Effek­ti­vi­tät unter­schied­li­cher Sta­bi­li­sie­rungs­sys­te­me des dista­len Unter­arms in Dor­sal­ex­ten­si­on — Eine Unter­su­chung unter Ver­wen­dung von Computermodellen

S. Lehner, N. Huber, D. Baumeister, F. Michel
Die Knochenfraktur am distalen Unterarm entsteht typischerweise durch Sturz auf das nach dorsal gestreckte Handgelenk. Während im Sport mittels Handgelenksprotektoren versucht wird, den distalen Unterarm präventiv zu schützen, werden bei der medizinischen/therapeutischen Behandlung bereits vorhandener Verletzungen im Aufbau ähnliche Orthesen eingesetzt.

Die Ana­ly­se der Belas­tun­gen im Hand­ge­lenk wur­de mit Com­pu­ter­mo­del­len durch­ge­führt. In dem simu­lier­ten Sturz­sze­na­rio wur­den ins­ge­samt acht Model­le eines Hand­ge­lenk­schut­zes ver­wen­det. Dabei konn­te die pro­tek­ti­ve Wir­kung der Schie­nen für das Hand­ge­lenk gezeigt wer­den. Den bes­ten Effekt erziel­ten die Model­le mit den lan­gen Schie­nen auf der dor­sa­len Sei­te und die Sand­wich-Vari­an­te, bestehend aus einer dor­sa­len und pal­ma­ren Schie­nung. Jedoch konn­te ein wesent­li­cher Zuge­winn der beid­sei­ti­gen gegen­über der dor­sa­len Schie­nung nicht fest­ge­stellt wer­den. Zwar wur­den die in die­ser Stu­die ver­wen­de­ten Com­pu­ter­mo­del­le ursprüng­lich zur Bewer­tung der Funk­tio­na­li­tät von Pro­tek­to­ren im Snow­board­sport ent­wi­ckelt, der ähn­li­che Auf­bau sowie die ver­gleich­ba­re Anbin­dung an Hand und Unter­arm erlau­ben aber auch Rück­schlüs­se auf Hand­ge­lenks­or­the­sen und eig­nen sich somit zur Eva­lu­ie­rung funk­tio­nel­ler Kri­te­ri­en in der medi­zi­ni­schen Anwendung.

Anzei­ge

Ein­lei­tung

Die am häu­figs­ten vor­kom­men­de Kno­chen­frak­tur, die Frac­tu­ra radii loco typi­co mit Achs­ab­wei­chung des dista­len Frag­men­tes zur Streck­sei­te (Typ Col­les), ent­steht typi­scher­wei­se durch Sturz auf das nach dor­sal gestreck­te Hand­ge­lenk. Auch beim Snow­boar­den stel­len Ver­let­zun­gen des Hand­ge­lenks die domi­nan­te Ver­let­zungs­re­gi­on dar. Das Tra­gen per­sön­li­cher Schutz­aus­rüs­tung soll die Ver­let­zungs­ge­fahr auf ein mög­lichst gerin­ges Rest­ri­si­ko begren­zen. Doch wäh­rend die Tra­ge­quo­te von Hel­men kon­ti­nu­ier­lich steigt, ist die Akzep­tanz eines Hand­ge­lenk­schut­zes bei Snow­boar­dern rück­läu­fig 1. Stu­di­en zei­gen zwar, dass Pro­tek­to­ren das Ver­let­zungs­ri­si­ko ver­rin­gern kön­nen 2 3, doch erschwert eine Viel­zahl unter­schied­li­cher Designs für Hand­ge­lenks­pro­tek­to­ren im Snow­board­sport eine objek­ti­ve Beur­tei­lung der sicher­heits­re­le­van­ten Funk­tio­na­li­tät. Ange­bo­ten wer­den Hand­ge­lenk­schüt­zer (sepa­ra­tes Pro­tek­ti­ons­kon­zept) oder auch Hand­schu­he mit ein­ge­ar­bei­te­ten Hand­ge­lenks­pro­tek­to­ren (inte­grier­tes Pro­tek­ti­ons­kon­zept) zur Ver­mei­dung von Hand­ge­lenks­ver­let­zun­gen 4. Auch die Loka­li­sa­tio­nen und die Form der Schie­nung vari­ie­ren in den ver­schie­de­nen Pro­tek­ti­ons­kon­zep­ten; so wer­den z. B. pal­mar und/oder dor­sal stüt­zen­de Schie­nen unter­schied­li­cher Län­gen ver­wen­det (Abb. 1).

Wäh­rend in der Norm DIN EN 14120 5 Anfor­de­run­gen und Prüf­ver­fah­ren für die Schutz­klei­dung (inkl. Hand­ge­lenk­schüt­zer) für Benut­zer von Roll­sport­ge­rä­ten, unter ande­rem hin­sicht­lich Ergo­no­mie, Befes­ti­gung, Fes­tig­keit sowie Stoß­dämp­fung, defi­niert sind, exis­tiert der­zeit kei­ne Norm, die adäqua­te Tests zur Ermitt­lung der Wirk­sam­keit von Hand­ge­lenks­pro­tek­to­ren von Snow­boar­dern beinhaltet.

Das Haupt­au­gen­merk die­ser Stu­die liegt daher auf der Ana­ly­se sport­art­spe­zi­fi­scher Sturz­sze­na­ri­en beim Snow­boar­den, d. h. auf der Berech­nung der Belas­tun­gen in den Unter­arm­kno­chen. Dabei wur­den Model­le von Hand­ge­lenks­pro­tek­to­ren ver­schie­de­ner Designs erstellt, um die Effek­ti­vi­tät ver­schie­de­ner Sta­bi­li­sie­rungs­sys­te­me – palmar/dorsal, lang/ mittel/kurz – zu untersuchen.

Wäh­rend im Sport ver­sucht wird, den dista­len Unter­arm prä­ven­tiv mit Pro­tek­to­ren zu schüt­zen, wer­den bei der Behand­lung bereits vor­han­de­ner Ver­let­zun­gen zur Ruhig­stel­lung Hand­ge­lenks­or­the­sen ein­ge­setzt. Der Indi­ka­ti­on ent­spre­chend wer­den dabei hohe Anfor­de­run­gen an die Sta­bi­li­sie­rung des dista­len Unter­arms gesetzt. Die am Markt befind­li­chen Pro­tek­to­ren- und Orthe­sen­kon­zep­te sind in ihrem Auf­bau ähn­lich, dies betrifft auch die Art der Schie­nung (pal­mar, dor­sal sowie kurz, lang) (Abb. 2, 3). Eine Über­trag­bar­keit der Ergeb­nis­se zur Eva­lu­ie­rung der Funk­tio­na­li­tät von Orthe­sen wäre somit gege­ben und erscheint sinnvoll.

Mate­ri­al und Methode

Die Ana­ly­se bio­me­cha­ni­scher Fra­ge­stel­lun­gen ist mit ver­schie­de­nen Werk­zeu­gen aus dem Bereich des Com­pu­ter Aided Engi­nee­ring (CAE) mög­lich. Zu den Simu­la­ti­ons­werk­zeu­gen zäh­len Pro­gramm­pa­ke­te zum Auf­bau von Mehr­kör­per­sys­te­men (MKS), des Com­pu­ter Aided Design (CAD) und der Fini­te-Ele­men­te-Metho­de (FEM). Abbil­dung 4 zeigt die Struk­tur der Com­pu­ter­mo­del­le der unter­schied lichen CAE-Werk­zeu­ge und ‑Metho­den, die zur Ana­ly­se der Ver­let­zungs­sze­na­ri­en ver­wen­det wurden.

Die Basis der Ober­flä­chen­mo­del­le der Mehr­kör­per­sys­te­me sowie der Volu­men­mo­del­le der Fini­te-Ele­men­t­e­Mo­del­le stel­len kom­ple­xe Frei­form­flä­chen dar. Die Ober­flä­chen- und Volu­men­mo­del­le der Kno­chen basie­ren hier­bei auf radio­lo­gi­schen Auf­nah­men der Com­pu­ter­to­mo­gra­fie (CT). Zur Bild­be­ar­bei­tung wur­de das Soft­ware-Paket Ami­ra V4.1 (Mer­cu­ry Com­pu­ter Sys­tems GmbH, Ber­lin) verwendet.

Zur Berech­nung der auf­tre­ten­den Belas­tun­gen im Radi­us­kno­chen und einer dar­aus resul­tie­ren­den Beur­tei­lung der Wirk­sam­keit unter­schied­li­cher Schie­nungs­kon­zep­te wur­de mit dem Mehr­kör­per­si­mu­la­ti­ons­pro­gramm Sim­pack V9.3 (Sim­pack AG, Gil­ching) ein Modell eines 20-jäh­ri­gen Man­nes erstellt (Abb. 5). Das MKS-Modell beinhal­tet ein detail­lier­tes Modell der obe­ren rech­ten Extre­mi­tät mit auf CT-Daten basie­ren­den Kno­chen­mo­del­len und vali­dier­ten Kraft­ele­men­ten der Weich­teil­struk­tu­ren 6. Die Vali­die­rung des Modells erfolg­te anhand expe­ri­men­tel­ler Bewe­gungs­ana­ly­se­da­ten 7 und der Berech­nung der Boden­re­ak­ti­ons­kräf­te 8. Die anthro­po­me­tri­schen Daten ent­spre­chen dem männ­li­chen 50. Per­zen­til, ent­nom­men aus der aktu­el­len Size-Germany-Reihenmessung.

Ein Rück­wärts­sturz bei durch­ge­streck­ten Gelen­ken der obe­ren Extre­mi­tät wur­de als Worst-Case-Sze­na­rio für das Frak­tur­ri­si­ko des dista­len Radi­us ermit­telt 9 10 11.

Die Model­lie­rung der Hand­ge­lenks­schie­nen wur­de mit dem CAD-Pro­gramm Catia V5 (Das­sault Sys­tè­mes, Véli­zy-Vil­la­cou­b­lay, Frank­reich) durch­ge­führt. In dem simu­lier­ten Sturz­sze­na­rio wur­den ins­ge­samt acht Model­le eines Hand­ge­lenk­schut­zes ver­wen­det und mit einem Refe­renz­mo­dell ohne Schie­nung ver­gli­chen. Für die pal­ma­re und dor­sa­le Schie­nung wur­den jeweils drei ver­schie­de­ne Län­gen model­liert (Abb. 6, 7):

  • kur­ze Schie­ne mit einem Fix­a­ti­ons­punkt zum dista­lem Unterarm
  • mit­tel­lan­ge Schie­ne mit zwei Fix­a­ti­ons­punk­ten zum Unter­arm (distal und zentral)
  • lan­ge Schie­ne mit zwei Fix­a­ti­ons­punk­ten zum Unter­arm (distal und proximal)

Zudem wur­de eine „Sandwich“-Variation als Kom­bi­na­ti­on aus bei­den Typen für die mit­tel­lan­ge und lan­ge Schie­ne modelliert.

Die Imple­men­tie­rung der CAD­Mo­del­le der dor­sal und pal­mar anlie­gen­den Schie­nen erfolg­te unter Berück­sich­ti­gung von Gelen­ken mit jeweils einem rota­to­ri­schen Frei­heits­grad. Dazu wur­den im MKS-Modell Feder-Dämp­fer-Ele­men­te ein­ge­baut, die den Bewe­gungs­um­fang des Pro­tek­tors ein­schrän­ken. Die Befes­ti­gung der Schie­ne am Unter­arm, z. B. mit­tels Klett­ver­schluss­bän­dern, wur­de mit Hil­fe trans­la­to­ri­scher Feder­Dämp­fer-Ele­men­te model­liert. Die Anzahl der Fixie­rungs­ele­men­te vari­iert abhän­gig von der Län­ge der ver­wen­de­ten Schiene.

Zur Berech­nung der Belas­tungs­spit­zen und ‑loka­li­sa­tio­nen im Radi­us­kno­chen wur­den die in den MKS-Simu­la­tio­nen berech­ne­ten Kraft­ver­läu­fe im Hand­ge­lenk am Radi­us­kno­chen in das mit der Soft­ware Ansys R14.5 (Ansys Inc., Canons­burg, USA) erstell­te Fini­te-Ele­men­te-Modell ein­ge­lei­tet. Eine Zusam­men­set­zung der detail­lier­ten CAD-Kno­chen­mo­del­le erfolgt in der FE-Soft­ware durch die Defi­ni­ti­on von Kon­takt­be­din­gun­gen, wel­che den Kör­per als fes­ten Ver­bund ein­zel­ner Tei­le cha­rak­te­ri­sie­ren. Anschlie­ßend wird den jewei­li­gen Kno­chen­be­stand­tei­len ein Para­me­ter-Set der Werk­stoff­da­ten zuge­wie­sen. Die Mate­ri­al­ei­gen­schaf­ten wur­den aus der Lite­ra­tur ent­nom­men 12 13. Im Kno­chen­in­ne­ren schlie­ßen an den Enden spon­giö­se Berei­che der Meta­phy­se an, wel­che aus hya­li­nem Knor­pel besteht. Umge­ben wird der gesam­te Kno­chen von antei­lig ortho­trop und iso­trop model­lier­ter Kor­ti­ka­lis (Abb. 8). Da Ver­suchs­da­ten in der Bio­me­cha­nik auf­grund der gro­ßen Viel­falt von Mate­ri­al­da­ten im mensch­li­chen Gewe­be nur schlecht über­trag­bar sind, wur­de das erstell­te Modell bezüg­lich sei­nes Stei­fig­keits­ver­hal­tens anhand von Daten expe­ri­men­tel­ler Druck­ver­su­che an Radi­us­kno­chen von Var­ga et al. 14 validiert.

Ergeb­nis­se

Ins­ge­samt wur­de die Simu­la­ti­on eines Rück­wärts­stur­zes auf die aus­ge­streck­te Hand mit acht unter­schied­li­chen Kon­zep­ten einer Schie­nung sowie ohne Schie­nung zur Bestim­mung der Refe­renz­be­las­tung durch­ge­führt. Zur Beur­tei­lung der unter­schied­li­chen Vari­an­ten bezüg­lich Sta­bi­li­sie­rungs­ver­mö­gen des Hand­ge­lenks ver­mit­telt Tabel­le 1 eine Über­sicht über die maxi­mal ein­ge­lei­te­te Kom­pres­si­ons­kraft sowie die maxi­ma­le Dor­sal­ex­ten­si­on des Hand­ge­lenks im Moment des Aufpralls.

Als Refe­renz dient das MKS-Modell eines 20-jäh­ri­gen Man­nes, wel­cher ohne stüt­zen­de Schie­ne am Hand­ge­lenk auf die­ses rück­sei­tig stürzt. In die­ser Simu­la­ti­on erfährt das Hand­ge­lenk eine maxi­ma­le Dor­sal­fle­xi­on von 69,9°. Abbil­dung 9 zeigt die jewei­li­ge pro­zen­tua­le Redu­zie­rung der Exten­si­on des Hand­ge­lenks durch das Tra­gen unter­schied­li­cher Schienen.

Wäh­rend bei der kur­zen Schie­nung die Ver­rin­ge­rung bes­ten­falls 11,3 % beträgt (dor­sa­le Vari­an­te), erreicht die dor­sa­le lan­ge Vari­an­te ein Maxi­mum von 24,5 %. Auch eine pal­ma­re Schie­nung ver­rin­gert die maxi­ma­le Dor­sal­fle­xi­on des Hand­ge­lenks, jedoch in gerin­ge­rem Maße als eine dor­sa­le Schie­nung. Die Ver­wen­dung einer beid­sei­ti­gen Schie­nung zeigt nur einen sehr gerin­gen zusätz­li­chen Nut­zen im Ver­gleich zur rein dor­sa­len Variante.

Wie zu erken­nen ist, haben alle model­lier­ten Schie­nungs­kon­zep­te das Poten­zi­al zur Ver­let­zungs­prä­ven­ti­on bei einer Ver­wen­dung in Form von Pro­tek­to­ren. Wer­den die gewon­ne­nen Erkennt­nis­se auf­grund des ähn­li­chen Auf­baus von Orthe­sen und Pro­tek­to­ren auf Hand­ge­lenks­or­the­sen über­tra­gen, zeigt sich bei genau­er Betrach­tung der Gelenk­kraft eine deut­lich erhöh­te Sta­bi­li­tät des dista­len Unter­arms bei Ver­wen­dung einer Schiene.

Die berech­ne­te axi­al in den Radi­us ein­ge­lei­te­te Kraft beträgt im Refe­renz­fall 2547 N. Abbil­dung 10 zeigt die maxi­ma­le Kom­pres­si­ons­kraft mit und ohne Schie­nung. Ledig­lich bei einer pal­ma­ren Anbrin­gung der kur­zen Schie­ne erweist sich die­se als wirk­sa­mer als die dor­sa­le Vari­an­te. Andern­falls stellt die lan­ge dor­sa­le Schie­nung mit 1213 N die Vari­an­te höchs­ter Sta­bi­li­tät dar. Auch hier ließ sich kein wesent­li­cher Zuge­winn durch eine beid­sei­ti­ge Schie­nung errechnen.

Ins­ge­samt klar her­aus­zu­stel­len ist die ver­min­der­te Wirk­sam­keit der kur­zen Model­le. In Bezug auf die Gelenk­kraft stellt die kur­ze Vari­an­te einer pal­ma­ren Schie­nung zwar sogar das bes­te Kon­zept dar; auch bei dor­sa­ler Schie­nung ist der Unter­schied zwi­schen kur­zer und mitt­le­rer Vari­an­te mini­mal. Den­noch errei­chen bei zusätz­li­cher Betrach­tung des Exten­si­ons­win­kels des Hand­ge­lenks die län­ge­ren Vari­an­ten deut­lich bes­se­re Ergeb­nis­se. Daher wur­de auf die Model­lie­rung einer kur­zen Sand­wich­va­ri­an­te verzichtet.

Wie ein­gangs erwähnt wur­den die unter­schied­li­chen Kon­zep­te zur Schie­nung jedoch nicht nur beru­hend auf den MKS-Model­len ana­ly­siert. Die Ergeb­nis­se der Mehr­kör­per­sys­te­me-Simu­la­ti­on wur­den zusätz­lich in ein detail­lier­tes FE-Kno­chen­mo­dell des Radi­us ein­ge­lei­tet. Anschlie­ßend erfolg­te eine Beur­tei­lung der unter­schied­li­chen Vari­an­ten anhand des jeweils auf­tre­ten­den Belastungszustands.

Abbil­dung 11 zeigt den beim simu­lier­ten Sturz (Refe­renz­fall) im Radi­us­kno­chen auf­tre­ten­den Schub­span­nungs­ver­lauf. Ohne Pro­tek­tor fin­det eine deut­li­che Loka­li­sa­ti­on der maxi­mal auf­tre­ten­den Schub­span­nung am dista­len Radi­usen­de statt. Das ist in etwa der Ort, an dem die Col­les­Frak­tur zu erwar­ten ist.

Abbil­dung 12 zeigt den beim simu­lier­ten Sturz mit dor­sa­lem, lan­gem Pro­tek­tor auf­tre­ten­den Schub­span­nungs­ver­lauf am Radi­us­kno­chen. Das Maxi­mum ist wie beim Refe­renz­fall pro­xi­mal am Radi­us­kno­chen loka­li­siert, hat jedoch einen um 30,7 % gerin­ge­ren Wert. Außer­dem ist ersicht­lich, dass im Ver­gleich zum Refe­renz­fall grö­ße­re Span­nun­gen im Bereich des Schafts auf­tre­ten, die aus der Pro­tek­tor-Anbin­dung resultieren.

Dis­kus­si­on

Der in die­ser Stu­die ana­ly­sier­te Rück­wärts­sturz (Worst-Case-Sze­na­rio) sowie die Beur­tei­lung der Wirk­sam­keit unter­schied­li­cher Schie­nungs­kon­zep­te die­nen als Basis für die Defi­ni­ti­on mini­ma­ler Anfor­de­run­gen an Funk­tio­na­li­tät und Design von Pro­tek­to­ren im Snowboardsport.

Da sich auf dem Markt befind­li­che Orthe­sen für das Hand­ge­lenk und die im Rah­men die­ser Arbeit unter­such­ten Pro­tek­to­ren in Auf­bau und Funk­ti­on ähneln, liegt es nahe, die gewon­ne­nen Erkennt­nis­se auch im Hin­blick auf die Funk­tio­na­li­tät von Orthe­sen zu berück­sich­ti­gen. Jedoch bedarf es zur Über­trag­bar­keit der Stu­di­en­ergeb­nis­se auf Hand­ge­lenks­or­the­sen einer indi­ka­ti­ons­be­zo­ge­nen Dif­fe­ren­zie­rung. Denn deren Ver­ord­nung beinhal­tet von der Bewe­gungs­re­duk­ti­on über die Sta­bi­li­sie­rung bis zur Fixie­rung ver­schie­de­ne Arten der Beschrän­kung der Frei­heits­gra­de (ent­spre­chend den zugrun­de lie­gen­den Erkran­kun­gen vom Kar­pal­tun­nel­syn­drom über Ten­do­va­ginit­i­den und Dis­tor­si­ons­trau­ma bis zu post­ope­ra­ti­ven Ruhig­stel­lun­gen). Daher ist die pau­scha­le Behaup­tung, dass nur eine lan­ge, dor­sal anlie­gen­de Schie­ne das wir­kungs­volls­te Design auf­weist, nicht möglich.

Wei­ter­hin zu beach­ten ist, dass durch das gewähl­te Modell ledig­lich der Sturz­me­cha­nis­mus in Dor­sal­ex­ten­si­on eva­lu­iert wur­de. Die Indi­ka­ti­on von Hand­ge­lenks­or­the­sen besteht jedoch nicht nur als Pro­phy­la­xe einer Col­les-Frak­tur, son­dern umfasst auch die Aus­schal­tung der Pal­mar­fle­xi­on sowie der Radi­al- und Uln­ar­ab­duk­ti­on. Da jedoch im Snow­board­sport die Über­stre­ckung des Hand­ge­lenks als domi­nan­ter Ver­let­zungs­me­cha­nis­mus für dista­le Hand­ge­lenks­frak­tu­ren gilt, lag der Fokus die­ser Stu­die auf der Ana­ly­se der Dor­sal­ex­ten­si­on. Eine Pal­mar­fle­xi­on wird im Snow­board­sport zur Gewähr­leis­tung der Bewe­gungs­frei­heit für Hand­ge­lenks­pro­tek­to­ren erwar­tet und war somit nicht Gegen­stand der vor­lie­gen­den Ana­ly­se. Mit den bestehen­den MKS-/ FEM-Com­pu­ter­mo­del­len kön­nen jedoch bei ent­spre­chen­der Fra­ge­stel­lung auch Last­fäl­le mit Pal­mar­fle­xi­on und Radi­al-/Ul­n­ar­ab­duk­ti­on simu­liert werden

Die im ana­ly­sier­ten Rück­wärts­sturz im Refe­renz­fall (ohne Schie­nung) auf­tre­ten­de Gelenk­kraft von 2547 N, wel­che in den Radi­us­kno­chen ein­ge­lei­tet wird, kor­re­spon­diert mit den in der Lite­ra­tur ermit­tel­ten Belas­tungs­grö­ßen bei einer Radi­us­frak­tur 15. Simu­lier­te Sturz­sze­na­ri­en unter Zuhil­fe­nah­me von Armen von Lei­chen oder mecha­ni­schen Ersatz­bau­ten konn­ten bei einer Belas­tung zwi­schen 2,0 und 2,5 kN efline Frak­tur des Radi­us nach­wei­sen. Eine maxi­ma­le Dor­sal­ex­ten­si­on des Hand­ge­lenks von 70° liegt zwar streng genom­men nicht im Bereich einer Hyper­ex­ten­si­on, wel­che mit als Ursa­che für eine Frak­tur des dista­len Radi­us genannt wird. Den­noch lässt sich auch in Bezug auf den Hand­ge­lenks­win­kel die Wirk­sam­keit einer Schie­nung des Unter­arms nach­wei­sen. Ins­be­son­de­re für die Über­tra­gung der Ergeb­nis­se auf Wirk­prin­zi­pi­en von Orthe­sen kann die Tat­sa­che des in der Simu­la­ti­on im Ver­gleich zur Rea­li­tät zu gerin­gen Exten­si­ons­win­kels ver­nach­läs­sigt wer­den. Die ent­schei­den­de Funk­tio­na­li­tät einer Unter­ar­mor­the­se ist die Sta­bi­li­sie­rung des Hand­ge­lenks. Die­se Wirk­wei­se konn­te mit der hier vor­ge­stell­ten Simu­la­ti­on nach­ge­wie­sen werden.

Um die größt­mög­li­che Sta­bi­li­sie­rung zu errei­chen, ist eine fes­te Fixie­rung der Schie­ne an der Hand sinn­voll. Die län­ge­ren Vari­an­ten wur­den im Modell zusätz­lich mit zwei model­lier­ten Klett­ver­schluss­rin­gen an den Unter­arm ange­bun­den, wie dies auch bei han­dels­üb­li­chen Orthe­sen der Fall ist.

Im Rah­men die­ser Arbeit konn­te der Tra­ge­kom­fort der unter­schied­li­chen Schie­nen lei­der nicht bewer­tet wer­den. Den­noch zeig­te sich auf­grund der Stei­fig­keit der Schie­nen im Modell ein Ein­drin­gen des dor­sa­len Splints in die Weich­teil­struk­tu­ren des Unter­arms nur bei einem Sturz mit ent­spre­chen­der Krafteinwirkung

Das FE-Modell im Refe­renz­fall zeigt eine Abbil­dung der Rea­li­tät, da für das Span­nungs­ma­xi­mum im Radi­us­kno­chen die Stel­le berech­net wur­de, an der es bei einer Col­les-Frak­tur zu einem Bruch kommt. Auch die Simu­la­ti­ons­er­geb­nis­se mit Pro­tek­to­ren schei­nen rea­lis­tisch, da die maxi­mal auf­tre­ten­den Wer­te der Span­nungs­ver­läu­fe im Radi­us­kno­chen deut­lich abneh­men und die Kraft­ein­lei­tung der Pro­tek­to­ren im Schaft­be­reich in den Span­nungs­ver­läu­fen durch höhe­re Wer­te abge­bil­det wird. Auf­grund der flie­ßen­den Über­gän­ge der mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten im mensch­li­chen Kno­chen muss­ten bei der Erstel­lung des FE-Modells aller­dings Ver­ein­fa­chun­gen getrof­fen und abge­schlos­se­nen Kno­chen­be­rei­chen bestimm­te Mate­ri­al­pa­ra­me­ter zuge­wie­sen wer­den. Ver­ein­fa­chun­gen wur­den auch bei der Defi­ni­ti­on der Kon­takt­be­din­gun­gen des Radi­us­kno­chens getroffen.

Schluss­fol­ge­rung

Mit­tels der im Rah­men die­ser Arbeit durch­ge­führ­ten MKS- sowie FE-Simu­la­tio­nen konn­ten ver­schie­de­ne Kon­zep­te von Hand­ge­lenk­schüt­zern hin­sicht­lich ihrer Sta­bi­li­sie­rungs­wir­kung unter­sucht wer­den. Zwar wur­den die Model­le ursprüng­lich zur Bewer­tung der Funk­tio­na­li­tät von Pro­tek­to­ren im Snow­board­sport ent­wi­ckelt, der ähn­li­che Auf­bau sowie die ver­gleich­ba­re Anbin­dung an Hand und Unter­arm erlau­ben aber auch Rück­schlüs­se auf Hand­ge­lenks­or­the­sen und eig­nen sich somit zur Eva­lu­ie­rung funk­tio­nel­ler Kri­te­ri­en in der medi­zi­ni­schen Anwendung.

Beru­hend auf den Ergeb­nis­sen der MKS-Simu­la­ti­on ist der dor­sa­len Vari­an­te eine erhöh­te Sta­bi­li­sie­rung des Unter­arms im Ver­gleich zu einer pal­ma­ren Anbrin­gung zuzu­schrei­ben. Eine beid­sei­ti­ge Schie­nung des Unter­arms führt zu einem nur gerin­gen Zuge­winn im Ver­gleich zur dor­sa­len Vari­an­te, sowohl bezüg­lich Kraft­re­du­zie­rung als auch bezüg­lich Stre­ckung des Hand­ge­lenks. Betrach­tet man die Exten­si­on des Hand­ge­lenks, ist ein kla­rer, posi­ti­ver Trend von den kur­zen Model­len hin zu den lan­gen Vari­an­ten zu erken­nen. In Bezug auf die Ver­rin­ge­rung der wir­ken­den Kraft ist die­ser Trend hin­ge­gen nicht so deut­lich. Die mitt­le­re und kur­ze Vari­an­te der dor­sa­len Schie­nung unter­schei­den sich hier nur sehr gering. Für die unter­such­ten Vari­an­ten emp­fiehlt sich für Hand­ge­lenks­pro­tek­to­ren eine lan­ge, dor­sal anlie­gen­de Schie­ne als wir­kungs­volls­tes Design.

Zudem wur­den nicht alle auf dem Markt befind­li­chen Sta­bi­li­sie­rungs­kon­zep­te berück­sich­tigt. So wur­de z. B. die sicher­heits­re­le­van­te Funk­tio­na­li­tät einer seit­li­chen Schie­nung bis­her noch nicht unter­sucht. Zudem gilt es, wei­te­re wich­ti­ge Ein­fluss­fak­to­ren, z. B. den Tra­ge­kom­fort, in die Gesamt­be­trach­tung mit ein­zu­be­zie­hen. Bei­de eben ange­führ­ten Aspek­te gewin­nen dann an Bedeu­tung, wenn im medi­zi­ni­schen bzw. the­ra­peu­ti­schen Bereich die Ver­let­zungs-/Schmerz­lo­ka­li­sa­ti­on berück­sich­tigt wer­den muss.

Für die Autoren:
Dr. Ste­fan Lehner
Lehr­stuhl für Ergonomie
Tech­ni­sche Uni­ver­si­tät München
Boltz­mann­stra­ße 15
85747 Gar­ching
lehner@lfe.mw.tum.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Leh­ner S, Huber N, Bau­meis­ter D, Michel F. Effek­ti­vi­tät unter­schied­li­cher Sta­bi­li­sie­rungs­sys­te­me des dista­len Unter­arms in Dor­sal­ex­ten­si­on. Ortho­pä­die Tech­nik. 2015; 66 (8): 19–24

 

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