Nichtsdestotrotz hat der Amputierte nicht nur Anspruch auf eine dem allgemein anerkannten Stand der technischen Entwicklung entsprechende Versorgung, sondern laut Bundessozialgericht auch auf neue Hilfsmittel, wenn sie für den Anwender Gebrauchsvorteile bieten, die sich auf seinen gesamten Alltag auswirken – dies gilt auch dann, wenn das bisher genutzte Hilfsmittel noch intakt ist. Die Feststellung dieses erheblichen Gebrauchsvorteils im Alltag stellt jedoch eine große Herausforderung dar, da laut Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses für die Bedarfsfeststellung nicht nur die medizinische Diagnose maßgeblich ist. Vielmehr ist unter Bezug auf das bio-psycho-soziale Modell der ICF eine Gesamtbetrachtung erforderlich, und der Bedarf, die Fähigkeit zur Nutzung sowie die Prognose und das Ziel einer Hilfsmittelversorgung sind auf der Grundlage realistischer und alltagsrelevanter Anforderungen zu ermitteln.
Vor diesem Hintergrund wird in der BGU Murnau im Rahmen einer mehrtägigen stationären Evaluation der Gebrauchsvorteil der gewünschten neuen Prothetik durch Vergleich mit der vorhandenen Versorgung ermittelt, um eine sachlich fundierte Aussage hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit einer Versorgung mit der neuen Prothese treffen zu können. Dazu erfolgt zunächst eine umfangreiche Abklärung der Möglichkeiten der vorhandenen Prothetik. Nach der Probeversorgung mit der zu testenden Prothese und einer intensiven Gebrauchsschulung wird das Assessment nach einigen Tagen mit dem neuen Prothesenpassteil wiederholt. Orientiert an der ICF werden die Bedienung der Prothese auf der Funktionsebene und die Nutzung auf der Aktivitätsebene überprüft. Zur Bewertung der Partizipationsfähigkeit werden komplexe Tätigkeiten in Alltagssituationen überprüft, die gemeinsam mit den Probanden ermittelt werden. Besondere Beachtung finden der spontane Gebrauch, mögliche Ausweichbewegungen sowie die Entlastung der gesunden Gegenseite und der Wirbelsäule.
Die Evaluation des Gebrauchsvorteils ermöglicht eine fundierte Aussage hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit der neuen Versorgung, die auf jahrelanger Erfahrung und standardisierten Assessments beruht. Der Kostenträger erhält hierdurch die Möglichkeit, dem Amputierten das tatsächlich individuell geeignete Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen und die notwendige Qualitätssicherung durchzuführen, um die hohen Kosten moderner Prothetik zu rechtfertigen.
Hintergrund
Angesichts der heute zur Verfügung stehenden orthopädietechnischen Möglichkeiten gelingt es immer besser, den Verlust einer Extremität zu kompensieren. Parallel zu den technischen Fortschritten steigt aber auch die Erwartungshaltung der Betroffenen. Zwar sind angemessene Wünsche zu berücksichtigen, jedoch müssen gleichzeitig die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit beachtet werden. Eine moderne Prothesenversorgung ist kostspielig, und gerade die Frage der Wirtschaftlichkeit stellt sich im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Bewertung immer wieder.
Kunstglieder sind Hilfsmittel, die dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienen, das heißt, das Hilfsmittel tritt an die Stelle der ausgefallenen Extremität mit dem Ziel, die Behinderung möglichst vollständig auszugleichen („Gleichziehen mit einem gesunden Menschen“). Die Versorgung mit Hilfsmitteln hat ihre gesetzliche Grundlage im Sozialgesetzbuch (SGB IX). Für die verschiedenen Leistungsträger gelten zudem eigene Regelungen, für die Gesetzliche Unfallversicherung zum Beispiel aus dem SGB VII. Versicherte haben deshalb einen Rechtsanspruch auf die erforderliche Versorgung mit Hilfsmitteln als Leistung zur Rehabilitation und zur Teilhabe, um Auswirkungen im medizinischen, beruflichen, schulischen und sozialen Bereich abzumildern.
Moderne myoelektrische und multiartikulierende Handprothesen ermöglichen einen weitergehenden Behinderungsausgleich, auf den Versicherte dann einen Anspruch haben, wenn es durch die Versorgung zu einem „wesentlichen Gebrauchsvorteil“ im Alltag kommt. Der Behinderungsausgleich muss sich im Alltag umfassend auswirken und darf nicht nur Bequemlichkeit und Komfort verbessern. Bei Erreichen eines erheblichen Alltagsvorteils gegenüber einer konventionellen Prothetik fällt gemäß der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch eine hochpreisige Passteilversorgung in die Leistungspflicht des Kostenträgers.
Die Hilfsmittel sollen zudem dem allgemein anerkannten Stand der technischen Entwicklung entsprechen. Der Patient muss sich dabei nicht darauf verweisen lassen, der bisher verwendete Versorgungsstandard sei ausreichend – dies gilt auch dann, wenn das bisher genutzte Hilfsmittel noch intakt ist. Kommt ein verbessertes Hilfsmittel auf den Markt und hat es für den Anwender Gebrauchsvorteile, die sich auf seinen gesamten Alltag auswirken, so besteht ein Versorgungsanspruch auf das neue Hilfsmittel (Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.09.2004, Az. B 3 KR 2/04 R).
Grundsätze der Hilfsmittelverordnung
Für die Bedarfsfeststellung ist die medizinische Diagnose nicht allein maßgebend. Orientiert am bio-psycho-sozialen Modell der ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) ist daneben immer auch eine Gesamtbetrachtung der funktionellen bzw. der strukturellen Schädigungen sowie der Beeinträchtigungen und der verbliebenen Ressourcen im Bereich der Aktivitäten und der Teilhabe erforderlich 1. Der Bedarf, die Fähigkeit zur Nutzung sowie die Prognose und das Ziel einer Hilfsmittelversorgung sind demnach auf der Grundlage realistischer und alltagsrelevanter Anforderungen zu ermitteln. Dabei sind die individuellen Kontextfaktoren in Bezug auf die Person und die Umwelt als Voraussetzung für die angestrebten Rehabilitations- und Teilhabeziele zu berücksichtigen.
Allerdings kann es in der Praxis für den zuständigen Kostenträger schwierig sein, die Notwendigkeit eines bestimmten Hilfsmittels und die getroffene Auswahl aus einer Vielzahl zur Verfügung stehender Hilfsmittel nachzuvollziehen. Hat er begründete Zweifel an der Erforderlichkeit, der Zweckmäßigkeit oder der Wirtschaftlichkeit des Versorgungsvorschlages, ist es sinnvoll, zusätzliche Informationen einzuholen und/oder die Verordnung in einem Kompetenzzentrum überprüfen zu lassen. Vor jeder erstmaligen Bewilligung, größeren Instandsetzung oder Ersatzbeschaffung eines Hilfsmittels sollte deshalb ein sachverständiger Arzt hinzugezogen werden, wenn es aufgrund der Art der Versorgung erforderlich ist.
Aber auch für einen erfahrenen Arzt ist die Feststellung der Notwendigkeit einer zwar teureren, jedoch nicht zweifelsfrei besser geeigneten Prothesenversorgung im Rahmen einer ambulanten Untersuchung häufig nicht einfach. Um einen tatsächlichen Gebrauchsvorteil im Alltag bewerten zu können, ist in der Regel eine längere klinische Beobachtung und eine Probeversorgung erforderlich. Neben der Fähigkeit, die technischen Möglichkeiten der neuen Prothese zu nutzen, sind die subjektive Meinung des Versicherten, relevante Kontextfaktoren und die Rehabilitationsziele wesentliche Bestandteile der Entscheidungsfindung.
Die BGU Murnau bietet in diesem Zusammenhang ein Assessment an, das in Fällen angewandt wird, in denen sich aus der Diagnose oder der Problemdefinition durch den Patienten und den Arzt Art und Umfang der Hilfsmittelversorgung nicht eindeutig bestimmen lassen oder wenn bei einer geplanten Veränderung ein wesentlicher Gebrauchsvorteil des neuen Hilfsmittels für den Kostenträger oder den verordnendem Arzt nicht eindeutig erkennbar ist. Ziel ist es, eine Antwort auf folgende Frage zu formulieren: Kann der Amputierte die technischen Möglichkeiten des neuen Passteils tatsächlich nutzen, und hat er dadurch wesentliche Gebrauchsvorteile in seinem Alltag? Denn nicht jeder Patient ist für jede Prothese geeignet und imstande, damit umzugehen.
Indikationsstellung unter Berücksichtigung des bio-psycho-sozialen Modells der ICF
Das der ICF zugrunde liegende Verständnis der Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Komponenten kann für die Indikationsstellung bezüglich neuer Prothesen(passteile) genutzt werden (Abb. 1). Auf der Ebene der Körperfunktionen und ‑strukturen stellt sich die Frage, ob die technischen Möglichkeiten der Prothese überhaupt genutzt werden können. Kann dies bejaht werden, ist zu klären, welche (alltagsrelevanten) Aktivitäten dadurch erleichtert werden und wie sich dies auf die Teilhabe auswirkt 2 34. Besonders wichtig sind dabei Kontextfaktoren, die den Lebenshintergrund einer Person abbilden. Sie können sich positiv (Förderfaktoren), aber auch negativ (Barrieren) auf die Nutzung und Auswahl der neuen Prothese auswirken. Weitere wichtige Kriterien für die Prothesenauswahl sind:
- Größe und Gewicht der Prothese
- Griffkraft
- Robustheit der Prothese
- Schnelligkeit der Ansteuerung
- Kompatibilität der einzelnen Passteile/Komponenten zueinander
- körperliche Voraussetzungen (Leistungsfähigkeit, Stumpf usw.)
- kognitive Fähigkeiten des Patienten, die Prothese einzusetzen
- optischer Anspruch des Patienten an die Prothese
- Anspruch an bestimmte Greifformen (Mausklick, Spitzgriff usw.)
Die Evaluation des Gebrauchsvorteils neuer Exoprothesen(passteile) der BGU Murnau dient somit dazu, für den Kostenträger die oben genannten Informationen zusammenzutragen, auf deren Basis dann die Entscheidung bezüglich der Versorgung mit einer „besseren“, in der Regel teureren Prothese getroffen werden kann.
Ambulante Voruntersuchung
Im Rahmen einer ambulanten Voruntersuchung werden relevante Kontextfaktoren erfasst, die Stumpfbeschaffenheit beurteilt und die Rehabilitationsziele geklärt, die mit der angestrebten neuen prothetischen Versorgung erreicht werden sollen. Neben der ärztlichen Untersuchung erfolgt eine orthopädietechnische Erfassung und Überprüfung der bisherigen Prothesenversorgung, insbesondere eine Kontrolle der Passform des Prothesenschaftes.
Zur weiteren klinischen Beobachtung, die dann im Rahmen einer sogenannten Komplexen Stationären Rehabilitation (KSR) stattfindet, werden die Probanden nur dann zugelassen, wenn keines der folgenden Ausschlusskriterien auf sie zutrifft:
- Prothesenschaft passt nicht
- Belastbarkeit deutlich reduziert (z. B. instabile Angina pectoris)
- Prothesenerstversorgung
- mangelnde Kooperationsbereitschaft
Bewertungskriterien
Ziel der KSR ist neben der Prothesengebrauchsschulung insbesondere die Feststellung des „wesentlichen Gebrauchsvorteils im Alltag“ durch die geplante neue Versorgung. Basierend auf einer Eingangsbeobachtung mit der vorhandenen Prothese werden im Verlauf der Beobachtung – orientiert an der ICF – die folgenden drei Aspekte untersucht:
- Funktionen: Können die technischen Möglichkeiten der neuen Prothese umgesetzt werden?
- Aktivitäten: Kann im Rahmen der ergotherapeutischen Evaluation ein „funktioneller Zugewinn“ bezüglich der unten angegebenen 7 Kriterien festgestellt werden?
- Teilhabe: Kann die neue Prothese individuell in Arbeit und Freizeit sinnvoll eingesetzt werden?
Entsprechend dem bio-psycho-sozialen Modell der ICF wird neben den Körperfunktionen auch die dadurch erreichte Verbesserung der Aktivität und der Teilhabe überprüft. Dabei setzt sich aus Sicht der BGU Murnau der funktionelle Zugewinn aus folgenden 7 Kriterien zusammen:
- Steigerung der Selbstständigkeit durch die neue Prothese, z. B. weil mehr Tätigkeiten im Alltag und Beruf bilateral ausgeführt werden können.
- Entlastung der gesunden Gegenseite und Wirbelsäule bzw. noch vorhandener Gelenke der betroffenen Seite: Je geringer das Ausmaß von Ausweichbewegungen ist, desto natürlicher ist der Bewegungs- und Handlungsablauf. Langfristig können damit behandlungsbedürftige Überlastungssyndrome der Schulter sowie der Wirbelsäule und der Nackenmuskulatur reduziert werden 5.
- Verbesserte Performance: Eine Prothese ist umso alltagstauglicher, je flüssiger und „normaler“ eine Handlung bei alltäglichen Situationen ausgeführt werden kann.
- Optimiertes Greifen: Die Variation der Greifgeschwindigkeit im Alltag ist wichtig, um unterschiedliche Griffe der jeweiligen Situation anzupassen und um Bewegungen zu beschleunigen bzw. situationsgerecht schnell zu stoppen. Gegenstände können in einer für die Tätigkeit angemessenen Position sicher gehalten werden.
- Geteilte Aufmerksamkeit: Voraussetzung für Tätigkeiten, bei denen beide Hände unabhängig voneinander eingesetzt werden sollen.
- Reduzierter Kraftaufwand: Gewicht und Bewegungsmöglichkeiten der Prothese reduzieren den Kraftaufwand.
- Hilfsmittelreduktion: Viele Patienten müssen zusätzlich zur Prothese Hilfsmittel verwenden, um selbstständig sein zu können. Sind diese Hilfsmittel nicht mehr erforderlich, wird die Selbständigkeit verbessert.
Die oben genannten Kriterien werden im Rahmen alltagsnaher Übungen sowohl mit der vorhandenen Prothetik als auch mit der gewünschten neuen Versorgung überprüft. Zusätzlich wird kontrolliert, ob der Proband die besonderen Möglichkeiten der neuen Prothese (z. B. besondere Griffe, Gestensteuerung etc.) tatsächlich nutzen und im Alltag umsetzen kann. Bewertet wird neben der Ausführung (Performance) einer Tätigkeit (Tab. 1) auch das Ausmaß erforderlicher Ausweichbewegungen (Tab. 2). Bei der Ausführung wird insbesondere auf Folgendes geachtet:
- ob die Aktivität flüssig und ohne Unterbrechungen ausgeführt wird,
- ob die Geschwindigkeit der Aktivität angemessen ist,
- ob der Krafteinsatz der Aktivität geeignet ist und
- ob das Bewegungsausmaß der angesteuerten Gelenke der Aktivität entspricht.
Die ergotherapeutische Evaluation der aktuellen und der neuen Versorgung erfolgt anhand eines standardisierten Protokolls. Alle während des Assessment erhobenen Daten dienen einer objektiven Beurteilung des funktionellen Zugewinns im Hinblick auf die oben genannten Kriterien. Die einzelnen Tests werden jeweils mit Videoaufnahmen dokumentiert (Abb. 2).
Ablauf der Evaluation
Nach Absprache mit dem Kostenträger und dem versorgenden Orthopädie-Techniker wird der Proband stationär einbestellt. Die Evaluation neuer Prothesenpassteile findet im Rahmen einer i. d. R. fünftägigen KSR in der BGU Murnau statt. Voraussetzungen für die Durchführung sind eine ausreichende körperliche Belastbarkeit, reizlose Stumpfverhältnisse, ein passender Schaft sowie ein optimal vom Orthopädie-Techniker eingestelltes neues Passteil bzw. eine Probeprothese. Probeversorgungen sind in der Regel möglich und sollten trotz der gelegentlich damit verbundenen Kosten unbedingt vor einer Verordnung erfolgen.
Wesentliches Merkmal der klinischen Beobachtung ist die vergleichende Testung des zu erprobenden Passteils oder der Prothese gegenüber der bisher genutzten Versorgung und die Möglichkeit einer mehrtägigen Prothesengebrauchsschulung. Oftmals berichten amputierte Patienten, dass bislang keine ausreichende Gebrauchsschulung erfolgt sei und dass sie mit ihrer Prothese nach dem Prinzip „learning by doing“ alleingelassen worden seien. Die ausführliche Prothesengebrauchsschulung sollte selbstverständlicher Bestandteil der Prothesenversorgung sein und muss vom behandelnden Arzt entsprechend verordnet werden.
Nach Anreise des Probanden (in der Regel montags) findet ein ärztliches Aufnahmegespräch statt. Dabei wird nochmals die Testfähigkeit des Patienten überprüft. Im Rahmen des ergotherapeutischen Assessments werden dann zunächst die Selbsthilfefähigkeiten des Probanden mit dem auf dem OPUS-Fragebogen (Orthotics and Prosthetics User Survey) basierenden erweiterten Selbstauskunftsbogen erfasst 6 7.
Anschließend erfolgt die Funktionsprüfung der vorhandenen Prothese. Es wird geklärt, welche technischen Möglichkeiten sie bietet und ob diese genutzt werden können. Ein standardisiertes Testset ermöglicht die Überprüfung, welche Aktivitäten durchgeführt werden können. Dabei werden neben der grundsätzlichen Ausführbarkeit auch erforderliche Ausweichbewegungen erfasst und bewertet (s. Tab. 1 u. 2). Schließlich werden für den Probanden relevante Alltagsaktivitäten identifiziert und ebenfalls bezüglich Ausführbarkeit und Ausweichbewegungen bewertet, beispielsweise das Essen mit Besteck, das Öffnen einer Flasche oder das Tragen eines Wäschekorbes.
Tabelle 1: Bewertung der Ausführung
0 = Handlung kann nicht durchgeführt werden.
1 = Handlung kann mit Unterbrechungen durchgeführt werden; Bewegungsökonomie (Kraft, Geschwindigkeit und Bewegungsausmaß) ist unangemessen.
2 = Handlung ist fließend möglich; Bewegungsökonomie (Kraft, Geschwindigkeit und Bewegungsausmaß) kann verbessert werden.
3 = Handlung kann fließend und ökonomisch ausgeführt werden.
Tabelle 2: Bewertung der Ausweichbewegungen
0 = Tätigkeit/Funktion kann nicht ausgeführt werden (nicht prüfbar)
1 = Kompensationsbewegung des gesamten (Ober-)Körpers
2 = Kompensation innerhalb der Extremität
3 = ohne Kompensation möglich
Nach der Evaluation mit der vorhandenen Prothese (Tag 1) erfolgt die Versorgung mit dem neuen Hilfsmittel, dessen Gebrauch für einige Tage (Tag 2–4) intensiv im Rahmen ergotherapeutischer Einzel- und Gruppenbehandlungen geübt wird. Am Tag 5 werden die abschließenden Übungen (gleiche Testbatterie wie am Tag 1) mit der neuen Prothese wiederholt. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die subjektive Einschätzung durch den Prothesenträger, die standardisiert erfasst wird.
Ergebnis der Evaluation
Zum Abschluss des stationären Aufenthaltes werden die oben genannten Kriterien sowohl aus ergotherapeutischer als auch aus ärztlicher Sicht einzeln bewertet und die Ergebnisse zu Beginn und am Ende verglichen. Die Ergebnisse der einzelnen Übungen an den Tagen 1 und 5 werden in einem Protokoll erfasst und entsprechend ihrer Ausführbarkeit und den erforderlichen Ausweichbewegungen mit einem Punktesystem von 0 bis 3 bewertet. Es ergeben sich jeweils Summenwerte, die verglichen werden können. Daraus kann auf einen möglichen Zugewinn geschlossen und eine Antwort gegeben werden auf die Frage, ob durch die neue Prothese ein wesentlicher Gebrauchsvorteil im Alltag zu erwarten ist. Die Autoren gehen davon aus, dass ein Prothesenträger von einer neuen Versorgung im Alltag wesentlich profitiert, wenn er in mindestens vier Kriterien einen funktionellen Zugewinn erreicht. Diese Auswertung ist Grundlage für die ärztliche Einschätzung der medizinischen Notwendigkeit der neuen prothetischen Versorgung, die neben den Testergebnissen auch die erhobenen Kontextfaktoren berücksichtigt, ebenso die voraussichtliche Nutzung der Prothese im Alltag und die subjektive Einschätzung durch den Probanden.
Fazit
Im Rahmen einer ambulanten Voruntersuchung und eines mehrtägigen stationären Aufenthaltes werden in der BG-Unfallklinik Murnau wichtige Informationen bezüglich einer möglichen neuen prothetischen Versorgung gesammelt, darunter die für die Hilfsmittelversorgung relevanten Beeinträchtigungen von Strukturen, Funktionen, Aktivitäten und der Teilhabe nach ICF, relevante Kontextfaktoren sowie die subjektiven Bedürfnisse, Wünsche und Anregungen des Versicherten. Damit lässt sich die medizinische Notwendigkeit einer Hilfsmittelversorgung oder deren Nicht-Notwendigkeit ausführlich begründen. Der Kostenträger erhält mit diesen Informationen die Möglichkeit, dem Amputierten das tatsächlich für ihn geeignete Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen und die notwendige Qualitätssicherung durchzuführen, um die hohen Kosten moderner Prothetik rechtfertigen zu können.
Für die Autoren;
Dr. med. Stefan Simmel
Leitender Arzt
Abteilung für BG-Rehabilitation
BG-Unfallklinik Murnau
Professor-Küntscher-Str. 8
82418 Murnau
stefan.simmel@bgu-murnau.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Simmel S, Baumgärtler H‑P. Evaluation des Gebrauchsvorteils neuer Exoprothesen der oberen Extremität. Orthopädie Technik 2019; 70 (11): 27–31
- Der Verlag OT wünscht frohe Weihnachten! — 23. Dezember 2024
- Die neue Leitlinie zum Lipödem-Syndrom: mehr Licht als Schatten. Konsequenzen für die Praxis — 5. Dezember 2024
- Orthesenversorgung bei Läsion des Plexus brachialis — 4. Dezember 2024
- Richtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-Richtlinie/HilfsM-RL), zuletzt geändert am 19. Juli 2018, veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz AT 02.10.2018 B2, in Kraft getreten am 3. Oktober 2018. https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/hilfsmittel/Hilfsmittel-Richtlinie_ Stand_19-07–2018.pdf
- Wrigth FV. Measurement of Functional Outcome with Individuals Who Use Upper Extremity Prosthetic Devices: Current and Future Directions. Journal of Prosthetics and Orthotics. 2006; 18:46–56
- Kyberd P, Hill W, Upper Limb Prosthetic Outcome Measures (ULPOM) Group. MEC ’08 Measuring Success in Upper Limb Prosthetics. Proceedings of the 2008 MyoElectric Controls/Powered Prosthetics Symposium, Fredericton, New Brunswick, Canada, August 13–15, 2008
- Resnik L, Adams L, Borgia M, Delikat J, Disla R, Ebner C, Smurr Walters L. Development and Evaluation of the Activities Measure für Upper Limb Amputees. Archives of Physical Medicine and Rehabilitation, 2013; 94: 488–494
- Berthels T. Flexionshandgelenk für myoelektrische Prothesen – Biomechanische Betrachtungen und erste Versorgungserfahrungen. Orthopädie Technik, 2007; 58: 571
- Burger H, Franchignoni F, Heinemann AW, Kotnik S, Giordano A. Validation of the orthotics and prosthetics user survey upper extremity functional status module in people with unilateral upper limb amputation. J Rehabil Med, 2008; 40: 393–399
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