OT: Warum haben Sie sich mit einer Behandlungsmethode für Skoliose beschäftigt?
Franziska Völzgen: Das hat persönliche Gründe: Mit 12 Jahren erhielt ich die Diagnose Skoliose und kurz vor meinem 13. Geburtstag dann mein erstes Korsett. Über die Jahre hat mir das Korsett viele Schmerzen genommen, auch wenn es nicht immer angenehm war, 23 Stunden am Tag eine Plastikschale zu tragen. Inzwischen bin ich in der Abtrainierungsphase und trage nur noch nachts mein Korsett. Das Thema Skoliose beschäftigt mich aber darüber hinaus sehr und als ich in der 11. Klasse an meiner Schule, dem Mädchengymnasium Liebfrauenschule in Bonn, eine Facharbeit schreiben sollte, wollte ich daher unbedingt zu diesem Thema schreiben.
OT: Was war Ihre Grundidee für das Projekt?
Völzgen: Die Grundidee, ein Korsett zur Behandlung von Skoliose im 3D-Druckverfahren zu erstellen, entstand gemeinsam mit meiner Biologielehrerin Dr. Barbara Busert unter anderem vor dem Hintergrund, dass wir an unserer Schule einen 3D-Drucker haben. Dabei war die Idee, den biologisch abbaubaren Kunststoff Polylactat (PLA) zu verwenden, um ein umweltfreundliches Korsett zu entwickeln.
OT: Wie sind Sie vorgegangen?
Völzgen: Ganz klassisch. Im ersten Schritt habe ich mich mit dem Krankheitsbild, seinen Ursachen und Behandlungsmethoden auseinandergesetzt. Danach stand ein Materialvergleich auf dem Programm. Die meisten Korsetts werden aus Polyethylen (PE) gefertigt, dieses Material ist aber nicht biologisch abbaubar. Polylactat hingegen kann unter industriellen Bedingungen kompostiert werden. Um die Eigenschaften beider Materialien für ein Korsett zu testen, habe ich daher Normprüfkörper entworfen und in der Schule ausgedruckt. Anschließend bin ich in die Dr. Reinold Hagen Stiftung in Bonn gegangen und habe dort unter Anleitung des Diplom Ingenieurs Jorg Hochstätter die Zugfestigkeit von PLA und PE verglichen. Das Ergebnis war nicht ganz eindeutig. PE hat eine deutlich höhere Dehnbarkeit aufgewiesen als PLA. Daher war ich mir nicht sicher, ob PLA sich eignen würde, und ich musste also den Druck des Korsetts abwarten, um es mit Sicherheit sagen zu können. Dadurch, dass PLA aber eine sehr große Stabilität aufweist, bin ich das Risiko eingegangen. Und das hat sich gelohnt! Die Dehnbarkeit und auch die biologische Abbaubarkeit von PLA hängt von den Additiven ab, die den PLA-Filamenten hinzugegeben werden können. Hier fiel meine Wahl auf ein Filament mit möglichst wenig Additiven, das einen weiß-transparenten Körper ergibt. Denn je weniger chemische Additive im Material enthalten sind, desto besser ist es für die Umwelt.
OT: Wie konnten Sie Ihr Projekt praktisch umsetzen?
Völzgen: Hier war der Maker Space in Bonn (MSB) eine riesengroße Hilfe. Der MSB verfügt über zahlreiche 3D-Drucker. Dort konnte ich den 12 cm großen Prototypen modellieren und drucken. Der Prototyp ließ sich gut genug biegen, um ihn anziehen zu können. Gleichzeitig war das Material stabil genug, um der Wirbelsäule Halt zu geben. Natürlich gab es an der einen oder anderen Stelle des Prototyps noch Verbesserungsbedarf. Aber das Original sollte weitgehend auf Grundlage des Prototyps hergestellt werden. Dafür benötigte ich aber einen sehr großen Drucker, denn mein Korsett sollte um die 45 cm Höhe aufweisen. Zum Glück hatte das MSB gerade einen entsprechenden Drucker erworben, es fehlten allerdings noch Erfahrungswerte im Umgang mit dem für uns alle neuen Drucker. Das Team vom MSB hat zahlreiche Stunden seiner Freizeit investiert, um mit mir eine Lösung zu finden und die Umsetzung zu realisieren. Nach etlichen Fehldrucken war es dann endlich, zwei Tage vorm Wettbewerb, soweit und wir hielten „mein“ Korsett in den Händen. In diesem Moment war ich unglaublich stolz und erleichtert. Es war wirklich ein Zittern bis zum letzten Moment…
OT: Können Sie das Korsett für sich nutzen?
Völzgen: Leider nein. Ursprünglich wollte ich ein Modell auf Grundlage meines Körpers erstellen, mir fehlte aber der Zugang zu einem 3D-Ganzkörperscan, deshalb ist das Korsett an eine fiktive Person angepasst.
OT: Wie lange haben Sie am Projekt gearbeitet?
Völzgen: Viel länger als gedacht: Die Idee entstand im Herbst 2018. Die Präsentation des Korsetts und seiner Entstehungsgeschichte fand am 28. Februar 2020 zum Regionalwettbewerb Bonn-Köln von Jugend forscht statt. Während dieser Zeit habe ich nicht nur von meiner Schule und dem MSB-Team sowie meinen Eltern viel Unterstützung erhalten. Auch stellte mir mein Korsettbauer, Martin Kemper vom Sanitätshaus Appelrath Kemper, PE zur Verfügung und Prof. Dr. Viola Bullmann, Chefärztin der Wirbelsäulenchirurgie am St. Franziskus Hospital in Köln, Daten. Außerdem besorgte mir eine Freundin meiner Schwester Fachbücher, die sie als Medizinstudentin aus der Bibliothek entleihen konnte, die mir als Schülerin nicht zugänglich waren.
OT: Worin unterscheidet sich Ihr Prototyp von bisherigen Skoliosekorsetts?
Völzgen: Im Wesentlichen sind hier zwei Punkte zu nennen: Das Korsett wurde nicht wie üblich durch das aufwändige Gipsabdruckverfahren vom Orthopädie-Techniker hergestellt, sondern per 3D-Druckverfahren. Zudem besteht mein Korsett aus dem umweltschonenderen PLA, statt dem gängigen PE, das aus der endlichen Ressource Erdöl gewonnen wird.
OT: Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung von Jugend forscht?
Völzgen: Schon allein die Teilnahme hat mir viel bedeutet. In den eineinhalb Jahren der Erarbeitung des Korsettprojektes bin ich vielen beeindruckenden Menschen begegnet. Das setzte sich auch während des Wettbewerbs fort. Die Auszeichnung war zusätzlich eine Bestätigung für die Arbeit, Zeit und Liebe, die ich mit Unterstützung so vieler in das Korsett gesteckt habe.
OT: Werden Sie jetzt nach dem Abitur beruflich in Richtung Orthopädie-Technik gehen?
Völzgen: Gerade habe ich meine Bewerbung um ein Lehramtsstudium für die Grundschule abgeschickt. Orthopädie-Technik und die Sachen, die man in diesem Gebiet noch erforschen kann, sind aber ungeheuer spannend. Daher habe ich mir fest vorgenommen, parallel zum Studium weiter an meinem Projekt zu arbeiten. Außerdem werde ich weiter erforschen, ob man das aus (noch essbaren!) Mais gewonnene PLA-Material nicht ressourcenschonender herstellen kann. Vielleicht finde ich ja in den nächsten Jahren die Zeit und Menschen, die mich in meiner weiteren Forschung unterstützen würden.
Franziska Völzgen besuchte von 2012 bis Juni 2020 die Erzbischöfliche Liebfrauenschule Bonn. Sie möchte allen, die Skoliose haben und ein Korsett benötigen, aber auch sonst allen, die erkrankt sind, noch mit auf den Weg geben: “Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sowohl für mich, als auch für meine Mitmenschen am Einfachsten ist, offen mit seiner Erkrankung und den Hilfsmitteln, die man benötigt, umzugehen, sich also nicht zu verstecken, sondern zu erklären warum, wieso und wofür…”
Die Fragen stellte Ruth Justen.
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