Tipps für erfolg­rei­ches Azubi-Recruiting

„‚Lehrjahre sind keine Herrenjahre‘ – die Zeiten, in denen dieser Spruch galt, sind komplett vorbei“, betont Felicia Ullrich. Seit vielen Jahren beschäftigt sich die Eignungsdiagnostikerin, Trainerin und systemische Coachin mit den Themen Azubi-Marketing und -Recruiting und verlegt als Geschäftsführerin der U-Form Testsysteme GmbH & Co. KG die doppelperspektivische Studie „Azubi- Recruiting Trends“. Von Generationenbashing hält sie nichts. Stattdessen rät sie Betrieben dazu, umzudenken, die Generation Z lieben zu lernen und aktiv auf die Zielgruppe zuzugehen.

„Die Jugend­li­chen sind es von zu Hau­se gewohnt – und das kann man fin­den, wie man will –, gefragt und mit­ein­be­zo­gen zu wer­den. Das wün­schen sie sich auch in der Aus­bil­dung. Sie möch­ten Wert­schät­zung erfah­ren“, berich­tet Ull­rich mit Blick auf die Stu­di­en­ergeb­nis­se. Bei den Attrak­ti­vi­täts­fak­to­ren ist das Betriebs­kli­ma die Num­mer eins. Ull­rich sieht dar­in ins­be­son­de­re für klei­ne Betrie­be gro­ße Chan­cen: Hier ken­nen sich Chef und Azu­bis, die Hier­ar­chien sind fla­cher, das Mit­ein­an­der wird gelebt. Aber wie wird der Nach­wuchs über­haupt auf die Bran­che und auf ein­zel­ne Betrie­be auf­merk­sam? „Man muss Sicht­bar­keit schaf­fen“, betont die Recrui­ting-Exper­tin. Die aus ihrer Sicht ein­fachs­te und güns­tigs­te (Vor-Ort-)Maßnahme neh­men vie­le Sani­täts­häu­ser jedoch nicht wahr. Pla­ka­te, Pos­ter, Fly­er und dar­auf groß der Schrift­zug „Wir bil­den aus“. Danach sucht sie in den Schau­fens­tern ver­geb­lich. Damit wür­den zwar nicht unbe­dingt die jun­gen Leu­te ange­spro­chen, weil sie die klei­ne­re Ziel­grup­pe der Häu­ser sind, dafür jedoch die Groß­el­tern, die die Infor­ma­tio­nen an die Enkel wei­ter­tra­gen. Wich­tig: digi­ta­le Ange­bo­te machen, die Mög­lich­keit geben, per E‑Mail oder Whats­app mit den Betrie­ben in Kon­takt zu tre­ten. Denn zum Tele­fon­hö­rer wür­den die Jugend­li­chen heu­te nur noch sel­ten grei­fen. Ist ers­tes Inter­es­se da, soll­te der Schritt zum Schnup­per­prak­ti­kum nicht mehr weit sein. Und dabei gilt es, den Nach­wuchs in spe mit­ein­zu­be­zie­hen und den Tag span­nend zu gestal­ten. „Die Gene­ra­ti­on will mit­ma­chen und nicht nach­ma­chen“, ist Ull­rich über­zeugt. Betrie­be soll­ten sich die Fra­ge stel­len: Wo ist mei­ne Ziel­grup­pe? Allen vor­an: in der Schu­le. Gan­ze Klas­sen kön­nen ein­ge­la­den und an den Beruf her­an­ge­führt wer­den – und das nicht nur durch tro­cke­ne Füh­run­gen oder theo­re­ti­sche Infor­ma­tio­nen, son­dern span­nend und pra­xis­nah mit Lauf­ana­ly­sen und Co. Ein Mehr­wert für die Schüler:innen und eine Ant­wort auf die Fra­ge „Was ist für mich drin?“.

Anzei­ge

Ihr Wis­sen zieht Ull­rich aus ihrem beruf­li­chen All­tag sowie aus den Ergeb­nis­sen der von ihr initi­ier­ten Stu­die „Azu­bi-Recrui­ting Trends“. Seit 2013 wer­den dafür jähr­lich sowohl Schüler:innen und Aus­zu­bil­den­de als auch Ausbilder:innen und Aus­bil­dungs­ver­ant­wort­li­che befragt. Die Ergeb­nis­se 2022 bestä­ti­gen erneut: Goog­le ist für die jun­gen Leu­te die ers­te Anlauf­stel­le auf der Suche nach einem Aus­bil­dungs­platz. Vor­aus­set­zung, um im Ran­king weit oben zu lan­den, sind gute Kennt­nis­se in Such­ma­schi­nen­op­ti­mie­rung. „Die wer­den die wenigs­ten haben. Aber es kann sich loh­nen, Goog­le Ads zu nut­zen.“ Im Gegen­satz zu den gro­ßen Stel­len­por­ta­len ste­hen die Unter­neh­men dort mit den Anzei­gen an der Spit­ze der Such­ergeb­nis­se. Pflicht ist es laut Ull­rich, Stel­len bei der Job­bör­se der Arbeits­agen­tur zu schal­ten. Die­se wer­de nach wie vor oft von Jugend­li­chen auf­ge­ru­fen. Eben­falls beliebt: gro­ße Online-Job­por­ta­le. Und die haben viel Reich­wei­te. „Sie unter­stüt­zen auch dabei, eine gute Stel­len­aus­schrei­bung zu gestal­ten“, weist Ull­rich auf einen wei­te­ren Vor­teil hin. Social Media spielt aus ihrer Sicht eine eher unter­ge­ord­ne­te Rol­le – zumin­dest, wenn Betrie­be bis dato nicht oder nur nach­läs­sig damit arbei­ten. Exis­tiert aber bereits ein Account, wer­den span­nen­de Inhal­te und ins­be­son­de­re Vide­os etc. gepos­tet, kann auch die­ser Weg zum Erfolg füh­ren. „Und selbst wenn auf Face­book nicht die jun­gen Men­schen unter­wegs sind. Viel­leicht sind es die Eltern oder Groß­el­tern.“ Auf der Web­site eines Unter­neh­mens soll­te zudem ein Job-/Kar­rie­re-Bereich zu fin­den sein, mit allen Infor­ma­tio­nen rund um die Aus­bil­dung, Auf­ga­ben, Bene­fits und den Kon­takt­da­ten. Vie­le Wege füh­ren nach Rom. So auch beim Azu­bi-Recrui­ting. Egal ob vor Ort oder online, grund­sätz­lich gilt: mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Kon­takt­punk­te nut­zen, um die Ziel­grup­pe aus allen Rich­tun­gen zu erreichen.

Vom Wir zum Du

Nicht nur das Wo, son­dern auch das Wie sind beim Schal­ten einer Anzei­ge ent­schei­dend. Ull­rich rät dazu, den Fokus zu ver­la­gern, weni­ger das, was gefor­dert wird her­aus­zu­stel­len, und statt­des­sen die Rah­men­pa­ra­me­ter der Stel­le zu beto­nen sowie das, was der Betrieb bie­tet und was die Azu­bis dort ler­nen kön­nen. Bei digi­ta­len Anzei­gen soll­te der Klar­na­me des Berufs mit dem Zusatz „m/w/d“ ver­se­hen wer­den, um alle Geschlech­ter anzu­spre­chen. „Die Jugend­li­chen ken­nen das und füh­len sich davon mehr abge­holt als von der Stern­chen­va­ri­an­te.“ Typi­sche For­mu­lie­run­gen im Ein­stieg wie „Wir sind der füh­ren­de Her­stel­ler von …“ holen jun­ge Gene­ra­tio­nen nicht ab. Sinn­vol­ler sei es „vom Wir zum Du“ umzu­schwen­ken und den Nach­wuchs mit den Vor­zü­gen, die das Unter­neh­men bie­tet, zu begeis­tern. Das Du nimmt Ull­rich dabei wört­lich. Sie­zen hat aus­ge­dient. Auch die klas­si­schen Hygie­ne­fak­to­ren wie Arbeits­zei­ten, Urlaubs­ta­ge und Ver­gü­tung loh­ne es sich zu hin­ter­fra­gen. Beson­ders Zusatz­qua­li­fi­ka­tio­nen, die man wäh­rend der Aus­bil­dung erwer­ben kann, haben einen hohen Stel­len­wert. „Damit kann man gut wer­ben“, betont sie. Wer bis­her viel­leicht nur 25 Tage Urlaub gebo­ten hat, könn­te über eine Auf­sto­ckung nach­den­ken. „Lie­ber einen Azu­bi haben, der 30 Tage Urlaub hat, als kei­nen Azu­bi haben, der 25 Tage Urlaub hät­te“, gibt Ull­rich zu beden­ken. Glei­ches gilt für die wöchent­li­che Arbeits­zeit und die Bezah­lung: Ist die Min­dest­ver­gü­tung wirk­lich aus­rei­chend oder kann mehr gebo­ten wer­den? „Die jun­gen Men­schen sehen, wie sich ihre Eltern kaputt arbei­ten, gestresst sind, sehn­süch­tig auf die Ren­te war­ten. Sie wol­len nicht den glei­chen Feh­ler machen. Sie wol­len leben. Und sie wol­len arbei­ten, aber nicht unter den glei­chen Bedin­gun­gen.“ Ull­rich ist über­zeugt, dass es ein Umden­ken braucht, dass sich bei­de Sei­ten – Nach­wuchs und Betrie­be – anpas­sen und auf­ein­an­der zuge­hen müs­sen, dass es neue Model­le braucht, um gemein­sa­me Wege zu gehen.

Gene­ra­tio­nen­bas­hing hält sie nicht für hilf­reich. Laut der Stu­die ist der Groß­teil der befrag­ten Ausbilder:innen über­zeugt: Es geht berg­ab. „Das hat Sokra­tes schon gesagt. Wenn es seit Sokra­tes aber nur noch berg­ab gegan­gen wäre, dann wären wir heu­te nur noch eine Hor­de Wil­der.“ Die jun­gen Men­schen sei­en zwar anders, brin­gen aber neue Vor­tei­le mit sich. Bes­ser sei es, die­se Vor­tei­le zu nut­zen als über die Nach­tei­le zu meckern. „Lieb sie, hab sie gern, schließ sie in dein Herz, mit all ihren Macken. Wenn du das aus­strahlst, hast du gute Chan­cen, Men­schen für dich zu begeis­tern“, lau­tet Ull­richs Bot­schaft. Jun­ge Gene­ra­tio­nen emp­fin­det sie als deut­lich offe­ner und tole­ran­ter. Betrie­be kön­nen zudem von der digi­ta­len Affi­ni­tät pro­fi­tie­ren. Es gebe ers­te gro­ße Indus­trie­un­ter­neh­men, in denen die Vor­stän­de von den Azu­bis ler­nen, wie man mit sozia­len Medi­en umgeht.

„Hid­den Champions“

Ull­rich wird nicht müde zu beto­nen, wie wich­tig es ist, Anrei­ze zu schaf­fen. Denn die jun­gen Men­schen wis­sen, dass sie heu­te in der stär­ke­ren Posi­ti­on sind und gesucht wer­den statt suchen zu müs­sen. Eine Sicht­wei­se, die nicht zuletzt in der Ent­wick­lung vom Arbeit­ge­ber- zum Arbeit­neh­mer­markt begrün­det liegt. Gute Schul­no­ten, per­fek­tes Auf­tre­ten – für vie­le Betrie­be sind das belieb­te Ein­stel­lungs­kri­te­ri­en, die aber auch „Gefah­ren“ ber­gen kön­nen. Denn sol­che Kandidat:innen blei­ben viel­leicht nicht lang, weil sie wis­sen, dass auch ande­re Stel­len auf sie war­ten. In jeman­den, der sich in der Schu­le schwer­ge­tan hat, unsi­cher ist und nicht beim ers­ten Tref­fen glän­zen kann, müs­se viel­leicht zunächst mehr inves­tiert wer­den, aber: „Der­je­ni­ge bleibt mit höhe­rer Wahr­schein­lich­keit dem Betrieb auch nach der Aus­bil­dung erhal­ten, weil er ver­mut­lich kei­ne Lust hat noch zu stu­die­ren. Schließ­lich war er in der Schu­le schon nicht gut.“ In die­sen „Hid­den Cham­pi­ons“ sieht Ull­rich gro­ßes Poten­zi­al. Eben­so dar­in Zuge­wan­der­te ein­zu­stel­len. Das kann auch ein Allein­stel­lungs­merk­mal dar­stel­len, mit dem sich aktiv wer­ben lässt: „Wir bera­ten auch auf Ara­bisch“ im Schau­fens­ter erschließt womög­lich eine neue Ziel­grup­pe. Um her­aus­zu­fin­den, was genau den eige­nen Betrieb von ande­ren abhebt, ist es sinn­voll, die Kon­kur­renz zu beob­ach­ten: Was machen die ande­ren? Was kön­nen wir anders machen?

„Der wich­tigs­te Bau­stein für Erfolg ist Eig­nung“, sagt die Recrui­ting-Exper­tin, „denn, wenn ich etwas nicht kann, dann bin ich unglück­lich“. Ob jemand zu einer Stel­le passt oder nicht, lässt sich anhand von Eig­nungs­tests erfas­sen. Für Otto­bock hat die U‑Form einen sol­chen Test bereits für Orthopädietechniker:innen ent­wi­ckelt. Laut Ull­rich sind die­se Ergeb­nis­se oft aus­sa­ge­kräf­ti­ger als Schul­no­ten oder Bewer­bungs­an­schrei­ben. Eig­nung zu mes­sen geht für sie vor Bauchgefühl.

Nett und schnell sein

Es heißt „Nett ist die klei­ne Schwes­ter von …“. Das sieht Ull­rich anders. „Mit nett kann man viel rei­ßen.“ Eben­falls mit Schnel­lig­keit. Kom­men Bewer­bun­gen per Mail oder Whats­app rein, soll­te inner­halb von maxi­mal 48 Stun­den eine Ant­wort – mit per­sön­li­cher, freund­li­cher Anspra­che und ohne stan­dar­di­sier­te Flos­keln – erfol­gen. „Wert­schät­zung und Net­tig­keit sind so güns­tig. Es kos­tet mich nichts, bringt aber viel, weil es das Herz berührt“, betont sie. Punk­ten mit Mensch­sein also. Das kön­nen sich Betrie­be auch bei Job­mes­sen zunut­ze machen. Statt dar­auf zu war­ten, dass die Jugend­li­chen auf einen zukom­men, wür­de Ull­rich den Spieß umdre­hen, wie­der von der pas­si­ven in die akti­ve Hal­tung wech­seln, die Jugend­li­chen anspre­chen und wenn mög­lich direkt Nägel mit Köp­fen machen. Bedeu­tet, nicht die Visi­ten­kar­te in die Hand drü­cken, son­dern sich die Kon­takt­da­ten der Inter­es­sen­ten geben las­sen, mit dem Ver­spre­chen, sich zu melden.

Die Ergeb­nis­se der Stu­die kurz zusam­men­ge­fasst: Die Top 5 sind für die Aus­zu­bil­den­den: Betriebs­kli­ma, Zusatz­qua­li­fi­ka­tio­nen, Ver­gü­tung (erst­mals Platz 3, vor­her immer Platz 4), Auf­ga­ben und Work-Life-Balan­ce. Auch hoch im Kurs steht das The­ma Diver­si­tät, also die Gleich­be­rech­ti­gung aller Geschlech­ter, Haut­far­ben, Kul­tu­ren und Reli­gio­nen. „Das soll­te ich in mei­ner Kom­mu­ni­ka­ti­on aus­drü­cken“, sagt Ull­rich und meint damit nicht zwangs­läu­fig die Ver­wen­dung eines Gen­der­stern­chens. Sie erin­nert sich an eine Stel­len­an­zei­ge zurück, die ihr Inter­es­se weck­te. Statt „m/w/d“ stand neben der Berufs­be­zeich­nung „a‑z“: Von Ali­en bis Zom­bie – bei uns ist jeder und jede willkommen.

Die Stu­die 2022 brach­te auch die eine oder ande­re Über­ra­schung mit sich, u. a. was die Top- oder Flop-Fra­gen betrifft. Dort hieß es bei­spiels­wei­se Frei­zeit ver­sus Geld. „Wir hät­ten alle gewet­tet, dass die Frei­zeit gewinnt“, sagt Ull­rich. Fehl­an­zei­ge. Glei­ches gilt für Sicher­heit ver­sus Kar­rie­re. Hier mach­te Kar­rie­re das Ren­nen. „Dar­an merkt man, dass die jun­gen Gene­ra­tio­nen ein neu­es Selbst­be­wusst­sein haben. Sie sind sich ihres eige­nen Wer­tes bewusst. Sie wis­sen, wenn es mir nicht gefällt, gibt es Alter­na­ti­ven.“ Was sich an den Ergeb­nis­sen aus Betriebs­sicht abzeich­net: „Die Unter­neh­men sind immer noch in der Zeit des Arbeit­ge­ber­mark­tes ver­haf­tet“, sagt Ull­rich. Ein Umden­ken sei zwin­gend erfor­der­lich. „Die, die umden­ken, wer­den auch Azu­bis fin­den und gene­rell erfolg­reich sein mit ihrem Geschäft.“

Noch bis zum 3. April 2023 kön­nen Ausbilder:innen und Aus­zu­bil­den­de an der Stu­die „Azu­bi-Recrui­ting Trends 2023“ teil­neh­men. Die Umfra­ge ist online unter https://www.testsysteme.de/studie zu finden.

Pia Engel­brecht

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