Ent­wick­lung bio­in­spi­rier­ter und selbst­for­men­der Orthe­sen per 4D-Druck

T. Cheng, M. Thielen, S. Poppinga, Y. Tahouni, D. Wood, Th. Steinberg, A. Menges, Th. Speck
Unter dem Begriff „4D-Druck“ versteht man 3D-Druckverfahren, bei denen sich die erzeugten Werkstücke noch nach dem eigentlichen Druckverfahren durch externe Stimuli wie Temperatur oder Feuchtigkeit kontrolliert verformen. Die vierte Dimension ist somit die Zeit bis zum Erreichen einer späteren Gestalt. In diesem Artikel wird ein Ansatz zur Materialprogrammierung für selbstformende Materialsysteme auf der Grundlage biologischer Vorbilder vorgestellt, die per 4D-Druck erstellt werden. Der Ansatz basiert auf einem Berechnungsmodell zur Bestimmung mechanischer Eigenschaften und zur Gestaltung von Formänderungen. Mit Hilfe des 3D-Drucks werden mittels Extrusion die gewünschten Eigenschaften und Verhaltensweisen in einem Multi-Material- und Multi-Layer-System kodiert, das auf der Mesoskala mit einer maximalen Auflösung von 0,5 mm strukturiert ist.
Die Methodik wurde anhand einer Fallstudie zum biomimetischen Design evaluiert. Hierbei wurde die Haftstrategie einer sich windenden Kletterpflanze, der Luftkartoffel (Dioscorea bulbifera), die auf der Generierung von Anpresskräften beruht, abstrahiert und auf eine durch 4D-Druck hergestellte Orthese übertragen. Die von den bioinspirierten Mechanismen erzeugten Anpresskräfte wurden anschließend mit Sensoren gemessen.
Schließlich wurden die programmierten auf Selbstspannung beruhenden Anpresskräfte und die integrierte Multifunktionalität in eine Reihe prototypischer Handgelenk-Unterarm-Schienen in Form von Demonstratoren übertragen – ein gängiges orthopädisches Hilfsmittel für die Stellungskorrektur oder Entlastung dieses Körperabschnitts. Die aus dem vorgestellten Designansatz resultierenden per 4D-Druck entstandenen Materialsysteme unterstreichen die Vorteile der Übertragung biomimetischer Prinzipien auf orthopädische Hilfsmittel und darüber hinaus.

Ein­lei­tung

Vie­le Pflan­zen­struk­tu­ren füh­ren funk­tio­nell robus­te und struk­tu­rell vor­ge­ge­be­ne Bewe­gun­gen aus, die ohne jeg­li­che Stoff­wech­sel­en­er­gie der Pflan­ze ablau­fen, z. B. das Öff­nen und Schlie­ßen von Zap­fen und Samen­kap­seln. Die­se soge­nann­ten pas­siv-nas­ti­schen Bewe­gun­gen beru­hen auf den hygro­sko­pi­schen Eigen­schaf­ten von Zel­len und Gewe­ben des jewei­li­gen Pflan­zen­or­gans, die Was­ser aus der Umge­bung zu absor­bie­ren oder zu desor­bie­ren ver­mö­gen. Die dar­aus resul­tie­ren­de indi­vi­du­el­le Ver­for­mung auf zel­lu­lä­rer Ebe­ne erfolgt senk­recht zur Aus­rich­tung der die Zell­wand ver­stei­fen­den Zel­lu­lo­se-Mikro­fi­bril­len, was ein aniso­tro­pes, also rich­tungs­ab­hän­gi­ges Quel­len bei Was­ser­auf­nah­me bzw. ein Schrump­fen bei Was­ser­ab­ga­be bewirkt. In Form eines funk­tio­nel­len Mehr­schicht­sys­tems ange­ord­net füh­ren unter­schied­lich quell­ak­ti­ve Zel­len zu ver­schie­de­nen glo­ba­len Form­ver­än­de­run­gen des ent­spre­chen­den Pflan­zen­or­gans als Ant­wort auf eine sich ver­än­dern­de Umge­bungs­feuch­te 1 2.

Die hygro­sko­pi­schen Funk­ti­ons­prin­zi­pi­en beweg­li­cher pflanz­li­cher Struk­tu­ren haben bereits zahl­rei­che pas­si­ve, auto­no­me tech­ni­sche Struk­tu­ren inspi­riert, die weder eine auf­wen­di­ge tech­ni­sche Steue­rung noch die Zufuhr von Betriebs­en­er­gie benö­ti­gen 3. Ins­be­son­de­re das feuch­te­ge­trie­be­ne Bie­ge­ver­hal­ten der Zap­fen­schup­pen von Nadel­bäu­men 4 5 wur­de auf abs­tra­hier­te soge­nann­te Dop­pel­schicht­sys­te­me über­tra­gen, die aus ver­schie­de­nen Mate­ria­li­en her­ge­stellt wer­den – von Zel­lu­lo­se­pa­pier und Poly­mer­ver­bund­stof­fen 6 7 8 bis hin zu Holz­fur­nie­ren und Glas­fa­ser­ver­bund­stof­fen 9 10. Ähn­li­che bio­mime­ti­sche Sys­te­me zur Selbst­for­mung wur­den sogar für adap­ti­ve Bau­ele­men­te und für Anwen­dun­gen im Kon­struk­ti­ons­maß­stab hoch­ska­liert 11 12 13.

Der soge­nann­te 4D-Druck hat sich als idea­les addi­ti­ves Fer­ti­gungs­ver­fah­ren zur auto­ma­ti­sier­ten Her­stel­lung intel­li­gen­ter Mate­ri­al­sys­te­me mit Bewe­gungs­mus­tern her­aus­kris­tal­li­siert, die ihre Form – aus­ge­löst durch äuße­re Sti­mu­li wie Licht, Tem­pe­ra­tur oder Feuch­tig­keit – auto­nom ver­än­dern kön­nen 14. Die­se Fähig­keit zu Form­ver­än­de­run­gen wird aller­dings oft erst durch den Ein­satz spe­zi­ell ange­fer­tig­ter und teu­rer Dru­cker ermög­licht, die es erlau­ben, sol­che soge­nann­ten respon­si­ven Mate­ria­li­en zu ver­ar­bei­ten 15 16 17 18 19 20 21, was den 4D-Druck sowohl in der For­schung als auch in der Pra­xis auf­wen­dig und schwie­ri­ger plan­bar macht als den her­kömm­li­chen 3D-Druck. Zwar kön­nen im Prin­zip auch Desk­top-3D-Dru­cker für den End­ver­brau­cher Mate­ri­al­sys­te­me mit vor­be­stimm­ten Form­ver­än­de­run­gen erzeu­gen 22 23 24, doch ist deren Leis­tung oft auf­grund des Feh­lens geeig­ne­ter Design­werk­zeu­ge begrenzt, die die dif­fe­ren­zier­te Mate­ri­al­struk­tur nach dem Vor­bild beweg­li­cher Pflan­zen­struk­tu­ren auf ein zu dru­cken­des Werk­stück über­tra­gen können.

4D-Druck zur Erzeu­gung bio­in­spi­rier­ter und selbst­for­men­der ortho­pä­di­scher Hilfsmittel

In die­sem Arti­kel wird ein Mate­ri­al­pro­gram­mie­rungs­an­satz für den 4D-Druck bio­in­spi­rier­ter Mate­ri­al­sys­te­me für ortho­pä­die­tech­ni­sche Zwe­cke vor­ge­stellt. Das in die­sem Zusam­men­hang ange­wen­de­te com­pu­ter­ge­stütz­te Design hat das Poten­zi­al, die inter­ne Topo­lo­gie per 4D-Druck erzeug­ter Mate­ri­al­sys­te­me für spe­zi­el­le Anwen­dungs­zwe­cke gleich­sam maß­zu­schnei­dern, wodurch das kom­ple­xe und mul­ti­funk­tio­na­le Ver­hal­ten pflanz­li­cher Vor­bil­der in viel­ver­spre­chen­der Wei­se in Form bio­mime­ti­scher Anwen­dun­gen auf ortho­pä­di­sche Sys­te­me über­tra­gen wer­den kann.

Um dies zu errei­chen, wur­den zunächst die wich­tigs­ten Berech­nungs­me­tho­den zur Struk­tu­rie­rung selbst­for­men­der Mate­ri­al­sys­te­me mit einer Auf­lö­sung von bis zu 0,5 mm, der soge­nann­ten Meso­ska­la (zwi­schen Mikro- und Makro­ska­la) 25, beschrie­ben. Dazu gehört die Dar­stel­lung eines Mate­ri­al­sys­tems als ver­netz­te Anord­nung klei­ne­rer Unter­ein­hei­ten mit indi­vi­du­ell vor­ge­ge­be­nen Eigen­schaf­ten und Ver­hal­tens­wei­sen. Die­se ver­ein­fach­te Archi­tek­tur ermög­licht die Inte­gra­ti­on meh­re­rer Funk­tio­nen inner­halb ein und des­sel­ben Mate­ri­al­sys­tems, das mit einem stan­dard­mä­ßi­gen 3D-Dru­cker per Fused Fila­ment Fabri­ca­ti­on (FFF) unter Ver­wen­dung ver­schie­de­ner han­dels­üb­li­cher Fila­mentma­te­ria­li­en gedruckt wer­den kann.

Anschlie­ßend wur­de die ent­wi­ckel­te Metho­dik anhand einer Fall­stu­die über bio­mime­ti­sches Design eva­lu­iert (Abb. 1). Orthe­sen stel­len hier­bei ein her­aus­for­dern­des Design­ziel dar, da sie im rea­len Ein­satz­fall stets indi­vi­du­ell und damit pati­en­ten­spe­zi­fisch ange­passt wer­den müs­sen, um kor­rek­ten Halt zu bie­ten. Dar­über hin­aus müs­sen die­se Hilfs­mit­tel im Lau­fe der The­ra­pie häu­fig ange­passt wer­den. So kommt es bei­spiels­wei­se bei einer ver­let­zungs­be­ding­ten Ruhig­stel­lung mit einem ortho­pä­di­schen Gips­ver­band häu­fig zu einer Mus­kel­atro­phie, die häu­fi­ge Anpas­sun­gen erfor­der­lich macht, um ein Ver­rut­schen der Orthe­se und damit eine Fehl­lei­tung der The­ra­pie zu verhindern.

Als bio­lo­gi­sches Vor­bild zur Lösung die­ses Pro­blems dien­te im beschrie­be­nen Pro­jekt die sich win­den­de Luft­kar­tof­fel (Dio­scorea bul­bi­fera), die adap­tiv eine Anpress­kraft auf ihre Trä­ger­pflan­ze aus­übt, indem sie ihren um die Trä­ger­pflan­ze gewun­de­nen Spross durch Aus­deh­nung klei­ner Neben­blät­ter spannt 26. Die­se bio­lo­gi­sche Metho­de der adap­ti­ven Kraft­er­zeu­gung wird auf einen ers­ten funk­tio­na­len Prototyp/Demonstrator einer selbst­span­nen­den Hand­ge­lenk-Unter­arm-Schie­ne über­tra­gen, die ein gän­gi­ges ortho­pä­di­sches Hilfs­mit­tel darstellt.

Design und Material­programmierung mit­tels 4D-Druck

Mate­ria­li­en

Das pas­siv gesteu­er­te, selbst­for­men­de Ver­hal­ten von per 4D-Druck gene­rier­ten Mate­ri­al­sys­te­men wird zum Teil durch hygro­sko­pi­sche Mate­ria­li­en ermög­licht, die als Reak­ti­on auf Feuch­tig­keits­auf­nah­me oder ‑abga­be quel­len oder schrump­fen. Wenn die­ses quel­lungs­ak­ti­ve Mate­ri­al mit einem ver­gleichs­wei­se schwach (oder auch gar nicht) reagie­ren­den („pas­si­ven“) Mate­ri­al in einer Dop­pel­schicht­kon­fi­gu­ra­ti­on kom­bi­niert wird, erzeu­gen Feuch­tig­keits­än­de­run­gen durch eine Bie­ge­be­we­gung eine Krüm­mung in der Dop­pel­schicht 27. Für die Zwe­cke der hier vor­ge­stell­ten Stu­die wur­den zwei Mate­ria­li­en für die bei­den zu kom­bi­nie­ren­den Schicht­ar­ten verwendet:

  • ein han­dels­üb­li­ches Bio-Com­po­si­te-Fila­ment mit 40 % recy­cel­tem Holz­mehl als akti­ve hygro­sko­pi­sche Schicht  („LAYWOODmeta5“, Lay Fila­ments, Köln, Deutsch­land) sowie
  • der Kunst­stoff Acryl­ni­tril-Buta­di­en-Sty­rol (ABS, Maker­Bot Indus­tries, New York, USA) als Resistenzschicht.

Zudem wur­de ein ther­mo­plas­ti­scher Copo­ly­es­ter („Fle­xi­Fil“, Form­Fu­tu­ra, Nij­me­gen, Nie­der­lan­de) ein­ge­setzt, wenn eine hohe Bie­ge­fes­tig­keit erfor­der­lich war, wäh­rend hoch­schlag­fes­tes Poly­sty­rol („HiPS Smart­fil SUPPORT“, SmartMaterials3D, Alcalá la Real, Spa­ni­en) für den Druck auf­lös­ba­rer Trenn­schich­ten in gesta­pel­ten Dop­pel­schicht­auf­bau­ten ver­wen­det wurde.

Druck­pro­zess

Durch die Art und Wei­se der Mate­ri­al­ab­la­ge­rung erzeugt der FFF-3D-Druck auto­ma­tisch eine Aniso­tro­pie, die der aniso­tro­pen Archi­tek­tur von Pflan­zen­ge­we­ben und ‑zel­len ähnelt. Die vor­ge­stell­te 4D-Druck­me­tho­de kann im Prin­zip mit jedem FFF-3D-Dru­cker aus­ge­führt wer­den, der die Pro­gram­mier­spra­che G‑Code ver­ar­bei­ten kann. Für die hier vor­ge­stell­te Stu­die wur­de ein Desk­top-3D-Dru­cker mit zwei Extru­dern („FELIX Tec 4 Dual Head“, FELIX­prin­ters, Utrecht, Nie­der­lan­de) ver­wen­det. Für den Druck wur­den aus­ge­wähl­te Mate­ria­li­en ent­lang vor­ge­ge­be­ner Tra­jek­to­ri­en mit einer Genau­ig­keit von 0,05 mm gedruckt. Alle Fila­men­te hat­ten einen Durch­mes­ser von 1,75 mm und wur­den durch Mes­sing­dü­sen mit einem Durch­mes­ser von 0,35 mm auf ein auf 45 °C auf­ge­heiz­tes Bett extru­diert. Das quel­lungs­ak­ti­ve Mate­ri­al wur­de bei 190°C extru­diert, alle ande­ren Mate­ria­li­en bei 200°C. Bei kon­stan­ter Geschwin­dig­keit (1200 mm min‑1) und kon­stan­tem Mate­ri­al­fluss (0,033 mm Fila­ment pro linea­rem mm) führ­ten die­se Extru­si­ons­pa­ra­me­ter zu Mate­ri­al­struk­tu­ren mit Mate­ri­al­bah­nen von etwa 0,5 ± 0,08 mm Brei­te (Meso­struk­tu­ren). Für per 4D-Druck erstell­te Designs, die mehr als zwei Mate­ria­li­en benö­tig­ten, wur­de der Druck­pro­zess ange­hal­ten und das Fila­ment manu­ell gewechselt.

Gestal­tungs­me­tho­de von Mesostrukturen

Varia­tio­nen in der Aus­rich­tung des Werk­zeugs und somit des Druck­win­kels, der Qua­li­tät der Extru­si­on sowie der Aus­wahl der Mate­ria­li­en füh­ren zu Mate­ri­al­sys­te­men mit einer gro­ßen Band­brei­te an Eigen­schaf­ten und Ver­hal­tens­wei­sen (Abb. 2):

  • Die Rich­tung der Bie­gung (die Ach­se ent­lang derer gebo­gen wird) wird durch den Win­kel der gedruck­ten Mate­ri­al­bah­nen zuein­an­der bestimmt.
  • Das Aus­maß der Bie­gung wird durch die Poro­si­tät zwi­schen benach­bar­ten Mate­ri­al­bah­nen festgelegt.
  • Die Ori­en­tie­rung der Bie­gung (ob nach oben oder unten gebo­gen wird) ergibt sich durch die Rei­hen­fol­ge, in der die Mate­ri­al­schich­ten gedruckt werden.
  • Die Geschwin­dig­keit der Bie­gung wird durch die Schicht­di­cke des Akti­vie­rungs­ma­te­ri­als in der z‑Achse bestimmt.

Dar­über hin­aus kön­nen die Volu­men­ei­gen­schaf­ten der gedruck­ten Ma­terialien durch die Geo­me­trie der Werk­zeug­bahn­kur­ve modu­liert werden.

Die kom­pli­ziert struk­tu­rier­ten Meso­struk­tu­ren wer­den mit einer visu­el­len Pro­gram­mier­um­ge­bung („Gras­shop­per 3D“, Build 1.0.0007) ver­wal­tet, die auf einer com­pu­ter­ge­stütz­ten Design-Soft­ware (Rhi­no­ce­ros 3D, Ver­si­on 6 SR13) läuft. Es wur­de ein com­pu­ter­ge­stütz­ter Design-Work­flow ent­wi­ckelt, um vom Benut­zer vor­ge­ge­be­ne Designs in eine spe­zi­fi­sche, aus meh­re­ren Mate­ria­li­en bestehen­de und mehr­schich­ti­ge Meso­struk­tur zu über­set­zen, die die gewünsch­ten Eigen­schaf­ten und Ver­hal­tens­wei­sen phy­si­ka­lisch kodiert.

Ein­zel­ne Regio­nen inner­halb eines grö­ße­ren Mate­ri­al­sys­tems kön­nen in der xy-Ebe­ne defi­niert und mit phy­si­ka­li­schen Meta­da­ten ver­se­hen wer­den, die ihr Ver­hal­ten beschrei­ben (z. B. varia­ble Stei­fig­keits­ei­gen­schaf­ten oder pro­gram­mier­te Form­än­de­run­gen), um dann in G‑Code umge­wan­delt zu wer­den. Die­ser weist den 3D-Dru­cker an, wo, mit wel­chen Geschwin­dig­kei­ten, mit wel­chen Mate­ria­li­en und in wel­cher Men­ge die­se Mate­ria­li­en extru­diert wer­den sollen.

Bio­mime­ti­scher Pro­zess und tech­ni­scher Transfer

Abs­trak­ti­on des bio­lo­gi­schen Vorbilds

Das Klet­ter­ver­hal­ten von D. bul­bi­fera und die Erzeu­gung eines hohen Anpress­drucks ermög­licht es der Pflan­ze, glat­te Unter­la­gen zu erklim­men und sich sicher dar­in zu ver­an­kern. Ana­ly­sen zei­gen, dass die Stra­te­gie zur Kraft­erzeugung auf zwei ver­schie­de­nen Funk­ti­ons­prin­zi­pi­en beruht, die in zwei Pha­sen nach­ein­an­der ablaufen:

  1. das rela­tiv locke­re Umwach­sen einer vor­han­de­nen Stütz­struk­tur durch den klet­tern­den und win­den­den Spross (Helix-Mecha­nis­mus),
  2. die spä­ter erfol­gen­de Aus­deh­nung von auf der Innen­sei­te die­ses Spros­ses ver­teil­ten Neben­blät­tern, die durch Wachs­tum Anpress­kräf­te auf die Stüt­ze aus­üben und den Spross nach außen drü­cken, wodurch die Gesamt­struk­tur gespannt wird (Spann­me­cha­nis­mus) 28.

Die­se Funk­ti­ons­prin­zi­pi­en wur­den in Mecha­nis­men über­setzt, die per 4D-Druck erzeugt wer­den kön­nen: ers­tens der Helix-Mecha­nis­mus zum Umwin­den einer Stütz­struk­tur, zwei­tens der Spann­me­cha­nis­mus, der das zur Erzeu­gung des Anpress­drucks ver­ant­wort­li­che Wachs­tum der Neben­blät­ter über­trägt (Abb. 3).

  • Der Helix-Mecha­nis­mus wird rea­li­siert durch ein Band der Län­ge , das sich unter einem Win­kel α biegt, was zu einem Krüm­mungs­ra­di­us r führt. Da der Bie­ge­win­kel bestimmt, wie tief oder flach die Ver­dre­hung ist, bestimmt er (zusam­men mit dem Aus­maß der Bie­gung) auch die Stei­gung p der Helix (vgl. 29 30).
  • Der Spann­me­cha­nis­mus wur­de mit­tels klei­ner Klap­pen umge­setzt, die sich oben auf der Helix befin­den und sich wöl­ben, um Raum zwi­schen ihrer Basis an der Helix und der Stütz­struk­tur zu schaf­fen. Der Abstand h, der zwi­schen der Helixober­flä­che und der Stütz­struk­tur ent­steht, wird durch die Län­ge und den Bie­ge­be­trag der Klap­pe bestimmt (dar­aus ergibt sich anschlie­ßend der Ver­fahr­weg d der Klappe).

Die­se tech­ni­schen Para­me­ter wer­den vom eigens ent­wi­ckel­ten rech­ner­ge­stütz­ten Ent­wurfs­ab­lauf gesteuert.

Pro­gram­mier­ba­re per 4D-Druck erzeug­te Mechanismen

Um die Steue­rungs­pa­ra­me­ter fest­zu­le­gen und geziel­te Form­än­de­run­gen im per 4D-Druck gene­rier­ten Mate­ri­al­sys­tem zu errei­chen, wur­de eine Para­me­ter­stu­die sowohl für den Helix- als auch für den Spann­me­cha­nis­mus durch­ge­führt. Das rech­ne­ri­sche Design­mo­dell wur­de dabei mit empi­ri­schen, mit­tels 4D-Druck her­ge­stell­ten Pro­ben veri­fi­ziert und die Bezie­hung zwi­schen Meso­struk­tur und Mate­ri­al­ver­hal­ten kali­briert. Alle Pro­be­kör­per wur­den flach gedruckt, 30 Minu­ten lang in Was­ser getaucht (um eine voll­stän­di­ge Feuch­tig­keits­sät­ti­gung zu errei­chen) und dann in einer kon­trol­lier­ten Umge­bung mit 28 % rela­ti­ver Luft­feuch­tig­keit gela­gert. Ihre Form­ver­än­de­rung wur­de wäh­rend des 6‑stündigen Trock­nungs­pro­zes­ses beob­ach­tet. Fol­gen­de Ergeb­nis­se wur­den erzielt:

  •  Die pri­mä­ren Kon­troll­pa­ra­me­ter des Helix-Mecha­nis­mus sind in Abbil­dung 4 dar­ge­stellt, die den direk­ten Zusam­men­hang zwi­schen dem Win­kel der gedruck­ten Bah­nen und der Bie­ge­rich­tung sowie die Kopp­lung einer hohen Poro­si­tät mit einer stär­ke­ren Bie­gung zeigt.
  • Wie in Abbil­dung 5 dar­ge­stellt, besteht der Spann­me­cha­nis­mus aus meh­re­ren akti­ven und pas­si­ven Ein­hei­ten: einer selbst­for­men­den kon­ve­xen Klap­pe (1) auf einer selbst­for­men­den kon­ka­ven Helix­ba­sis (2), die durch ein nach­gie­bi­ges Schar­nier (3) mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Eine Rich­tungs­sper­re (4) ermög­licht es der frei­en Spit­ze der Klap­pe, sich in eine bestimm­te Rich­tung zu bewe­gen, nicht aber in die ent­ge­gen­ge­setz­te. Da die­se Kom­po­nen­ten in einer Sequenz gedruckt wer­den, ist eine auf­lös­ba­re Trenn­schicht (5) nötig, die nach dem Her­stel­lungs­pro­zess ent­fernt wird, um zu ver­hin­dern, dass die Klap­pe durch die Hit­ze wäh­rend des Extru­si­ons­pro­zes­ses an ihrer Helix­ba­sis haf­tet (d. h. die Trenn­schicht spielt kei­ne funk­tio­na­le Rol­le und ist im fina­len Pro­dukt nicht mehr vorhanden).

Jede die­ser fünf Kom­po­nen­ten kann indi­vi­du­ell pro­gram­miert werden:

  • Um eine räum­li­che Tasche zu erzeu­gen, müs­sen die Klap­pe (1) und die Helix­ba­sis (2) eine ent­ge­gen­ge­setz­te Ori­en­tie­rung der Bie­gung, aber iden­ti­sche Rich­tung der Bie­gung auf­wei­sen, um zu ver­hin­dern, dass sie bei der Form­än­de­rung zusammenstoßen.
  • Ihre Bie­ge­be­trä­ge und Betä­ti­gungs­zei­ten kön­nen von­ein­an­der abwei­chen. Die Klap­pe (1) ist mit einer gerin­ge­ren Poro­si­tät pro­gram­miert als die Helix­ba­sis (2), um die Aus­füh­rung des Spann­me­cha­nis­mus bis zum Abschluss der anfäng­li­chen Form­ge­bung des Helix­me­cha­nis­mus hinauszuzögern.
  • Das nach­gie­bi­ge Schar­nier (3) ist so pro­gram­miert, dass die Klap­pe (1) und die Helix­ba­sis (2) ihre Form unab­hän­gig von­ein­an­der ändern können.
  • Die Geo­me­trie der Rich­tungs­sper­re (4) ist als Schrä­ge aus­ge­legt, die es der frei­en Spit­ze der Klap­pe (1) erleich­tert, sich beim Auf­rol­len in eine Rich­tung zu bewe­gen, wäh­rend sie gleich­zei­tig ver­hin­dert, dass die Klap­pe bei Belas­tung zusammenfällt.
  • Die Bestim­mung der Ver­schie­bung der Klap­pe (1) ermög­licht es außer­dem, die Rich­tungs­sper­re (4) stra­te­gisch zu plat­zie­ren. Es kön­nen bei­spiel­wei­se meh­re­re Sper­ren hin­zu­ge­fügt wer­den, um der erzeug­ten Druck­kraft in meh­re­ren Stu­fen Wider­stand zu leisten.
  • Die auf­lös­ba­re Trenn­schicht (5) ist mit der glei­chen Bie­ge­rich­tung wie die Klap­pe (1) und die Helix­ba­sis (2) pro­gram­miert, so dass die auf­lös­ba­re Trenn­schicht beim Ent­fer­nen einen meso­struk­tu­rier­ten Abdruck an den Grenz­flä­chen hin­ter­lässt, der die Funk­tio­na­li­tät der Klap­pe und der Helix­ba­sis nicht beeinträchtigt.

Eva­lua­ti­on des bio­in­spi­rier­ten Materialsystems

Helix- und Spann­me­cha­nis­men wur­den in einem ein­zi­gen per 4D-Druck erstell­ten Mate­ri­al­sys­tem kom­bi­niert; anschlie­ßend wur­de das zusam­men­ge­setz­te Ver­hal­ten bewer­tet. Eine Rei­he ein­fa­cher Dop­pel­he­li­ces mit gespie­gel­ter Chi­ra­li­tät (eine links­hän­di­ge und eine rechts­hän­di­ge) wur­de mit der glei­chen Rei­he von Dop­pel­he­li­ces mit Spann­me­cha­nis­men ver­gli­chen. Die Fähig­keit bei­der Sys­te­me zur Selbst­sta­bi­li­sie­rung auf einer glat­ten, auf­rech­ten zylin­dri­schen Struk­tur wur­de getes­tet (Abb. 6a u. b). Durch die zusätz­li­chen Spann­me­cha­nis­men konn­te sich das per 4D-Druck erzeug­te Mate­ri­al­sys­tem an eine grö­ße­re Band­brei­te von Zylin­der­grö­ßen anpas­sen, ohne abzu­rut­schen. Die Dop­pel­spi­ra­len mit den Spann­me­cha­nis­men konn­ten sich an Zylin­dern mit Durch­mes­sern von 15 bis 30 mm sta­bil befes­ti­gen, wäh­rend sich die glei­chen Dop­pel­spi­ra­len ohne die Spann­me­cha­nis­men nur auf dem Trä­ger mit 30 mm Durch­mes­ser sta­bi­li­sie­ren konnten.

Die Anpress­kräf­te des per 4D-Druck erzeug­ten Mate­ri­al­sys­tems wur­den eben­falls gemes­sen. Es wur­den meh­re­re Sät­ze von Dop­pel­he­li­ces bewertet:

  • ohne Spann­me­cha­nis­men,
  • mit Spann­me­cha­nis­men, die in einem Abstand von 220 mm ent­lang der Heli­ces ange­ord­net waren,
  • mit Spann­me­cha­nis­men, die in einem Abstand von 110 mm ent­lang der Heli­ces ange­ord­net waren, sowie
  • mit Spann­me­cha­nis­men, die mit einer (grö­ße­ren) Aus­lö­se­ver­zö­ge­rung pro­gram­miert waren.

Bei dem Expe­ri­ment wur­den für alle Pro­ben­sät­ze gleich­zei­tig die auf eine Stütz­struk­tur mit 30 mm Durch­mes­ser aus­ge­üb­ten Anpress­kräf­te über die Zeit gemes­sen, die beim Akkli­ma­ti­sie­ren an eine tro­cke­ne Umge­bung erzeugt wer­den (Abb. 6c u. d). Im Ver­gleich zu den Pro­ben ohne Spann­me­cha­nis­men erzeug­ten die Pro­ben mit Spann­me­cha­nis­men in einem Abstand von 220 mm um den Fak­tor 3,3 höhe­re Kräf­te. Die Pro­ben mit einer grö­ße­ren Anzahl von Spann­me­cha­nis­men im Abstand von 110 mm erzeug­ten noch­mals höhe­re Kräf­te (4,6‑mal mehr als die rei­nen Dop­pel­spi­ra­len), was auf die stär­ke­re Ver­tei­lung der Kräf­te auf die­sel­be Flä­che zurück­zu­füh­ren ist. Schließ­lich führ­te die Pro­gram­mie­rung der Spann­me­cha­nis­men mit einer grö­ße­ren Aus­lö­se­ver­zö­ge­rung zu einer Kraft­er­zeu­gung, die 5,6‑mal so hoch war wie bei den rei­nen Doppelspiralen.

Per 4D-Druck erstell­te Orthesen

Bio­in­spi­rier­te Selbst­span­nung und Anpresskrafterzeugung

Als Aus­blick auf einen mög­li­chen Anwen­dungs­fall wur­de das Win­de- und Anpress­ver­hal­ten von D. bul­bi­fera auf den Pro­to­typ einer selbst­span­nen­den, per 4D-Druck erzeug­ten ortho­pä­di­schen Schie­ne über­tra­gen (Abb. 7). Im Gegen­satz zu den Stütz­struk­tu­ren mit glei­chem Durch­mes­ser, die in den Expe­ri­men­ten ver­wen­det wur­den, weist der mensch­li­che Kör­per selbst inner­halb eines Glied­ma­ßes Berei­che mit unter­schied­li­chen For­men und Grö­ßen auf. Um eine selbst­span­nen­de Hand­ge­lenk-Unter­arm-Schie­ne für einen bestimm­ten Pati­en­ten zu ent­wer­fen, kann die gewünsch­te spi­ral­för­mi­ge Geo­me­trie am Arm vom Unter­arm bis zum Fin­ger ein­fach mit Kle­be­band phy­si­ka­lisch model­liert wer­den. Die Plat­zie­rung der Spann­me­cha­nis­men wur­de durch eine kon­tras­tie­ren­de Far­be zum Kle­be­band ange­zeigt, die den Helix-Mecha­nis­mus darstellt.

Anschlie­ßend wur­de der gesam­te Arm in 3D gescannt (Kinect für Xbox One, Micro­soft, Washing­ton, USA), wobei sowohl die Ziel­geo­me­trie als auch das zu ver­sor­gen­de Kör­per­teil digi­ta­li­siert wur­den. Das ursprüng­li­che Design wur­de als ent­wick­lungs­fä­hi­ge Ober­flä­che rekon­stru­iert und sei­ne Krüm­mun­gen ana­ly­siert. Das sich dar­aus erge­ben­de Modell konn­te als fla­ches, druck­ba­res Meso­struk­tur­netz abge­rollt wer­den, das klei­ne­re Regio­nen ent­hält, die mit unter­schied­li­chen Wer­ten in Bezug auf Grö­ße, Rich­tung und Aus­rich­tung der Bie­gung pro­gram­miert wur­den. Die geo­me­tri­schen Infor­ma­tio­nen wur­den zusam­men mit allen phy­si­ka­li­schen Meta­da­ten in Anwei­sun­gen für den 3D-Druck-Werk­zeug­weg umge­wan­delt und direkt von der Druck­ma­schi­ne produziert.

Aus­ge­hend von einer zu Beginn voll­stän­di­gen Sät­ti­gung mit Feuch­tig­keit ver­fes­tigt sich die Schie­ne beim Tra­gen mit der Zeit, wäh­rend sie sich lang­sam an tro­cke­ne Umge­bungs­be­din­gun­gen anpasst. Zur vor­über­ge­hen­den Ent­fer­nung kann die Schie­ne in Was­ser getaucht wer­den, um sie zu lockern (z. B. beim Duschen).

Mul­ti­funk­tio­na­li­tät eines ortho­pä­di­schen Hilfsmittels

Das Poten­zi­al für pas­si­ve Anpas­sungs­fä­hig­keit und Mul­ti­funk­tio­na­li­tät in mobi­len medi­zi­ni­schen Hilfs­tech­no­lo­gien ist immens. Um wei­te­re Vor­tei­le des hier vor­ge­stell­ten Sys­tems zu demons­trie­ren, wur­de der vor­ge­stell­te Mate­ri­al­pro­gram­mie­rungs­an­satz ver­wen­det, um einen wei­te­ren Pro­to­typ einer hoch­gra­dig indi­vi­dua­li­sier­ten Schie­ne mit meh­re­ren inte­grier­ten Funk­tio­nen zu ent­wer­fen (Abb. 8). Die Schie­ne wur­de so ent­wor­fen, dass sie sich an einen bestimm­ten Pati­en­ten anpasst und sich um eine indi­vi­du­el­le Hand­ge­lenk-Unter­arm-Geo­me­trie wickelt. Durch maß­ge­schnei­der­te Varia­tio­nen des Meso­struk­tur­mus­ters wur­den Berei­che geschaf­fen, die von weich (kom­for­ta­bel) bis hart (stüt­zend und immo­bi­li­sie­rend) reich­ten und es der Schie­ne ermög­lich­ten, sich zu for­men und sich eng um die indi­vi­du­el­le Glied­ma­ße zu schmiegen.

Der Zusatz form­ver­än­dern­der Höcker ermög­lich­te die Druck­ent­las­tung in emp­find­li­chen Berei­chen, wenn sie durch Schweiß­feuch­tig­keit akti­viert wur­den. Durch das eigens ent­wi­ckel­te 4D-Druck­ver­fah­ren ist es auch mög­lich, funk­tio­nell spe­zia­li­sier­te Mate­ria­li­en, die nicht gedruckt wer­den kön­nen, ein­zu­bet­ten, indem der Druck­pro­zess unter­bro­chen und die extern bezo­ge­nen Kom­po­nen­ten manu­ell ein­ge­fügt wer­den, bevor der Druck­pro­zess wie­der auf­ge­nom­men wird. So konn­ten meh­re­re Magne­te, die die Schie­ne an den Rän­dern geschlos­sen hiel­ten, um sicher getra­gen wer­den zu kön­nen, in das per 4D-Druck erzeug­te Design auf­ge­nom­men werden.

Dis­kus­si­on

Die Ergeb­nis­se der hier vor­ge­stell­ten Stu­di­en zei­gen die Vor­tei­le eines Mate­ri­al­pro­gram­mie­rungs­an­sat­zes bei der Ent­wick­lung von Mate­ri­al­sys­te­men, die mit­tels 4D-Druck erstellt wer­den. Neben der kör­per­spe­zi­fi­schen Anpas­sung bie­tet die Anpas­sungs­fä­hig­keit viel­ver­spre­chen­de Vor­tei­le für die Imple­men­tie­rung medi­zin­tech­ni­scher Gerä­te, die mit dem mensch­li­chen Kör­per inter­agie­ren, bei dem die Schnitt­stel­le sel­ten sta­tisch ist. So ist es vor­stell­bar, dass zukünf­ti­ge per 4D-Druck erzeug­te trag­ba­re Struk­tu­ren, die die Feuch­tig­keit des Kör­pers oder der Umge­bung als Sti­mu­lus nut­zen, Druck­spit­zen min­dern und eine bes­se­re Belüf­tung ermög­li­chen, wenn sie auf hohe Feuch­tig­keit durch Kör­per­schweiß reagie­ren oder sich bei täg­li­chen Akti­vi­tä­ten wie dem Duschen lockern, was durch war­men Was­ser­dampf aus­ge­löst wer­den kann. Bei lang­fris­ti­ger Ver­wen­dung könn­te ein selbst­for­men­der ortho­pä­di­scher Gips­ver­band zur Ruhig­stel­lung so pro­gram­miert wer­den, dass er sich mit der Zeit lang­sam selbst strafft, sodass kei­ne häu­fi­gen Ter­mi­ne zum Abneh­men und Wie­der­an­le­gen des Gip­ses auf­grund von Mus­kel­schwund mehr erfor­der­lich sind.

Die Kom­bi­na­ti­on von Bio­mime­tik und com­pu­ter­ge­stütz­tem Design bie­tet viel­fäl­ti­ge neue Mög­lich­kei­ten. Mit Hil­fe des hier vor­ge­stell­ten Design­mo­dells ist es mög­lich, bio­in­spi­rier­te Spann­me­cha­nis­men mit unter­schied­li­chen Qua­li­tä­ten in Form und Geschwin­dig­keit zu pro­gram­mie­ren. Das hier auf­ge­zeig­te per 4D-Druck erzeug­te Mate­ri­al­sys­tem kann mit einer grö­ße­ren Anzahl Kraft erzeu­gen­der Spann­me­cha­nis­men aus­ge­stat­tet wer­den als das bio­lo­gi­sche Vor­bild, da Neben­blät­ter in der Natur ver­hält­nis­mä­ßig weit aus­ein­an­der ste­hen. Auch wenn gezeigt wer­den konn­te, dass es mög­lich ist, die Aus­füh­rungs­ge­schwin­dig­kei­ten der Spann­me­cha­nis­men zu ver­zö­gern und bis zu einem gewis­sen Grad abzu­stim­men, soll­te die genaue Steue­rung des Timings und der Dau­er in zukünf­ti­gen Arbei­ten wei­ter unter­sucht werden.

Zudem könn­te je nach The­ra­pie­fall eine ande­re Mate­ri­al­kom­bi­na­ti­on erfor­der­lich sein, was mög­li­cher­wei­se die Ent­wick­lung neu­er, mit der FFF-Tech­no­lo­gie druck­ba­rer intel­li­gen­ter Mate­ria­li­en erfor­dert (z. B. hygro­sko­pi­sche Fila­men­te mit höhe­rer Emp­find­lich­keit gegen­über höhe­ren Feuch­tig­keits­be­rei­chen in Anwen­dungs­fäl­len mit häu­fi­gem Schwit­zen). Für ande­re Anwen­dun­gen, bei denen Schwan­kun­gen der Kör­per­tem­pe­ra­tur als Sti­mu­lus genutzt wer­den sol­len, wäre ein Mate­ri­al­sys­tem, das statt­des­sen auf Wär­me reagiert, bes­ser geeignet.

Fazit

Die­ser Arti­kel beschreibt einen Mate­ri­al­pro­gram­mie­rungs­an­satz für mit­tels 4D-Druck erzeug­te Mate­ri­al­sys­te­me mit bio­in­spi­rier­ten und selbst­for­men­den Funk­tio­na­li­tä­ten, der anhand einer bio­mime­ti­schen Fall­stu­die und dem Design eines pro­to­ty­pi­schen mobi­len Medi­zin­pro­dukts mit kom­ple­xen Meso­struk­tu­ren demons­triert wird. Der ent­wi­ckel­te rech­ner­ge­stütz­te Design-Work­flow ver­leiht der addi­ti­ven Fer­ti­gung einen neu­en Wert, indem er den Design­raum für her­ge­stell­te Objek­te öff­net, die nicht als vor­de­fi­nier­te, sin­gu­lä­re Geo­me­trien exis­tie­ren, son­dern als Abfol­ge von For­men und Funk­tio­na­li­tä­ten – wie in der beleb­ten Natur. Da immer mehr druck­ba­re Fila­men­te mit neu­en Reak­ti­ons­mög­lich­kei­ten zur Ver­fü­gung ste­hen, wer­den auch Form­ver­än­de­run­gen mög­lich, die durch ande­re Rei­ze als Feuch­tig­keit (z. B. Wär­me oder Licht) aus­ge­löst wer­den. Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass dies zu einer Viel­zahl krea­ti­ver und bedarfs­ge­rech­ter, Lösun­gen für adap­ti­ve trag­ba­re Sys­te­me und dar­über hin­aus füh­ren wird, die per 4D-Druck rea­li­siert wer­den können.

Dank­sa­gung

Die hier vor­ge­stell­ten Arbei­ten wur­den geför­dert von der Baden-Würt­tem­berg Stif­tung im Rah­men des For­schungs­pro­gramms „Inno­va­ti­on durch Addi­ti­ve Fer­ti­gung“ (Pro­jekt: IAF‑2 4DmultiMATS). Für zusätz­li­che För­de­rung dan­ken die Autoren der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft im Rah­men der Exzel­lenz­clus­ter „Inte­gra­ti­ve Com­pu­ta­tio­nal Design and Con­s­truc­tion in Archi­tec­tu­re – IntCDC“ an der Uni­ver­si­tät Stutt­gart [EXC 2120/1 — 390831618] und „Living, Adap­ti­ve and Ener­gy-auto­no­mous Mate­ri­als Sys­tems – liv­MatS @ FIT“ an der Uni­ver­si­tät Frei­burg [EXC 2193/1 — 390951807] sowie im Rah­men des Joint Rese­arch Net­work on Advan­ced Mate­ri­als and Sys­tems (JONAS).

Hin­weis

Die­ser Arti­kel ist eine Zusam­men­fas­sung der bei­den fol­gen­den Veröffentlichungen:

  • Cheng T, Tahouni Y, Wood D, Stolz B, Mül­haupt R, Menges
    A. Mul­ti­func­tion­al mesos­truc­tures: design and mate­ri­al pro­gramming for 4D-prin­ting. Sym­po­si­um on Com­pu­ta­tio­nal Fabri­ca­ti­on (SCF ‘20), 2020: 1–10. (doi: https://doi.org/10.1145/3424630.3425418)
  • Cheng T, Thie­len M, Pop­pinga S, Tahouni Y, Wood D, Stein­berg T, Men­ges A, Speck T. Bio-inspi­red moti­on mecha­nisms: com­pu­ta­tio­nal design and mate­ri­al pro­gramming of self-adjus­ting 4D-prin­ted weara­ble sys­tems. Advan­ced Sci­ence, 2021; 8 (13): 2100411. (doi: https://doi.org/10.1002/advs.202100411)

Für die Autoren:
Tif­fa­ny Cheng, MDes (Mas­ter of Design Studies)
Wis­sen­schaft­li­che Mitarbeiterin
Insti­tu­te for Com­pu­ta­tio­nal Design 
and Con­s­truc­tion
Uni­ver­si­tät Stuttgart
Kep­ler­stra­ße 11
70174 Stutt­gart
tiffany.cheng@icd.uni-stuttgart.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Cheng T, Thie­len M, Pop­pinga S, Tahouni Y, Wood D, Stein­berg Th, Men­ges A, Speck Th. Ent­wick­lung bio­in­spi­rier­ter und selbst­for­men­der Orthe­sen per 4D-Druck. Ortho­pä­die Tech­nik, 2023; 74 (1): 40–49

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