Vali­dier­te Ein­schät­zung der indi­vi­du­el­len Sto­ma­ver­sor­gung anhand des LSD-Score

W. Droste
Peristomale Hautläsionen sind die häufigsten mit einem Stoma assoziierten Komplikationen und bedeuten oft eine erhebliche Reduzierung der Lebensqualität für Menschen mit einem Stoma. Eine allgemein anerkannte Nomenklatur und Klassifikation dieser Komplikationen hat sich bislang noch nicht etabliert. Eine zehnköpfige Expertengruppe hat einen ganzheitlichen Score zur Einschätzung peristomaler Hautläsionen mit dem Resultat einer Therapieempfehlung und mit Versorgungshinweisen entwickelt, konsentiert und validiert. Der LSD-Score beschreibt drei hauptsächliche Bewertungskategorien: L = Hautläsion, S = Stomastatus und D = Disease (Systemerkrankung bzw. Systemtherapie mit Auswirkungen auf die Stomaversorgung).

Die Zusatz­buch­sta­ben O, R, P, H, E, US wer­den bei Bedarf hin­zu­ge­fügt und beschrei­ben ana­to­mi­sche Patho­lo­gien der Sto­ma­an­la­ge: Ost­omie-Steno­se, Retrak­ti­on, Pro­laps, Her­nie, Ede­ma (Ödem) sowie ungüns­ti­ge Sto­ma-Posi­ti­on. Ein auf dem Ergeb­nis des LSD-Score basie­ren­der Hand­lungs­al­go­rith­mus emp­fiehlt in der Fol­ge grund­sätz­lich rich­tungs­wei­sen­de Stra­te­gien der Sto­ma­the­ra­pie. Der LSD-Score ist für Sto­ma­the­ra­peu­ten und Ärz­te glei­cher­ma­ßen ver­ständ­lich, nach­voll­zieh­bar, ganz­heit­lich und prak­ti­ka­bel. Er kann im Behand­lungs­team sowohl zur ein­heit­li­chen Begriffs­er­läu­te­rung als auch zur The­ra­pie­pla­nung ver­wen­det werden.

Anzei­ge

Ein­lei­tung

Für jeden Men­schen mit einem Sto­ma ist die Inte­gri­tät der peris­to­ma­len Haut eine unab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung für die siche­re Haf­tung und die Dich­tig­keit der Hilfs­mit­tel zur Sto­ma­ver­sor­gung. Eine Ver­än­de­rung der Inte­gri­tät der Haut bedeu­tet grund­sätz­lich auch eine Gefähr­dung der siche­ren Haf­tung der Sto­ma­ver­sor­gungs­pro­duk­te. Eine Beein­träch­ti­gung der siche­ren Sto­ma­ver­sor­gung durch peris­to­ma­le Haut­lä­sio­nen bewirkt im Ergeb­nis eine erheb­li­che Ein­schrän­kung der Lebens­qua­li­tät des Sto­ma­trä­gers. Häu­fi­ges und kos­ten­träch­ti­ges Wech­seln der Ver­sor­gungs­sys­te­me, auf­wen­di­ge Inter­ven­tio­nen durch Sto­ma­the­ra­peu­ten, die Kon­sul­ta­ti­on von Fach­ärz­ten aus Chir­ur­gie und Der­ma­to­lo­gie sowie sta­tio­nä­re Behand­lun­gen inkl. ope­ra­ti­ver Revi­sio­nen sind die mög­li­chen Fol­gen peris­to­ma­ler Haut­lä­sio­nen. Das Wis­sen über Ursa­chen und Fol­gen peris­to­ma­ler Haut­lä­sio­nen ist in der Ver­sor­gungs­rea­li­tät bei Sto­ma­the­ra­peu­ten und Ärz­ten häu­fig unter­schied­lich aus­ge­prägt. Eine Teil­neh­mer­be­fra­gung des 4. Schwarz­wäl­der Sto­ma­kon­gres­ses in Donau­eschin­gen im März 2012 erbrach­te als ent­schei­den­de Ursa­che für die­se Situa­ti­on das Feh­len einer all­ge­mein akzep­tier­ten Nomen­kla­tur der peris­to­ma­len Haut­lä­sio­nen und einer dar­auf basie­ren­den the­ra­pie­ge­rich­te­ten und ver­sor­gungs­be­zo­ge­nen Klassifikation.

Das Ple­num des Sto­ma­kon­gres­ses über­trug einer zehn­köp­fi­gen inter­sek­to­ral besetz­ten Exper­ten­grup­pe (GESS: „Ger­man Expert Panel PeriS­to­mal Skin Lesi­on“; „Deut­sche Inter­dis­zi­pli­nä­re Exper­ten­grup­pe Peris­to­ma­le Haut­lä­si­on“), bestehend aus vier Vis­ze­ral­chir­ur­gen, einer Der­ma­to­lo­gin, drei Sto­ma­the­ra­peu­ten und zwei Mit­glie­dern der Selbst­hil­fe­grup­pe Deut­sche ILCO e. V., das Man­dat, ein Klas­si­fi­ka­ti­ons­sys­tem für die Pra­xis zu ent­wi­ckeln. Die­ses Klas­si­fi­ka­ti­ons­sys­tem soll­te relia­bel, ver­ständ­lich, ursa­chen­ba­siert, the­ra­pie­ori­en­tiert und anwen­der­freund­lich sein. In die­sem Bei­trag wird das Ergeb­nis meh­re­rer Klau­sur­ta­gun­gen und inten­si­ver Bera­tun­gen der Exper­ten­grup­pe sowie meh­re­rer Vali­die­rungs­run­den vor­ge­stellt. Die Fach­aus­drü­cke des Score-Sys­tems wur­den so gewählt, dass sich die Akro­ny­me ein­präg­sam auch für die eng­li­sche Über­set­zung eig­nen. „LSD-Score“ ent­hält dem­nach mit LSD ein Akro­nym aus „lesi­on“ (Läsi­on), „sta­tus of ost­omy“ (Sto­masta­tus) und „dise­a­se“ (Sys­tem­er­kran­kung) 1.

Ent­wick­lung des LSD-Score

In einer offe­nen Gesprächs­run­de inner­halb einer Klau­sur­ta­gung der Exper­ten­grup­pe GESS wur­de der Score ent­wi­ckelt, wobei beson­de­rer Wert dar­auf gelegt wur­de, den Dia­gno­se­pfad vom Sto­ma­trä­ger über den Sto­ma­the­ra­peu­ten zum ärzt­li­chen Spe­zia­lis­ten auch im Score selbst nach­zu­voll­zie­hen. Der Score soll­te als Ent­schei­dungs­un­ter­stüt­zung für einen Hand­lungs­al­go­rith­mus bei peris­to­ma­len Haut­lä­sio­nen die­nen. Hier­zu erschien dem Exper­ten­pa­nel eine Kom­bi­na­ti­ons­for­mel ähn­lich der TMN-Klas­si­fi­ka­ti­on der UICC für Krebs­er­kran­kun­gen bes­tens geeig­net. In den Dis­kus­sio­nen der GESS wur­de sehr schnell deut­lich, dass die Sicht der unter­schied­li­chen Spe­zia­lis­ten aus Pfle­ge, Chir­ur­gie und Der­ma­to­lo­gie und die der Betrof­fe­nen in ein inte­grier­tes, ganz­heit­lich gepräg­tes Klas­si­fi­ka­ti­ons­sys­tem Ein­gang fin­den soll­te. Drei Bewer­tungs­ka­te­go­rien (L‑S-D) wur­den dem­nach iden­ti­fi­ziert (Tabel­le 1):

  • L („lesi­on“): Die Klas­si­fi­ka­ti­on der Haut­lä­si­on selbst soll­te ein­fach, ver­ständ­lich, objek­tiv und gra­du­iert sein. Eine medi­zi­ni­sche Dia­gno­se oder eine der­ma­to­lo­gisch-fach­ärzt­li­che Beschrei­bung soll­te hier bewusst ver­mie­den wer­den. Die Inte­gri­tät der das Sto­ma umge­ben­den Haut wur­de als bestim­men­der Mess­wert her­an­ge­zo­gen: „intakt“ oder „zer­stört“. Eine asso­zi­ier­te Infek­ti­on der peris­to­ma­len Haut wur­de als wei­te­rer Para­me­ter des Score-Sys­tems identifiziert.
  • S („sta­tus of ost­omy“): Mit Blick auf die Fol­gen für die betrof­fe­nen Men­schen soll­te als zwei­te Kate­go­rie zur Bewer­tung der Schwe­re der peris­to­ma­len Haut­lä­si­on die Kom­ple­xi­tät der Sto­ma­ver­sor­gung ver­wen­det wer­den. Defi­niert und gra­du­iert wur­de hier der indi­vi­du­el­le Auf­wand, um eine aus Sicht des Pati­en­ten effek­ti­ve und siche­re Sto­ma­ver­sor­gung zu errei­chen. Die Bedürf­nis­se aus Sicht des Pati­en­ten wur­den mit zutref­fen­den Para­me­tern benannt. Die Kate­go­rie Sto­masta­tus umfasst neben der Kom­ple­xi­tät der Sto­ma­ver­sor­gung auch vor­han­de­ne ana­to­mi­sche Patho­lo­gien des Sto­mas selbst, da die­se häu­fig ursäch­lich für den Schwe­re­grad der Ver­sor­gungs­pro­ble­me sind.
  • D („dise­a­se“): Schließ­lich wur­de als drit­te Kate­go­rie des LSD-Score der all­ge­mei­ne Zustand des Pati­en­ten betrach­tet. Dadurch soll­te sicher­ge­stellt wer­den, dass die Sto­ma-Exper­ten mit dem LSD-Score auch rele­van­te Grund- oder Begleit­erkran­kun­gen sowie sys­te­mi­sche The­ra­pien mit mög­li­chen Aus­wir­kun­gen auf die Sto­ma­ver­sor­gung dia­gnos­tisch und the­ra­peu­tisch in Bezug zur peris­to­ma­len Haut­lä­si­on begut­ach­ten und in die jewei­li­gen Hand­lungs­op­tio­nen ein­flie­ßen lassen.

Der LSD-Score soll­te nach dem all­ge­mei­nen Ver­ständ­nis der Exper­ten­grup­pe ein­präg­sam und im täg­li­chen Gebrauch in der Ver­sor­gung von Men­schen mit Sto­ma ohne wei­te­re Hilfs­mit­tel anwend­bar sein. Er wur­de in meh­re­ren Run­den inner­halb des Exper­ten­pa­nels anhand von Fotos von Men­schen mit Irri­ta­tio­nen der Haut­um­ge­bung des Sto­ma getes­tet und jeweils ergeb­nis­ori­en­tiert modi­fi­ziert. Die Relia­bi­li­tät wur­de zudem auf zwei Süd­west­deut­schen Sto­ma­kon­gres­sen mit jeweils annä­hernd 100 Teil­neh­mern (Ärz­te, Sto­ma­the­ra­peu­ten, Mit­glie­der der Selbst­hil­fe­grup­pe Deut­sche ILCO e. V.) anhand stan­dar­di­sier­ter Fall­vor­stel­lun­gen mit Ver­sor­gungs­bil­dern über­prüft. Die Ergeb­nis­se die­ser brei­ten Tes­tung des ent­wi­ckel­ten LSD-Score wur­den erneut im Exper­ten­pa­nel ana­ly­siert, bespro­chen und resul­tier­ten schließ­lich im ver­öf­fent­lich­ten LSD-Score. Im letz­ten Schritt wur­de inner­halb des Panels ein Hand­lungs­al­go­rith­mus zum Vor­ge­hen bei peris­to­ma­len Haut­lä­sio­nen aus der Sicht des Sto­ma­the­ra­peu­ten bespro­chen und konsentiert.

Ergeb­nis­se

Der LSD-Score ist in der kom­pri­mier­ten Fas­sung in Tabel­le 1 dar­ge­stellt. Im Fol­gen­den wer­den die ein­zel­nen Kate­go­rien erläutert:

L: Läsi­on der Haut

Die ein­fa­che und nach­voll­zieh­ba­re Klas­si­fi­ka­ti­on der Haut­lä­si­on ist das zen­tra­le Ele­ment des neu­en LSD-Score. Die Klas­si­fi­ka­ti­on ist deskrip­tiv und setzt aus­drück­lich kei­ne spe­zi­fisch der­ma­to­lo­gi­schen Kennt­nis­se der Anwen­der vor­aus. Die Kate­go­rie L setzt kei­ne gesi­cher­te medi­zi­ni­sche Dia­gno­se vor­aus, son­dern soll inner­halb des Gesamt­Score zu geziel­ter Dia­gno­se und The­ra­pie führen.

  • L0: Die Haut ist intakt und erscheint dem Betrach­ter beim Ver­sor­gungs­wech­sel nicht verändert.
  • L1: Erkenn­bar sind in die­ser Kate­go­rie Ver­än­de­run­gen der peris­to­ma­len Haut wie Rötung, Rei­zung und Irri­ta­ti­on. Die Ober­flä­che der Haut ist ins­ge­samt unbe­schä­digt, und die Haf­tung der Hilfs­mit­tel zur Sto­ma­ver­sor­gung ist nicht beein­träch­tigt. Sol­che Ver­än­de­run­gen in die­ser Kate­go­rie beinhal­ten Efflo­res­zen­zen und Ery­the­me durch All­er­gien, Pilz­in­fek­tio­nen, Mate­ri­al­un­ver­träg­lich­keit, Ernäh­rungs­feh­ler oder Ein­flüs­se aus Umwelt und All­tag. Hin­zu kommt hier im Ein­zel­fall auch die Gra­nu­la­ti­on oder rich­ti­ger die Pseu­do­po­ly­pen­bil­dung im Rand­ge­biet der Haut am Über­gang zur Schleim­haut des Darms.
  • L2: Die vor­han­de­ne Haut­lä­si­on ist in die­ser Kate­go­rie tief­grei­fend und hat die Ober­flä­che ver­än­dert. Damit ist die Haft­fä­hig­keit der Sto­ma­ver­sor­gungs­pro­duk­te beein­träch­tigt. Sol­che peris­to­ma­len Haut­lä­sio­nen kön­nen erha­ben oder absen­kend sein. Erha­be­ne Haut­lä­sio­nen beinhal­ten Macu­lae, Quad­deln, Knöt­chen­bil­dun­gen, Kno­ten und Tumo­re. Absen­ken­de Läsio­nen sind Defek­te der Haut wie Mazer­a­tio­nen, Ero­sio­nen und Ulzer­a­tio­nen. Nekro­sen sind fakul­ta­tiv. Ursäch­lich kom­men u. a. Kon­takt­ek­zem, Pyo­der­ma gang­rae­no­sum, auch Der­ma­ti­tis ulce­ro­sa genannt, oder Ver­sor­gungs­feh­ler mit Aus­tritt von Stuhl oder Harn auf die das Sto­ma umge­ben­de Haut in Frage.
  • L3: Die peris­to­ma­len Haut­ver­än­de­run­gen auf­grund loka­ler Infek­tio­nen durch Erre­ger stel­len die dring­lichs­te Varia­ti­on mit einer aku­ten Behand­lungs­be­dürf­tig­keit dar. Hier­mit ist nicht ein ein­fa­cher Can­di­da-Belag in der das Sto­ma umge­ben­den Haut, son­dern eine meist bak­te­ri­el­le Misch­in­fek­ti­on der tie­fe­ren Schich­ten gemeint. Bei einer sol­chen Infek­ti­on besteht der Ver­dacht auf das Vor­lie­gen einer Phleg­mo­ne, einer Fis­tel, eines Abs­zes­ses oder einer Kom­bi­na­ti­on der­sel­ben. Ursäch­lich kön­nen Retrak­tio­nen, Aus­ris­se der muko­ku­ta­nen Naht, iatro­ge­ne Darm­ver­let­zun­gen, ein akti­vier­ter Mor­bus Crohn oder Tumor­lo­kal­re­zi­di­ve hier­für ver­ant­wort­lich sein.

S: Sto­masta­tus

In der Kate­go­rie Sto­masta­tus wer­den aus der Sicht der Betrof­fe­nen die zwei Berei­che „Ver­sor­gungs­auf­wand“ und „Ver­sor­gungs­si­cher­heit“ beur­teilt. Dies geschieht, um einen wei­te­ren bedeut­sa­men Para­me­ter der Ver­sor­gungs­pra­xis als Indi­ka­tor für die Kom­ple­xi­tät der peris­to­ma­len Haut­lä­si­on hin­zu­zu­fü­gen. Es wer­den in die­ser Kate­go­rie drei Schwe­re­gra­de unterschieden:

  • S0: Das Sto­ma ist aus Sicht des Sto­ma­trä­gers in übli­cher Wei­se ohne erhöh­ten Auf­wand zu ver­sor­gen. Dabei spielt es für die­se Kate­go­ri­sie­rung kei­ne Rol­le, ob eine Selbst­ver­sor­gung oder Fremd­ver­sor­gung durch Ange­hö­ri­ge oder Pfle­ge­per­so­nal statt­fin­det. Es besteht im Ergeb­nis eine siche­re Stomaversorgung.
  • S1: Das Sto­ma ist nur mit erhöh­tem Auf­wand für den Pati­en­ten sicher ver­sorg­bar. Eine siche­re, sta­bi­le Ver­sor­gung ist defi­niert durch nor­ma­le Wech­sel­in­ter­val­le > 24 h (Zeit­an­ga­be ist abhän­gig vom ver­wen­de­ten Ver­sor­gungs­sys­tem), kein spon­ta­nes Ablö­sen der Hilfs­mit­tel zur Sto­ma­ver­sor­gung bei unein­ge­schränk­ter Mobi­li­tät der Betrof­fe­nen. Der Auf­wand ist dann erhöht, wenn zusätz­lich Zube­hör­pro­duk­te wie z. B. Haut­schutz­plat­ten, Rin­ge, Strei­fen, Puder, Pas­te, Wund­ver­sor­gungs­pro­duk­te etc. zum Ein­satz kom­men, wenn das übli­che Wech­sel­in­ter­vall rele­vant ver­kürzt wird, wenn die Kon­sul­ta­ti­on eines Sto­ma­the­ra­peu­ten oder sogar die Über­nah­me der Ver­sor­gung durch den­sel­ben not­wen­dig wird.
  • S2: Die Durch­füh­rung der Sto­ma­ver­sor­gung bzw. die Sicher­heit der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung einer Stuhl- oder Harn­ab­lei­tung kann auch mit erhöh­tem Auf­wand nicht mehr gewähr­leis­tet wer­den. Die Ver­sor­gungs­si­tua­ti­on ins­ge­samt ist insta­bil, trotz inten­si­vier­ter sto­ma­the­ra­peu­ti­scher Betreu­ung. Die Ent­wick­lung von Fol­ge­pro­ble­men droht. Die Defi­ni­ti­on zur Zuge­hö­rig­keit in die­ser Kate­go­rie ist bei Vor­lie­gen eines der fol­gen­den Aspek­te erfüllt: Dich­tig­keits­pro­ble­me der Sto­ma­ver­sor­gung, Wech­sel­in­ter­val­le der Sto­ma­ver­sor­gungs­hilfs­mit­tel < 24 h (Zeit­an­ga­be ist abhän­gig vom ver­wen­de­ten Ver­sor­gungs­sys­tem), Schmer­zen, Not­wen­dig­keit der umge­hen­den Inter­ven­ti­on (sto­ma­the­ra­peu­tisch, der­ma­to­lo­gisch, ope­ra­tiv, medi­ka­men­tös), sta­tio­nä­re Behandlung.

Die Zusatz­ka­te­go­rie des Sto­masta­tus beschreibt ana­to­misch aty­pi­sche bzw. patho­lo­gi­sche Sto­ma­an­la­gen unter Ver­wen­dung des Akro­nyms „ORPHEUS“. ORPHEUS ist eine Erin­ne­rungs­hil­fe und beschreibt die chir­ur­gi­schen Aspek­te des Sto­mas, sei­en sie mit der Haut­lä­si­on ledig­lich asso­zi­iert oder gar kau­sal ver­bun­den. Die­se Kate­go­rien erfor­dern eine kri­ti­sche Über­prü­fung einer mög­li­chen ope­ra­ti­ven Kor­rek­tur der Sto­ma­an­la­ge zur Abwen­dung dau­er­haf­ter Ver­sor­gungs­pro­ble­me. Die chir­ur­gi­schen Aspek­te der ORPHEUS-Bezeich­nun­gen beinhal­ten das Vor­lie­gen einer Sto­maS­teno­se (O), einer Sto­ma-Retrak­ti­on ®, eines Sto­ma-Pro­laps ℗, einer parasto­ma­len Her­nie (H), eines Sto­ma-Ödems oder einer Sto­ma-Nekro­se (E) sowie eine grund­sätz­lich ungüns­ti­ge Sto­ma-Posi­tio­nie­rung (US).

D: Dise­a­se (Sys­tem­er­kran­kung bzw. sys­te­mi­sche Therapien)

In der Kate­go­rie D wird die gesam­te kör­per­li­che Situa­ti­on des Sto­ma­trä­gers mit ihren mög­li­chen Ein­flüs­sen auf die das Sto­ma umge­ben­de Haut bewertet.

  • D0: Eine aktu­el­le Grund- oder Begleit­erkran­kung mit Aus­wir­kung auf die Sto­ma­an­la­ge ist nicht bekannt. Eine sys­te­mi­sche The­ra­pie mit Aus­wir­kung auf die Sto­ma­an­la­ge fin­det nicht statt.
  • D1: Eine Grund- oder Begleit­erkran­kung liegt vor, hat aber aktu­ell offen­sicht­lich kei­ne Rele­vanz für die Ent­ste­hung oder Behand­lung der peris­to­ma­len Haut­lä­si­on. Eine sys­te­mi­sche The­ra­pie mit Aus­wir­kung auf die Sto­ma­an­la­ge fin­det zwar statt, hat aber der­zeit wahr­schein­lich kei­ne Aus­wir­kun­gen auf die Ent­ste­hung oder Behand­lung der peris­to­ma­len Hautläsionen.
  • D2: Eine Grund- oder Begleit­erkran­kung oder eine sys­te­mi­sche The­ra­pie hat mög­li­cher­wei­se Ein­fluss auf die Pro­gno­se und Behand­lung der peris­to­ma­len Haut­lä­si­on. Im Sin­ne die­ser Kate­go­ri­sie­rung kön­nen sich peris­to­mal auch iatro­ge­ne Haut­lä­sio­nen ent­wi­ckeln, z. B. als Bestrah­lungs­scha­den, infol­ge von Cor­ti­son- oder Che­mo­the­ra­pie-Neben­wir­kun­gen. Die D‑Kategorie erfor­dert den Blick über das Sto­ma und sein Ver­sor­gungs­ge­biet hin­aus. Der Sto­ma­the­ra­peut soll­te bei Ver­dachts­fäl­len ins­be­son­de­re auch nach Haut­er­kran­kun­gen fra­gen, z. B. nach Pso­ria­sis oder Ekze­men, und ggf. ande­re Haut­re­gio­nen des Betrof­fe­nen inspi­zie­ren. Wich­ti­ge Infor­ma­tio­nen sind auch die Aus­schei­dungs­be­ob­ach­tun­gen wie Stuhl­qua­li­tät und Sto­ma-Out­put pro 24 h, weil ins­be­son­de­re dünn­flüs­si­ger, gal­li­ger Stuhl bei Kon­takt schnell haut­to­xisch wir­ken, aber in der Regel diä­te­tisch und medi­ka­men­tös kor­ri­giert wer­den kann. Hier gibt es Berei­che, die rela­tiv ein­fach und direkt beein­fluss­bar sind; ande­re sind als nicht ohne Wei­te­res beein­fluss­bar oder gar als unbe­ein­fluss­bar anzu­se­hen. Wäh­rend die tumor­be­ding­te oder medi­ka­men­tös indu­zier­te (z. B. Cor­ti­son, Aza­thio­prin, Che­mo­the­ra­pie) Immun­sup­pres­si­on kurz­fris­tig nicht rever­si­bel ist, kön­nen Dehy­drat­a­ti­on oder Unter­ernäh­rung durch geeig­ne­te Inter­ven­tio­nen oft aus­ge­gli­chen wer­den. So man­che Fal­ten­bil­dung unter der Sto­ma­ver­sor­gung ist auf eine star­ke Gewichts­ab­nah­me oder ‑zunah­me zurück­zu­füh­ren. Ver­än­de­run­gen des Sto­mas kön­nen durch eine fort­schrei­ten­de Tumor­er­kran­kung oder als Medi­ka­men­ten-Neben­wir­kung in Betracht kom­men (rasche Gewichts­zu­nah­me bei Cor­ti­son­the­ra­pie). Eine sel­te­ne, aber umso kri­ti­sche­re Her­aus­for­de­rung ist das Pyo­der­ma gang­rae­no­sum, das sich peris­to­mal bei M. Crohn, sel­te­ner bei Coli­tis ulce­ro­sa mani­fes­tie­ren kann und neben der loka­len Behand­lung immer auch einer inten­si­vier­ten Sys­tem­the­ra­pie bedarf. Kurz­um, die Behand­lung sto­ma­as­so­zi­ier­ter Haut­lä­sio­nen ver­langt immer auch den Gesamt­check des Sto­ma­trä­gers in sei­ner all­täg­li­chen Lebens­si­tua­ti­on 2.

Hand­lungs­al­go­rith­mus

Nach dem Wunsch der GESS-Exper­ten­grup­pe soll der LSD-Score die Ver­sor­gungs­si­tua­ti­on und die Behand­lung peris­to­ma­ler Haut­lä­sio­nen klas­si­fi­zie­ren und len­ken (sie­he Tab. 2). Der Anspruch hier­bei ist, die Rich­tung einer kom­pe­ten­ten und not­wen­di­gen Behand­lung vor­zu­schla­gen, ohne wei­te­re Details der erfor­der­li­chen Maß­nah­men zwin­gend vor­zu­schrei­ben. Dadurch erhält der Sto­ma­the­ra­peut als Erst­ver­sor­ger nicht nur Ein­fluss auf die pfle­ge­ri­sche Betreu­ung, son­dern dar­über hin­aus auch auf die ein­zu­lei­ten­de medi­zi­ni­sche Behand­lung. Das bedeu­tet, bei einer allei­ni­gen Haut­lä­si­on der Schwe­re L1 oder L2 ohne wei­te­re Kate­go­rien des Score ist zunächst die Sto­ma­ver­sor­gung zu über­prü­fen und gege­be­nen­falls anzu­pas­sen. Es kann auch not­wen­dig sein, die Edu­ka­ti­on des Sto­ma­trä­gers zu opti­mie­ren. Hier ist ins­be­son­de­re zu berück­sich­ti­gen, dass die Inhal­te von Bera­tun­gen, Schu­lun­gen und Anlei­tun­gen aus der Zeit der Sto­ma-Neu­an­la­ge mit zuneh­men­der Selbst­ver­sor­gung durch die Betrof­fe­nen in den Hin­ter­grund gedrängt wer­den. Umso wich­ti­ger sind dann kor­ri­gie­ren­de Hin­wei­se durch den Sto­ma­the­ra­peu­ten zur Siche­rung der Qua­li­tät in der Durch­füh­rung der Sto­ma­ver­sor­gung. Bleibt die­se Maß­nah­me ohne Erfolg, so ist im zwei­ten Schritt die Vor­stel­lung bei einem Der­ma­to­lo­gen mit spe­zi­el­len Kennt­nis­sen in der Sto­ma-Medi­zin not­wen­dig. Eine vor­lie­gen­de Haut­lä­si­on aus der S2-Kate­go­rie ver­langt die umge­hen­de Vor­stel­lung bei einem sto­ma­kun­di­gen Vis­ze­ral­chir­ur­gen. Er ent­schei­det nach Dia­gno­se­stel­lung über Aus­maß und Dring­lich­keit der meist not­wen­di­gen Inter­ven­ti­on. Die Sto­ma­the­ra­pie muss gleich­zei­tig und zusätz­lich inten­si­viert wer­den, um ver­sor­gungs­be­zo­ge­ne Aspek­te einzuschließen.

Liegt eine L1- oder L2- und S0-Situa­ti­on vor, so ist die Bera­tung durch einen Sto­ma­the­ra­peu­ten emp­feh­lens­wert. Ist der Auf­wand in der Kate­go­rie S1 erhöht, muss die­ser die Ver­sor­gung vor­über­ge­hend sogar über­neh­men. Kann selbst damit die Sicher­heit der Sto­ma­ver­sor­gung in der Kate­go­rie S2 nicht gewähr­leis­tet wer­den, ist die Inten­si­vie­rung der Ver­sor­gung nur noch durch die stän­di­ge Bereit­schaft eines Sto­ma­the­ra­peu­ten unter sta­tio­nä­ren Bedin­gun­gen mög­lich. Dies gilt im Beson­de­ren, wenn die Kate­go­rien der Sto­ma-Patho­lo­gie ORPHEUS zutref­fen. Wird der Läsi­on die Kate­go­rie D2 zuge­schrie­ben, muss der behan­deln­de Arzt kon­tak­tiert wer­den mit der Fra­ge, ob eine Ände­rung der Medi­ka­ti­on etc. zur Behand­lung der zugrun­de lie­gen­den Erkran­kung mög­lich und effek­tiv ist. Eine respekt­vol­le Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Sto­ma­the­ra­peut und Arzt ist für die erfolg­rei­che Koope­ra­ti­on in der Bera­tung, Betreu­ung und Ver­sor­gung von Men­schen mit Haut­ir­ri­ta­tio­nen in der das Sto­ma umge­ben­den Haut eine wich­ti­ge Grundvoraussetzung.

Dis­kus­si­on

Peris­to­ma­le Haut­lä­sio­nen sind mit 18 bis 60 % die häu­figs­ten sto­ma­as­so­zi­ier­ten Kom­pli­ka­tio­nen 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 und bedeu­ten für die Pati­en­ten regel­haft einen erheb­li­chen Lei­dens­druck sowie eine bedeut­sa­me Ein­schrän­kung der Lebens­qua­li­tät. Zudem stel­len sie für Enterosto­ma­the­ra­peu­ten und Ärz­te oft­mals beson­de­re the­ra­peu­ti­sche Her­aus­for­de­run­gen dar. Die erfor­der­li­chen Maß­nah­men zur The­ra­pie der Haut­lä­sio­nen und der oft erfor­der­li­chen Anpas­sun­gen der Hilfs­mit­tel zur Sto­ma­ver­sor­gung kön­nen zeit- und res­sour­cen­in­ten­siv sein und wer­den in der Pra­xis meist nicht adäquat ver­gü­tet. Die bis­lang in der Pra­xis ver­füg­ba­ren Klas­si­fi­ka­ti­ons­sys­te­me sind oft nur für aus­ge­spro­che­ne Exper­ten eine Ori­en­tie­rungs­hil­fe, hin­ge­gen für die täg­li­che Pra­xis wenig hilfreich.

Die im deut­schen Sprach­raum exis­tie­ren­den Klas­si­fi­ka­ti­ons­sys­te­me wur­den im Vor­feld auf dem Schwarz­wäl­der Sto­ma­kon­gress 2012 vor­ge­stellt und in Grup­pen sowie im Ple­num inten­siv bespro­chen. Es han­delt sich um:

  1. den Sto­ma-Beob­ach­tungs­in­dex aus dem Jah­re 2005 des Inter­na­tio­nal Ost­omy Forum (unter­stützt durch die Fir­ma Dan­sac) 13,
  2. den DET-Score aus dem Jah­re 2008 des Glo­bal Advi­so­ry Board mit Unter­stüt­zung der Fir­ma Colo­plast, bestehend aus Sto­ma­the­ra­peu­ten und Der­ma­to­lo­gen mit Vali­die­rung der Relia­bi­li­tät 14, sowie
  3. die SACS-Klas­si­fi­ka­ti­on aus dem Jah­re 2007 der ita­lie­ni­schen Grup­pe Stu­dio sul­le Alte­ra­zio­ni Cuta­nee Peris­to­ma­li, unter­stützt von der Fir­ma Con­va­tec, bestehend aus Ent­ero­the­ra­peu­ten und Chir­ur­gen mit Vali­die­rung der Relia­bi­li­tät 15.

Die­se Sys­te­me wur­den vom Autor die­ses Bei­trags ver­glei­chend abge­han­delt 16. Weder flie­ßen die Ursa­chen der Haut­lä­sio­nen in die Klas­si­fi­ka­ti­ons­sys­te­me ein, noch kön­nen im DET- und SACS-Score direk­te the­ra­peu­ti­sche Impli­ka­tio­nen abge­lei­tet wer­den. Die Mehr­zahl der Teil­neh­mer (Sto­ma­the­ra­peu­ten, ILCO-Mit­glie­der und Ärz­te) des Süd­west­deut­schen Sto­ma­kon­gres­ses (15.3.2012, Ösch­berg­hof, Donau­eschin­gen) zum The­ma „Peris­to­ma­le Haut­lä­sio­nen“ beur­teil­te o. g. Scores als zu wenig prak­tisch und wenig pra­xis­re­le­vant und for­der­te des­halb ein grund­sätz­lich neu­es Scoring-System.

Fazit

Der vom Exper­ten-Panel GESS ent­wi­ckel­te LSD-Score ist auf­grund des inklu­dier­ten Hand­lungs­al­go­rith­mus anwen­der­freund­lich, relia­bel, ver­ständ­lich, ursa­chen­ba­siert und vor allem the­ra­pie­ori­en­tiert. Die ermit­tel­te LSD-Score-For­mel führt nicht auto­ma­tisch zu kon­kre­ten Behand­lungs­an­wei­sun­gen, son­dern lenkt viel­mehr das Behand­lungs- und Ver­sor­gungs­ma­nage­ment früh in eine fach­kom­pe­ten­te Rich­tung und kann so Zeit spa­ren, Sekun­där­fol­gen ver­hin­dern und mög­li­cher­wei­se Gesamt­kos­ten im Gesund­heits­sys­tem ein­spa­ren. Im Mit­tel­punkt der Betreu­ung steht der Sto­ma­the­ra­peut, dem damit die prak­ti­sche Schlüs­sel­rol­le zuer­kannt wird. Es ist der Sto­ma­the­ra­peut, der im Pra­xis­all­tag bei der Ent­de­ckung peris­to­ma­ler Haut­lä­sio­nen wäh­rend des Ver­sor­gungs­wech­sels selbst ent­schei­den muss, wel­che Läsio­nen im Rah­men des Ver­sor­gungs­ma­nage­ments selbst­stän­dig betreut wer­den kön­nen und wel­che einer Bewer­tung und Behand­lung durch Vis­ze­ral­chir­ur­gen oder Der­ma­to­lo­gen bedürfen.

Mit die­sem inter­sek­to­ral dis­ku­tier­ten und kon­sen­tier­ten Score wur­de ein prak­ti­ka­bles Klas­si­fi­ka­ti­ons­sys­tem ent­wi­ckelt, das als Grund­la­ge für stan­dar­di­sier­te The­ra­pie-Pla­nun­gen die­nen kann. Die Vali­die­rung die­ser Klas­si­fi­ka­ti­on wur­de in meh­re­ren Run­den in der Pra­xis durch­ge­führt und soll­te in zukünf­ti­gen For­schungs­vor­ha­ben wei­ter fort­ge­führt wer­den, um die­sem Score eine brei­te Akzep­tanz in der Sto­ma­the­ra­pie zu sichern.

Der Autor:
Wer­ner Droste
Semi­na­re & Beratung
Niko­laus-Groß-Weg 6
59379 Selm
werner.droste@fgskw.org

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
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