Fin­ger­be­we­gungs­or­the­se zur Unter­stüt­zung der Reha­bi­li­ta­ti­on nach Fingerverletzungen

J. Kux, M. Bravo, T. Hettenhausen, V. Bartels, C. García, S. Bauer, A. F. Schilling
Das Gründerteam „3Digity“ an der Georg-August-Universität Göttingen entwickelt eine motorbetriebene Fingerbewegungsorthese, um den Rehabilitationsprozess nach Fingerverletzungen zu unterstützen. Der Fertigungsprozess verläuft komplett digital; die Orthese wird mittels 3D-Druck hergestellt. Sie kann daher individuell und passgenau auf die jeweilige Indikation und auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten zugeschnitten werden. Eine dadurch ermöglichte digital erweiterte Bewegungstherapie soll angesichts des Fachkräftemangels in diesem Bereich mögliche Folgeschäden wie Bewegungseinschränkungen der Finger vermeiden helfen. Ein interdisziplinäres Forscherteam arbeitet im Rahmen eines Forschungstransfer-Programms an der Gründung eines Spin-off-Unternehmens, um diese Innovation auf den Markt zu bringen.

Ein­lei­tung

Die Hän­de sind die wich­tigs­ten Werk­zeu­ge des Men­schen. Die vie­len klei­nen Fin­ger­ge­len­ke müs­sen beweg­lich und funk­ti­ons­tüch­tig sein, um im All­tag die not­wen­di­gen Funk­tio­nen aus­üben zu kön­nen. Fin­ger­ver­let­zun­gen bedro­hen die Funk­ti­ons­fä­hig­keit und damit die Erwerbs­fä­hig­keit und Lebens­qua­li­tät betrof­fe­ner Pati­en­ten. Da Hän­de und Fin­ger im All­tag so häu­fig und inten­siv belas­tet wer­den, sind sie sehr anfäl­lig für Ver­let­zun­gen: Mehr als ein Drit­tel der Arbeits­un­fäl­le sind Hand­ver­let­zun­gen 1. Laut dem Jah­res­be­richt 2021 des Hand­trau­ma­re­gis­ters der Deut­schen Gesell­schaft für Hand­chir­ur­gie (DGH) sind die Phal­an­gen dabei am häu­figs­ten in Mit­lei­den­schaft gezo­gen 2. Ver­let­zun­gen der Phal­an­gen und der metakar­pa­len Kno­chen machen etwa zehn Pro­zent aller Frak­tu­ren aus 3.

Anzei­ge

Neben der Ver­let­zung selbst stellt die Ruhig­stel­lung zur Behand­lung eine Gefahr für die Hand­funk­ti­on dar: Etwa 25 Pro­zent aller Fin­ger­ein­stei­fun­gen sind ursprüng­lich auf Frak­tu­ren zurück­zu­füh­ren und ste­hen häu­fig mit einer zu lan­gen Ruhig­stel­lung in Ver­bin­dung 4.

Ange­sichts des Fach­kräf­te­man­gels im Bereich der Reha­bi­li­ta­ti­ons­me­di­zin wird eine suf­fi­zi­en­te Früh­re­ha­bi­li­ta­ti­ons­be­hand­lung von Fin­ger­ver­let­zun­gen immer schwie­ri­ger. Laut Arbeits­markt­sta­tis­tik der Bun­des­agen­tur für Arbeit wur­de im Bereich Phy­sio­the­ra­pie im Jahr 2019 ein Nega­tiv­re­kord mit 3,5 offe­nen Stel­len auf eine arbeits­su­chen­de Phy­sio­the­ra­peu­tin bzw. einen arbeits­su­chen­den Phy­sio­the­ra­peu­ten und mit einer Vakanz­zeit von 189 Tagen erreicht, um eine offe­ne Stel­le zu beset­zen 5. All­ge­mein sind beson­ders die medi­zi­ni­schen Gesund­heits­be­ru­fe vom Fach­kräf­te- und Nach­wuchs­man­gel betrof­fen: Im Jahr 2022 stan­den die medi­zi­ni­schen Gesund­heits­be­ru­fe auf dem drit­ten Platz unter den Berufs­grup­pen mit den meis­ten offe­nen Arbeits­stel­len 6. Eine Online­be­fra­gung des Deut­schen Ver­ban­des für Phy­sio­the­ra­pie (ZVK) und des Ver­ban­des für Phy­si­ka­li­sche The­ra­pie (VPT) ergab, dass über die Hälf­te aller Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten drei Wochen oder sogar län­ger auf einen Ter­min in der Phy­sio­the­ra­pie war­ten müs­sen 7. Eine früh­funk­tio­nel­le und qua­li­ta­ti­ve Nach­be­hand­lung in die­sen ers­ten Wochen ist aber wich­tig, um Fol­ge­schä­den nach Hand­ver­let­zun­gen zu ver­mei­den, denn eine nicht adäqua­te Behand­lung kann zu Funk­ti­ons­ein­schrän­kun­gen der Hand füh­ren 8. Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit dege­ne­ra­ti­ven und neu­ro­lo­gi­schen Erkran­kun­gen pro­fi­tie­ren eben­falls von regel­mä­ßi­ger Mobi­li­sie­rung. Dar­aus ergibt sich ins­ge­samt ein Bedarf an unter­stüt­zen­den tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten. Die­se könn­ten den Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­zess früh ein­lei­ten, die War­te­zeit über­brü­cken und das medi­zi­ni­sche Fach­per­so­nal im Ver­lauf der The­ra­pie entlasten.

Das Pro­jekt „3Digity”

Es gibt bereits ers­te tech­ni­sche Ange­bo­te auf dem Markt, wie zum Bei­spiel Reha­bi­li­ta­ti­ons­ro­bo­ter und/oder motor­be­trie­be­ne Schie­nen, um Gelen­ke pas­siv zu mobi­li­sie­ren. Eine gute geeig­ne­te tech­ni­sche Unter­stüt­zung für die Zwe­cke einer Handreha­bi­li­ta­ti­on soll­te fol­gen­de Eigen­schaf­ten aufweisen:

  • Ver­füg­bar­keit kurz nach der Verletzung,
  • beque­mer Sitz mit kor­rek­ter Posi­tio­nie­rung der ver­letz­ten Fingergelenke,
  • leich­te Bedienbarkeit,
  • mobi­ler Ein­satz sowie
  • indi­vi­du­el­le, spe­zi­fisch auf die Ver­let­zung zuge­schnit­te­ne Therapieoptionen.

Im Pro­jekt „3Digity“ an der Georg-August-Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen wird an einer Lösung gear­bei­tet, die die­se Anfor­de­run­gen erfüllt: eine mobi­le, indi­vi­dua­li­sier­te moto­ri­sier­te Fin­ger­or­the­se, die auf die Patho­phy­sio­lo­gie und die the­ra­peu­ti­schen Bedürf­nis­se der Pati­en­ten und Pati­en­tin­nen zuge­schnit­ten ist und mit­tels 3D-Drucks her­ge­stellt wird.

Das Pro­jekt ist ein seit März 2022 vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft und Kli­ma­schutz (BMWK) geför­der­tes Pro­jekt an der Uni­ver­si­täts­me­di­zin der Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen. Es hat zum Ziel, eine pati­en­ten­spe­zi­fi­sche Reha­bi­li­ta­ti­ons­fin­ger­or­the­se zu einem markt­rei­fen Pro­dukt zu entwickeln.

Dazu arbei­tet ein inter­dis­zi­pli­nä­res Team mit Fach­kom­pe­ten­zen in den Bereichen

  • Phy­sio­the­ra­pie,
  • Medi­zin,
  • Ortho­pä­die-Tech­nik,
  • Inge­nieurs­we­sen und
  • Betriebs­wirt­schaft

eng zusam­men, um den Trans­fer von der For­schung und Pro­dukt­ent­wick­lung über die kli­ni­sche Tes­tung und Zer­ti­fi­zie­rung bis hin zur Pro­dukt­ver­mark­tung umzusetzen.

Medi­zi­ni­sche Anfor­de­rungs­ana­ly­se und Prototypenentwicklung

Das Pro­jekt befin­det sich aktu­ell (Stand: Janu­ar 2023) in der Ent­wick­lungs­pha­se funk­ti­ons­taug­li­cher Pro­to­ty­pen, in der die wesent­li­chen Anfor­de­run­gen inner­halb kur­zer, ite­ra­ti­ver Ent­wick­lungs­zy­klen in das Pro­dukt inte­griert wer­den. Im Sin­ne einer agi­len Pro­dukt­ent­wick­lung wer­den hier­bei poten­zi­el­le Stake­hol­der inter­viewt, um ein Feed­back bezüg­lich typi­scher Abläu­fe des prak­ti­schen All­ta­ges zu erlan­gen, in denen es vor allem auf eine adäqua­te Hand­funk­ti­on ankommt. Aus die­sen Inter­views sind die wesent­li­chen Pro­dukt­an­for­de­run­gen ent­stan­den, die unter einem par­al­lel­lau­fen­den Qua­li­täts­ma­nage­ment­pro­zess in den auf­ein­an­der auf­bau­en­den Ent­wick­lungs­pha­sen erfüllt werden.

Für maxi­ma­len Tra­ge­kom­fort und die kor­rek­te Aus­füh­rung der Bewe­gun­gen müs­sen die phy­si­schen Fin­ger- und Hand­kom­po­nen­ten der zu ent­wi­ckeln­den Fin­ger­be­we­gungs­pro­the­se indi­vi­du­ell auf die jewei­li­gen Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, die sie nut­zen sol­len, zuge­schnit­ten wer­den. Die Fin­ger­pa­ra­me­ter kön­nen hän­disch oder digi­tal erfasst wer­den. Zu die­sem Zweck wur­de ein Algo­rith­mus ent­wi­ckelt, der aus den ermit­tel­ten Para­me­tern des jeweils zu unter­stüt­zen­den Fin­gers auto­ma­ti­siert eine 3D-Vor­la­ge erstel­len kann (Abb. 1).

Das Ergeb­nis ist eine Datei im STL-For­mat, die direkt in den 3D-Druck­pro­zess über­nom­men wer­den kann (Abb. 2).

Es ent­steht ein an den zu ver­sor­gen­den Fin­ger der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten indi­vi­du­ell ange­pass­tes Fin­ger-Exo­ske­lett. Die­ses wird der­zeit mit einem 3D-Dru­cker des Typs „Stra­ta­sys J5 Den­ta­Jet“ (Stra­ta­sys Ltd, Isra­el) her­ge­stellt (Abb. 3).

In den nächs­ten Pro­to­ty­pen­pha­sen wer­den wei­te­re Druck­ver­fah­ren getes­tet wer­den, um die für die Erfor­der­nis­se des Mark­tes am bes­ten geeig­ne­ten Druck­ver­fah­ren sowie geeig­ne­te Mate­ria­li­en zu ermit­teln. Es gibt Tech­no­lo­gien mit gerin­ge­ren Kos­ten wie zum Bei­spiel Ste­reo­li­tho­gra­fie (SLA) oder Fused Depo­si­ti­on Mode­ling (FDM). Auf­grund der tech­ni­schen Anfor­de­run­gen (z. B. bezüg­lich der Druck­prä­zi­si­on) und Mate­ri­al­an­for­de­run­gen sind preis­güns­ti­ge Tech­no­lo­gien wie SLA oder FDM für das hier vor­ge­stell­te Pro­dukt aktu­ell nicht geeig­net. „High-End-Tech­no­lo­gien“ wie Sel­ec­ti­ve Laser Sin­te­ring (SLS) oder Mul­ti Jet Fusi­on (MJF) sind auf dem Markt für 3D-gedruck­te Ortho­pä­die­pro­duk­te bereits weit ver­brei­tet. Es wird im Lau­fe des Pro­jek­tes geprüft wer­den, wel­che Kom­bi­na­ti­on aus Tech­no­lo­gie, Mate­ri­al und Kos­ten am bes­ten zu dem vor­ge­stell­ten Pro­jekt und sei­nen Anfor­de­run­gen passt.

Die Fin­ger­kom­po­nen­te kann nicht allei­ne am Fin­ger des Pati­en­ten ange­bracht wer­den. Dazu wird zusätz­lich eine Hand­ein­fas­sung (Hand­orthe­se) benö­tigt, die zur Sta­bi­li­sie­rung und Fixie­rung dient. Die­se wur­de in der ers­ten Pro­to­typ-Pha­se mit einer Schnitt­stel­le zur Fin­ger­kom­po­nen­te aus­ge­stat­tet. Es wur­de eine stan­dar­di­sier­te Schnitt­stel­le ent­wi­ckelt, die eine ein­fa­che Ver­bin­dung zwi­schen Fin­ger- und Hand­kom­po­nen­te erlaubt. Dadurch wer­den wei­te­re Adap­tie­run­gen wie die Aus­rich­tung der Fin­ger­kom­po­nen­te ermög­licht (Abb. 4).

Die drit­te Ent­wick­lungs­pha­se bestand dar­in, einen geeig­ne­ten Motor aus­zu­wäh­len und eine Posi­tio­nie­rung an die Fin­ger­kom­po­nen­te zu kon­stru­ie­ren. Außer­dem wur­de eine Steue­rungs­ein­heit für den Motor benötigt.

Ein umfas­sen­des orthe­ti­sches Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­to­koll für Fin­ger benö­tigt fol­gen­de Bewegungsmodi:

  1. Pas­si­ver Bewe­gungs­mo­dus: Die Fin­ger­ge­len­ke wer­den rein durch die Motor­kraft bewegt (nicht durch Mus­kel­kraft der Pati­en­ten und Patientinnen).
  2. Aktiv-assi­ti­ver Bewe­gungs­mo­dus: Die freie akti­ve Bewe­gung der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten wird durch den Motor unterstützt.
  3. Akti­ver Bewe­gungs­mo­dus: Fin­ger­ge­len­ke bewe­gen sich frei durch akti­ve Mus­kel­kraft der Pati­en­ten und Pati­en­tin­nen (ohne Ein­satz des Motors).
  4. Aktiv-resis­ti­ver Bewe­gungs­mo­dus: Die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten bewe­gen sich gegen den Wider­stand des Motors.

Die ers­ten bei­den Mobi­li­sie­rungs­va­ri­an­ten sol­len hel­fen, die Beweg­lich­keit der Fin­ger zu erhal­ten oder wie­der­her­zu­stel­len und Ver­kle­bun­gen und dau­er­haf­te Bewe­gungs­ein­schrän­kun­gen zu ver­mei­den. Die drit­te Vari­an­te ermög­licht es den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, geschütz­te und geführ­te akti­ve Bewe­gun­gen durch­füh­ren, um ihre Mus­ku­la­tur wie­der zu akti­vie­ren und sich auf das Trai­ning der Mus­ku­la­tur vor­zu­be­rei­ten; hier dient die Orthe­se als beweg­li­che Stüt­ze bzw. Füh­rung, um den Fin­ger vor poten­zi­ell gefähr­li­chen Bewe­gun­gen zu schüt­zen. Der vier­te Modus ermög­licht sodann ein geziel­tes Trai­ning gegen Wider­stand bei gleich­zei­ti­gem Schutz vor Fehlbewegungen.

Das Steu­er­ele­ment für die ver­schie­de­nen Bewe­gungs­mo­di wur­de durch eine in ein Elek­tronik­mo­dul ein­ge­bet­te­te Soft­ware rea­li­siert, die inner­halb der Pro­to­ty­pen-Pha­se auf einem „M5Stack“-Modul (M5Stack Tech­no­lo­gy Co., Ltd, Chi­na) läuft.

Motor und Steue­rungs­mo­du­le wer­den extern von Zulie­fe­rern bezo­gen. Ziel ist es, den Bau­raum bei­der Kom­po­nen­ten so klein wie mög­lich zu gestal­ten, damit die Last auf der Hand des Pati­en­ten redu­ziert und eine hohe Mobi­li­tät ermög­licht wird. Der aktu­el­le Pro­to­typ ist mit einem Minia­tur-Line­ar­ak­tua­tor aus­ge­stat­tet. Die­ser Motor kann eine maxi­ma­le Kraft von etwa 50 N auf­brin­gen. Die­se Kraft sorgt dafür, dass der Motor stark genug ist, um das Sys­tem mit dem Fin­ger dar­in zu bewe­gen. Ent­schei­dend für die Sicher­heit der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ist dabei die Ent­wick­lung ver­schie­de­ner auf­ein­an­der auf­bau­en­der Sicher­heits­sys­te­me – sowohl inner­halb der Soft­ware als auch der Hard­ware –, um sicher­zu­stel­len, dass die Mobi­li­sie­rungs­kraft kei­ne Gefahr für den hei­len­den Fin­ger dar­stellt. Durch die Inte­gra­ti­on des Motors ist das zu erstel­len­de Pro­dukt nach aktu­el­lem Kennt­nis­stand unter der Medi­zin­pro­duk­te­klas­se IIa als akti­ves the­ra­peu­ti­sches Hilfs­mit­tel gemäß MDR (Medi­cal Device Regu­la­ti­on) ein­zu­ord­nen. In Zukunft sol­len Steu­er­ein­heit und Motor zu einem klei­ne­ren Modul ver­schmol­zen wer­den, um Grö­ße und Gewicht zu optimieren.

Aktu­el­ler Stand (Janu­ar 2023) des Prototyps

Ein funk­ti­ons­tüch­ti­ger moto­ri­sier­ter Pro­to­typ mit einer Kon­troll­ein­heit, die alle vier Bewe­gungs­mo­di erlaubt, konn­te bereits ent­wi­ckelt und rea­li­siert wer­den (Abb. 5).

Aktu­ell wird an einer ver­bes­ser­ten Aus­füh­rung des Meta­car­po­phal­an­ge­al­ge­lenks sowie an einer Aus­rich­tungs­ein­stel­lung auf der Hand­kom­po­nen­te gear­bei­tet, die auch eine leich­te Abduk­ti­ons- und Adduk­ti­ons­nei­gung ermög­li­chen soll.

Ska­lie­rung des Herstellungsprozesses

Der Pro­duk­ti­ons­pro­zess (Abb 6.) soll für die Ska­lie­rung der Lösung wei­test­ge­hend auto­ma­ti­siert wer­den. Er kann grob in drei Schrit­te unter­teilt werden:

  1. Ermitt­lung der ana­to­mi­schen Maße und zusätz­li­cher not­wen­di­gen Informationen
  2. Daten­ver­ar­bei­tung zur Gene­rie­rung digi­ta­ler Modelle
  3. 3D-Druck der ent­spre­chen­den Kom­po­nen­ten und Bei­stel­lung von Motor und Steuerungselement

Mög­li­che Umset­zung und Ein­bin­dung in den kli­ni­schen Alltag

Die „3Digity“-Fingerbewegungsorthese soll mög­lichst früh inner­halb des Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­zes­ses ein­ge­setzt wer­den. Da Her­stel­lungs­pro­zess und Lie­fe­rung vor­aus­sicht­lich zwei bis drei Tage in Anspruch neh­men wer­den und – je nach medi­zi­ni­scher Indi­ka­ti­on – Schwel­lun­gen oder eine Naht bei der Her­stel­lung berück­sich­tigt wer­den müs­sen, soll die „3Digity“-Fingerbewegungsorthese unmit­tel­bar nach der Akut­pha­se ange­wen­det werden.

In der Umset­zung müs­sen Maße oder Auf­nah­men der Hand und des betrof­fe­nen Fin­gers genom­men wer­den. Dies kann direkt in der medi­zi­ni­schen Ein­rich­tung gesche­hen – je nach Ver­let­zung ent­we­der vor der Akut­ver­sor­gung, nach einem ope­ra­ti­ven Ein­griff oder im wei­te­ren Ver­lauf der Nach­sor­ge (bei­spiels­wei­se nach Faden­zug und Rück­gang der Schwel­lung), zum Bei­spiel durch Exper­ten aus den Berei­chen The­ra­pie oder Sani­täts­haus. Das Pro­dukt kann dann in einer Sit­zung ange­legt und ein­ge­stellt wer­den und ist bereit für den Ein­satz. Am Ende des Nut­zungs­zeit­rau­mes soll­ten Motor und Steue­rungs­ele­ment an „3Digity“ zurück­ge­ge­ben wer­den, damit die­se Kom­po­nen­ten im Sin­ne der Nach­hal­tig­keit wie­der­ver­wen­det wer­den können.

Erkennt­nis­se aus der aktu­el­len Projektphase

Nach Abschluss einer umfas­sen­den Lite­ra­tur­re­cher­che, des Besuchs ein­schlä­gi­ger Fach­mes­sen und Fach­ta­gun­gen sowie der Durch­füh­rung von Umfra­gen und Gesprä­chen mit Exper­tin­nen und Exper­ten aus den Berei­chen Medi­zin­tech­nik, Ortho­pä­die­tech­nik, The­ra­pie und Medi­zin ist zwar davon aus­zu­ge­hen, dass das Pro­dukt von gro­ßem Inter­es­se für den Markt ist und die Nach­sor­ge von Fin­ger­ver­let­zun­gen erheb­lich ver­bes­sern könn­te, das aktu­el­le Markt­um­feld kann aller­dings ins­be­son­de­re für Start-ups als her­aus­for­dernd ange­se­hen wer­den. Fol­gen­de Grün­de kön­nen dafür ange­führt werden:

Kom­pli­zier­te Zulassungsprozesse

Die neue MDR (Medi­cal Device Regu­la­ti­on) auf EU-Ebe­ne setzt Medi­zin­pro­dukt­her­stel­ler unter erhöh­ten Druck 9. Der neue Zulas­sungs­pro­zess bin­det durch gestie­ge­ne Anfor­de­run­gen vie­le Res­sour­cen, was sich ins­be­son­de­re für klei­ne Start-ups schwie­rig gestal­tet. Eine gro­ße Unsi­cher­heit stellt zudem die Aus­las­tung der Benann­ten Stel­len dar, deren Prü­fung für ein Klas­se-IIa-Pro­dukt not­wen­dig ist, sodass ein Markt­ein­tritt schwie­ri­ger plan­bar wird.

Erstat­tung

Für die erfolg­rei­che Aus­grün­dung des Pro­jekts wird gemein­sam mit Exper­tin­nen und Exper­ten rund um das The­ma Kos­ten­er­stat­tung an einer pas­sen­den Markt­ein­tritts­stra­te­gie gear­bei­tet. Dabei stellt die Orthe­se von „3Digity“ ein neu­es Ange­bot dar, das in die­ser Form nicht markt­ver­füg­bar und dem­entspre­chend auch nicht im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis zu fin­den ist. Das Ein­tra­gen einer neu­en Kate­go­rie ist durch ein Start-up nicht leist­bar, da nur durch den G‑BA (Gemein­sa­mer Bun­des­aus­schuss) Ände­run­gen mög­lich sind. Die­ser Pro­zess kann meh­re­re Jah­re dau­ern, sodass in der Kon­se­quenz ande­re Mög­lich­kei­ten der Erstat­tung not­wen­dig sind. Die­se wer­den der­zeit geprüft.

Not­wen­di­ge kli­ni­sche Prüfungen

Das Pro­jekt sieht vor, die Orthe­se auf ihre kli­ni­sche Evi­denz hin zu prü­fen. Dies ist zum einen Anspruch der Pro­jekt­be­tei­lig­ten, zum ande­ren Not­wen­dig­keit im Zuge der neu­en MDR und für eine spä­te­re Erstattungsfähigkeit.

Zum aktu­el­len Zeit­punkt (Stand: Janu­ar 2023) wur­de bereits eine vor­be­rei­ten­de Stu­die durch­ge­führt, um Daten zur Phy­sio­lo­gie der Hand zu sam­meln. Im Zuge des­sen wur­den Hän­de von 60 frei­wil­li­gen gesun­den Per­so­nen ana­to­misch ver­mes­sen und die Kraft der Fin­ger bestimmt. Die­se phy­sio­lo­gi­schen Daten sind wert­voll zur Bestim­mung der drei­di­men­sio­na­len und mecha­ni­schen Anfor­de­run­gen, die die Orthe­se erfül­len muss, um in der brei­ten Bevöl­ke­rung ange­wen­det wer­den zu können.

Fazit und Ausblick

Die moto­ri­sier­te Fin­ger­be­we­gungs­or­the­se von „3Digity“ hat nach Auf­fas­sung der Autoren das Poten­zi­al, die Fin­ger­re­ha­bi­li­ta­ti­on neu zu defi­nie­ren. Durch den indi­vi­du­ell an die zu ver­sor­gen­den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ange­pass­ten Auf­bau wird eine auf die jewei­li­ge Indi­ka­ti­on zuge­schnit­te­ne beque­me und schnel­le Reha­bi­li­ta­ti­ons­be­hand­lung ermög­licht. Die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten wür­den dadurch ermäch­tigt, ihre Behand­lung zu Hau­se selbst durch­zu­füh­ren, was vor­aus­sicht­lich zu einer erhöh­ten Com­pli­ance und damit zu guten kli­ni­schen Ergeb­nis­sen füh­ren wird. Ziel ist es, einen rei­bungs­lo­sen Ein­satz in der medi­zi­ni­schen Pati­en­ten­ver­sor­gung zu gewährleisten.

In den nächs­ten Mona­ten (Stand: Janu­ar 2023) wird inten­siv an der tech­ni­schen Wei­ter­ent­wick­lung der Pro­to­ty­pen gear­bei­tet. Anfang 2024 endet der EXIST-For­schungs­trans­fer, sodass bis dahin die not­wen­di­gen Vor­ar­bei­ten für die Zer­ti­fi­zie­rung und den Markt­ein­tritt abge­schlos­sen sein sollen.

Außer­dem wird eru­iert, auf wel­che Art und Wei­se das Pro­dukt am bes­ten in bestehen­de Ver­sor­gungs­pro­zes­se inte­griert wer­den kann, um eine gute zukünf­ti­ge Zusam­men­ar­beit mit allen Betei­lig­ten zu ermög­li­chen. Dafür sucht das For­scher­team noch inter­es­sier­te Kooperationspartner.

Inter­es­sen­kon­flikt
Die Autoren sind Teil des „3Digity”-Teams und haben damit ein Inter­es­se am kli­ni­schen und wirt­schaft­li­chen Erfolg des Projektes.

Für die Autoren:
Dr. Julie Kux 
For­schung & Entwicklung, 
Kli­nik für Unfallchirurgie, 
Ortho­pä­die und Plas­ti­sche Chir­ur­gie der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Göttingen 
Von-Sie­bold-Str. 3
37075 Göt­tin­gen
julie.kux@med.uni-goettingen.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Kux J, Bra­vo M, Het­ten­hau­sen T, Bartels V, Gar­cía C, Bau­er S, Schil­ling AF. Fin­ger­be­we­gungs­or­the­se zur Unter­stüt­zung der Reha­bi­li­ta­ti­on nach Fin­ger­ver­let­zun­gen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2023; 74 (1): 50–55
  1. Deut­sche Gesetz­li­che Unfall­ver­si­che­rung. Arbeits­un­fall­ge­sche­hen 2020, 09/2021 [online]: https://publikationen.dguv.de/zahlen-fakten/schwerpunkt-themen/4271/arbeitsunfallgeschehen-2020 [08.12.2022]
  2. Deut­sche Gesell­schaft für Hand­chir­ur­gie. Jah­res­be­richt des Hand­Trau­ma­Re­gis­ter, 17.03.2021 [online] https://www.handtraumaregister-dgh.de/root/news-detail?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=164&cHash=3f743cc3fa77424525425afa75011b94 [08.12.2022]
  3. Loos, B. et al.  Ope­ra­ti­ve The­ra­pie bei geschlos­se­nen Hand­frak­tu­ren (Teil 1)“ in Chi­ru­gi­sche All­ge­mei­ne Zei­tung,  2003, [online]: https://www.uk-erlangen.de/fileadmin/einrichtungen/plastische_chirurgie/dateien/Fachinformationen/Geschlossene_Handfrakturen__Teil_I_.pdf [08.12.2022]
  4. The­len, S. Wil­dolf, J. Fin­ger- und Mit­tel­hand­frak­tu­ren in Ortho­pä­die und Unfall­chir­ur­gie up2date, 2019; 14 (5): 495–514 [online] https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/pdf/10.1055/a‑0609–9878.pdf [08.12.2022]
  5. Bun­des­ver­band selbst­stän­di­ger Phy­sio­the­ra­peu­ten: Fach­kräf­te­man­gel. Kei­ne Bes­se­rung in Sicht, 04.03.2020 [online] https://ifk.de/artikel/fachkraeftemangel-keine-besserung-sicht [08.12.2022]
  6. Sta­tis­ta GmbH, Fach­kräf­te­man­gel in Deutsch­land, 2022, [online] https://de.statista.com/statistik/studie/id/115581/dokument/fachkraeftemangel-in-deutschland/[08.12.2022]
  7. Deut­scher Ver­band für Phy­sio­the­ra­pie. War­te­zei­ten­ba­ro­me­ter Phy­sio­the­ra­pie belegt – zeit­na­her Ver­sor­gungs­be­ginn ist ein­ge­schränkt!, 17.07.2018, [online] https://www.physio-deutschland.de/fileadmin/data/bund/news/Pressemitteilungen/PM_Wartezeitenbarometer_Physiotherapie_7_2018.pdf [08.12.2022]
  8. Ves­ter, Helen et al. Früh­funk­tio­nel­le Nach­be­hand­lung von Hand- und Fin­ger­ver­let­zun­gen in Ortho­pä­die & Rheu­ma 19, 23–16 2016, [online] https://link.springer.com/article/10.1007/s15002-016‑0868‑6 [08.12.2022]
  9. Joh­ner Insti­tut GmbH. Insti­tuts-Jour­nal Aus­ga­be 13/22, 2022 [online] https://www.johner-institut.de/gratis-angebote/instituts-journal/ [08.12.2022]
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