MDR-Umset­zung: Gro­ßer Auf­wand – kein Nutzen

Wie wirkt sich die Umsetzung der EU-Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation; MDR) ein halbes Jahr nach ihrem Inkrafttreten am 26. Mai 2021 auf die OT-Betriebe in Deutschland aus? Dazu sprach die OT-Redaktion mit Tobias Chaumont, Mitglied der Geschäftsführung bei Rahm Zentrum für Gesundheit.

OT: Die MDR wur­de von Tei­len der Bran­che mit gro­ßen  Befürch­tun­gen erwar­tet – haben sich die­se bestätigt?

Tobi­as Chau­mont: Mit der Umset­zung der Pflich­ten, die sich aus dem Inkraft­tre­ten der EU-Medi­zin­pro­duk­te-Ver­ord­nung erge­ben, sind deut­li­che per­so­nel­le und finan­zi­el­le Belas­tun­gen ver­bun­den. Die Neu­re­ge­lung und die damit ver­bun­de­nen Anfor­de­run­gen sind so kom­plex, dass eine Umset­zung im Tages­ge­schäft nicht neben­bei zu schaf­fen ist. Für unser Unter­neh­men bedeu­tet die MDR-Umset­zung daher einen mitt­le­ren Kos­ten­fak­tor. Der Auf­wand für die MDR-Umset­zung ist unab­hän­gig von der Mit­ar­bei­ter­zahl für die Betrie­be iden­tisch. Für das Per­so­nal und die Kos­ten­struk­tur klei­ne­rer Unter­neh­men ist der Auf­wand jedoch in der Rela­ti­on wesent­lich belas­ten­der. Inso­fern haben sich die Befürch­tun­gen in Tei­len bestätigt.

Extra­per­so­nal eingestellt

OT: Wie haben Sie sich für die Umset­zung der EU-Medi­zin­pro­duk­te-Ver­ord­nung aufgestellt?

Chau­mont: Wir haben 2019 einen zusätz­li­chen Mit­ar­bei­ter für die Umset­zung der MDR ein­ge­stellt. Sie kön­nen sich vor­stel­len, dass er der „belieb­tes­te“ Mit­ar­bei­ter ist (lacht). Denn sei­ne Auf­ga­be ist es, dar­auf zu ach­ten, dass alle Anfor­de­run­gen, die sich aus der MDR erge­ben, umge­setzt und im gesam­ten Haus ein­ge­hal­ten wer­den. Zusätz­lich ist der für das Qua­li­täts­ma­nage­ment (QM) zustän­di­ge Bereich mit einer hal­ben Plan­stel­le damit beschäf­tigt, die Umset­zung der MDR-Pflich­ten mit dem bereits bestehen­den Qua­li­täts­ma­nage­ment zu synchronisieren.

OT: An wel­chen Stell­schrau­ben haben Ihre Mit­ar­bei­ter  vor dem Inkraft­tre­ten im Mai gedreht?

Chau­mont: Für die Umset­zung der MDR-Pflich­ten waren vie­le Vor­ar­bei­ten nötig. So muss­ten wir zum Bei­spiel unse­re EDV-Anwen­dung neu den­ken, um alle MDR-rele­van­ten Para­me­ter, die vom Gesetz­ge­ber gefor­dert sind, digi­tal abbil­den zu kön­nen. Zusätz­lich war es not­wen­dig, das digi­ta­le Abla­ge­sys­tem und die zuge­hö­ri­gen Pro­zes­se ent­spre­chend anzu­pas­sen. So kön­nen alle rele­van­ten Doku­men­te jeder­zeit fall­be­zo­gen direkt gefun­den wer­den. Für die Rück­ver­fol­gung der Pro­duk­te muss­te unser Waren­wirt­schafts­sys­tem ent­spre­chend ange­passt werden.

OT: Sind Ihre Doku­men­ta­tio­nen der ein­zel­nen Ver­sor­gun­gen kom­plett digital?

Chau­mont: Unse­re Versorger:innen sind mit mobi­len Gerä­ten aus­ge­stat­tet, in die sie direkt wäh­rend des Ver­sor­gungs­pro­zes­ses alle für die Ver­sor­gung erfor­der­li­chen Daten erhe­ben kön­nen. Die MDR-rele­van­ten Punk­te haben wir hier in den Pro­zess mit­in­te­griert. Das ist natür­lich eine Mehr­be­las­tung, über die unse­re Mitarbeiter:innen durch­aus stöh­nen. Vor­teil: Die ver­sor­gungs­re­le­van­ten Infor­ma­tio­nen sind somit sowohl für den admi­nis­tra­ti­ven als auch für den Pro­duk­ti­ons­pro­zess sys­te­misch direkt greif­bar. Obers­tes Ziel ist es, kei­ne Papier­do­ku­men­te zwi­schen unse­ren Stand­or­ten zu bewegen.

Pro­duk­te wei­ter­hin lieferbar

OT: Im Vor­feld der MDR-Ein­füh­rung wur­de unter ande­rem befürch­tet, dass etli­che Pro­duk­te aus dem Sor­ti­ment genom­men wer­den, weil es sich für die Her­stel­ler nicht lohnt, die­se zer­ti­fi­zie­ren zu las­sen. Oder dass ein­zel­ne Her­stel­ler sogar ganz den Betrieb ein­stel­len. Haben Sie der­glei­chen beobachtet?

Chau­mont: Bis­her ist uns kein der­ar­ti­ger Fall unter unse­ren Lie­fe­ran­ten bekannt. Es gibt kein ein­zi­ges Pro­dukt in unse­rem Sor­ti­ment, das auf­grund der Neu­re­ge­lun­gen nicht mehr gelie­fert wird. Wir haben eine sehr klar auf Qua­li­tät aus­ge­leg­te Sor­ti­ments­po­li­tik. Alle unse­re Lie­fe­ran­ten agie­ren sehr sorg­fäl­tig und sind bestrebt, die neu­en Pflich­ten zu erfül­len. Klar fehlt an der einen oder ande­ren Stel­le noch eine Kenn­zeich­nung nach MDR-Vor­ga­ben. Hier beob­ach­ten unse­re Mitarbeiter:innen aus dem Bereich QM und MDR unter Berück­sich­ti­gung der Über­gangs­fris­ten die Einhaltung.

OT: Gibt es ande­re nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen der MDR-Umsetzung?

Chau­mont: Tat­säch­lich ist die Kenn­zeich­nungs­pflicht mit Rück­ver­folg­bar­keit pro Ver­pa­ckungs­ein­heit eine Her­aus­for­de­rung. Neh­men Sie ein Pro­dukt wie Kathe­ter. Die­se wer­den in grö­ße­ren Ver­pa­ckungs­ein­hei­ten ein­ge­kauft. Dar­in ist jeder Kathe­ter ein­zeln ste­ril ver­packt. Sofern vom Her­stel­ler nicht frei­ge­ge­ben, dür­fen die­se Pro­duk­te nicht ver­ein­zelt in Ver­kehr gebracht wer­den. Wenn der Pati­ent zwei Kathe­ter ver­schrie­ben bekommt, dür­fen wir nach dem aktu­el­len Stand die rest­li­chen Kathe­ter in der Ver­pa­ckungs­ein­heit nicht mehr in den Ver­kauf bringen.

Kein Unter­schied spür­bar für Kund:innen

OT: Hat die MDR posi­ti­ve Ver­än­de­run­gen für Ihren Betriebs­all­tag gebracht?

Chau­mont: Ein kla­res Nein. Wir haben in unse­rem Haus von jeher klar defi­nier­te hohe Ver­sor­gungs­stan­dards gesetzt – ange­fan­gen bei der Bera­tung bis zur Umset­zung der Ver­sor­gung. Für unse­re Kund:innen ist aus mei­ner Sicht kein Unter­schied spür­bar, mit oder ohne MDR.

OT: Ziel erreicht – oder wie beur­tei­len Sie nach einem hal­ben Jahr die Ergeb­nis­se der MDR für die Sicher­heit der Patient:innen?

Chau­mont: Für unse­re Berei­che Sani­täts­haus, Ortho­pä­die-Tech­nik, Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik und Reha-Tech­nik beob­ach­te ich heu­te kei­ne tat­säch­li­che Ver­bes­se­rung der Sicher­heit von Patient:innen. Das bis dato gel­ten­de Medi­zin­pro­duk­te­ge­setz war aus mei­ner Sicht völ­lig aus­rei­chend, um Qua­li­täts­ver­sor­gun­gen inner­halb der Bran­che in Deutsch­land abzu­si­chern. Bei der MDR stim­men die Rela­tio­nen der Pflich­ten nicht mit dem zu erwar­ten­den Nut­zen über­ein. Spe­zi­ell für Pro­duk­te mit sehr gerin­ger Risi­ko­be­haf­tung sind die­se zu hoch aufgehangen.

OT: Erwar­ten Sie juris­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen zur MDR-Konformität?

Chau­mont: Das wird die Zeit zei­gen. Momen­tan zeich­net sich kei­ne juris­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit Behör­den ab. Aller­dings hat­ten wir wie unse­re Kolleg:innen nach mei­nem Kennt­nis­stand in Deutsch­land noch kei­ne Prü­fung zur MDR.

Unter­stüt­zung und Aus­tausch – Fort­set­zung folgt

OT: War die Unter­stüt­zung für die Umset­zung der MDR vom Bun­des­in­nungs­ver­band für Ortho­pä­die-Tech­nik (BIV-OT) ausreichend?

Chau­mont: Wir haben uns durch den BIV-OT gut unter­stützt gefühlt. Die Beglei­tung bei der Erstel­lung der Leit­fä­den für Her­stel­ler und Händ­ler war sehr hilf­reich. Die erar­bei­te­ten und bereit­ge­stell­ten Risi­ko­ana­ly­sen, die Vor­la­gen für MDR-kon­for­me Gebrauchs­an­wei­sun­gen oder die Mas­ter­ma­trix für Kli­ni­sche Bewer­tun­gen sind für jedes Haus indi­vi­du­ell nutz­bar. Gera­de das The­ma Kli­ni­sche Bewer­tung ist für einen Betrieb allein nicht zu stem­men. Wobei unser MDR-Mit­ar­bei­ter auch Mit­glied in der Arbeits­grup­pe MDR der DGIHV ist. Hier­bei waren Bran­chen­ver­bän­de, wie der BIV-OT, um nur einen zu nen­nen, maß­geb­lich betei­ligt. Durch unse­ren MDR-Beauf­trag­ten bei Rahm kön­nen wir unse­re Erkennt­nis­se und Erfah­run­gen wie­der zurück in die Run­de geben. Somit wird der hilf­rei­che Aus­tausch fort­ge­setzt, denn der Pro­zess der Umset­zung ist aus mei­ner Sicht noch nicht abgeschlossen.

OT: Was muss für die rei­bungs­lo­se MDR-Umset­zung noch geklärt werden?

Chau­mont: Da fal­len mir gleich zwei wich­ti­ge Punk­te ein. Die Euro­päi­sche Daten­bank für Medi­zin­pro­duk­te (EUDAMED) ent­hält noch immer nicht alle nöti­gen Funk­tio­na­li­tä­ten. Wann The­men wie die nach­ge­la­ger­te Markt­über­wa­chung funk­tio­nie­ren sol­len, ist der­zeit eben­falls offen. Dar­über hin­aus soll­ten an eini­gen Stel­len Anpas­sun­gen an der MDR ange­dacht wer­den. Zum Bei­spiel soll­te der oben geschil­der­te Ablauf bei Ver­ein­ze­lun­gen von Ver­pa­ckungs­ein­hei­ten über­ar­bei­tet werden.

OT: Wenn es juris­ti­sche Feen gäbe, wel­chen Wunsch wür­den Sie äußern?

Chau­mont: Die Rück­kehr zu einem sinn­vol­len Maß, ana­log zum bis­her gel­ten­den Medi­zin­pro­duk­te­ge­setz, stün­de für mich als Mit­glied der Geschäfts­füh­rung bei Rahm Zen­trum für Gesund­heit an ers­ter Stel­le. Die immer wei­ter aus­ufern­de Büro­kra­tie darf hier noch ein­mal hin­ter­fragt wer­den. Da das Gesetz aber nun Gül­tig­keit hat, müs­sen wir – wie alle unse­re Kolleg:innen – die­ses mög­lichst funk­tio­nal umsetzen.

Die Fra­gen stell­te Ruth Justen.

 

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