Eine Neuentwicklung für weitgehend bewegungsunfähige Hände ist die Kombination einer Lagerungsorthese mit einem häufig parallel verordneten Neurostimulationsgerät. Die Vorteile sind eine deutliche Zeitersparnis für den Patienten, das kontrollierte Positionieren der Klebeelektroden und die einfache Handhabung. Dadurch wird der größtmögliche Nutzen einer evidenzbasierten Neurostimulation für den Patienten garantiert. Für die weitere Optimierung dieses Konzeptes wäre ein mobiles, individuelles FES-Gerät wünschenswert.
Die zweite Neuerung verbindet eine semirigide Orthese mit einem Handtracker, um die bestmögliche Therapie für Hände mit willkürlichen Bewegungen zu gewährleisten. Ein Handtracker ist ein System, das die Handeinsätze zählt und dem Patienten per App eine virtuelle Rückmeldung über seine Handaktivität vermittelt. Zusätzlich kann der Therapeut ein ausführliches Aktivitätsprotokoll auslesen. Der Vorteil dieser Kombination besteht zum einen in der Motivation für den Patienten, seine Orthese noch konsequenter zu tragen und seine paretische Hand noch öfter einzusetzen; dabei hilft auch eine Erinnerungsfunktion, die den Patienten bei langer Inaktivität per Vibration zum Handeinsatz auffordert. Ein weiterer Vorteil ist die direkte Therapiekontrolle für Therapeut und Techniker.
Einleitung
In Deutschland erleiden jedes Jahr über 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Bei ca. einem Viertel dieser Patienten bleiben, auch drei Monate nach dem Vorfall, massive körperliche Behinderungen zurück. Darüber hinaus lebt in Deutschland eine große Zahl von Menschen, die mit den Folgen von Multipler Sklerose, Schädel-Hirn-Trauma, inkompletten Rückenmarkverletzungen und vielen anderen Erkrankungen des Nervensystems leben müssen 1. Hinsichtlich des demografischen Wandels ist zu erwarten, dass diese Zahl in Zukunft noch deutlich steigen wird. In der Neurorehabilitation ist die Evidenz bewegungstherapeutischer Interventionen heute nachgewiesen 1. Orthesen sind ein wichtiger Bestandteil dieses Konzeptes. Die Kernaussage der meisten einschlägigen Studien lautet, dass ein kontinuierliches ADL-Training notwendig und wünschenswert sei. Meist wird dabei jedoch die untere Extremität untersucht und beschrieben – Orthesen für die Hand dagegen stellen im Versorgungsablauf eine nicht alltägliche Herausforderung für Techniker und Therapeuten dar. Auch zeigt sich, dass sich nur wenige repräsentative Studien über Handorthesen im Therapiealltag finden lassen.
Der Verfasser dieses Artikels beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Herstellung von Handorthesen und deren kontinuierlicher Weiterentwicklung. Der folgende Beitrag baut auf bereits vom Verfasser veröffentlichten Versorgungsbeispielen auf 2. Ziel ist es, den Stellenwert und auch die Vielfalt des Versorgungsbereiches hervorzuheben. Nicht alle der im Artikel dargestellten Versorgungen stellen den vertraglich vereinbarten Umfang mit den gesetzlichen Krankenkassen dar. Es müssen daher dringend neue Vertragsinhalte geschaffen werden, um im Bereich der Handorthetik Versorgungen nach dem Stand der Technik für die betroffenen Patienten zugänglicher zu machen. Denn die Diskrepanz zwischen Versorgungsalltag und Erstattungsmodalitäten ist in fast keiner Produktgruppe so deutlich wie in PG 23 für die obere Extremität. So ist beispielsweise das Material Silikon in keinem Vertrag vereinbart, es wird aber bundesweit und flächendeckend zum Beispiel bei Daumenorthesen eingesetzt. Viele Kostenträger sind allerdings heute schon bereit, den Mehraufwand für eine umfangreichere Silikonorthese zu vergüten, da ein therapeutischer Mehrwert eindeutig erkennbar ist.
Es gibt in der Neurologie keine klare Indikationsstellung, wann und wie Handorthesen in der Therapie eingesetzt werden sollen. Die menschliche Hand hat zweifellos aufgrund ihrer hochkomplexen anatomischen, aber auch neuronalen Besonderheiten eine Sonderstellung und ist somit schwer zu therapieren. Eine einfache Hilfe kann für den Techniker bei der Beratung die Klassifikation von Lagerungsorthesen in der Neurorehabilitation sein (Abb. 1). Es gibt Hände, die über keine willkürliche Bewegungsfähigkeit des Patienten mehr verfügen. Bei diesen Händen wird häufig eine Lagerungsorthese eingesetzt.
Lagerungsorthesen
Die Aufgabe dieser Form der Handorthese ist es, Hände, die eine Tonuserhöhung oder Fehlstellung aufweisen, in eine physiologische Haltung zu führen. Dies wird sehr häufig in der Frühphase notwendig, um Ödemen und dem Schulter-Hand-Arm-Syndrom vorzubeugen 1. Es gibt zwar keine aussagekräftigen Studien, wonach Handorthesen sich positiv auf die Tonusregulation auswirken, jedoch Studien, welche die Wirksamkeit von Redressionsbehandlungen beschreiben – der Verfasser geht davon aus, dass die Wirkungsmechanismen sehr ähnlich sind. Diese Untersuchungen zeigen, dass eine Anwendungsdauer von 6 bis 12 Stunden täglich sinnvoll, aber auch notwendig ist, um einen Effekt zu erzielen.
Nun müssen der Alltag und die besondere Situation des Patienten genau untersucht werden. Dabei sind unter anderem die folgenden Fragen zu beantworten: Sind die grundsätzlichen Gegebenheiten unter Berücksichtigung einer genauen Anamnese des Patienten gegeben? Wann soll die Orthese getragen werden? Wer zieht die Orthese an? Kollidiert die Planung mit anderen Therapiemitteln oder können diese miteinander verbunden werden?
Da Lagerungsorthesen tagsüber oft als störend empfunden werden und auch den Einsatz der Hand verhindern, wird häufig eine Nachtlagerungsorthese verordnet. Diese scheinbar einfache Lösung ist jedoch nicht immer zielführend, denn die Tonusverhältnisse können sich tags und nachts unterscheiden. Diese Besonderheit muss vor der Verordnung gründlich geprüft werden. Die einfachste Möglichkeit ist es, die Angehörigen oder Pfleger zu bitten, den Betroffenen im Schlaf zu beobachten: Hat der Patient einen tiefen Schlaf und baut trotzdem einen Tonus auf, ist eine Nachtlagerungsversorgung sinnvoll.
Wie in einer vorherigen Veröffentlichung des Verfassers 2 bereits beschrieben, wird bei Lagerungsorthesen nach Händen unterschieden, die entweder einen konstanten Muskeltonus haben oder zu Spastiken neigen. In diesem Artikel wird auf eine neuartige Kombination aus häufig parallel verordneten Neurostimulationsgeräten und dem Tragen einer Lagerungsorthese eingegangen. Die Zusammenführung dieser beiden Therapieansätze bedeutet für den Betroffen eine deutliche Zeitersparnis und die Möglichkeit, die Vorzüge beider Konzepte zu vereinen.
Für die funktionelle Neurostimulation wird in mehreren randomisierten kontrollierten Studien eine positive Wirkung auf alltagsrelevante Funktionen und die Reduktion der Spastik beschrieben 3. Auch wurde nachgewiesen, dass ein positiver Effekt bei täglicher Anwendung im häuslichen Bereich gegeben ist 1. Es ist also sinnvoll, diesen Versorgungsweg zur Rehabilitation der Hand zu nutzen. Gerade im häuslichen Umfeld stellt die Einhaltung eines solchen Therapiekonzeptes den Patienten aber häufig vor ein großes Problem: Neben der Kollision mit anderen Konzepten (zum Beispiel dem Tragen einer Handorthese) ist das qualitativ gleichwertige Anlegen der Klebeelektroden eine hohe Hürde. Um das für den Patienten individuell von seinem Therapeuten entwickelte Heimtherapiekonzept zu vereinfachen, wurde im Hause des Verfassers die Möglichkeit geschaffen, handelsübliche FES-Geräte in eine individuell gefertigte Orthese zu integrieren. Die Elektroden werden in der Orthese an ihren individuell festgelegten Punkten sicher positioniert (Abb. 2).
Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher einkanaliger, mehrkanaliger und EMG-getriggerter FES-Systeme am Markt. Die meisten werden mittels Klebeelektroden am Arm für die Neurostimulation eingesetzt. Diese werden dem Patienten häufig in einem Mietverfahren (PG 09) überlassen.
Das Stim-Brace (Abb. 3) ist mit den meisten am Markt befindlichen Systemen kombinierbar. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass es derzeit kein individuelles kabellos funktionierendes Gerät gibt, das fest in eine individuelle Orthese eingebaut werden kann. Die Geräte sind bisher durchweg kabelgebunden, was eine deutliche Einsatzlimitierung mit sich bringt. Eine funktionelle Nutzung als mobiles Gerät ist derzeit somit noch nicht möglich. Es wäre wünschenswert, kleine mobile Systeme von der Industrie zu erhalten, die als Systembauteil fest in Orthesenkonzepte integriert werden können. Die am Markt befindlichen konfektionierten FES-Orthesensysteme sind zwar technisch mobil, jedoch ist ihre individuelle Anpassungsfähigkeit sehr begrenzt. Ein individuelles Systembauteil (FES-Steuerung) könnte hier durchaus eine Alternative sein, um auch Grenzfällen einen Zugang zu diesem vielversprechenden Versorgungskonzept zu gewähren.
Funktionsfördernde Orthesen
Die moderne Literatur trifft hierzu eine klare Aussage: Die beste Therapie für die paretische Hand besteht darin, sie im Alltag zu nutzen, um sie so ins Körperschema zurückzuholen. Orthesen können helfen, diesen Weg zu vereinfachen 1. Hat ein Patient die Fähigkeit, seine paretische Hand willkürlich einzusetzen, ist diese Fähigkeit mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu fördern. Orthesen haben dabei häufig eine Schlüsselrolle – jedoch ist eine intensive therapeutische Begleitung notwendig, um den gewünschten Therapieerfolg zu erreichen. In der Neurorehabilitation gilt der forcierte Einsatz der betroffenen Seite als bestes Mittel, ein Wiedererlangen von Handfunktionen zu erreichen. Aufgabe der Orthese ist es dabei, die Hand in eine physiologische Stellung (Abb. 4) zu führen. Allerdings muss diese an die Hand und deren Fähigkeiten individuell angepasst werden. Jedoch werden dazu häufig rigide Konstruktionen verwendet, was nach der Erfahrung des Verfassers eine ungeeignete Methode ist – semirigide Konstruktionen sind den konventionellen Techniken deutlich überlegen.
Der rehabilitative Erfolg ist generell mit Handassessments sichtbar zu machen. Dazu stehen unterschiedliche Tests wie zum Beispiel der Box-and-Block-Test zur Verfügung. Erfolge einer Orthesenversorgung sind in Assessment-Tests aber erst nach Wochen zu erkennen, was für den Patienten oft nicht als Motivation für das regelmäßige Training ausreicht. Auch der Therapeut verfügt erst nach einiger Zeit über eine Erfolgskontrolle seiner Therapie und kann den Trainingsplan erst dann entsprechend anpassen.
Um eine sofortige Rückmeldung über die Therapie zu erhalten und damit die Motivation zu erhöhen, wurde ein Handtracker in eine Orthese integriert. Das verwendete Handtracker-System wurde von der Yband Therapy AG in der Schweiz entwickelt. Es besteht aus einem Tracker (Abb. 5),der in einem Armband um das Handgelenk getragen wird. Die Sensorik erkennt und misst die Einsätze der paretischen Hand und vermittelt dem Nutzer den Therapieerfolg: Mittels Vibration erhält der Nutzer ein Feedback. Das System wird mit einer auf einem Smartphone befindlichen Applikation gekoppelt.
So können Therapeut und Patient den Rehabilitationsverlauf jederzeit dokumentieren und anpassen. Von Seiten der App lassen sich auch Auswertungen über den Aktivitätsverlauf generieren, damit ein Rehabilitationsergebnis sichtbar gemacht werden kann (Abb. 6). Bereits bei den ersten Tests im Hause des Verfassers war festzustellen, dass diese visuelle Kontrolle den Patienten stark motivierte, seine Orthese noch intensiver zu tragen. Insofern ist zu hoffen, dass mit solchen Mitteln in Zukunft die eindeutige Wirksamkeit individueller Handorthesen in der Neurorehabilitation zweifelsfrei nachgewiesen werden kann.
Fazit
Die Handorthetik in der Neurorehabilitation ist zwar ein kleiner Bereich, der jedoch viel Potenzial bietet. Es ist daher dringend notwendig, im Rahmen der Rehabilitationsforschung neue Entwicklungen in diesem Bereich zu untersuchen und ihre Überlegenheit gegenüber konventionellen Techniken nachzuweisen. Aus orthopädietechnischer Sicht ist die neurologische Versorgung der Hand ebenfalls neu zu bewerten. Neben den technischen Leitsätzen und den damit verbundenen Versorgungspfaden muss auch eine wirtschaftlich sinnvolle Kostenerstattung mit den Kostenträgern gefunden werden.
Nur dann lässt sich dauerhaft eine medizinisch und therapeutisch sinnvolle Versorgung der Betroffenen sicherstellen. Generell ist bei der Versorgung mit Orthesen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Orthopädie-Technik, Ergo- und Physiotherapie, Pflege und Arzt ein elementarer Bestandteil einer jeden erfolgreichen Versorgung.
Der Autor:
Jochen Steil, OTM
Orthopädie Brillinger GmbH & Co. KG, Bereichsleiter
Handwerkerpark 25, 72070 Tübingen
Jochen.Steil@brillinger.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Steil J. Innovative Handorthesenkonzepte in der Neurorehabilitation. Orthopädie Technik. 2019; 70 (3): 42–45
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- Schupp W, Elsner B. Sensomotorische Neurorehabilitation – Therapieoptionen und Versorgungsalltag. Erfahrungen zwischen Evidenz und Praxis. Bad Honnef: Hippocampus, 2017: 85–86, 113–115
- Winter T, Wissel J. Behandlung der Spastizität nach Schlaganfall. Konsultationsfassung zur DGNR-Leitline. Neurol Rehabil, 2013; 19 (5): 285–309 http://www.hippocampus.de/media/316/cms_52f362d24f786.pdf (Zugriff am 28.01.2019)
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