Metho­di­sche Ent­wick­lung und Vali­die­rung einer voll­stän­dig addi­tiv her­ge­stell­ten dyna­misch hoch­be­las­te­ten Unterschenkel-Fuß-Orthese

C. Dilthey, D. Hochmann
Der Beitrag beschreibt den methodischen Ansatz, mit dem eine anforderungsgerechte, dynamisch hochbelastete, vollständig additiv gefertigte Unterschenkel-Fuß-Orthese entwickelt werden konnte. Im ganganalytischen Vergleich konnte die Gleichwertigkeit zu einer handwerklich gefertigten Orthese nachgewiesen werden. Gleichzeitig bietet additive Fertigung eine Reihe von Vorteilen hinsichtlich Gewicht, Mikroklima und Akzeptanz.

 

Ein­lei­tung

Addi­ti­ve Fer­ti­gungs­ver­fah­ren (AM) eta­blie­ren sich zuneh­mend in der Ortho­pä­die­tech­nik. Vie­le Sani­täts­häu­ser haben bereits ers­te Erfah­run­gen mit AM gesam­melt oder stel­len sogar auf digi­ta­le Ver­sor­gungs­kon­zep­te um. Dazu tra­gen die erheb­li­chen tech­ni­schen Fort­schrit­te im Bereich der Scan­ver­fah­ren bei, die in den letz­ten Jah­ren erzielt wur­den. Gleich­zei­tig ste­hen die Betrie­be aber auch vor neu­en Herausforderungen.

Auch wenn die regu­la­to­ri­sche Betrach­tung 3D-gedruck­ter Hilfs­mit­tel in Euro­pa nach wie vor unklar ist 1 2, füh­len sich die meis­ten Sani­täts­häu­ser in die­ser Grau­zo­ne aus­rei­chend abge­si­chert. Viel­mehr sind es tech­ni­sche Schwie­rig­kei­ten, die zu nega­ti­ven Erfah­run­gen mit AM füh­ren. Immer wie­der wer­den unzu­rei­chen­de mecha­ni­sche Eigen­schaf­ten der ver­füg­ba­ren AM-Werk­stof­fe genannt, die eine Ver­sor­gung mit hoch­be­las­te­ten Hilfs­mit­teln wie z. B. dyna­mi­schen Unter­schen­kel-Fuß-Orthe­sen (AFO) unmög­lich machen1 3 4 5.  Auch die schwan­ken­de Fer­ti­gungs­qua­li­tät der AM-Erzeug­nis­se wird der­zeit häu­fig bemängelt.

Zuneh­mend kri­tisch wird die feh­len­de Mög­lich­keit gese­hen, die benö­tig­ten mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten der Orthe­se genau zu defi­nie­ren und schnell zu über­prü­fen. In den Sani­täts­häu­sern liegt zwar ein umfang­rei­ches empi­ri­sches Wis­sen über die Patient*innenversorgung vor, es ist jedoch auf die bis­he­ri­ge, kon­ven­tio­nel­le Fer­ti­gung bezo­gen. Das heißt, die Orthopädietechniker*innen wis­sen in der Regel genau, wie vie­le Car­bon Pre­preg Lagen sie in einem kon­kre­ten Fall für eine erfolg­rei­che Ver­sor­gung benö­ti­gen, kön­nen die­ses Wis­sen aber nur schwer auf die AM-Fer­ti­gung über­tra­gen. Es bedarf also geeig­ne­ter Werk­zeu­ge zur Cha­rak­te­ri­sie­rung von Orthe­sen­ei­gen­schaf­ten, die im Sani­täts­haus ein­ge­setzt wer­den können.

An der FH Müns­ter wur­den im Rah­men des vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung (BMBF) geför­der­ten Pro­jekts SIGMA3D – Simu­la­ti­ons­ge­stütz­te Medi­zin­tech­nik­platt­form zur indi­vi­du­el­len 3D Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung6 geeig­ne­te Lösun­gen für die dar­ge­stell­ten Her­aus­for­de­run­gen erar­bei­tet. Dadurch konn­te ein sys­te­ma­ti­scher Ent­wick­lungs­pro­zess für eine voll­stän­dig addi­tiv gefer­tig­te dyna­misch hoch­be­las­te­te AFO durch­ge­führt werden.

Rol­le der Prüftechnik

Eine der wesent­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für die Orthe­sen­ent­wick­lung ist eine geeig­ne­te Prüf­tech­nik, mit deren Hil­fe die funk­tio­nel­len Para­me­ter von Orthe­sen gemes­sen, bestehen­de Wis­sens­lü­cken geschlos­sen und die Sicher­heit und Halt­bar­keit der Pro­duk­te nach­ge­wie­sen wer­den kön­nen. Im Pro­jekt SIGMA3D wur­de im Labor für Bio­me­cha­tro­nik der FH Müns­ter auf Basis des metho­di­schen Vor­ge­hens nach VDI 5703 die ent­spre­chen­de Prüf­tech­nik für AFOs auf­ge­baut und vali­diert. Der ent­wi­ckel­te Funk­ti­ons­prüf­stand (Abb. 1a) ermög­licht eine repro­du­zier­ba­re Bestim­mung der Orthe­sen­stei­fig­kei­ten in der Sagit­tal­ebe­ne um Sprung­ge­lenk, Meta­tar­so­phal­an­ge­al­ge­len­ke (MTP) und ggfs. Fer­se. Dar­über hin­aus kön­nen die Orthe­sen­stei­fig­kei­ten in der Fron­tal- und Hori­zon­tal­ebe­ne bestimmt wer­den. Die Bewer­tung erfolgt mit einem rea­li­täts­na­hen Bein-Phan­tom mit Haut- und Weich­teil­nach­bil­dung (Abb. 1b); für indi­vi­du­el­le Orthe­sen besteht zudem die Mög­lich­keit, das Phan­tom nach Scan­da­ten anzu­pas­sen. Die Labor­prüf­tech­nik erlaubt eine sehr genaue und trenn­schar­fe Bewer­tung von AFO-Designs, ist für den Ein­satz im Sani­täts­haus jedoch zu kom­plex. Es wur­de daher ein mobi­ler Prüf­stand für die direk­te Anwen­dung im Sani­täts­haus ent­wi­ckelt, der eine schnel­le und den­noch aus­sa­ge­kräf­ti­ge Mes­sung ermög­licht (Abb. 1c). Die Prüf­be­las­tun­gen wer­den per Hand auf­ge­bracht und durch inte­grier­te Sen­so­rik erfasst, gleich­zei­tig wird die ent­ste­hen­de Ver­for­mung der Orthe­se regis­triert. Die Berech­nung der Orthe­sen­pa­ra­me­ter erfolgt auto­ma­tisch. Die Orthe­se muss dabei nicht umge­spannt wer­den. Alle Prü­fun­gen wer­den mit der glei­chen Antriebs­be­we­gung durch­ge­führt, was zu einer Zeit­er­spar­nis führt.

Um kli­nisch wirk­sam zu sein, muss die Orthe­se ihre funk­tio­nel­len Eigen­schaf­ten bis zum Ende ihrer Nut­zungs­dau­er bei­be­hal­ten. Zum Nach­weis wur­den im Labor für Bio­me­cha­tro­nik eben­falls Prüf­stän­de auf­ge­baut, die eine zykli­sche Simu­la­ti­on der beim Gehen ent­ste­hen­den Belas­tun­gen in Anleh­nung an EN ISO 22675 ermöglichen.

Grund­le­gen­de Entwicklungsmethodik

Die grund­le­gen­de Vor­ge­hens­wei­se, die an der FH Müns­ter zur Ent­wick­lung von addi­tiv gefer­tig­ten Orthe­sen ange­wen­det wird, ist in Abb. 2 dar­ge­stellt. Sie geht von einer umfang­rei­chen Anfor­de­rungs­ana­ly­se aus, die bestehen­den Wis­sens­lü­cken wer­den unter ande­rem durch Ver­mes­sung exis­tie­ren­der Pro­duk­te geschlos­sen. Anschlie­ßend erfolgt eine lösungs­neu­tra­le For­mu­lie­rung der Funk­ti­ons­struk­tur der Orthe­se mit allen wesent­li­chen Teil­funk­tio­nen. Für die­se wird nach geeig­ne­ten Lösungs­prin­zi­pi­en gesucht, die gefun­de­nen Lösungs­an­sät­ze kön­nen z. B. durch einen mor­pho­lo­gi­schen Kas­ten struk­tu­riert wer­den. In der Fol­ge ent­ste­hen meh­re­re mög­li­che Orthe­sen­de­signs, die nach einer Vor­auswahl pro­to­ty­pisch gefer­tigt und prüf­tech­nisch bewer­tet wer­den. In Abhän­gig­keit von den Test­ergeb­nis­sen kann eine wei­te­re Opti­mie­rung des Designs erfor­der­lich sein. Wenn der ent­wi­ckel­te Pro­to­typ alle wesent­li­chen Funk­ti­ons- und Sicher­heits­an­for­de­run­gen erfüllt, erfolgt ein Patient*innentest mit anschlie­ßen­der Befra­gung. Nach Mög­lich­keit soll dabei ein objek­tiv quan­ti­fi­zier­ba­rer Ver­gleich (z. B. 3D-Gang­ana­ly­se bei Orthe­sen der unte­ren Extre­mi­tät) mit der bis­he­ri­gen Ver­sor­gung erfolgen.

Im Fol­gen­den wird die Anwen­dung der Metho­dik auf die Ent­wick­lung einer dyna­misch hoch­be­las­te­ten AFO für Lähmungspatient*innen beschrie­ben. Bei die­ser bestand die wesent­li­che Her­aus­for­de­rung dar­in, alle Funk­ti­ons­kom­po­nen­ten addi­tiv zu fertigen.

Metho­di­sche Ent­wick­lung der Unterschenkel-Fuß-Orthese

Wie ein­lei­tend beschrie­ben, wird der­zeit davon aus­ge­gan­gen, dass 3D-Druck­ver­fah­ren und ‑mate­ria­li­en die Anfor­de­run­gen an hoch­be­las­te­te Hilfs­mit­tel­kom­po­nen­ten nicht erfül­len kön­nen. Um den­noch alle Vor­tei­le der digi­ta­len Fer­ti­gung für die­se Hilfs­mit­tel nut­zen zu kön­nen, wur­de im For­schungs­pro­jekt SIGMA3D die Her­aus­for­de­rung ange­nom­men, den aktu­el­len Kennt­nis­stand zu über­prü­fen. Als Mach­bar­keits­nach­weis soll­te eine dyna­misch hoch­be­las­te­te AFO in Pre­preg-Tech­nik nach Haf­ke­mey­er unter Berück­sich­ti­gung der bestehen­den Anfor­de­run­gen an die­ses Ver­sor­gungs­kon­zept voll­stän­dig addi­tiv gefer­tigt werden.

Zur Bewäl­ti­gung der iden­ti­fi­zier­ten Her­aus­for­de­rung, die funk­tio­nel­len Eigen­schaf­ten addi­tiv abzu­bil­den, wur­den ver­schie­de­ne Ideen gene­riert, drei viel­ver­spre­chen­de Ansät­ze iden­ti­fi­ziert und hin­sicht­lich ihres Poten­zi­als unter­sucht. Ein Ansatz beschäf­tig­te sich mit der Erfor­schung addi­ti­ver Fer­ti­gungs­ver­fah­ren und Mate­ria­li­en, die den Anfor­de­run­gen gerecht wer­den kön­nen. Hier­zu wur­den anwen­dungs­na­he Mate­ri­al­un­ter­su­chun­gen in den beschrie­be­nen Prüf­stän­den des Labors für Bio­me­cha­tro­nik durch­ge­führt. Ver­schie­de­ne addi­tiv gefer­tig­te Blatt­fe­der­ele­men­te wur­den unter­sucht und mit einer indus­tri­ell gefer­tig­ten Blatt­fe­der aus car­bon­fa­ser­ver­stärk­tem Kunst­stoff ver­gli­chen. Dabei wur­de ein 3D-Druck­ver­fah­ren eva­lu­iert, das in der Lage ist, wäh­rend des Drucks End­los­fa­sern in Bau­tei­le ein­zu­ar­bei­ten. Im Gegen­satz zu rei­nem Kunst­stoff zeig­ten die mit die­sem Ver­fah­ren her­ge­stell­ten Bau­tei­le auf­grund der höhe­ren Bie­ge­stei­fig­keit das Poten­zi­al, als Funk­ti­ons­ele­ment für eine hoch­be­las­te­te Car­bon­fe­der-AFO (CFO) geeig­net zu sein. Daher wur­de ent­schie­den, die hoch­be­las­te­ten Kom­po­nen­ten der addi­tiv gefer­tig­ten AFO im end­los­fa­ser­ver­stärk­ten 3D-Druck herzustellen.

In einer ver­ein­fach­ten Betriebs­fes­tig­keits­prü­fung wur­de die Ermü­dungs­fes­tig­keit der end­los­fa­ser­ver­stärk­ten Blatt­fe­der und der indus­tri­el­len Blatt­fe­der als Refe­renz unter­sucht. Die Federn wur­den mit einer Prüf­fre­quenz von einem Hertz über 300.000 Zyklen in einer ver­ein­fach­ten Nach­bil­dung des Gang­zy­klus mit einer Aus­len­kung um das Dreh­zen­trum-OSG von 8,5° in Plant­ar­fle­xi­on (PF) und 25° in Dor­sal­ex­ten­si­on (DE) geprüft. Die zu Beginn und am Ende durch­ge­führ­ten Funk­ti­ons­prü­fun­gen erga­ben für bei­de Federn kei­ne Stei­fig­keits­ver­lus­te infol­ge der Dauerprüfung.

Bei dem Ver­sor­gungs­kon­zept nach Haf­ke­mey­er wer­den das Feder­ele­ment und die Scha­len in Form und Stär­ke indi­vi­du­ell an die Bedürf­nis­se der Patient*innen ange­passt. Die ent­wi­ckel­te addi­tiv gefer­tig­te AFO ori­en­tiert sich an die­sem Kon­zept und soll einen adäqua­ten Ersatz für eine hand­werk­lich gefer­tig­te CFO dar­stel­len. Die Haupt­funk­ti­on des Feder­ele­ments besteht dar­in, die PF des obe­ren Sprung­ge­lenks (OSG) wäh­rend der Schwung­pha­se und die DE des OSG in der Stand­pha­se zu kon­trol­lie­ren. Dadurch kann ein pri­mä­rer Fer­sen­kon­takt und eine Exten­si­on des Knie­ge­lenks erreicht wer­den. Zusätz­lich kann die Bewe­gung in den MTP und die Rota­ti­on zwi­schen Unter­schen­kel und Fuß indi­vi­du­ell beein­flusst wer­den. Die ener­gie­spei­chern­de Car­bon­fe­der mit lang­soh­li­ger plant­a­rer Fuß­füh­rung ermög­licht ein dyna­mi­sches Abroll­ver­hal­ten. Dar­über hin­aus kann ein gro­ßer, aber durch die ein­stell­ba­re Feder­stär­ke kon­trol­lier­ba­rer Bewe­gungs­um­fang im OSG und in den MTP erreicht wer­den. Die Scha­len­ele­men­te mit indi­vi­du­el­ler Fuß­bet­tung sor­gen im Zusam­men­spiel mit dem Feder­ele­ment bei Bedarf für eine ana­to­mi­sche Kor­rek­tur des unte­ren Sprung­ge­lenks (USG) und des Fuß­ge­wöl­bes, sowohl sta­tisch als auch unter Belas­tung. Das Ziel des Orthe­sen­kon­zep­tes ist, eine ver­bes­ser­te Bewe­gungs- und Hal­tungs­kon­trol­le sowie eine erhöh­te Stand- und Gang­si­cher­heit zu errei­chen. Die CFO nach Haf­ke­mey­er zeich­net sich durch ihr gerin­ges Gewicht und den gerin­gen Volu­men­be­darf aus, wodurch das Tra­gen von Kon­fek­ti­ons­schu­hen ermög­licht wird. Die­se Eigen­schaf­ten füh­ren zu einer hohen Patient*innencompliance und somit zu einer lan­gen Tra­ge­zeit7 8 9 10.

Das hoch­in­di­vi­du­el­le Ver­sor­gungs­kon­zept nach Haf­ke­mey­er wur­de bis­her nicht addi­tiv gefer­tigt. Die in einer Lite­ra­tur- und Markt­re­cher­che zu dyna­misch hoch­be­las­te­ten voll­stän­dig addi­tiv gefer­tig­ten AFOs iden­ti­fi­zier­ten Ver­sor­gun­gen11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21  zeig­ten, dass bis­her noch kei­ne 3D-gedruck­te AFO ent­wi­ckelt wur­de, wel­che die Anfor­de­run­gen an eine CFO nach Haf­ke­mey­er erfüllt und die Gleich­wer­tig­keit mit einer hand­werk­lich gefer­tig­ten Orthe­se nach­wei­sen kann. Die Vor­un­ter­su­chun­gen und die Recher­che­er­geb­nis­se deu­te­ten jedoch dar­auf hin, dass dies mög­lich ist.

Auf­bau­end auf der dar­ge­stell­ten grund­le­gen­den Ent­wick­lungs­me­tho­dik (Abb. 2) wur­de eine anfor­de­rungs- und fer­ti­gungs­ge­rech­te AFO ent­wi­ckelt, kon­stru­iert und addi­tiv gefer­tigt. Die funk­tio­nel­len Eigen­schaf­ten bei­der Orthe­sen wur­den prüf­tech­nisch eva­lu­iert und die addi­tiv gefer­tig­te AFO in einem ite­ra­ti­ven Rea­li­sie­rungs­pro­zess, der in Abb. 3 sche­ma­tisch dar­ge­stellt ist, in ihren mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten an die hand­werk­lich gefer­tig­te CFO angeglichen.

Die Ergeb­nis­se der Unter­su­chung zei­gen, dass die Stei­fig­kei­ten um das Dreh­zen­trum des OSG (Abb. 4) und um das Dreh­zen­trum der MTP erfolg­reich ange­gli­chen wer­den konnten.

Ein sys­te­ma­ti­scher Abgleich mit der Anfor­de­rungs­lis­te ergibt, dass bis auf zwei alle Anfor­de­run­gen an die pro­to­ty­pi­sche Ent­wick­lung erfüllt wer­den. Zum einen konn­te die For­de­rung nach unab­hän­gig von­ein­an­der ein­stell­ba­ren dor­sa­len und plantaren Wider­stands­mo­men­ten nicht erfüllt wer­den. Da auch die hand­werk­lich gefer­tig­te CFO dies nicht ermög­licht, ist die­ser Aspekt für den Ver­gleich nicht rele­vant. Zum ande­ren konn­te die For­de­rung nach gleich­wer­ti­ger Tor­si­ons­stei­fig­keit zwi­schen den Orthe­sen nicht erfüllt wer­den. Die­ser Aspekt hat­te in der Gang­ana­ly­se kei­nen mess­ba­ren Ein­fluss auf das Gang­bild der Pati­en­tin. Aus Sicht der Autoren kann die gerin­ge­re Tor­si­ons­stei­fig­keit der addi­tiv gefer­tig­ten AFO patient*innenindividuell sogar bio­me­cha­ni­sche Vor­tei­le bie­ten. Gene­rell wird erwar­tet, dass der (end­los­fa­ser­ver­stärk­te) 3D-Druck das Poten­zi­al bie­tet, die Stei­fig­kei­ten in den ver­schie­de­nen Belas­tungs­ebe­nen durch kon­struk­ti­ve Gestal­tung frei zu beein­flus­sen. Dar­über hin­aus zeig­te der Abgleich, dass die addi­tiv gefer­tig­te AFO Vor­tei­le hin­sicht­lich der Modu­la­ri­tät, der Rei­bung zwi­schen Orthe­se und Haut sowie des Mikro­kli­mas auf­weist und mit 260 g um 95 g leich­ter ist als die hand­werk­lich gefer­tig­te CFO.

Nach der kli­ni­schen Vali­die­rung erfolg­te ein zwei­wö­chi­ger Tra­ge­test mit anschlie­ßen­der Befra­gung der Pati­en­tin mit­tels Fra­ge­bo­gen und Inter­view. Die Ergeb­nis­se wer­den der­zeit aus­ge­wer­tet und kön­nen ggfs. wei­te­re Hin­wei­se auf die Vor­tei­le bzw. den Opti­mie­rungs­be­darf der addi­ti­ven CFO enthalten.

Kli­ni­sche Validierung

Die kli­ni­sche Vali­die­rung erfolg­te mit Hil­fe der 3D-Gang­ana­ly­se und wur­de durch einen unab­hän­gi­gen kli­ni­schen Part­ner durch­ge­führt. Die Unter­su­chung fand im Gang­la­bor des sozi­al­päd­ia­tri­schen Zen­trums der Chris­to­phe­rus Kli­ni­ken in Coes­feld statt (Abb. 5). Die Auf­zeich­nung des Gang­bil­des der Pati­en­tin erfolg­te nach­ein­an­der unter drei Bedin­gun­gen: bar­fuß, mit der addi­tiv gefer­tig­ten und mit der hand­werk­lich gefer­tig­ten AFO. Zur Durch­füh­rung der 3D-Gang­ana­ly­se wur­de ein Sys­tem der Fir­ma Vicon, bestehend aus zehn Infra­rot- und zwei Video­ka­me­ras sowie zwei AMTI-Kraft­mess­plat­ten, ein­ge­setzt. Die Plat­zie­rung der Mar­ker erfolg­te nach dem Plug­in-Gait-Modell (Full Body Model; Vicon Nexus 1.8). Bei der Mes­sung mit Schu­hen und Orthe­se wur­den die Mar­ker vom Fuß auf den Schuh über­tra­gen10. Die Pati­en­tin ging mit selbst­ge­wähl­ter Geschwin­dig­keit über eine Geh­stre­cke von ca. zehn Meter.

Die Unter­su­chung erfolg­te am Fall­bei­spiel einer 11-jäh­ri­gen Pati­en­tin mit uni­la­te­ra­ler Cere­pral­pa­re­se, einer spas­ti­schen Hemi­pa­re­se links (GMFCS Level I), die mit einer dyna­mi­schen CFO nach Haf­ke­mey­er ver­sorgt wur­de (Abb. 6). Die CFO besteht aus einer voll­kon­tak­ti­gen Fuß­scha­le, einer Unter­schen­kel­scha­le mit tibia­ler Kon­dylen­an­stüt­zung und einer Car­bon­blatt­fe­der. Fuß- und Unter­schen­kel­scha­le sind in eine Innen- und eine Außen­scha­le unter­teilt. Das Ver­schlie­ßen der Orthe­sen­scha­len und die Wei­ten­re­gu­lie­rung erfol­gen über ein Gurt­band mit Klett- und Flausch­band und einem Umlen­ker. Um eine zir­ku­lä­re Fas­sung zu errei­chen und ein Scheu­ern des Ver­schluss­gur­tes auf der Haut zu ver­mei­den, sind an der Unter­schen­kel- und Fuß­scha­le Laschen ange­bracht. Das wäh­rend der Ent­wick­lung anhand der erho­be­nen Anfor­de­run­gen favo­ri­sier­te Kon­zept der addi­tiv gefer­tig­ten AFO ori­en­tiert sich für eine bes­se­re Ver­gleich­bar­keit der Orthe­sen an der hand­werk­lich gefer­tig­ten CFO.

Die in der 3D-Gang­ana­ly­se erho­be­nen Zeit /Distanzparameter, Kine­ma­tik- und Kine­tik­da­ten zei­gen nur gerin­ge Unter­schie­de zwi­schen den bei­den Orthe­sen. Bei­de Orthe­sen sind dem­nach aus Sicht des kli­ni­schen Part­ners funk­tio­nell gleich­wer­tig. Exem­pla­risch ist in Abb. 7 die Kine­ma­tik des lin­ken OSG (betrof­fe­ne Seite/Hemiparese) dar­ge­stellt. Es ist zu erken­nen, dass mit bei­den Orthe­sen im Ver­gleich zur Bar­fuß­be­din­gung ein pri­mä­rer Fer­sen­kon­takt erreicht wird und das durch die PF-Bewe­gung in der Belas­tungs­ant­wort eine phy­sio­lo­gi­sche Last­über­nah­me ermög­licht wird. Wei­ter­hin ist zu erken­nen, dass in der mitt­le­ren Stand­pha­se kei­ne Bewe­gungs­ein­schrän­kung durch die Orthe­sen statt­fin­det. Viel­mehr kann durch die erhöh­te DE eine Deh­nung der ver­kürz­ten Waden­mus­ku­la­tur erfol­gen. Des Wei­te­ren wird ein Absin­ken des Fußes in der Schwung­pha­se durch bei­de Orthe­sen ver­hin­dert, sodass im Ver­gleich zur Bar­fuß­be­din­gung ein frei­es Durch­schwin­gen des Bei­nes mög­lich ist und Stol­pern oder Kom­pen­sa­ti­ons­be­we­gun­gen ver­mie­den werden.

Fazit

Das Fazit die­ser Unter­su­chung ist, dass durch die metho­di­sche Ent­wick­lung, die Cha­rak­te­ri­sie­rung der funk­tio­nel­len Eigen­schaf­ten der AFO und eine 3D-Gang­ana­ly­se die Gleich­wer­tig­keit zwi­schen einer addi­tiv gefer­tig­ten AFO und einer hand­werk­lich gefer­tig­ten CFO nach­ge­wie­sen wer­den konn­te. Die ent­wi­ckel­te AFO ist die ers­te voll­stän­dig addi­tiv gefer­tig­te dyna­misch hoch­be­las­te­te AFO, wel­che die Anfor­de­run­gen an eine CFO nach Haf­ke­mey­er erfüllt und sowohl funk­tio­nell als auch in der Erpro­bung mit der Pati­en­tin nach­weis­lich gleich­wer­tig ist. Es besteht jedoch wei­te­rer For­schungs­be­darf, um die Orthe­se zu opti­mie­ren, das Ergeb­nis an einer grö­ße­ren Patient*innenzahl zu veri­fi­zie­ren und die addi­tiv gefer­tig­te AFO in eine voll­stän­dig digi­ta­le Pro­zess­ket­te zu implementieren.

Der hier erreich­te Pro­of of Prin­ci­ple soll in einer Zusam­men­ar­beit zwi­schen der FH Müns­ter, der MUUV GmbH, dem Kom­pe­tenz­zen­trum Kra­mer, dem Care Cen­ter Deutsch­land und dem Sozi­al­päd­ia­tri­schen Zen­trum der Chris­to­phe­rus Kli­ni­ken in Coes­feld wei­ter erforscht werden.

 

Hin­weis
Ermög­licht wur­de das Pro­jekt durch die Unter­stüt­zung von Koope­ra­ti­ons­part­nern aus dem Hand­werk, näm­lich dem Sani­täts­haus Gäher, dem Kom­pe­tenz­zen­trum Kra­mer und dem Care Cen­ter Deutsch­land sowie dem Sozi­al­päd­ia­tri­schen Zen­trum der Chris­to­phe­rus Kli­ni­ken in Coes­feld als kli­ni­schem Part­ner. Tech­nisch unter­stützt hat das Pro­jekt die Anto­ni­us Kös­ter GmbH. Das For­schungs­pro­jekt SIGMA3D wur­de durch das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung (BMBF) gefördert.

Die Autoren:
Prof. Dr.-Ing. David Hochmann
FH Müns­ter
Fach­ge­biet Bio­me­cha­tro­nik und
Reha­bi­li­ta­ti­ons­tech­nik
Ste­ger­wald­stra­ße 39, 48565 Steinfurt
david.hochmann@fh-muenster.de

 

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Dil­they C, Hoch­mann D. Metho­di­sche Ent­wick­lung und Vali­die­rung einer voll­stän­dig addi­tiv her­ge­stell­ten dyna­misch hoch­be­las­te­ten Unter­schen­kel-Fuß-Orthe­se. Ortho­pä­die Tech­nik, 2023; 74 (8): 50–55

 

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  8. Haf­ke­mey­er U et al. Gang­bild­ver­bes­se­rung bei Cere­bral­pa­re­se am Bei­spiel der dyna­mi­schen Unter­schen­kel­or­the­se in Pre­preg-Tech­nik nach Haf­ke­mey­er. Ortho­pä­die Schuh­tech­nik, 2017; (5): 44–49
  9. Haf­ke­mey­er U et al. Die Behand­lung von Apo­plex-Pati­en­ten mit der dyna­mi­schen Unter­schen­kel­or­the­se in Pre­preg-Tech­nik nach Haf­ke­mey­er. Ortho­pä­die Schuh­tech­nik, 2018; 2: 18–23
  10. Wühr J et al. Über­prü­fung der Wirk­sam­keit dyna­mi­scher Unter­schen­kel­or­the­sen in Pre­preg-Tech­nik mit­tels 3‑D‑Ganganalyse. Ortho­pä­die Tech­nik, 2015; 66 (12): 26–31
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  12. Mika L et al. Digi­ta­li­sie­rung und 3D-Druck als Werk­zeu­ge in der Ortho­pä­die­tech­nik: Pro­zess­op­ti­mie­rung zur wis­sens­ba­sier­ten Kon­struk­ti­on und Aus­le­gung von Bewe­gungs­ele­men­ten für die Her­stel­lung indi­vi­du­el­ler Orthe­sen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2022; 73 (5): 56–64
  13. Har­per NG et al. Sel­ec­ti­ve laser sin­te­red ver­sus car­bon fiber pas­si­ve-dyna­mic ank­le-foot ort­ho­ses: a com­pa­ri­son of pati­ent wal­king per­for­mance. Jour­nal of Bio­me­cha­ni­cal Engi­nee­ring, 2014; 136 (9): 091001 
  14. Faus­ti­ni MC et al. Manu­fac­tu­re of Pas­si­ve Dyna­mic ank­le-foot ort­ho­ses using sel­ec­ti­ve laser sin­te­ring. IEEE Tran­sac­tions on Bio-medi­cal Engi­nee­ring, 2008; 55: 784–790
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  16. ORTHO-TEAM AG: Lan­cie­rung „Step Rea­dy 3D“  (Zugriff am 16.04.2023)
  17. Schrank ES, Stanho­pe SJ. Dimen­sio­nal accu­ra­cy of ank­le-foot ort­ho­ses con­s­truc­ted by rapid cus­to­miza­ti­on and manu­fac­tu­ring frame­work. Jour­nal of Reha­bi­li­ta­ti­on Rese­arch and Deve­lo­p­ment, 2011; 48 (1): 31–42
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  19. Schrank ES et al. Assess­ment of a vir­tu­al func­tion­al pro­to­ty­p­ing pro­cess for the rapid manu­fac­tu­re of pas­si­ve-dyna­mic ank­le-foot ort­ho­ses. Jour­nal of Bio­me­cha­ni­cal Engi­nee­ring, 2013; 135 (10): 101011–101017
  20. Ranz EC et al. The influence of pas­si­ve-dyna­mic ank­le-foot ortho­sis ben­ding axis loca­ti­on on gait per­for­mance in indi­vi­du­als with lower-limb impairm­ents. Cli­ni­cal Bio­me­cha­nics, 2016; 37: 13–21
  21. Rati­nesh R et al. Nume­ri­cal and Expe­ri­men­tal Mecha­ni­cal Ana­ly­sis of Addi­tively Manu­fac­tu­red Ank­le-Foot Ort­ho­ses. Mate­ri­als, 2022; 15 (17): 6130 
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