Die Pionierarbeit dazu begann bereits im Jahr 1974, als Dr. Grundei die ersten Implantate für Knie und Hüftgelenke entwickelte. Die Idee, ein Implantat mit einer Exoprothese zu verbinden, wurde jedoch immer wieder zurückgestellt. Im Jahr 1998 war es dann so weit: Ein damals 17-jähriger Patient, der nach einem Motorradunfall am Oberschenkel amputiert werden musste, gab den Anstoß: Seine erheblichen Weichteilverletzungen führten zu weiteren Operationen; der gesamte Oberschenkelstumpf war gefährdet. Die an die Autoren gerichtete Frage, wie man einen derart schwer betroffenen Oberschenkelstumpf mit einer Prothese versorgen kann, wurde dann mit „Endo-Exo“ beantwortet.
Einleitung
Bei der Versorgung des verunfallten Motorradfahrers ergaben sich durch die hochintensive interdisziplinäre Zusammenarbeit zahlreiche Gespräche zwischen Arzt und Techniker. Ein Ergebnis dessen war die dreidimensionale Oberfläche für Knie- und Hüftgelenkimplantate (Abb. 1). Das natürliche Vorbild war stets die Trabekel-Konstruktion der Substantia spongiosa. Nie zuvor hatte der Knochen – wie bei diesem Vorgehen – die Möglichkeit, an das Implantat heran‑, später in die Oberfläche hinein- und letztendlich durch sie hindurchzuwachsen (Abb. 2). Damit war ein wesentlicher Fortschritt in der Implantologie erreicht: Jetzt konnten Implantate auch in die großen Röhrenknochen eingebracht und auf natürliche Weise ohne Zement und elastisch mit dem Knochen verbunden und auf Druck, Zug und Rotation belastet werden. Nachdem Dr. Grundei für dieses Verfahren die entsprechenden Patente erhalten hatte, wurde das Prinzip auch auf die Implantate für das ESKA-endostieladaptierte Exo-Prothesen-Versorgungskonzept übertragen.
Erste Resultate
Die ersten Ergebnisse waren positiv: Der junge Mann wurde rehabilitiert und konnte schon bald eine neue Lehrstelle antreten. Es folgten weitere Versorgungen – teils bei neu amputierten Patienten, teils bei Prothesenträgern, die bereits über 45 Jahre eine schaftgeführte Prothese trugen. Viele waren von sogenannten Problemstümpfen betroffen, bei denen die Orthopädie-Technik kein adäquates Versorgungsziel erreichen konnte. Alle Patienten mit einer Versorgung durch die Autoren haben durch eine Prothese ohne Schaft eine deutliche Verbesserung ihrer Prothesensituation erfahren.
Der allgemeine Versorgungsablauf
Nach einer umfassenden Beratung zur implantatadaptierten exoprothetischen Versorgung aus medizinischer und orthopädietechnischer Sicht steht eine medizinische Untersuchung an. Dadurch kann eingeschätzt werden, ob das Versorgungskonzept „nach Dr. Grundei“ für den Prothesenanwender sinnvoll ist und ob umgekehrt der Prothesenanwender mit seiner anatomischen Situation für das Versorgungskonzept geeignet ist. Bei positivem Ergebnis folgt die Implantat- und OP-Planung (Abb. 3). Weiterhin notwendig für die Einschätzung der Möglichkeiten sind die Vorstellung des Prothesenanwenders zur Nutzung der implantatgeführten Prothese sowie die orthopädietechnische Beurteilung, inwieweit die Neukonstruktion einer skelettgeführten Endo-Exo-Prothese erforderlich ist oder ob ein Umbau der vorhandenen Prothese angeraten ist.
Ärztliche Aufgaben
Während der ersten Operation (OP 1; Abb. 4) wird das Implantat zementlos ins Femur eingebracht und der Stumpf wieder verschlossen. Der Klinikaufenthalt dauert ca. eine Woche. Wenn möglich, sollte zu Hause mit leichten Bewegungen im Hüft- oder Kniegelenk begonnen werden. Zwei bis sechs Wochen später erfolgt die zweite Operation (OP 2; Abb. 5). Jetzt wird das Stoma angelegt und das Implantat im Sinne einer skelettalen Verlängerung von innen nach außen – von „Endo“ zu „Exo“ – mittels Doppelkonusadapter perkutan aus dem Stumpf herausgeführt.
Orthopädietechnische Aufgaben
Nach Konsolidierung am Ende der sechsten Woche nach der ersten OP wird der Orthopädie-Techniker die Sicherungsstifte – je nach dem Ergebnis des Vorgesprächs – konfigurieren. Die Möglichkeiten des Prothesenanwenders, seine Prothese zu nutzen, sein Muskel- und Gelenkstatus, das Kraft- und Bewegungspotenzial des Stumpfes, sein ADL-Status und sein allgemeiner Habitus geben Aufschluss über die Auswahl der unterschiedlichen Sperrkörperelemente für die Sollbruchstelle im Brückenzylinder (Abb. 6).
Nach Kontrolle der internen Sicherungsschraube zur Verbindung von Doppelkonus und Implantat mit vorgeschriebenem Drehmoment erfolgt die Montage des Brückenzylinders auf den Doppelkonus (Abb. 7). Nach einer allgemeinen Einweisung in die Prothesentechnik erfolgt dann das erste vollständige Anlegen der Prothese im Sitzen (Abb. 8). Danach kann mit ersten vorsichtigen Belastungsübungen und Schritten begonnen werden. Sukzessive wird die Anfangsbelastung von ca. 10 bis 15 kg gesteigert und dann bis zur Übernahme des gesamten Körpergewichtes bei vertikal-axialer Belastung trainiert. Zur Kontrolle des vorgegebenen Druckes wird eine normale Personenwaage prothesenseitig belastet. Dabei sollten in den ersten drei Monaten Unterarmstützen genutzt werden. Zugleich gewöhnt sich der Prothesenanwender in dieser Zeit an den metallischen Kontakt zwischen Implantat und Prothese sowie an die Druck‑, Zug- und Hebelkräfte, die über die Prothese auf das Implantat einwirken.
Adäquat zum Fortschritt des Prothesenanwenders sollten im ersten Versorgungsjahr mindestens vierteljährliche Kontrolltermine eingehalten werden. Die Erfahrung der Autoren hat gezeigt, dass sich die Muskulatur des Stumpfes, die jetzt nicht mehr in einem Schaft „eingesperrt“ ist, gut entwickelt, dass die tägliche Tragedauer der Prothese steigt und dass sich die allgemeinen Möglichkeiten des Prothesenanwenders deutlich verbessern. Das hat zur Folge, dass die Prothese im Rahmen dieser Entwicklungsschritte permanent angepasst werden muss. Das gilt für den Brückenzylinder, den Knieanschlussadapter, den statischen und dynamischen Prothesenaufbau sowie die Justierung der elektronischen Passteile.
Grundaufbau in der Werkstatt
Erst nach OP 1 steht die definitive Stumpflänge fest, und die Passteile – auch zwischen Stumpf und Prothesengelenk – können geplant und der Kostenvoranschlag für die exoprothetische Versorgung aufgestellt werden. Nach OP 2 wird dann zunächst der Grundaufbau der Prothese entsprechend den aufbaurelevanten Maßen des Prothesenanwenders in der Werkstatt vorgenommen. Die Kniegelenkmitte des Prothesengelenkes sollte dabei rund 20 mm über dem Kniegelenkspalt der kontralateralen Seite liegen (Abb. 9). Da die vom jeweiligen Hersteller bekannten Aufbauwerte für jedes Passteil unterschiedlich sind, muss an dieser Stelle der Versorgung endgültig bekannt sein, welche Passteile verwendet werden. Weiterhin müssen zwingend das Streckdefizit, die allgemeinen biomechanischen Regeln zum Aufbau einer Prothese, die Möglichkeiten des Prothesenanwenders, sein Muskel- und Gelenkstatus, das Kraft- und Bewegungspotenzial des Stumpfes, der ADL-Status des Patienten und sein allgemeiner Habitus beachtet werden. Unter Berücksichtigung dieser Parameter lässt sich dann im Sinne einer Dreiecksberechnung die Strecke der Rückverlagerung berechnen (Abb. 10). Danach wird der Knieanschlussadapter gewählt und die Prothese in einem simulierten Testaufbau gefertigt (Abb. 11).
Auf den individuellen, aber stets korrekten Prothesenaufbau ist ganz besonderer Wert zu legen. Die berufsüblichen Regeln, biomechanische Aspekte sowie die Vorgaben der Passteilhersteller sind dabei zwingend einzuhalten. Die überwiegende Anzahl der Prothesenanwender mit skelettadaptierten Prothesen hat einen täglichen Lastwechsel, der deutlich oberhalb von 10.000 Schritten pro Tag liegt. Eventuelle Aufbaufehler würden dann in gleicher Frequenz auf den Prothesenanwender und im Besonderen auf Implantat, Femur und Exoprothese einwirken.
Statische und dynamische Anprobe
So vorbereitet erscheint der Orthopädie-Techniker zur Anprobe mit einer Prothese, die sofort angelegt werden kann und für den Prothesenanwender voll funktionsfähig ist. Nach der Konfiguration des Brückenzylinders wird dieser montiert und die individuelle Rotation eingestellt. Die jeweils ganz individuelle Konfiguration erfolgt je nach dem Ergebnis des Vorgesprächs. Insbesondere sind dabei die Möglichkeiten des Prothesenanwenders, sein Muskel- und Gelenkstatus, das Kraft- und Bewegungspotenzial des Stumpfes, sein ADL-Status und sein allgemeiner Habitus bezüglich der Sollbruchstelle zu berücksichtigen (Abb. 12).
Nach einer allgemeinen Einweisung in die Funktion der Prothese und der ESKA-Anschlussadapter wird die Exoprothese jetzt erstmalig für den Prothesenanwender angelegt. Mit geeigneten Geräten lässt sich der werkstattseitige Prothesenaufbau prüfen und kann jetzt im Detail modifiziert werden (Abb. 13). Um während der Anproben aus dem Gesehenen und den Rückmeldungen des Prothesenanwenders die richtigen Schlüsse zu ziehen und diese technisch umzusetzen, sind umfangreiche Kenntnisse über das gesunde, aber auch über das pathologisch veränderte Gangbild erforderlich. Denn durch die Amputation sind die muskulären Kräfteverhältnisse deutlich verändert, und die unfallbedingten Gelenkfunktionen sowie das Gleichgewicht sind nicht mehr so, wie sie sein sollten. Im Besonderen sind hier die biomechanischen Aspekte der Anfangskraft, des Beschleunigungsweges und der Koordination von Einzelimpulsen sowie der Impulserhaltung zu berücksichtigen.
Das Wissen hierüber liegt zwar naturgemäß im Berufsbild des Orthopädie-Technikers; zur eigenständigen Versorgung mit einer skelettgeführten Endo-Exo-Prothese ist jedoch eine zusätzliche Zertifizierung durch das Unternehmen ESKA Orthopaedic erforderlich. Um dem natürlichen Gangbild entsprechend den jeweiligen Möglichkeiten des Prothesenanwenders so nahe wie möglich zu kommen, bedarf es eines statischen und dynamischen Prothesenaufbaus, nicht nur des Andockens der Prothese mittels eines Verbindungsadapters.
Zum Nachweis über die richtige Lage der Prothesenpassteile, den Aufbau der Prothese an sich sowie die Winkelbelastungen, die durch den Prothesenaufbau auf den Prothesenanwender, das Implantat und die Exo-Prothese wirken, lässt der Chirurg zum Abschluss der Versorgung ein Röntgenbild im Stand anfertigen (Abb. 14). Reinigung und Pflege des Stomas erfolgen morgens und abends – nur mit Wasser und pH-neutraler, unparfümierter Seife. Eine zusätzliche Desinfektion oder die Einnahme von Medikamenten ist nicht erforderlich. Standardmäßig sollten medizinische und orthopädietechnische Folgetermine – im ersten Jahr vierteljährlich, später einmal jährlich – vereinbart werden.
Fazit
Schaftgeführte Prothesen werden noch lange ihre Berechtigung behalten. Das ESKA-endostieladaptierte Exo-Prothesenversorgungskonzept „nach Dr. Grundei“ wird sich jedoch aller Voraussicht nach als weitere Variante zur prothetischen Versorgung Amputierter durchsetzen. Das zementlos einzubringende Implantat mit seiner dreidimensionalen Oberfläche und struktureller Tiefe garantiert eine jahrzehntelange sichere Verbindung zwischen Knochen und Implantat. Aufgrund der Anzahl der Verbindungsadapter lassen sich individuelle Stumpfstellungen berücksichtigen und aktuelle elektronische Gelenk- und Fußsysteme in den Prothesenaufbau integrieren. Durch das Zusammenwirken der beteiligten Berufsbilder, die Einhaltung biomechanischer Aspekte zum Aufbau einer Prothese, die Einhaltung der Aufbaurichtlinien der Passteilhersteller sowie die Compliance des Prothesenanwenders können für den Patienten bestmögliche Ergebnisse im Sinne eines „Gleichziehens“ mit einem Nichtamputierten erreicht werden.
Für die Autoren:
Andreas Timmermann, OTM
Schütt und Grundei Sanitätshaus und Orthopädietechnik GmbH
Grapengießerstr. 21, 23556 Lübeck
Andreas.Timmermann@schuett-grundei.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Timmermann A., Grundei H. Das endostieladaptierte Exo-Prothesenversorgungskonzept „nach Dr. Grundei“. Erst- und Folgeversorgungen auch nach Jahrzehnten mit einer schaftgeführten Prothese. Orthopädie Technik, 2019; 70 (7): 22–25
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