Einleitung
Mit Aufkommen der Fitnesswelle der späten 1960er Jahre entwickelten sich Sportschuhe mehr und mehr zu Hightech-Produkten, die sich durch Materialien, Konstruktion, Design und Fertigungstechniken von herkömmlichen Schuhen nachhaltig unterschieden 1. In diesem Zusammenhang bemerkt Segesser 2, dass neben dem Auto der Sportschuh das wohl am besten untersuchte Fortbewegungsmittel sein dürfte. Diese Entwicklung wurde durch wissenschaftliche Ergebnisse möglich, die zum einen Kriterien der Sportschuhfunktionen definierten und zum anderen Richtlinien zu deren Umsetzung formulierten.
Die frühesten erhaltenen Objekte, die als Schuhwerk bezeichnet werden können, wurden 1932 in einer Höhle bzw. einer Felsunterkunft in der Nähe von Fort Rock (Oregon) gefunden 3 4. Die Herstellungszeit dieser aus Bast gefertigten Sandalen wird auf 9.000 bis 10.000 v. Chr. geschätzt (Abb. 1). Da anzunehmen ist, dass der Besitzer der Sandalen diese dauerhaft bei der Nahrungsbeschaffung trug, zweifelt Cavanagh 5 nicht daran, dass es sich bei diesen Sandalen um die ersten „Laufschuhe“ handelt. Ein guter Läufer war ein guter Jäger, und „gute Laufschuhe“ erhöhten die Wahrscheinlichkeit, durch schnelles Laufen erfolgreich Wild zu jagen 6 7. In diesem Zusammenhang bestand vermutlich die ursprüngliche Funktion von Schuhwerk im Schutz des Fußes vor mechanischen Beschädigungen 8. Jedoch förderte diese Schutzfunktion auch das schnellere Laufen und somit das erfolgreichere Jagen, womit auch der Leistungsaspekt als weitere Funktion eines Laufschuhs etabliert wäre. Es ist auch anzunehmen, dass das Laufen in diesen „Laufsandalen“ komfortabler war als das barfüßige Laufen, zumindest auf steinigem Untergrund 9.
Die Geschichte der Laufschuhe, die als solche in Laufwettbewerben getragen wurden, geht wohl bis in die Antike zurück 10 11. Ähnlich dem Fund in Fort Rock handelte es sich dabei um Sandalen, die wiederum eine erstaunliche Ähnlichkeit mit heutigen Sandalen aufweisen.
Der älteste industriell gefertigte Laufschuh scheint der sogenannte Spencer-Schuh von ca. 1865 zu sein. Der Name rührt daher, dass ein erhaltenes Paar dem britischen Adligen Lord Spencer zugeordnet werden kann; die Schuhe sind fast ganz aus Leder gefertigt und haben Sohlen mit Spikes 12. Es ist anzunehmen, dass der Marathon der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit (1896) einer „neuen Sportart“, dem Straßenlauf, zum Durchbruch verhalf 13. Infolgedessen waren die ersten Marathon-Schuhe mit Gummisohlen auf dem Markt erhältlich. Bis weit in die 1960er Jahre hinein waren Laufschuhe durch eine dünne Zwischensohle gekennzeichnet, da vermutlich die meisten Laufwettbewerbe nach wie vor auf der Leichtathletik-Rundbahn stattfanden und die Dämpfungseigenschaften der Sohle nicht wichtig erschienen 14. Laufschuhe begannen sich von Freizeit- und Hallenschuhen erst Anfang der 1970er Jahre deutlich zu unterscheiden. Die wesentlichen sportartspezifischen Differenzierungen lagen in einem gröberen Profil der Außensohle und einer dickeren Zwischensohle für eine bessere Dämpfung („heel wedge“). Damit setzte eine industrielle Entwicklung ein, die mit vielen wichtigen und sinnvollen, aber auch einigen unwichtigen und unsinnigen Neuerungen bis heute andauert 15.
Funktionelle Anforderungen an Laufschuhe
Um die Anforderungen an und somit die Funktion des Laufschuhs zu charakterisieren, ist es notwendig, die Funktion des Fußes zu verstehen. Nigg et al. 16 bezeichnen den Fuß als eine biologische Struktur, die ihre Funktion im Verlauf der menschlichen Evolution verändert hat. Im Laufe der Zeit haben sich Form und Funktion des Fußes den Anforderungen der bipedalen Fortbewegung angepasst. In der gegenwärtigen Evolutionsphase übernimmt der Fuß als Bindeglied zwischen Bein und Boden eine Schlüsselfunktion bezüglich der Kraftübertragung sowohl beim Stehen als auch beim Gehen und während des Laufens 17. Über zahlreiche neurophysiologische Regelkreise werden am Fuß sensorische Informationen hinsichtlich der aktuellen Stellung, der Bewegung und des Untergrundes aufgenommen und zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts und der Fortbewegung in Muskelaktivität umgesetzt.
In der westlichen Zivilisation ist der Fuß typischerweise mit einem Schuh bekleidet. Dies gilt insbesondere für verschiedene sportliche Aktivitäten. Basierend auf den oben angeführten Funktionen des Fußes im Zusammenhang mit sportlichen Aktivitäten und den daraus resultierenden sportartspezifischen Anforderungen können drei primäre funktionelle Anforderungen an einen Sportschuh formuliert werden 18 19:
- Schutz (Verletzungsprävention/Protektion)
- Leistung
- Komfort
Dazu im Einzelnen:
- Es ist allgemein akzeptiert, dass ein Sportschuh – besonders während sportlicher Aktivitäten – Schutz vor Überlastung bzw. Fehlbelastung bieten sollte. Die überwiegende Zahl der sportlichen Aktivitäten ist charakterisiert durch repetitive Belastungsformen. Dabei kann der aktive und passive Bewegungsapparat durch dysfunktionales Schuhwerk überbeansprucht werden, was zu chronischen Überlastungsschäden führen kann 20. Daraus resultierend sollen funktionelle Sportschuhe helfen, exzessive externe und interne Belastungen bzw. Beanspruchungen zu reduzieren 21 22.
- Leistung wird häufig als das Hauptziel sportlicher Aktivitäten angesehen. In diesem Zusammenhang soll ein optimaler Sportschuh die Möglichkeit bieten, die sportliche Leistung des Athleten zu verbessern. Insbesondere die Einführung des Modells „Vaporfly“ des US-amerikanischen Sportartikelherstellers Nike, mit dem im Jahr 2019 erstmalig in einem inoffiziellen Marathonrennen die 2‑Stunden-Marke gebrochen wurde, verdeutlicht die gegenwärtigen Möglichkeiten von Industrie und Wissenschaft, Laufschuhe ausschließlich fokussiert auf den Leistungsaspekt zu entwickeln 23 24.
- Komfort ist wohl die wichtigste Anforderung an einen Sportschuh, um sowohl den Kauf als auch den Wiederkauf durch denselben Kunden abzusichern. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es jedoch schwierig, Komfort genauer zu definieren und dementsprechend zu quantifizieren. Unabhängig davon scheint jeder Athlet in der Lage zu sein, innerhalb kurzer Zeit festzustellen, ob er einen Sportschuh als „komfortabel“ empfindet oder nicht. Es gibt Anzeichen in der Literatur, dass „komfortable“ Sportschuhe die Verletzungshäufigkeit reduzieren, sich leistungssteigernd auswirken und Ermüdung verringern 25 26. Somit besteht ein drittes Ziel für funktionelle Sportschuhe in der Maximierung des Komforts.
Es wird deutlich, dass die drei Anforderungen bzw. funktionellen Ziele Schutz, Leistung und Komfort eines Sportschuhs nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können, da sie sich gegenseitig beeinflussen 27. Es ist verständlich, dass ein entsprechender Schutz gegen exzessive Belastungen und die Verbesserung des Komforts auch zu einem positiven Effekt bezüglich der Leistung führen 28 29. Es ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass sich beispielsweise Komfort (Passform, Dämpfung) und Leistung auch teilweise gegenseitig ausschließen können 30. In diesem Fall besteht die Herausforderung an Wissenschaft und Sportschuhindustrie, diese „Trias“ der Hauptfunktionen eines Sportschuhs hinsichtlich der sportlichen Aktivität und deren präferierter Ausprägung (z. B. Training versus Wettkampf) zu optimieren.
Aufbau und Konstruktion eines Laufschuhs
Die folgenden Ausführungen zum Aufbau eines Laufschuhs beschränken sich auf die wichtigsten Bestandteile eines (konventionellen) Laufschuhs. Dieser setzt sich aus zwei wesentlichen Komponenten zusammen: dem Schaft (Oberteil) und der Bodeneinheit (Schuhboden), die aus Zwischensohle (Mittelsohle) und Außensohle (Laufsohle) besteht 31.
Schaft
Der Schaft, der wiederum in Oberschaft (Außenschaft) und Futterschaft (Innenschaft) sowie Vorder- und Hinterkappe (Fersenkappe bzw. Spitzenschutz) unterteilt werden kann (Abb. 2), umhüllt, schützt und führt den Fuß während der Abrollbewegung 32. Der Oberschaft (bestehend aus Blatt, Quartieren und Zunge) wird häufig aus atmungsaktiven oder luftdurchlässigen 3‑Schicht-Materialien („Sandwich-Konstruktion“) gefertigt. Die obere Schicht besteht aus Geweben, Strickwaren oder Gewirken und dient der Festigkeit (physikalische Eigenschaften) und der entsprechenden Optik (Netzstruktur). Für die mittlere Schicht wird Schaum verwendet, der exponierte Stellen (z. B. den Fersenbereich) abpolstert und somit zur Steigerung des Tragekomforts beiträgt. Die untere Schicht besteht aus einem Gewirke, das durch eine flexible Stichart geprägt ist (Charmeuse). Dieses Gewirke realisiert eine Faltenreduzierung und trägt zur Verbesserung der Schuhhygiene bei. Dadurch wird der Tragekomfort gefördert. Alle drei Schichten werden durch das sogenannte Flammkaschierverfahren miteinander verbunden 33. Für exponierte Stellen werden je nach Funktion und Design auch andere Materialien eingesetzt (Leder, Synthetik, Stoff, Gummi, Elastomere). Eine entscheidende Bedeutung in Bezug auf Form und Konstruktion kommt der Fersenkappe zu, da diese wesentlich für die Passform und den Halt der Ferse im Laufschuh sowie für die Stabilisierung während und nach dem Bodenkontakt verantwortlich ist. Größtenteils besteht sie aus einem Hartkunststoff. Markenanbieter verwenden vorgeformte Fersenkappen aus Polystyrol, thermoplastischem Kautschuk, Nylon oder TPU, die im Idealfall asymmetrisch auf der medialen Fußseite länger nach distal konstruiert sind. In der Regel wird die Fersenkappe in den Schaft eingearbeitet und außen von einem Fersenkappenschutz bedeckt. Sie kann jedoch auch an der Schaftaußenseite integriert sein. Oberhalb der Fersenkappe befindet sich der Fersenaufsatz (Blinker), der als Achillessehnenschutz fungiert und daher entsprechend dehnbar abgepolstert sein sollte. Je nach Machart wird der Schaft an der Unterseite in sich vernäht (Mokassin-Machart) oder mit einer dünnen, flexiblen Brandsohle (Zellulosebrandsohle) klebeverzwickt (AGO-Machart). Des Weiteren wird für die Herstellung von Laufschuhen häufig das Strobel-System (vernähte Filzbrandsohle) angewendet. Zudem existieren viele verschiedene „Mischmacharten“, die je nach Einsatzgebiet bzw. Funktion (Stabilitätsschuh versus Wettkampfschuh) des Laufschuhs angewendet werden 34.
Aufgrund neuer Materialentwicklungen und neuer Fertigungstechnologien, insbesondere im Textilbereich, hat der Schaft in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Bei vielen Laufschuhen wird entweder der ganze Schaft oder nur partielle Bereiche des Schafts gestrickt (Abb. 3a). Mit dem Einsatz von Gestrick kann eine gezielte „Zonierung“ vorgenommen werden, um beispielsweise eine Optimierung des thermischen Komforts zu erreichen. Durch die Anwendung von Klebetechniken oder durch Verschweißen können Schaftbestandteile nahtlos zusammengefügt werden, um so einer Blasenbildung entgegenzuwirken und den Tragekomfort zu erhöhen. Zudem werden Schaftmaterialien verwendet, die auf ökologischen (z. B. bei der Zusammenarbeit des Sportschuhherstellers Adidas mit der Organisation „Parley for the Oceans“, in der Plastikmüll – bevor er ins Meer gelangt – gesammelt und daraus rezyklierte Schuhschäfte angefertigt werden) (Abb. 3b) oder bionischen (z. B. die sogenannten Biosteel-Fasern, eine Nachbildung natürlicher Seide, ebenfalls von Adidas) Prinzipien basieren (Abb. 3c).
Auch die Weiterentwicklung von Schnür- bzw. Verschlusssystemen muss an dieser Stelle erwähnt werden. Hagen et al. konnten bereits für konventionelle Schnürsysteme mittels Modifizierung der Schnürtechnik nicht nur deren Einfluss auf den subjektiven Tragekomfort, sondern auch auf kinetische und kinematische Variablen nachweisen 35 36. Aktuell kann der Einsatz von BOA-Verschlusssystemen vermehrt am Laufschuhmarkt beobachtet werden. Diese Art eines zentralen Drehverschlusssystems, das ursprünglich in den 1990er Jahren als „Disc-System“ in Laufschuhen des Herstellers Puma 37 verbaut wurde, hat sich bereits bei Radschuhen und teilweise im alpinen Skisport etabliert. Feeney et al. konnten kürzlich für Laufschuhe, die mit verschiedenen BOA-Verschlusssystemen ausgerüstet waren, eine Reduzierung der vertikalen Kraftanstiegsraten zwischen 4 und 11 % gegenüber einem konventionellen Schnürsystem nachweisen 38.
Einlegesohle
Die Einlegesohle nimmt eine besondere Stellung ein, da sie in der Literatur weder eindeutig dem Schaft noch der Bodeneinheit zugeordnet wird. Serienmäßig hergestellte Einlegesohlen werden lose oder locker angeheftet in den Schuh eingelegt und können ebenfalls Einfluss auf die Nachgiebigkeitseigenschaften haben. Die mechanischen Eigenschaften von Einlegesohlen können durchaus einen wenn auch geringen Einfluss auf die resultierenden Eigenschaften des Gesamtsystems Schuh nehmen 39. Die eigentliche Aufgabe einer Einlegesohle besteht darin, den Fuß komfortabel auf der festen, ebenen Zwischensohle (oder Brandsohle) zu betten. Da die Fußsohle konturiert ist, sollte die Einlegesohle ausgleichend wirken und sich entsprechend dem Fuß anpassen. Die Materialdicke serienmäßig hergestellter Einlegesohlen variiert zwischen 3 und 6 mm. Sie sind in der Regel aus Polyurethan (PUR), Ethylenvinylacetat (EVA) oder einer Mischung aus beiden Schaumstoffen gefertigt. Die Deckschicht besteht zumeist aus Nylon oder speziellen Filzarten. Bislang gibt es aber nur wenige Hersteller, die der seriellen Einlegesohle eine angemessene funktionelle Bedeutung sowohl im Hinblick auf den mechanischen und thermischen Komfort als auch im Zusammenhang mit der Prävention von Blasenentstehung und der Schuhhygiene beimessen. Dies scheint allerdings nur unter Berücksichtigung der komplexen Interaktion zwischen Einlegesohle, Schaft und Laufsocke möglich zu sein 40 41.
Auch im Hinblick auf eine präventive und/oder rehabilitative Funktion in Bezug auf laufsportinduzierte Verletzungsmuster bzw. Fußfehlstellungen muss der Nutzen seriell hergestellter Einlegesohlen negiert werden. Hier muss nach wie vor der Einsatz einer individualisierten Einlagenversorgung favorisiert werden, die allerdings gegenwärtig noch als eher aufwendig und kostenintensiv einzuschätzen ist. Moderne Fertigungstechnologien wie beispielsweise die 3D-Drucktechnologie (vgl. Zwischensohle) könnten hier für die individualisierte Einlagenversorgung eine interessante Perspektive – sowohl für Athleten als auch für die Orthopädietechnik – darstellen.
Zwischensohle
Die Zwischensohle wird auch als das „Herz des Laufschuhs“ bezeichnet, da sie maßgeblich seine funktionellen Eigenschaften determiniert. So ist sie zum Beispiel für die Ausprägung der funktionellen Sportschuhparameter Dämpfung, Stabilität, Torsionsfähigkeit, Vorfußflexibilität, Abrollverhalten und Schuhgewicht verantwortlich. Die noch immer am häufigsten verwendeten Werkstoffe sind PUR (Poly urethan) und insbesondere EVA, wobei PUR zwar langlebigere Nachgiebigkeitseigenschaften aufweist, jedoch schwerer als EVA ist 42. Größtenteils wird das in Zwischensohlen verwendete EVA-Material in sogenannten Sheets hergestellt. Diese ähneln großen Matten bzw. Platten. Aus diesen EVA-Sheets werden etwa in der Größe einer Zwischensohle sogenannte Blocker gefertigt. Dabei wird folgende Klassifizierung der Blocker hinsichtlich der Konstruktion vorgenommen 43:
- „one piece cut/grind“: Die Blocker werden durch Zerschneiden (ein Stück) der EVA-Sheets hergestellt und dann in die endgültige Form gebracht.
- „multi piece cut/grind“: Diese Konstruktion wird angewendet, wenn die Zwischensohle aus mehreren Teilen besteht (z. B. Aufnahme von Design- oder Stabilitätselementen). Diese Konstruktion basiert auf der Zusammensetzung mehrerer ausgeschnittener Teile unterschiedlicher EVA-Sheets (z. B. unterschiedliche Härten für Stabilitätselemente). Diese werden entsprechend weiterverarbeitet (z. B. geschliffen).
- „one piece mold/grind“: Bei dieser Konstruktion werden die Blocker zuerst „vorgeformt“ („premolded“) und dann zugeschliffen. Das Vorformen der Blocker kann entweder durch Druckvulkanisation („press curing“) oder per Einspritzverfahren („injection“) erfolgen. Diese Konstruktion hat den Vorteil, dass weniger Materialabfall entsteht. Jedoch müssen dafür verschiedene Gussformen hergestellt werden, wodurch die initialen Kosten steigen.
- „core and rim“: Diese Konstruktionsweise beruht auf zwei Teilen: dem Zwischensohlenkern („core“ bzw. „base/body“) und dem Rand („rim“ bzw. „cupwall“). Dieser Typ von Blockern wird in der Regel bei Modellen angewendet, bei denen der Außenrand der Zwischensohlen mit dekorativen Elementen (z. B. Mesh-Materialien) versehen wird.
Auch hinsichtlich des Fertigungsprozesses lassen sich EVA-Blocker klassifizieren. Dabei werden folgende Prozesse unterschieden:
- „copy and hand grind“: Diese Blocker werden unmittelbar aus den EVA-Sheets angefertigt. Der gesamte Prozess besteht aus dem Zuschneiden („cutting“), dem „eigentlichen“ Schneiden („slicing“), dem Feinschneiden („tapering“) und dem Schleifen („grinding“).
- „compression molding“: Die Anfertigung dieser Blocker basiert auf der direkten Vulkanisation des EVAs in den Blockerformen. Unter Vulkanisation wird die Umwandlung des nur wenig elastischen und rasch brüchig werdenden Rohkautschuks (Naturkautschuk und Synthesekautschuk) in elastischeres und beständigeres Gummi durch geeignete Chemikalien verstanden. Beim Prozess des „compression molding“ kommt es zu einer Reduktion des Materialabfalls, was in der Serienproduktion von Zwischensohlen im Hinblick auf die Kostensenkung grundsätzlich einen wichtigen Punkt darstellt.
- „injection molding“: Dieser Prozess ähnelt dem eben beschriebenen „compression molding“. Der Unterschied besteht darin, dass Vulkanisation und Formgebung der Blocker per Einspritzverfahren („injection“) erfolgen. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass die Schuhmaschinenfirma Desma in Kooperation mit den Unternehmen Hewlett Packard (HP), RSscan, Superfeet und Brooks anlässlich der ISPO 2018 eine Fertigungstechnologie („FitStation“) vorgestellt hat, die es erlaubt, mittels PUR-Spritzmaschinen („injection molding“) drei Schuhbereiche (Vor‑, Mittel- und Rückfuß) mit unterschiedlicher Härte zu spritzen 44. In absehbarer Zukunft soll es sogar möglich sein, mediale und laterale Sohlensegmente mit unterschiedlichen PUR-Härten respektive unterschiedlicher Dichte zu spritzen, sodass insgesamt sechs Bereiche in einem Fertigungsprozess „individualisiert“ werden können.
Neben der Verwendung von EVA und PUR kommen in letzter Zeit für höherpreisige Laufschuhe auch Zwischensohlen auf der Basis von TPU (thermoplastisches Polyurethan) oder PEBA (TPE-A-Polyamid bzw. Polyetherblockamid) auf den Markt 45. TPU-Zwischensohlen werden z. B. in den „Boost“-Laufschuhen von Adidas verwendet. Das von BASF entwickelte Material ist ein sogenanntes „expanded TPU“ (ETPU) und weist aufgrund der verarbeiteten „beads“ (kleine Kügelchen in Tablettengröße) das charakteristische Design der Zwischensohlenhaut auf (Abb. 3b u. c). Zwischensohlen aus PEBA werden beispielsweise in den Nike-Modellen „Vaporfly 4%“ bzw. „Vaporfly next%“ verbaut. Beide Materialien zeichnen sich im Vergleich zu konventionellen EVA-Materialien durch einen geringeren Energieverlust bzw. eine höhere Energierückgewinnung („energy return“) aus, wobei das PEBA-Material leichter, dafür aber weniger haltbar als TPU ist 46 47. Das bedeutet, dass es deutlich früher zu einer plastischen Deformation kommt, dass also der Laufschuh eher seine ursprünglichen Dämpfungseigenschaften verliert. Diese Tatsache wurde bereits bei konventionellen EVA-Zwischensohlen nachgewiesen: Bei einer herkömmlichen EVA-Zwischensohlenhärte von 55 Asker C (Materialhärte, die am häufigsten in konventionellen Zwischensohlen verwendet wird) kommt es bereits innerhalb der ersten 100 km zu einer deutlichen Reduzierung der Nachgiebigkeitseigenschaften (Dämpfung) sowohl im Rückfuß- als auch im Vorfußbereich 48 49 50. Diese Reduzierung der Nachgiebigkeitseigenschaften fällt bei geringeren Zwischensohlenhärten (40 Asker C) noch deutlicher aus 51.
Ein weiterer Nachteil von EVA-Materialien besteht in ihrer Temperaturabhängigkeit: Der Einfluss, den die Temperatur auf das Verhalten von Kunststoffen bzw. Elastomeren und die Eigenschaften von Formteilen ausübt, wirkt sich weit stärker und vor allem auch innerhalb weit niedrigerer Temperaturbereiche aus als bei Metallen 52. Die mit Erwärmung oder Abkühlung verbundene Veränderung des Energiezustandes führt zu markanten Änderungen der mechanischen, aber auch der elektrischen und chemischen Eigenschaften. Kunststoffe sind infolgedessen nur in relativ geringem Umfang wärmebeständig und formstabil. Kleindienst et al. haben mittels einer servohydraulischen Druckprüfmaschine ein typisches Belastungsmuster eines Läufers simuliert und die Dämpfungseigenschaften von EVA-Zwischensohlen, die sich ausschließlich in ihrem Härtegrad unterschieden, bei unterschiedlichen Umgebungstemperaturen analysiert 53. Abbildung 4 lässt sich entnehmen, dass (extrem) variierende Temperaturen Einfluss auf die funktionelle Steifigkeit von EVA-Materialien und demzufolge auch auf die Rückfußdämpfung haben. Generell gilt, dass sich mit sinkenden Temperaturen die funktionellen Steifigkeiten erhöhen und somit die wahrgenommene Dämpfung härter wird. Zudem resultieren aus niedrigeren Temperaturen geringere bzw. kürzere Deformationswege. Dass für diese temperaturabhängige Änderung der Dämpfungseigenschaften eher das Umgebungsklima und weniger die durch den Aufprall freigesetzte Wärmeenergie verantwortlich ist, zeigen Kleindienst und Westphal in einer Fallstudie 54: Basierend auf den Daten eines Temperatursensors, der mittig in Bezug auf die Zwischensohlenhöhe unter dem Calcaneus implementiert wurde, gelangten sie zu dem Schluss, dass sowohl die Umgebungstemperatur (aufgrund von Absorption) als auch die Bodentemperatur (aufgrund der Reflexion vom Laufuntergrund) erhebliche Einflussfaktoren nicht nur bezüglich des Schuhklimas, sondern auch der EVA-Zwischensohlentemperatur darstellen. Sinclair et al. 57 58.
Neben den oben angeführten Fertigungstechnologien zur Herstellung von Zwischensohlen wurden im Jahr 2016 die ersten Laufschuhe mit Zwischensohlen, die mittels 3D-Drucktechnologie gefertigt wurden, vorgestellt 59. Vorreiter sind hier die Hersteller Adidas, New Balance, Nike und Under Armour (Abb. 5). Als Basismaterial für den 3D-Druck wird in der Regel ein TPU-Material verwendet. Mittels der 3D-Drucktechnologie sollen nach Angaben der Hersteller maßgefertigte Komponenten bzw. Zwischensohleneigenschaften realisiert werden. Ähnlich dem Prozess des „injection molding“ von Desman sollen basierend auf einem „Fitting-Verfahren“ (unter Berücksichtigung individueller Präferenzen und biomechanischer Anforderungen) personalisierte Zwischensohlen gedruckt werden.
Allerdings muss angesichts zu langer Druckzeiten und somit zu hoher Herstellungskosten wohl noch auf eine neue Generation von 3D-Druckern bzw. eine generelle Optimierung der 3D-Drucktechnologie gewartet werden, um eine Marktdurchdringung auf einem normalen Preisniveau zu gewährleisten. Im Gegensatz dazu werden 3D-gedruckte Einlagen in der orthopädischen Einlagenversorgung bereits erfolgreich angewendet 60. Ebenso bietet die Firma Phits im Sportbereich individualisierte und unter Berücksichtigung der biomechanischen Anforderungen der jeweiligen Sportart entworfene 3D-gedruckte Einlagen an – sowohl für den Profi- als auch für den Alltagssportler 61.
Einen weiteren Aspekt, der in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, stellt die ökologische bzw. nachhaltige sowie ungiftige Fertigung von Zwischensohlen dar 62 63. Ähnlich wie bei der Schaftherstellung umfasst dies nicht nur die Anwendung ökologischer Fertigungstechnologien, sondern auch den Einsatz nachhaltiger Materialien. Grundsätzlich können dabei – neben dem Problem einer ökologischen Entsorgung alter Laufschuhe – zwei Herangehensweisen unterschieden werden, um den Einsatz fossiler (erdölbasierter) Rohmaterialien zu reduzieren. So wird zum einen versucht, Zwischensohlen aus recyceltem Material herzustellen (z. B. EVA), zum anderen, Zwischensohlenschäume aus biobasierten Rohmaterialien anzufertigen. Beide Ansätze befinden sich mehr oder weniger noch im Versuchsstadium, denn die Herausforderung besteht nicht nur darin, recycelte oder biobasierte Schäume einzusetzen, sondern auch in der Gewährleistung der funktionellen Anforderungen an die Materialien. Dies betrifft insbesondere die Nachgiebigkeitseigenschaften und die Haltbarkeit bzw. die Langlebigkeit solcher Materialien. Aus diesem Grund werden momentan nur Zwischensohlenkomponenten hergestellt, die Mischformen darstellen, also beispielsweise zu 30 % aus nachhaltigen und zu 70 % aus fossilen Rohmaterialien bestehen. Zudem scheint der Fertigungsprozess noch nicht ausgereift zu sein. Das vermehrte Bemühen der Laufschuhindustrie, ökologische Aspekte in der Laufschuhherstellung zu realisieren, zeigt die Einführung des Modells „Futurecraft Loop“ von Adidas, bei dem die TPU-Zwischensohle zu 100 % recycelbar ist 64.
Außensohle
Während der Schaft dazu dient, den Fuß möglichst optimal mit der Zwischensohle zu verbinden, soll die Außensohle die Zwischensohle vor äußeren (mechanischen) Einwirkungen schützen. Zudem muss sie je nach dem Einsatzgebiet des Laufschuhs eine optimale Haftung bzw. Friktion (Reibungsverhalten, im Sportschuhbereich auch als „Traktion“ bezeichnet) zwischen Laufschuh und Untergrund bieten. Daher ist die 2 bis 8 mm dicke Außensohle aus besonders abriebfesten Gummimaterialien gefertigt und unterscheidet sich durch unterschiedliche Profilierungen: Von feinen, nur 2 bis 3 mm dünnen Wettkampfprofilen über Allround- bis zu groben, 8 mm dicken Geländeprofilen sind die verschiedensten Ausprägungen vertreten (Abb. 6). Durch Variation der Materialdichte sowie der Dicke der Außensohle lässt sich neben der Modifikation der Traktions- und Abriebeigenschaften auch ein gewisser Einfluss auf die Flexionseigenschaften (z. B. longitudinale Biegeeigenschaften im Vorfußbereich), auf die Dämpfung (z. B. das Material „blown rubber“ – aufgeschäumter Gummi mit geringerer Dichte – im Vorfußbereich) sowie das Schuhgewicht nehmen 65. Die Traktion bleibt jedoch die wichtigste Funktion der Außensohle bei Laufschuhen 66 67. Diesbezüglich erscheint es etwas überraschend, dass zum Thema „Laufschuh und Traktion“ bzw. generell zum Thema „Laufschuhe und Außensohle“ – insbesondere im Vergleich zu Fußballschuhen 68 69 – so gut wie keine wissenschaftlichen Publikationen in der öffentlich zugänglichen Literatur zu finden sind. Valiant 70 führt in seiner Abhandlung über Traktionseigenschaften von Sportschuhen an, dass der Rückfuß- und insbesondere der Vorfußbereich der Außensohle für den Läufer wichtig seien. Um ein Rutschen während der Landephase (Abbremsung; Rückfußbereich) zu vermeiden, ist ein Reibungskoeffizient (Quotient aus horizontaler und vertikaler [Bodenreaktions-]Kraft) von 0,6 und während der Abstoßphase (Beschleunigung; Vorfußbereich) von 0,7 erforderlich. Auch Nigg et al. 71 empfehlen zur Gewährleistung minimaler Traktionsanforderungen (Vermeiden von Rutschen) einen Reibungskoeffizienten, der zwischen 0,6 und 0,9 liegt.
Sowohl die Werte von Valiant 72 als auch von Nigg et al. 73 beziehen sich auf den translatorischen Reibungskoeffizienten. Mit translatorischer Traktion ist beim Laufen die geradlinige Bewegung des Schuhs entlang seiner Longitudinalachse gemeint. Demgegenüber wird unter „rotatorischer Traktion“ das Drehen des Fußes in Bezug auf den Untergrund verstanden. Beim Laufschuh bzw. beim Laufen liegt das Interesse eher in der Bestimmung des translatorischen Reibungskoeffizienten, während bei azyklischen Sportarten (z. B. Fußball, Basketball oder Tennis) eher die Bestimmung der rotatorischen Traktion im Mittelpunkt steht. Es ist jedoch anzunehmen, dass bei Laufsportarten, die plötzliche Richtungswechsel beinhalten, beispielsweise beim Trail oder Mountain Running, die rotatorische Komponente – nicht nur in Bezug auf Verletzungsprävention, sondern auch im Hinblick auf den Leistungsaspekt – an Bedeutung gewinnen wird. Diese Annahme wird durch die Studie von Keshvari et al. 74 unterstützt, die mittels eines Traktionsmessgerätes („TUM TrackTester“, Abb. 7) den rotatorischen Gleitreibungskoeffizienten verschiedener Außensohlenprofile für Traillaufschuhe des Herstellers Scott objektiv analysiert und innerhalb eines komplexen Feldtests subjektiv evaluiert haben.
Im Zusammenhang mit dem Leistungsaspekt verglichen Worobets et al. 75 die Traktionseigenschaften einer konventionellen Laufschuh-Außensohle mit einer optimierten Außensohle. Die optimierte Außensohle unterschied sich ausschließlich darin, dass im Vorfußbereich als Material ein „high traction rubber“ verwendet wurde, das im Vergleich zum konventionellen Außensohlenmaterial weicher ausfiel. Zwanzig Probanden mussten mit beiden Testschuhmodifikationen eine Art Hindernisparcours durchlaufen, in dem u. a. Kurvenlaufen, maximales Beschleunigen und ein abrupter Richtungswechsel von 180° enthalten waren. Das Resultat: Die Probanden waren mit dem Laufschuh, der das „high traction rubber“ im Vorfuß enthielt, signifikant schneller. Die Autoren schließen daraus, dass optimale Traktionseigenschaften nicht nur die minimalen Traktionsanforderungen für das Vermeiden von Rutschen beinhalten, sondern auch zu einer Leistungssteigerung führen können 76.
Wie aus dieser Studie 77 des Weiteren hervorgeht, wurden die höheren Traktionseigenschaften durch ein weicheres Außensohlen-Material (in diesem Fall Gummi) erreicht. Ein weicheres Außensohlen-Material führt in der Regel auch zu einem höheren Abrieb und vice versa 78. Ein höherer Abrieb ist wiederum dort zu finden, wo eine höhere Reibung stattfindet. Das heißt, beim Laufschuh sind die beiden prominenten Bereiche (Rück- und Vorfußbereich), die sowohl für die Traktion als auch für den Abrieb verantwortlich sind, identisch. Es bleibt somit eine Herausforderung für die Hersteller, diesen Antagonismus der Außensohlen-Anforderung segmentspezifisch unter Berücksichtigung des Einsatzgebietes bzw. der Bodenbeschaffenheit und der jeweiligen sportlichen Aktivität optimal zu lösen.
Weiterer Forschungsbedarf besteht hinsichtlich der Temperaturabhängigkeit der Außensohlen-Materialien auf die Traktionseigenschaften. Zudem gibt es bisher keine öffentlich zugänglichen Daten bzw. Informationen über die Traktionsanforderungen beim Bergauf- und Bergablaufen bzw. beim Laufen auf Sedimentböden (z. B. Geröllboden). Dieses Wissen wäre jedoch für Laufsportaktivitäten wie beispielsweise Trail‑, Mountain- und Skyrunning von großer Bedeutung. Zudem sollten die offiziellen Normen zur Überprüfung der Rutschhemmung (DIN EN ISO 13287:2013) sowie zur Bestimmung des Abriebwiderstandes (DIN ISO 4649:2014–03) im Hinblick auf Sportschuhe generell und insbesondere für Laufschuhe erweitert bzw. den realen Bedingungen, die möglichst dem Einsatzgebiet des Schuhs nahekommen, angepasst werden. Beispiele aus Calgary und München zeigen diesbezügliche Möglichkeiten – aber auch Notwendigkeiten 79 80.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass – ähnlich wie bei Zwischensohlen und Schaftkonstruktionen – auch bei der Herstellung von Außensohlen zunehmend versucht wird, nachhaltige bzw. ökologische Fertigungstechnologien und Materialien anzuwenden 81. Allerdings besteht auch hier die Herausforderung, dass auch nachhaltige Lösungen die funktionellen Anforderungen – insbesondere bei den Abriebeigenschaften – erfüllen sollen. Dies lässt sich offenbar derzeit noch schwer umsetzen: Momentan lassen sich nur Anteile zwischen 20 und 30 % von recyceltem Gummi bei Laufschuh-Außensohlen realisieren.
Fazit und Ausblick
Seit der Einführung der ersten industriell gefertigten Laufschuhe vor etwa 130 Jahren haben sich die drei funktionellen Anforderungen an Sportschuhe nicht verändert: Nach wie vor stehen Verletzungsprävention, Optimierung des Komforts und Leistungsverbesserung im Mittelpunkt. Ebenso wenig haben sich die Hauptbestandteile und somit der prinzipielle Aufbau eines Laufschuhs verändert: Dieser setzt sich immer noch aus zwei wesentlichen Komponenten zusammen – dem Schaft und der Bodeneinheit, die aus Zwischensohle und Außensohle besteht. Die Einlegesohle fungiert als Schnittstelle zwischen Schaft und Bodeneinheit.
Obwohl die funktionellen Anforderungen sowie die Hauptbestandteile eines Laufschuhs über die Zeit gleich geblieben sind, hat der Laufschuh nicht nur sein Aussehen gravierend verändert, sondern auch seine Einsatzgebiete sind vielfältiger geworden, was wiederum in der Ausprägung und Fragmentierung seiner funktionellen Eigenschaften und deren Umsetzung im Laufschuh deutlich erkennbar ist (Abb. 8). Gerade in den letzten Jahren haben neue Fertigungstechnologien sowie neue Materialien zum enormen Fortschritt in der Laufschuhentwicklung beigetragen. Insbesondere durch die Anwendung der Stricktechnologie sowie nahtloser Fügetechniken bei der Schaftkonstruktion konnten Komfort und Passform erheblich verbessert werden. Neue Zwischensohlenmaterialien wie beispielsweise TPU- und PEBA-Materialien führen zu deutlich differenzierteren Dämpfungseigenschaften – auch unter energetischen Gesichtspunkten. Sowohl die Stricktechnologie als auch die 3D-Drucktechnologie zur Herstellung von Zwischensohlen eröffnen verbesserte Möglichkeiten für individualisierte Schuhe. Zudem ist ein klarer Trend in Richtung nachhaltiger und ökologischer Materialien sowie Fertigungstechnologien zu beobachten. Dies betrifft alle Hauptbestandteile des Laufschuhs, wobei allerdings noch substanzielle „Hausaufgaben“ bei der Bodeneinheit zu erledigen sind. Interessant ist dabei, dass Nigg bereits im Jahr 1990 im Rahmen seiner Überlegungen zum Thema „Trend zur Natur und Sportschuhkonstruktion“ u. a. die beiden Trends „Individualisierung“ sowie „Ökologie/Nachhaltigkeit“ in einem Forschungsbericht für die Firma Adidas angeführt hat 82.
Neben den oben angeführten Trends waren die letzten 20 Jahre auch durch eine so intensive wie kritische Auseinandersetzung mit dem originären Laufschuhkonzept „Dämpfen – Stützen – Führen“ 83 im Zusammenhang mit der Prävention laufsportspezifischer Verletzungsmuster sowie der Optimierung des Komforts geprägt. Hier kam es zu einem Paradigmenwechsel, der primär durch die Forschungsgruppe um Benno Nigg initiiert wurde 84 85 86. Ausgehend vom originären Konzept in Bezug auf die Reduzierung der Stoßkräfte (Dämpfung) sowie die Skelettausrichtung (mediolaterale Stabilität) wird ein „Muskel-Tuning-Konzept“ (basierend auf der Muskelvibration), ein Konzept zum „Präferierten Bewegungspfad“ sowie zu einem sogenannten Komfortfilter vorgeschlagen. In diesem Zusammenhang wird auf die deutschsprachigen Übersichtsarbeiten von Walther und Kollegen 87 88 verwiesen, die diesen Paradigmenwechsel aus sportorthopädischer Sicht verständlich darstellen. Auch die Kölner Forschungsgruppe um Willwacher in enger Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Brooks beschäftigt sich intensiv mit der Eruierung, Weiterentwicklung und Evaluierung dieser neuen Konzeptansätze 89 91.
Im Rahmen dieser wissenschaftlich fundierten Konzepte haben sich zeitgleich bestimmte „Laufschuhtrends“ entwickelt, die auf den Erkenntnissen des oben aufgezeigten Paradigmenwechsels beruhen. In diesem Zusammenhang lässt sich etwa der Trend „Natürliches Laufen“ („natural running“) in Verbindung mit sogenannten Minimalschuhen bzw. Barfußschuhen anführen 92 93 94. Ein Nachweis für die primäre Intention von Minimalschuhen, nämlich das Risiko laufsportspezifischer Verletzungsmuster zu reduzieren, konnte bisher allerdings noch nicht erbracht werden. Als Gegentrend zu den Minimalschuhen kamen gegen Ende der 2000er Jahre die sogenannten Maximalschuhe auf den Markt. Dabei sollten mit Hilfe einer dickeren Zwischensohle (ca. 30 mm im Rückfußbereich) deutlich weichere Dämpfungseigenschaften erzielt werden, die die Stoßkräfte reduzieren sowie einen verbesserten Komfort bewirken sollten. Jedoch kann aus der Vielzahl der aktuell veröffentlichten Studien, in denen Maximalschuhe mit Minimalschuhen und mit konventionellen Schuhen hinsichtlich verschiedenster biomechanischer, physiologischer und sportmedizinischer Variablen analysiert und verglichen werden, angesichts widersprüchlicher Ergebnisse noch nicht abgeleitet werden, ob die oben angeführte Intention von Maximalschuhen in Bezug auf Verletzungsprävention und Komfortoptimierung tatsächlich erfüllt wird oder nicht 95 96 97 98 99 100.
Ein letzter Laufschuhtrend, der an dieser Stelle erwähnt werden soll, betrifft das von dem US-amerikanischen Laufschuhhersteller Nike im Jahr 2016 angekündigte Projekt „Breaking 2“ mit dem Ziel, die 2‑StundenMarke im Marathonlauf zu brechen. Dazu wurde ein Schuh entwickelt, der zwar die geometrischen Dimensionen eines Maximalschuhs aufweist, bei dem aber zusätzlich eine Carbonplatte in der Zwischensohle integriert wurde. Diese Platte hat die Aufgabe, den Bereich der Zehengrundgelenke zu versteifen, um beim Abstoß den Energieverlust zu minimieren und im besten Fall sogar Energie zurückzugeben. Um dennoch ein harmonisches Abrollverhalten zu gewährleisten, wurde eine Art Rocker-Technologie im Vorfußbereich verwendet, die mittels einer größeren Zehensprengung bzw. Spitzensprengung und einer entsprechend dickeren Zwischensohle (vgl. Maximalschuhe) realisiert wurde. Mit einem aus dem „Monza-Rennen“ (dort wurde 2017 der erste Versuch unternommen, die 2‑Stunden-Marke im Marathon zu unterbieten) weiterentwickelten Schuh des Typs „Vaporfly Next%“ konnte 2019 von Eliud Kipchoge tatsächlich die 2‑Stunden-Marke unterboten werden. Für diesen Erfolg wird neben dessen Leistungsvermögen und anderen Faktoren (z. B. Streckenprofil, Windschattenlaufen, klimatische Bedingungen) auch der Laufschuh verantwortlich gemacht. Für diese schuhspezifische Leistungssteigerung verweisen sowohl die Firma Nike als auch Sportschuhwissenschaftler auf das symbiotische Zusammenwirken der longitudinalen Biegesteifigkeit und der eher elastischen Eigenschaften des verwendeten Zwischensohlenmaterials (vgl. Zwischensohle) 101 102 103 104 105.
Seit 2019 bieten nunmehr auch andere Hersteller wie z. B. Hoka One One, Saucony, New Balance oder Adidas (Abb. 9) Laufschuhe mit Rocker-Technologie verbunden mit einer Vorfußversteifung an 106. Interessant ist die Tatsache, dass die IAAF (der Leichtathletik-Weltverband) auf den leistungssteigernden Effekt der neuen Laufschuhgeneration unmittelbar reagiert hat und nun in ihrer Regel 143 („Bekleidung und Schuhe“) unter Punkt 2 eine „maximale Dicke der Sohle von 40 mm“ und unter Punkt 3 den „Einsatz von nur einer elastischen Platte im Sohlenmaterial“ vorschreibt. Diese Vorschriften sollen faire Wettkampfbedingungen gewährleisten, wobei diese neue Regelung momentan eher zu intensiven Diskussionen von Herstellern, Athleten und Wissenschaftlern geführt hat 107 108.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Firma Scott bereits im Jahr 2011 Laufschuhe mit einer sogenannten „eRide-Technologie“ auf den Markt gebracht hat, die ähnliche technische Komponenten (Rocker-Technologie plus Vorfußversteifung) aufwiesen 109. Dabei ist das ursprüngliche Konzept einer Kombination von Rocker-Technologie und Schuhsohlenversteifung schon wesentlich älter – es stammt aus der Orthopädie-Technik 110.
Im Jahr 2016 hat die Laufzeitschrift „aktivLaufen“ eine Marktübersicht zu 245 Laufschuhen erstellt 111. Im selben Jahr konnte einer Pressemitteilung der Laufzeitschrift „Runner’s World“ entnommen werden, dass über 1.000 verschiedene Laufschuh-Modelle im deutschen Handel angeboten werden – Tendenz steigend. Insofern bleibt zu hoffen, dass Niggs Konzept eines „Komfortfilters“, bei dem jeder Läufer basierend auf seiner eigenen Komfortwahrnehmung bzw. Intuition den für ihn richtigen Laufschuh wählt, tatsächlich funktioniert 112.
Für die Autoren:
Dr. Sportwiss. Frank I. Michel
SCM – Sports Consulting Michel
Gräbenen 3
88085 Langenargen (Bodensee)
f.michel@sports-consulting-michel.com
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