Betrof­fe­nen oft uner­war­tet und schlag­ar­tig ver­än­dert wird. Als Ursa­che für eine dau­er­haf­te kör­per­li­che Beein­träch­ti­gung steht der Schlag­an­fall an ers­ter Stel­le. Auch Mar­co M. erkrank­te plötz­lich und aus völ­li­ger Gesund­hei her­aus am 15.10.2008. An die­sem Tag spür­te der gelern­te Maler und Lackie­rer im Alter von 37 Jah­ren plötz­lich einen ver­nich­tungs­ar­ti­gen Kopf­schmerz und brach dann bewusst­los auf der Bau­stel­le mit einer schwe­ren Hirn­blu­tung zusam­men. Im Nach­hin­ein stellt sich Mar­co M. die Fra­ge nach dem War­um. Es gab kei­ne Warn­si­gna­le. Der jun­ge Fami­li­en­va­ter, der aktiv und sport­lich war, hat­te hart gear­bei­tet und gera­de das eige­ne Haus mit viel Eigen­leis­tung gebaut. Viel­leicht war es doch zu viel Stress, sagt er nun, mit einem gro­ßen zeit­li­chen Abstand.

Anzei­ge

In der Kli­nik stell­ten die Ärz­te eine schwe­re Sub­arach­no­idal­blu­tung fest. Eine sol­che ist nur bei ca.  5  % der Pati­en­ten die Ursa­che für einen Schlag­an­fall. Etwa 20 % der Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten erlei­den eine Hirn­blu­tung; bei den übri­gen 80 % ist ein aku­ter Gefäß­ver­schluss ursäch­lich. Gemein­sam ist allen Schlag­an­fäl­len, dass das Gehirn mit zu wenig Sau­er­stoff ver­sorgt wird, wodurch eine dau­er­haf­te Schä­di­gung von Ner­ven­zel­len ein­tritt. Im Fall von Mar­co M. war ein geplatz­tes Aneu­rys­ma die Ursa­che. Dabei ist eine Gefäß­wand sack­ar­tig erwei­tert und dadurch beson­ders dünn und gefähr­det. Ein Aneu­rys­ma kann ange­bo­ren sein und erzeugt im Vor­feld oft kei­ne Beschwer­den, aller­dings kön­nen ein zu hoher Blut­druck und Stress dazu füh­ren, dass die Gefä­ße schnel­ler ver­schlei­ßen; dem­entspre­chend ist auch die Gefahr einer Aneu­rys­ma­blu­tung erhöht.

Durch das beherz­te Han­deln eines Arbeits­kol­le­gen, der sofort den Ret­tungs­dienst ver­stän­dig­te, kam Mar­co M. zügig in eine Stro­ke-Unit. Dort wur­de der koma­tö­se Pati­ent behan­delt. Auf­grund einer erheb­li­chen Hirn­schwel­lung muss­te nach weni­gen Tagen ein Teil der Schä­del­de­cke ent­fernt wer­den, um eine wei­te­re Schä­di­gung des Gehirns durch den über­höh­ten Druck zu ver­mei­den. Die Erst­ver­sor­gung war lebensrettend.

Pha­sen sta­tio­nä­rer Rehabilitation

1. Maß­nah­me: Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­on (2 Mona­te nach Ereignis)

Durch einen kom­pli­zier­ten inten­siv­me­di­zi­ni­schen Ver­lauf mit einer Viel­zahl von Kom­pli­ka­tio­nen konn­te erst zwei Mona­te nach dem Ereig­nis mit einer neu­ro­lo­gi­schen Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­on begon­nen wer­den. Wäh­rend der sechs­mo­na­ti­gen sta­tio­nä­ren Reha­bi­li­ta­ti­on und ins­be­son­de­re nach Reimplan­ta­ti­on des Kno­chen­de­ckels mach­te der Pati­ent über­ra­schen­de Fort­schrit­te. Durch die Behand­lung eines inter­dis­zi­pli­nä­ren Teams wur­de er deut­lich wacher und nahm zuneh­mend Kon­takt zur Umwelt auf. Im Rah­men einer inten­si­ven logo­pä­di­schen The­ra­pie ent­wi­ckel­te sich eine gefähr­li­che Schluck­stö­rung schritt­wei­se zurück, sodass die geblock­te durch eine unge­block­te Tra­che­al­ka­nü­le ersetzt und letzt­lich ganz ent­fernt wer­den konn­te. Die Schluck­stö­rung ent­wi­ckel­te sich zurück. Am Ende der ers­ten Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­me, acht Mona­te nach der Aneu­rys­ma­blu­tung, konn­te der Pati­ent wei­che Nah­rung ohne Ver­schlu­cken zu sich neh­men und sich mit ein­fa­chen Zwei- bis Drei­wort­sät­zen ver­ständ­lich machen.

Auch in der Phy­sio- und Ergo­the­ra­pie ging es vor­an: Der Pati­ent konn­te bis zu zwei Stun­den im The­ra­pie­roll­stuhl sit­zen und bis zu 20 Minu­ten in einem Steh­ge­rät ste­hen. Der Trans­fer erfolg­te jedoch wei­ter­hin über einen Lif­ter. Die star­ke Tetras­pas­tik des Pati­en­ten konn­te gemin­dert und die Kopf- und Rumpf­kon­trol­le sowie die Spitz­fuß­sym­pto­ma­tik gebes­sert wer­den. Der Pati­ent war jetzt in der Lage, bei den „Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens“ ansatz­wei­se mitzuhelfen.

Nach ins­ge­samt acht Mona­ten wur­de der Pati­ent in die Häus­lich­keit ent­las­sen und hat­te gro­ßes Glück, denn die Fami­lie orga­ni­sier­te gemein­sam mit dem Pfle­ge­team die best­mög­li­che Wei­ter­ver­sor­gung. Per Haus­be­such erhielt er wei­ter­hin Phy­sio- und Ergo­the­ra­pie und auch inten­si­ve logo­pä­di­sche The­ra­pie. Das ört­li­che Sani­täts­haus lie­fer­te die not­wen­di­gen Hilfsmittel.

2. Maß­nah­me: Ver­bes­se­rung der Mobi­li­tät (20 Mona­te nach Ereignis)

Nach einem Jahr in häus­li­cher Betreu­ung wur­de auf Emp­feh­lung des Haus­arz­tes eine erneu­te Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­me bean­tragt mit dem Ziel, die Mobi­li­tät des Pati­en­ten zu ver­bes­sern. Die Aneu­rys­ma­blu­tung lag zu die­sem Zeit­punkt schon ein Jahr und acht Mona­te zurück. Wäh­rend der zwei­ten sta­tio­nä­ren Reha­bi­li­ta­ti­on wur­den erneut deut­li­che Fort­schrit­te erzielt: Der Pati­ent konn­te jetzt sei­nen Roll­stuhl lang­sam, aber selbst­stän­dig bewe­gen. Die Kon­di­ti­on bes­ser­te sich. Neu hin­zu kam die Fähig­keit, für meh­re­re Minu­ten am Gelän­der zu ste­hen. Für den Lage­wech­sel vom Sitz zum Stand benö­tig­te der Pati­ent jedoch wei­ter­hin Hil­fe durch einen The­ra­peu­ten. Ein ergo­the­ra­peu­ti­scher Schwer­punkt war das Dusch- und Anzieh­trai­ning sowie das Ess­trai­ning. Der Pati­ent benö­tig­te dabei immer wie­der Moti­va­ti­on und Auf­for­de­run­gen, da sei­ne Kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig­keit noch deut­lich her­ab­ge­setzt war. Auf­grund der star­ken Bewe­gungs­ein­schrän­kun­gen des lin­ken Arms und der lin­ken Hand erhielt er zusätz­lich zu Übun­gen zur Ver­bes­se­rung der Beweg­lich­keit eine indi­vi­du­el­le Schienenversorgung.

Nach acht Wochen sta­tio­nä­rer Reha­bi­li­ta­ti­on wur­de der Pati­ent am 30.08.2010 erneut nach Hau­se ent­las­sen. Durch die erfolg­rei­chen ambu­lan­ten The­ra­pien konn­ten die erreich­ten Fort­schrit­te erhal­ten und zum Teil aus­ge­baut wer­den. Im Rah­men der ambu­lan­ten Phy­sio­the­ra­pie mach­te der Pati­ent ers­te Geh­ver­su­che mit einem Vier­punkt­stock. Zusätz­lich wur­de er auf­grund sei­ner aus­ge­präg­ten arm­be­ton­ten links­sei­ti­gen Spas­tik regel­mä­ßig in der Ermäch­ti­gungs­am­bu­lanz der nahe­ge­le­ge­nen Reha­bi­li­ta­ti­ons­kli­nik mit Botu­li­num­to­xin behandelt.

3. Maß­nah­me: Ver­bes­se­run­gen beim Sit­zen, beim Roll­stuhl­fah­ren und beim Ste­hen (5 Jah­re nach Ereignis)

Im Sep­tem­ber 2013, fünf Jah­re nach der Aneu­rys­ma­blu­tung und drei Jah­re nach Been­di­gung der letz­ten Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­me, wur­de Mar­co M. zum drit­ten Mal zu einer sta­tio­nä­ren Reha­bi­li­ta­ti­on auf­ge­nom­men. Zum Ent­las­sungs­zeit­punkt Ende Okto­ber 2013 konn­te er frei sit­zen, selbst­stän­dig mit einem Leicht­ge­wichts­roll­stuhl fah­ren, für ca. eine Sekun­de frei, jedoch unsi­cher ste­hen und mit einem Ein­hän­der­brett selbst­stän­dig essen. Gemäß FAC (Func­tion­al Ambu­la­ti­on Cate­go­ry) konn­te er sei­ne Geh­fä­hig­keit von FAC 1 auf FAC 3 ver­bes­sern, das heißt, er war zum Gehen stän­dig auf eine Begleit­per­son ange­wie­sen, die inter­mit­tie­rend das Gleich­ge­wicht sicher­te. Für Lage­ver­än­de­run­gen im Bett und für den Trans­fer vom Bett in den Roll­stuhl oder vom Sitz in den Stand war wei­ter­hin eine Hil­fe durch geschul­te Lai­en not­wen­dig. Auch beim Waschen und Anzie­hen benö­tigt der Pati­ent noch umfas­sen­de Hil­fe. Im stark betrof­fe­nen lin­ken Arm zeig­ten sich pro­xi­ma­le Rest­ak­ti­vi­tä­ten. Der Arm konn­te im Schul­ter­ge­lenk etwa 40° nach vorn ange­ho­ben wer­den. Die Fin­ger­grund­ge­len­ke waren anhal­tend flek­tiert, die Mit­tel- und End­ge­len­ke gestreckt und zum Teil über­streckt. Bei der pas­si­ven Mobi­li­sa­ti­on war es nicht mög­lich, alle Fin­ger­ge­len­ke gleich­zei­tig zu stre­cken. Die lin­ke Hand war wei­ter­hin dau­er­haft mit einer zir­ku­lä­ren Hand­orthe­se nach Maß ver­sorgt. Ein funk­tio­nel­ler Ein­satz der Hand war somit wei­ter­hin unmög­lich (Abb. 1).

Seit Abschluss der drit­ten sta­tio­nä­ren Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­me wird der Pati­ent zwei­mal pro Woche in einer spe­zia­li­sier­ten Pra­xis für gerä­te­ge­stütz­te Phy­sio­the­ra­pie behan­delt. Die Behand­lung der lin­ken obe­ren Extre­mi­tät mit Botu­li­num­to­xin wird wei­ter­hin alle drei Mona­te von der Ermäch­ti­gungs­am­bu­lanz der Reha­bi­li­ta­ti­ons­kli­nik durch­ge­führt. Zur Ver­bes­se­rung der Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Reha­bi­li­ta­ti­ons­kli­nik und The­ra­pie­pra­xis fin­det eine Mus­kel­ta­bel­le mit Botu­li­num­to­xin-Injek­ti­ons­sche­ma Anwendung.

Ergeb­nis­se der Rehabilitationsmaßnahmen

Die akti­ve Beweg­lich­keit des lin­ken Armes sowohl im Schul­ter- als auch im Ellen­bo­gen­ge­lenk konn­te durch ein repe­ti­ti­ves, gerä­te­ge­stütz­tes Trai­ning, einen spe­zi­el­len The­ra­pie­par­cours (Abb. 2) sowie den Ein­satz eines Exo­ske­lett-The­ra­pie­ge­räts kon­ti­nu­ier­lich ver­bes­sert wer­den. Im Eigen­trai­ning der Arm- und Bein­funk­ti­on nutzt der Pati­ent einen Bewe­gungs­trai­ner mit Bio­feed­back. Die indi­vi­du­ell ange­pass­te zir­ku­lä­re Armor­the­se wird wei­ter­hin zum Erhalt der Beweg­lich­keit getra­gen. Zusätz­lich trägt der Pati­ent zur Deto­ni­sie­rung der Hand- und Fin­ger­mus­ku­la­tur zeit­wei­se einen Johnstone-Splint.

Durch die lang­fris­ti­ge Kom­bi­na­ti­on von Phy­sio- und Ergo­the­ra­pie, medi­ka­men­tö­ser Behand­lung, indi­vi­du­el­ler Orthe­sen­ver­sor­gung und struk­tu­rier­tem Eigen­trai­ning konn­te die Beweg­lich­keit der Hand- und Fin­ger­ge­len­ke erheb­lich ver­bes­sert wer­den. Im Rah­men der Behand­lung wur­de das pas­si­ve gleich­zei­ti­ge Stre­cken aller Fin­ger­ge­len­ke mög­lich. Dadurch eröff­ne­ten sich neue Behand­lungs­op­tio­nen, zum Bei­spiel das Trai­ning mit einer funk­tio­nel­len dyna­mi­schen Orthe­se (Sae­bo Flex). Mit die­ser Orthe­se konn­te der Pati­ent jetzt, sie­ben Jah­re nach Erkran­kungs­be­ginn, erst­mals mit sei­ner stark betrof­fe­nen lin­ken Hand Gegen­stän­de aktiv grei­fen (Abb. 3). Durch eine fes­te The­ra­pie­struk­tur und hohe Wie­der­ho­lungs­zah­len ließ sich die Hand­funk­ti­on so aus­bau­en, dass ers­te Gegen­stän­de auch schon ohne Orthe­se aktiv gegrif­fen wer­den kön­nen (Abb. 4).

Auch das Gehen konn­te ste­tig ver­bes­sert wer­den. Eine kri­ti­sche Bewer­tung der bis­her ein­ge­setz­ten Hilfs­mit­tel zeig­te, dass die erst­mals 2013 ver­ord­ne­te Fuß­he­ber­or­the­se zu schwach war, um genü­gend Stand­si­cher­heit zu gewähr­leis­ten (Abb. 5). Nach Umstel­lung auf eine fes­te Car­bon­or­the­se (Dynam X) mit Orthe­sen­schuh (Spor­la­s­tic Foot­ca­re) und eine maß­ge­fer­tig­te Ein­la­ge konn­te die Stand­si­cher­heit erheb­lich erhöht, das „Durch­schla­gen“ des Knie­ge­lenks ver­rin­gert und somit die Knie­kon­trol­le ver­bes­sert wer­den (Abb. 6). Die­se Hilfs­mit­tel­op­ti­mie­rung war eine wesent­li­che Vor­aus­set­zung für die erfolg­rei­che Fort­set­zung der Gangre­ha­bi­li­ta­ti­on. In deren Rah­men erhielt der Pati­ent zusätz­lich zur inten­si­ven Phy­sio­the­ra­pie ein voll­au­to­ma­ti­sier­tes end­ef­fek­tor­ba­sier­tes Gang­trai­ning im GT 1 und im Lyra (Abb. 7).

Sie­ben Jah­re nach der Aneu­rys­ma­blu­tung kann Mar­co M. jetzt frei ste­hen, sich ent­spre­chend FAC 4 im Innen­be­reich ohne Hilfs­mit­tel und im Außen­be­reich mit einem Hand­stock sicher bewe­gen und Trep­pen mit Gelän­der selbst­stän­dig erklim­men. Auch Gang­ge­schwin­dig­keit und ‑sicher­heit konn­ten erheb­lich ver­bes­sert wer­den. Den Roll­stuhl benö­tigt der Pati­ent nur noch bei län­ge­ren Strecken.

Gesamt­be­ur­tei­lung der Maßnahmen

Die Erfol­ge der inten­si­ven und lang­jäh­ri­gen The­ra­pie von Mar­co M. sind beacht­lich. Der Fall beweist exem­pla­risch, dass schwer betrof­fe­ne Pati­en­ten kei­nes­wegs nach einem hal­ben oder einem gan­zen Jahr „aus­the­ra­piert“ sind. Dabei ist das Bei­spiel kein Ein­zel­fall, aber es zeigt, wie eine sek­toren­über­grei­fen­de Reha­bi­li­ta­ti­on von der Akut­be­hand­lung bis zur Nach­sor­ge adäquat orga­ni­siert wer­den kann, und auch, wie wich­tig Kon­text­fak­to­ren sind, z. B. die Ein­bin­dung inner­halb der fami­liä­ren Struk­tur, ein für­sorg­li­ches Team aus Pro­fis, aber auch die regel­mä­ßi­ge Durch­füh­rung inten­si­ver The­ra­pie­in­ter­val­le. Das bis­her Erreich­te war nur durch sinn­vol­le Ver­zah­nung und inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit mög­lich. Dies ist im Rah­men einer sta­tio­nä­ren Reha­bi­li­ta­ti­on wesent­lich leich­ter als in der ambu­lan­ten Ver­sor­gung. Im häus­li­chen Umfeld ste­hen die Ange­hö­ri­gen schwer betrof­fe­ner Pati­en­ten oft allei­ne da. Eine adäqua­te fach­li­che Bera­tung und eine regel­mä­ßi­ge kri­ti­sche Über­prü­fung, ob die der­zeit durch­ge­führ­ten Maß­nah­men, The­ra­pien und Ver­sor­gun­gen bzw. Hilfs­mit­tel noch auf dem neu­es­ten Stand sind, sind oft von Glück und Zufall abhängig.

Vie­le Ange­hö­ri­ge wer­den nicht genug unter­stützt und die Pati­en­ten gel­ten früh als „aus­the­ra­piert“. Der Fall Mar­co M. ist ohne Fra­ge eine Erfolgs­ge­schich­te, den­noch blei­ben Fra­gen offen, zum Beispiel:

  • Hät­te durch eine frü­he­re Ver­sor­gung mit indi­vi­du­el­len Hand­la­ge­rungs­schie­nen in Kom­bi­na­ti­on mit der Gabe von Botu­li­num­to­xin die Kon­trak­tur­ent­wick­lung frü­her gestoppt wer­den können?
  • Hät­te durch den Ein­satz eines Balan­ce-Trai­ners und eines täg­li­chen häus­li­chen Steh­trai­nings einer Kon­trak­tur­ent­wick­lung des Fußes bes­ser ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den können?
  • Wäre dadurch die Steh­fä­hig­keit frü­her erreicht worden?
  • Hät­te die Geh­fä­hig­keit schnel­ler erreicht wer­den kön­nen, wenn die erst­ver­ord­ne­te Fuß­he­ber­or­the­se mehr Sicher­heit ver­mit­telt hätte?
  • Wäre der Ein­satz repe­ti­ti­ver Ver­fah­ren wie Gang­trai­ner und Arm­ro­bo­tik im ambu­lan­ten Set­ting nicht eben­so sinn­voll wie in der Rehabilitationsklinik?

Fazit

Vie­le Fra­gen gilt es wei­ter­hin zu beant­wor­ten. Die Reha­bi­li­ta­ti­ons­for­schung ver­mit­telt neue Ein­bli­cke in das moto­ri­sche Ler­nen. Die­ses neue Wis­sen muss auch in der Lang­zeit­ver­sor­gung stär­ke­re Beach­tung fin­den, und ent­spre­chen­de Rah­men­be­din­gun­gen hier­zu müs­sen geschaf­fen wer­den. Vie­les gibt es zu ver­bes­sern, aber eine enge inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit zwi­schen Medi­zi­nern, Pfle­ge­kräf­ten, The­ra­peu­ten, Ortho­pä­die-Tech­ni­kern, Ange­hö­ri­gen und Pati­en­ten kann zu einer erheb­li­chen Ver­bes­se­rung des lang­fris­ti­gen Out­co­mes und der Lebens­qua­li­tät füh­ren. Schlüs­sel sind Fach­wis­sen, Wis­sens­trans­fer sowie eine ziel­ori­en­tier­te Kom­mu­ni­ka­ti­on. Die Eta­blie­rung von Schlag­an­fall-Lot­sen oder des inter­dis­zi­pli­nä­ren Arbeits­krei­ses für Bewe­gungs­stö­run­gen sind viel­ver­spre­chen­de Ansät­ze. Aber auch inter­dis­zi­pli­nä­re Fort­bil­dungs­ver­an­stal­tun­gen sowie die Bil­dung von Neu­ro­kom­pe­tenz­zen­tren die­nen der Ver­bes­se­rung der Behandlungsqualität.

Seit Kur­zem trai­niert Mar­co M. mit Glo­re­ha, einem ein­zig­ar­ti­gen Hand- und Fin­ger­ro­bo­ter (Abb. 8). Die Fort­schrit­te in den letz­ten Jah­ren las­sen hof­fen, dass auch acht Jah­re nach dem Schlag­an­fall noch vie­les mög­lich ist. Auch wenn Stu­di­en­la­ge und Sta­tis­tik bei schwer betrof­fe­nen Pati­en­ten wie Mar­co M. kei­ne her­aus­ra­gen­den Ergeb­nis­se zei­gen, soll­te jeder Pati­ent so behan­delt wer­den, wie es erfor­der­lich ist – als Einzelfall.

Der Autor:
Ull­rich Thiel
Hell­muth & Thiel, Pra­xis für Sen­so­mo­to­rik & Reha­bi­li­ta­ti­on GmbH
Len­né­stra­ße 74/75
14471 Pots­dam
info@hellmuth-thiel.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Thiel U. Inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit in der Schlag­an­fall-Nach­sor­ge – eine Fall­be­trach­tung. Ortho­pä­die Tech­nik, 2016; 67 (7): 68–71

 

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