Die Zukunft ist digi­tal und menschlich

Eigentlich ist es eine logische Formel: Wer die Zukunft gestalten will, der muss in der Gegenwart handeln. Deshalb haben im Rahmen des 8. Opta-Data-Zukunftstags Vertreter:innen des Gesundheitswesens ihre Vorstellungen von einer möglichen Zukunft präsentiert und erklärt, wie sie diese Ziele praktisch erreichen wollen. Dabei offenbarte sich, dass permanente Kursanpassungen nötig sind, damit die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung erreicht werden kann.

Seit 2007 ver­an­stal­tet Opta Data den Zukunfts­tag und 2022 wur­de ein Ver­an­stal­tungs­ort gewählt, der für Trans­for­ma­ti­on steht. Das SANAA-Gebäu­de auf der Zeche Zoll­ver­ein ver­bin­det das Erbe ehe­ma­li­ger Indus­trie­bau­ten mit der Moder­ne. Die bei­den Opta-Data-Geschäfts­füh­rer Mark Stein­bach und Andre­as Fischer begrüß­ten die 150 Gäs­te vor Ort in Essen und rund 500 ange­mel­de­te Live­stream-Besu­cher. Unter dem Mot­to: „Go Digi­tal“ befass­ten sich die Vor­tra­gen­den mit den vie­len Facet­ten der Digi­ta­li­sie­rung des Gesund­heits­we­sens. Den Ein­stieg mach­te Prof. Dr. Tho­mas Druy­en, der sich als Lei­ter des Opta-Data-Insti­tuts an die Zuhörer:innen wand­te. Nach einem Schwenk auf die aktu­el­le Welt­po­li­tik sprach der Zukunfts­for­scher zunächst über die größ­ten Schwä­chen des Men­schen: Rech­nen und Vor­her­sa­gen. Durch tech­ni­sche Lösun­gen sei bei­des abge­min­dert wor­den. Aller­dings sei durch die per­ma­nen­te Bom­bar­die­rung durch Neue­run­gen eine wei­te­re Her­aus­for­de­rung dazu gekom­men. Der Mensch sei grund­sätz­lich, so Druy­en, damit glück­lich, wenn er Sicher­heit und sei­nen Sta­tus quo hat. „Der Mensch lernt bes­ser, wenn er gezwun­gen ist“, erklär­te Druy­en und führ­te als Bei­spiel die Ein­füh­rung des Home­of­fice an. „War­um ist es mit der Umset­zung des Home­of­fice gelun­gen? Weil man dazu gezwun­gen wur­de!“, ist sich Druy­en sicher. Auf die Digi­ta­li­sie­rung im Gesund­heits­we­sen über­tra­gen: Man sei nun zur Digi­ta­li­sie­rung gezwun­gen, um sie umzu­set­zen. „Digi­ta­li­sie­rung bedeu­tet einen rie­si­gen Auf­wand des Ler­nens“, sag­te Druy­en und ergänz­te: „Die­se Zeit geht an den Patient:innen ver­lo­ren.“ Aber des­we­gen die Vor­tei­le der Digi­ta­li­sie­rung nicht zu nut­zen, sei eine ver­ta­ne Chan­ce. Des­we­gen müs­se auch eine neue Feh­ler­kul­tur eta­bliert wer­den. „Feh­ler waren 20 Jah­re lang ver­pönt zu machen. Aber Feh­ler sind Bau­stei­ne des Ler­nens“, erklär­te Druy­en und ermun­ter­te dadurch die Anwe­sen­den, Digi­ta­li­sie­rung zu wagen und auch ein­mal Rück­schlä­ge einzukalkulieren.

Anzei­ge

Fak­tor Mensch berücksichtigen

Prof. Dr. Jochen A. Wer­ner, Kli­nik­di­rek­tor und CEO Medi­cal Uni­ver­si­täts­kli­nik Essen, sprach über die Zukunft der Medi­zin. Sei­ne The­se lau­tet: Die Zukunft ist digi­tal – und mensch­lich. Über­all im Kran­ken­haus sei nicht nur der Fak­tor Tech­nik, son­dern auch der Fak­tor Mensch ent­schei­dend, um die Digi­ta­li­sie­rung vor­an­zu­brin­gen. Sehr anschau­lich beschrieb Prof. Wer­ner anhand einer Zeit­rei­se den Zustand des deut­schen Gesund­heits­sys­tems. Sei­ne Dia­gno­se: Deutsch­land hat­te und hat das bes­te – ana­lo­ge – Gesund­heits­sys­tem. Aller­dings sei­en Staa­ten dank fort­ge­schrit­te­ner Digi­ta­li­sie­rung nun in füh­ren­den Rol­len. Des­halb gibt es für Prof. Wer­ner: „Kein zurück! Digi­ta­li­sie­rung ver­bes­sert fun­da­men­tal!“. Anhand der Uni­ver­si­täts­kli­nik Essen zeig­te Prof. Wer­ner eini­ge prak­ti­sche Bei­spie­le auf, wie Digi­ta­li­sie­rung in Ver­wal­tung und Ver­sor­gung hel­fen kann. Anschlie­ßend warb er für einen Aus­tausch von Daten. „Medi­zi­ni­sche Daten sind der digi­ta­le Kraft­stoff der Zukunfts­me­di­zin“, so Prof. Wer­ner, der sich wünscht, dass kei­ne Daten­si­los ent­ste­hen, son­dern über­grei­fend an Lösun­gen anhand der Daten geforscht wer­den kann.

Vol­ker Miel­ke, Chief Trans­for­ma­ti­on Mana­ger der Gema­tik GmbH, sprach in sei­nem Vor­trag: „Digi­ta­le Ent­wick­lungs­po­ten­zia­le für Gesund­heits­be­ru­fe“ unter ande­rem über die Tele­ma­tik­in­fra­struk­tur. „Wir haben eine Zei­ten­wen­de vor uns. Wir haben 20 Jah­re Web 2.0 durch­lebt und so lang­sam kom­men die Tech­no­lo­gien, die Zusam­men­hän­ge her­vor, die wir als Web 3.0 betrach­ten“, lau­te­te Miel­kes Ein­schät­zung. Die Gema­tik habe Selbst­re­fle­xi­on betrie­ben und fest­ge­stellt, dass die in den Markt gebrach­te Tech­nik nicht den Ansprü­chen genügt. „Es war für die Ansprü­che der Ver­gan­gen­heit viel­leicht noch ange­bracht. Es tut, was es tun soll – gemes­sen an den Ansprü­chen von vor 15 Jah­ren. Das reicht nicht mehr. Das reicht nicht mehr für das Heu­te und es reicht nicht mehr für die Zukunft“, so Miel­ke. Um die Poten­tia­le bes­ser zu heben, hat die Gema­tik in einem Ver­än­de­rungs­pro­zess zum Bei­spiel ein end­nut­zer­zen­trier­tes Pro­dukt­de­sign für E‑Rezept oder TI-Mes­sen­ger ins Auge gefasst. Auch die Tes­tung – die bei der E‑Re­zept-Ein­füh­rung für Apo­the­ken nicht klapp­te und zu einer Ver­zö­ge­rung des Roll-outs führ­te – soll zukünf­tig in rea­ler Umge­bung mit fes­ten Test­re­gio­nen in den Bun­des­län­dern erfol­gen. Beim Roll-out sowie beim Betrieb mahn­te Miel­ke an, dass noch viel Poten­ti­al bei der Zusam­men­ar­beit nötig sei. „TI 1.0 genügt nicht mehr den Ansprü­chen der Gegen­wart und schon gar nicht den Ansprü­chen der Zukunft“, erklär­te Miel­ke. „Wir brau­chen mehr Fle­xi­bi­li­tät und Nut­zen im All­tag,“ so Miel­ke. Außer­dem sei die Ein­tritts­hür­de für neue Akteu­re, die auch Inno­va­ti­ons­trei­ber sind, zur TI zu sen­ken, bei zeit­glei­chem Bei­be­hal­ten der Sicherheitsstandards.

Dr. Chris­ti­an Uebach aus dem eigens dafür geschaf­fe­nen Dezer­nat 16 der Bezirks­re­gie­rung Müns­ter küm­mert sich um das Elek­tro­ni­sche Gesund­heits­be­ru­fe­re­gis­ter (eGBR). In sei­nem Vor­trag skiz­zier­te er die ver­wal­tungs­tech­ni­schen Auf­ga­ben sowie die aktu­el­le Ent­wick­lung rund um das eGBR. Vor allem in den kom­men­den Mona­ten ist – durch eine Aus­wei­tung des Tätig­keits­be­reichs auf meh­re­re Bun­des­län­der – mit einer zuneh­men­den Daten­men­ge zu rech­nen, die Auf­schlüs­se für die Arbeit des Dezer­nats 16 gibt.

Poli­tik muss Sta­bi­li­tät gewährleisten

Die aktu­el­le berufs­po­li­ti­sche Agen­da der Hilfs­mit­tel­bran­che stell­te Alf Reu­ter, Prä­si­dent des Bun­des­in­nungs­ver­ban­des für Ortho­pä­die-Tech­nik (OT), vor. Der BIV-OT-Prä­si­dent erin­ner­te an die selbst­ge­setz­ten Zie­le der Ampel­ko­ali­ti­on, das Gesund­heits­we­sen kri­sen- und zukunfts­fest zu machen. „Wenn die Poli­tik ein sta­bi­les Sys­tem will, dann muss sie im Wett­be­werb zwi­schen Kos­ten­trä­gern und Leis­tungs­er­brin­gern das Prin­zip der Ver­ant­wor­tung für das Sys­tem fest ver­an­kern“, so Reu­ter. „Solan­ge jeder ein­zel­ne Leis­tungs­er­brin­ger mit jeder ein­zel­nen Kran­ken­kas­se jede ein­zel­ne Pro­dukt­grup­pe ver­han­deln kann, wird es immer mehr Büro­kra­tie, Rosi­nen­pi­cke­rei und Intrans­pa­renz geben.“ Sta­bi­li­tät sei nur mit Leit­ver­trä­gen zu haben, die den Markt­zu­gang für alle Betrie­be und damit für alle GKV-Ver­si­cher­ten die wohn­ort­na­he, qua­li­täts­ge­si­cher­te Ver­sor­gung sichert. Gemein­sam stark gel­te auch für die Pati­en­ten­ver­sor­gung, denn ein Inten­siv­bett siche­re noch nicht die Ver­sor­gung eines Inten­siv­pa­ti­en­ten; eine Pro­the­se stel­le sich nicht von allein her; eine Wund­auf­la­ge mache noch kei­ne Wund­ver­sor­gung aus. „Auch die füh­ren­de Inno­va­tions- und Export­kraft des deut­schen Gesund­heits­we­sens wird nur durch die Kom­bi­na­ti­on von qua­li­fi­zier­ten Fach­kräf­ten in einem robus­ten Mit­tel­stand mit den welt­weit füh­ren­den Her­stel­lern von Medi­zin­pro­duk­ten mit Pro­duk­ti­ons­stät­ten in Deutsch­land gesi­chert“, erklär­te Alf Reu­ter. Woher die qua­li­fi­zier­ten Fach­kräf­te neh­men? Indem die Poli­tik drin­gend den Fokus von Aka­de­mi­sie­rung auf dua­le Aus­bil­dung ver­schie­be. „Solan­ge die Regie­rung bei Gesund­heits­be­ru­fen nur an ‚Aka­de­mi­sie­rung‘ denkt, wer­den die Kom­pe­ten­zen von Pfle­gern, Ortho­pä­die­tech­ni­kern etc. nie wirk­lich genutzt wer­den kön­nen“, so der BIV-OT-Präsident.

Auf dem so wich­ti­gen Feld der Digi­ta­li­sie­rung müss­ten kon­se­quent die Exper­ti­se des Fachs ein­be­zo­gen, Pilot­pro­jek­te vor­an­ge­trie­ben und die Gema­tik als Gesund­heits­agen­tur gestärkt wer­den, um „Rohr­kre­pie­rer“ wie das E‑Rezept und die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te (ePA) zu ver­mei­den, sag­te der Ver­bands­prä­si­dent. „Inno­va­tio­nen ent­ste­hen durch För­de­rung und For­schung.“ Des­halb müss­ten eben­so kon­se­quent die Ver­sor­gungs­for­schung geför­dert, Stu­di­en­de­signs an die Beson­der­hei­ten der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung ange­passt und die Evi­denz ent­spre­chend defi­niert wer­den. Nur so kön­ne auch Deutsch­land Num­mer eins bei der Her­stel­lung von Hilfs­mit­teln „Made in Ger­ma­ny“ blei­ben. Die Indus­trie brau­che drin­gend bes­se­re und schnel­le­re Wege, um ihre Inno­va­tio­nen in die Ver­sor­gung zu bringen.

Weni­ger Büro­kra­tie als Kostensenker

Kon­se­quen­tes Han­deln for­der­te Alf Reu­ter auch beim Dau­er­bren­ner­the­ma Ent­bü­ro­kra­ti­sie­rung. „Wer weni­ger aus­ge­ben, aber die Leis­tun­gen nicht kür­zen will, der muss effi­zi­en­ter wer­den und ent­bü­ro­kra­ti­sie­ren!“, mahn­te er. Im Ein­zel­nen bedeu­te das eine Ver­ein­heit­li­chung von Mehr­wert­steu­ern, Rah­men­ver­trä­gen, Stan­dards bei Prä­qua­li­fi­zie­run­gen und der Deut­schen Akkre­di­tie­rungs­stel­le (DakkS), der Medi­zin­pro­duk­te-Betrei­ber­ver­ord­nung (MPBe­treibV) sowie bei der Fort­bil­dung und es bedeu­te kei­ne Leis­tungs­kür­zung durch Rück­kehr zur Ausschreibung.

Aus all die­sen Ein­zel­punk­ten zur Zukunfts­si­che­rung der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung in Deutsch­land erge­be sich für ihn das Fazit, eine kom­pe­ten­te und lau­te Stim­me in Ber­lin zu eta­blie­ren. Daher habe der BIV-OT gemein­sam mit den maß­geb­li­chen Spitzenverbänden und Zusam­men­schlüs­sen von Hilfs­mit­tel­leis­tungs­er­brin­gern EGROH, Reha-Ser­vice-Ring, Reha­vi­tal und Sani­täts­haus Aktu­ell im ver­gan­ge­nen Jahr das poli­ti­sche Bünd­nis „Wir ver­sor­gen Deutsch­land“ gegründet.

Kirs­ten Abel, Spre­che­rin des Prä­si­di­ums des Bun­des­in­nungs­ver­ban­des für Ortho­pä­die-Tech­nik und Lei­tung Ver­bands­kom­mu­ni­ka­ti­on sowie Gene­ral­se­kre­tä­rin des Bünd­nis­ses WvD, stell­te in ihrem Vor­trag den aktu­el­len Stand der Tele­ma­tik­in­fra­struk­tur­anbin­dung für Hilfs­mit­tel­er­brin­ger dar. Kon­kret wur­de das Pilot­pro­jekt zur E‑Verordnung, das feder­füh­rend vom BIV-OT und Opta Data betreut wird, vorgestellt.

Wie viel Digi­ta­li­sie­rung braucht die Branche?

„Digi­ta­li­sie­rung ist ein Wider­spruch. Das ist okay!“, erklär­te Jens Sell­horn, Geschäfts­füh­rer der Reha­vi­tal Gesund­heits­ser­vice GmbH. Er selbst hät­te lan­ge auf die Mög­lich­keit des Online-Ban­kings ver­zich­tet. Erst mit dem Jah­res­wech­sel 2022 hät­te er die­sen Wech­sel voll­zo­gen. Par­al­lel arbei­tet er seit eini­gen Jah­ren in sei­nem Unter­neh­men an der Digi­ta­li­sie­rung des Gesund­heits­we­sens. Das Fazit vor­ab: Der Nut­zen des Online-Ban­kings hat sich für Sell­horn deut­lich über die Beden­ken gestellt und die fast logi­sche Fra­ge lau­tet: „War­um habe ich nicht frü­her der Digi­ta­li­sie­rung ver­traut?“. Glei­ches gilt für die Hilfs­mit­tel­bran­che, die jetzt – auch um ihrer selbst wil­len – wei­te­re Schrit­te gehen muss. Denn: Laut Sell­horn darf es kei­ne Ama­zo­ni­sie­rung des Mark­tes geben. Des­halb sagt Sell­horn: „Ich inves­tie­re ger­ne in die Zukunft!“ und meint damit die finan­zi­el­len Auf­wen­dun­gen für die Digi­ta­li­sie­rung. Außer­dem rich­te­te der Reha­vi­tal-Geschäfts­füh­rer noch einen Appell an die Zuhörer:innen: „Es beginnt heu­te und endet nie. Digi­ta­li­sie­rung muss als Chan­ce begrif­fen werden!“

Hei­ko Cordes

 

Tei­len Sie die­sen Inhalt
Anzeige