Trai­ning mit dem Exo­ske­lett in der BDH-Kli­nik Greifswald

A. Gillner, N. Borgwaldt, I. Maschke, Ch. Lübcke, S. Kroll, S. Roschka, Th. Platz
Seit September 2012 nutzt die BDH-Klinik Greifswald als erste Rehabilitationsklinik Deutschlands das ReWalk-System für querschnittgelähmte Patienten. ReWalk ist ein elektrisch motorisiertes Orthesensystem, das es dem Nutzer erlaubt, sich ohne eigene aktive motorische Funktionen im Hüftbereich und in den Beinen aus dem Sitz aufzurichten, zu stehen und auch zu gehen. Vor dem Training wird in einer umfangreichen ärztlichen und therapeutischen Untersuchung geprüft, ob der Anwender für die Nutzung des Exoskeletts geeignet ist. Für die Trainingszeit in der Klinik werden Zwischenziele gesetzt, die systematisch und je nach Fähigkeit und Fertigkeit des Patienten umgesetzt werden. Anhand bestimmter Assessments werden Daten erhoben und in Form einer Beobachtungsstudie dokumentiert und ausgewertet. Neben den messbaren Daten werden subjektive Beobachtungen seitens der Anwender geschildert, zum Beispiel Aussagen zum Schmerzempfinden, zur Veränderung der Blasen- und Darmaktivität und zum allgemeinen Wohlbefinden.

Ein­lei­tung

Der BDH Bun­des­ver­band Reha­bi­li­ta­ti­on 1 ver­tritt seit fast 100 Jah­ren die Inter­es­sen von Men­schen mit Behin­de­rung und ist die größ­te deut­sche Fach­or­ga­ni­sa­ti­on auf dem Gebiet der Reha­bi­li­ta­ti­on neu­ro­lo­gi­scher Pati­en­ten. Die Kli­nik der Ver­fas­ser in Meck­len­burg-Vor­pom­mern ist eine von fünf Kli­ni­ken in Deutsch­land in Trä­ger­schaft des BDH. Der BDH hat in Deutsch­land nach dem Zwei­ten Welt­krieg auf dem Gebiet der neu­ro­lo­gi­schen Reha­bi­li­ta­ti­on Pio­nier­ar­beit geleis­tet und Ein­rich­tun­gen gegrün­det, die bis heu­te Maß­stä­be set­zen und von allen gesetz­li­chen und pri­va­ten Kran­ken­kas­sen, den Berufs­ge­nos­sen­schaf­ten, Ren­ten­ver­si­che­run­gen und Ver­sor­gungs­äm­tern sowie der Bun­des­agen­tur für Arbeit in Anspruch genom­men werden.

Das ReWalk-Team der BDH-Kli­nik Greifs­wald arbei­tet mit dem Exo­ske­lett „ReWalk“ der israe­li­schen Fir­ma ReWalk Robo­tics. ReWalk ist ein Exo­ske­lett­sys­tem, mit dem Quer­schnitt­ge­lähm­te mit Läh­mun­gen bei­der Bei­ne (Para­ple­gie) tech­nisch unter­stützt ein Auf­ste­hen und Gehen errei­chen kön­nen. In der BDH-Kli­nik Greifs­wald, Zen­trum für Neu­ro­re­ha­bi­li­ta­ti­on, Beatmungs- und Inten­siv­me­di­zin sowie Quer­schnitt­ge­lähm­ten­zen­trum, wur­de für geeig­ne­te Pati­en­ten die Mög­lich­keit geschaf­fen, in einem mehr­wö­chi­gen Trai­ning den Umgang mit einem ReWalk zu erlernen.

Das Exo­ske­lett

Das in der BDH-Kli­nik genutz­te Exo­ske­lett ist ein von außen ange­leg­tes Orthe­sen­sys­tem für die unte­re Extre­mi­tät, bestehend aus Gelen­ken mit Antriebs­mo­to­ren an bei­den Hüf­ten und Knien sowie einem Bewe­gungs­sen­sor, der durch Gewichts­ver­la­ge­rung nach vorn das Sys­tem zum Gehen bewegt. Steu­er­ein­heit und Akku befin­den sich beim aktu­ell ver­wen­de­ten Sys­tem noch in einem Ruck­sack. Der Fir­ma ReWalk Robo­tics ist es bei ihrem neu­en Modell gelun­gen, Akku und Steu­er­ein­heit am Becken­bü­gel unter­zu­brin­gen, sodass der Ruck­sack nicht mehr not­wen­dig ist. Über eine Soft­ware las­sen sich Ein­stel­lun­gen wie Hüft- und Knief­le­xi­on, Schnel­lig­keit der Schrit­te und wei­te­re Sicher­heits­vor­keh­run­gen indi­vi­du­ell für jeden Anwen­der ein­stel­len. Die Bedie­nungs­mo­du­le „Auf­ste­hen“, „Hin­set­zen“, „Gang“, „Trep­pe auf“ und „Trep­pe ab“ wer­den mit einer Fern­be­die­nung ähn­lich einer Arm­band­uhr gewählt. Wei­te­res unbe­dingt not­wen­di­ges Equip­ment sind zwei Unterarmgehstützen.

Vor­aus­set­zun­gen für das Training

Es besteht an der Kli­nik ein fes­tes ReWalk-Team, bestehend aus dem ärzt­li­chen Lei­ter Prof. Dr. Tho­mas Platz, dem The­ra­peu­ten­team aus Phy­sio­the­ra­peu­ten und Psy­cho­lo­gen sowie einer wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­te­rin. Bevor ein Anwen­der zum Trai­ning mit dem Exo­ske­lett in die BDH-Kli­nik kommt, sind ärzt­li­che, phy­sio- und ergo­the­ra­peu­ti­sche sowie psy­cho­lo­gi­sche Unter­su­chun­gen not­wen­dig. Die poten­zi­el­len Nut­zer benö­ti­gen vor allem sta­bi­le Wir­bel­säu­len­ver­hält­nis­se, ein gesun­des Herz-Kreis­lauf-Sys­tem, eine nor­ma­le (vol­le) Kraft der Arme, der Schul­ter­gür­tel­mus­ku­la­tur und des obe­ren Rump­fes, zudem eine gute bis sehr gute pas­si­ve Beweg­lich­keit der Schul­tern, Arme und Hän­de sowie der unte­ren Extre­mi­tät. Eine Kon­tra­in­di­ka­ti­on für das Trai­ning sind Ver­kür­zun­gen der beu­gen­den Mus­ku­la­tur in Hüft‑, Knie- und Sprung­ge­len­ken, die es dem Quer­schnitt­ge­lähm­ten nicht ermög­li­chen, in den pas­si­ven Stand — zum Bei­spiel mit­tels eines Steh­bar­rens — zu gelan­gen. Außer­dem ist es wich­tig, die Anwen­der genau dar­über auf­zu­klä­ren, dass sie auch nach dem Trai­ning nur mit Hil­fe des Exo­ske­letts wer­den lau­fen kön­nen und dass es nicht mög­lich ist, den eigen­stän­di­gen Gang ohne das Sys­tem — nur durch eige­ne Mus­kel­kraft — anzubahnen.

Nach Aus­wer­tung der Vor­un­ter­su­chun­gen und Klä­rung der Kos­ten­über­nah­me für die Reha-Maß­nah­me kom­men die Anwen­der zu einem ca. vier­wö­chi­gen Trai­ning in die BDH-Kli­nik Greifs­wald. Dort wird ihnen ein genau auf die Kör­per­ma­ße des Anwen­ders ein­ge­stell­tes Sys­tem zur Ver­fü­gung gestellt. Es erfolgt an jedem Werk­tag ein ein­stün­di­ges ReWalk-Trai­ning mit zwei Phy­sio­the­ra­peu­ten. Zusätz­li­che The­ra­pie­an­ge­bo­te wie Phy­sio- und Sport­the­ra­pie wer­den indi­vi­du­ell ange­passt. Beson­ders wich­tig sind beglei­ten­de psy­cho­lo­gi­sche Gesprä­che. Psy­cho­lo­gen erfas­sen die sub­jek­ti­ven Beob­ach­tun­gen und beglei­ten die emo­tio­na­le Sta­bi­li­tät des Trainierenden.

Ablauf und Ele­men­te des Trainings

Nach dem exak­ten Aus­mes­sen der Becken­brei­te sowie der Ober- und Unter­schen­kel­län­ge wird das Gerät genau auf die Maße des jewei­li­gen Benut­zers ein­ge­stellt. Das Trai­ning erfolgt plan­mä­ßig und struk­tu­riert. Es wer­den Zwi­schen­zie­le, „Mei­len­stei­ne“ genannt, für das gemein­sa­me Trai­ning gesetzt.

Die ers­ten Mei­len­stei­ne sind der Trans­fer in das Sys­tem und des­sen Anle­gen. Anfangs ist hier­bei deut­li­che the­ra­peu­ti­sche Unter­stüt­zung erfor­der­lich. Nach und nach über­nimmt der Anwen­der die not­wen­di­gen Schrit­te, um in das Sys­tem hin­ein­zu­stei­gen und es anzu­le­gen, wobei die The­ra­peu­ten sich immer mehr zurück­zie­hen. Nach erfolg­rei­chem Ein­stei­gen und Anle­gen folgt das Üben von Auf­ste­hen (Abb. 1) und Hinsetzen.

Beson­de­res Augen­merk wird auf das Balance­trai­ning im Stand (Abb. 2) gelegt. Eine gute Steh­ba­lan­ce mit und sogar ohne Unter­arm­geh­stüt­zen dient vor allem der Sturz­pro­phy­la­xe. Hier­bei ist es wich­tig, den Ober­kör­per auf­zu­rich­ten und die Ober­kör­per­sta­bi­li­tät auch ohne die Hil­fe der Arme durch Abstüt­zen an den Unter­arm­geh­stüt­zen zu halten.

Beim nächs­ten Mei­len­stein, dem Erar­bei­ten des Gehens, müs­sen bei­de Unter­arm­geh­stüt­zen gleich­zei­tig vor­ge­setzt und der Ober­kör­per selbst­stän­dig für die­se Zeit sta­bi­li­siert wer­den. Auch beim Gang ist anfangs deut­li­che the­ra­peu­ti­sche Unter­stüt­zung not­wen­dig. Zu Beginn wird der Anwen­der vor­zugs­wei­se mit jeweils einer Hilfs­per­son rechts und links mit deut­li­chem Kon­takt unter­stützt. So kann dem Pati­en­ten genü­gend Sicher­heit gege­ben und ihm bei der Gewichts­ver­la­ge­rung nach rechts und links gehol­fen wer­den. Schwie­rig ist oft die rich­ti­ge Gewichts­ver­la­ge­rung nach vor­ne, um den ers­ten Schritt aus­zu­lö­sen. Die ers­ten Schrit­te sind sehr über­wäl­ti­gend und benö­ti­gen ein hohes Maß an Kon­zen­tra­ti­on, Koor­di­na­ti­on und Kraft der Mus­ku­la­tur des Rump­fes und der gesam­ten obe­ren Extre­mi­tät sowie ein gro­ßes Ver­trau­en in die Tech­nik des Exoskeletts.

Ziel ist der Gang mit dem Sys­tem ohne hel­fen­de the­ra­peu­ti­sche Hän­de nicht nur im Innen‑, son­dern auch im Außen­ge­län­de. Des­halb wird schnell die Anzahl der Kon­takt­per­so­nen gemin­dert; es hilft nur noch ein The­ra­peut, der hin­ter dem Anwen­der steht bezie­hungs­wei­se geht. Die­se eine Kon­takt­per­son min­dert im wei­te­ren Trai­ning immer mehr ihre tak­ti­le Unter­stüt­zung und wird im bes­ten Fall zur Sicher­heits­per­son ohne tak­ti­le Hilfestellung.

Eine beson­de­re Her­aus­for­de­rung ist das Trep­pen­stei­gen (Abb. 3). Dabei wird auf der Bedien­ein­heit jeder Trep­pen­schritt ein­zeln auf­ge­ru­fen. Beim Erler­nen des Trep­pen­stei­gens ist die Benut­zung von nur einer Unter­arm­geh­stüt­ze zu emp­feh­len; die ande­re Hand hat ihren fes­ten Halt am Trep­pen­ge­län­der. Das Anwäh­len des ein­zel­nen Trep­pen­schritts erfolgt nicht an der Bedien­ein­heit am Hand­ge­lenk, son­dern direkt am Orthe­sen­teil des Ober­schen­kels, und ermög­licht ein ein­fa­che­res Arbei­ten auf der Trep­pe. Der Schal­ter zum Aus­lö­sen des Trep­pen­stei­gens kann vom Anwen­der mit den Fin­ger­spit­zen der Hand bedient wer­den, die die Unter­arm­geh­stüt­ze fest­hält. Das Bedie­nen der Uhr und somit ein Lösen der Hand von der Unter­arm­geh­stüt­ze oder vom Hand­lauf ist bei die­ser Tech­nik nicht not­wen­dig. Dies ver­mit­telt dem Anwen­der mehr Sicherheit.

Die Trep­pe ist eine wah­re Mut­pro­be für die Pati­en­ten. Kom­plett sen­si­bel betrof­fe­ne Quer­schnitt­ge­lähm­te beschrei­ben das Gehen und das Trep­pen­stei­gen, als wür­den sie mit dem Ober­kör­per über den Fuß­bo­den bzw. die Trep­pe schwe­ben. Auch hier ist das Ver­trau­en in die Maschi­ne, durch die der Anwen­der bewegt wird, enorm, vor allem beim Hin­un­ter­stei­gen der Trep­pe. Quer­schnitt­ge­lähm­te, die sich für das Trai­ning mit dem ReWalk ent­schei­den, legen ihr Augen­merk zunächst oft aus­schließ­lich auf das Erler­nen des auf­rech­ten Gehens an zwei Unter­arm­geh­stüt­zen mit Hil­fe des Exoskeletts.

Trai­nings­ef­fek­te

Posi­ti­ve Aus­wir­kun­gen — zum Bei­spiel die Erfah­rung, auf glei­cher Höhe mit der Umwelt und end­lich wie­der Fuß­gän­ger zu sein, um auf zwei Bei­nen die ver­lo­ren­ge­gan­ge­ne Nor­ma­li­tät zu erle­ben — sind zu erwar­ten und wer­den von den Anwen­dern häu­fig sehr emo­tio­nal erlebt. Hin­zu kom­men wei­te­re posi­ti­ve Aus­wir­kun­gen, die von den Nut­zern beschrie­ben wer­den. Dazu zäh­len eine Spas­tik­re­duk­ti­on direkt nach dem Trai­ning, die auch im wei­te­ren Tages­ver­lauf anhält, eine ver­bes­ser­te Kör­per­wahr­neh­mung für Auf­rich­tung und Sym­me­trie, die Erar­bei­tung einer guten Balan­ce im Stand mit und auch ohne Unter­arm­geh­stüt­zen und eine deut­li­che Redu­zie­rung der neu­ro­pa­thi­schen Schmer­zen. Wei­ter­hin beschrie­ben wer­den eine Ver­min­de­rung von Blä­hun­gen, ein bes­se­res Emp­fin­den für die Bla­sen­fül­lung, eine Min­de­rung von Miss­emp­fin­dun­gen und schließ­lich eine grö­ße­re Fit­ness durch Ver­bes­se­rung von Kraft und Ausdauer.

Die Erfah­rung mit dem ReWalk zeigt, dass Para­ple­gi­ker, die sich für das Trai­ning mit einem Exo­ske­lett ent­schie­den haben, sich die­ser Her­aus­for­de­rung nicht ohne Vor­be­rei­tung stel­len kön­nen. Schon vor­ab ist es wich­tig, die gesam­te Schul­ter­mus­ku­la­tur zu deh­nen. Beim Bewe­gungs­über­gang vom Sitz in den Stand müs­sen bei­de Unter­arm­geh­stüt­zen sehr weit nach hin­ten gestellt wer­den. Ein größt­mög­li­ches Bewe­gungs­aus­maß der obe­ren Extre­mi­tät erleich­tert dies. Ein wei­te­rer Vor­teil ist das regel­mä­ßi­ge pas­si­ve Ste­hen in einem Steh­bar­ren oder Stan­ding — auf die­se Wei­se wird die Wahr­neh­mung für den auf­rech­ten Stand geschult. Auch eine gute bis sehr gute Kraft der gesam­ten Arm- und res­tin­ner­vier­ten Rumpf­mus­ku­la­tur erleich­tert das phy­sisch doch sehr anstren­gen­de Training.

Beob­ach­tungs­stu­die

Für die aktu­ell lau­fen­de Beob­ach­tungs­stu­die 2 wird das Trai­ning der Anwen­der sehr genau doku­men­tiert; in die­sem Zusam­men­hang wer­den Daten mit deren Ein­ver­ständ­nis anhand fol­gen­der Assess­ments gesammelt:

  • ASIA (Ame­ri­can Spi­nal Inju­ry Asso­cia­ti­on; Beschrei­bung der moto­ri­schen und sen­si­blen Lähmungssituation)
  • SCIM (Spi­nal Cord Inde­pen­dence Mea­su­re; Beschrei­bung der Alltagskompetenz)
  • REPAS (Resis­tance to Pas­si­ve Move­ment Sca­le; Sum­men­be­ur­tei­lungs­ska­la zur Beur­tei­lung von Wider­stand gegen­über pas­si­ven Bewegungen)
  • Gelenk­sta­tus (Neu­tral-0-Metho­de) und Mus­kel­sta­tus (Mus­kel­funk­ti­ons­test nach Jan­da) der obe­ren und unte­ren Extremität
  • SF12 (Short Form Sur­vey; Lebensqualität)
  • Errei­chen ver­schie­de­ner Mei­len­stei­ne beim Training
  • „Timed up and go“ (Auf­ste­hen, Gehen, Umdre­hen mit dem Exoskelett)
  • 10-Meter-Geh­test (Geh­ge­schwin­dig­keit mit dem Exoskelett)
  • 6‑Mi­nu­ten-Geh­test (Gang­aus­dau­er mit dem Exoskelett)

Fazit

Das Trai­ning mit dem Exo­ske­lett ermög­licht Quer­schnitt­ge­lähm­ten, an zwei Unter­arm­geh­stüt­zen im Innen- und Außen­ge­län­de tech­nisch unter­stützt auf den eige­nen zwei Bei­nen zu gehen und mit viel Mut auch eine Trep­pe zu bewäl­ti­gen. Zwar wer­den die Exo­ske­let­te beim aktu­el­len Stand der Tech­nik nicht das spe­zi­el­le und funk­tio­nel­le Trai­ning der Phy­sio- und Ergo­the­ra­peu­ten und einen indi­vi­du­ell ange­pass­ten und hoch­wer­ti­gen Roll­stuhl erset­zen kön­nen, um ein unab­hän­gi­ges, selbst­stän­di­ges und selbst­be­stimm­tes Leben trotz feh­len­der oder ein­ge­schränk­ter Funk­ti­on der Mus­ku­la­tur in den Bei­nen und im Rumpf zu errei­chen. Den­noch soll­te die­se Form der Robo­tik — eine Tech­nik, die sich stän­dig wei­ter­ent­wi­ckelt und ver­bes­sert — allen Betrof­fe­nen, die sich zu deren Anwen­dung ent­schlos­sen haben, zugäng­lich sein. Daher hat sich die BDH-Kli­nik Greifs­wald als ers­te Kli­nik Deutsch­lands dazu ent­schie­den, quer­schnitt­ge­lähm­ten Men­schen die Mög­lich­keit zu geben, den Umgang mit einer Tech­no­lo­gie zu erler­nen, die es ihnen ermög­licht, wie­der auf­recht durchs Leben zu gehen.

Für die Zukunft ist der Auf­bau eines Netz­wer­kes zur Infor­ma­ti­on, Kom­mu­ni­ka­ti­on und Hil­fe­stel­lung für Anwen­der und The­ra­peu­ten wün­schens­wert. Dabei sind Dis­kus­sio­nen und ein kri­ti­scher Erfah­rungs­aus­tausch auf Sym­po­si­en und Fach­ta­gun­gen, zum Bei­spiel auf dem jähr­lich statt­fin­den­den Tref­fen der Deutsch­spra­chi­gen Medi­zi­ni­schen Gesell­schaft für Para­ple­gie (DMGP), sehr wich­tig. In die­sen Gesprä­chen soll­te zum einen das Für und Wider von Exo­ske­let­ten, zum ande­ren aber auch die Umset­zung der Geneh­mi­gung ein­ge­reich­ter ärzt­li­cher Emp­feh­lun­gen für eine indi­vi­du­el­le Ver­sor­gung mit den Orthe­sen­sys­te­men dis­ku­tiert wer­den. För­der­lich wäre des Wei­te­ren ein gro­ßes Inter­es­se an Exo­ske­let­ten bei The­ra­peu­ten in Kli­ni­ken und Pra­xen sowie bei Mit­ar­bei­tern von Sanitätshäusern.

Für die Autoren:
Annett Gill­ner
Phy­sio­the­ra­peu­tin
BDH-Kli­nik Greifs­wald GmbH
Karl-Lieb­knecht-Ring 26a
17491 Greifs­wald
a.gillner@bdh-klinik-greifswald.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Gill­ner A, Borg­waldt N, Maschke I, Lüb­cke Ch, Kroll S, Rosch­ka S, Platz Th. Trai­ning mit dem Exo­ske­lett in der BDH-Kli­nik Greifs­wald. Ortho­pä­die Tech­nik, 2017; 68 (7): 46–49

Hin­ter­grund

In einer breit ange­leg­ten Beob­ach­tungs­stu­die wur­de an der BDH-Kli­nik Greifs­wald das Trai­ning mit dem ReWalk-Exo­ske­lett für Quer­schnitt­ge­lähm­te eva­lu­iert. Unter­sucht wur­de, wel­che Mobi­li­täts­zie­le in wel­cher Zeit erreicht wer­den konn­ten, wie zufrie­den die Pati­en­ten mit dem Trai­ning waren und wel­che Aus­wir­kun­gen die neu gewon­ne­ne Mobi­li­tät auf die Lebens­qua­li­tät der Betrof­fe­nen hatte.

Ein vor­weg­ge­nom­me­nes Detail aus der Stu­die ist die Teil­neh­mer­aus­wahl: Von 63 Inter­es­sen­ten, die einen Fra­ge­bo­gen zu einer ers­ten Ein­schät­zung erhal­ten hat­ten, ob das Trai­ning mit Exo­ske­lett erfolg­ver­spre­chend sei, schick­ten 45 den aus­ge­füll­ten Bogen zurück. Nach Sich­tung die­ser Bögen ver­blie­ben 25 Teil­neh­mer, die den Ein­schluss­kri­te­ri­en ent­spra­chen. Von die­sen 25 Kan­di­da­ten nah­men 21 die zwei­tä­gi­ge detail­lier­te­re Unter­su­chung vor Ort auf sich. Bei zwei Teil­neh­mern wur­den hier­bei zusätz­li­che Aus­schluss­kri­te­ri­en fest­ge­stellt, sodass letzt­lich 19 poten­zi­el­le Teil­neh­mer übrig­blie­ben. Von die­sen sag­ten fünf aus per­sön­li­chen Grün­den ab, bei fünf wei­te­ren wur­de kei­ne Kos­ten­über­nah­me zuge­sagt, und bei zwei wei­te­ren führ­ten Ver­än­de­run­gen des Gesund­heits­zu­stan­des letzt­lich doch noch zum Aus­schluss. Schließ­lich nah­men sie­ben Pati­en­ten (5 m, 2 w), Durch­schnitts­al­ter 48, mit Läsi­ons­hö­hen von L1 bis T5 und gerin­ger Spas­ti­zi­tät, an der Stu­die teil. Die­se gerin­ge Teil­neh­mer­zahl zeigt, dass das Trai­ning mit einem Exo­ske­lett längst noch nicht so selbst­ver­ständ­lich in der Reha­bi­li­ta­ti­on von Quer­schnitt­ge­lähm­ten ver­an­kert ist und auch nicht sein kann, wie es teil­wei­se von Medi­en dar­ge­stellt wird. Wei­ter­hin wird deut­lich, dass eine gründ­li­che Vor­un­ter­su­chung und auch Auf­klä­rung über rea­lis­ti­sche Chan­cen zwin­gend erfor­der­lich sind, um für alle Sei­ten frus­trie­ren­de Fehl­ver­sor­gun­gen zu verhindern.

Alle sie­ben Teil­neh­mer durch­lie­fen das vier- bis fünf­wö­chi­ge inten­si­ve Trai­ning (5 × 60 min/Woche) erfolg­reich und erreich­ten die Teil­zie­le „Auf­ste­hen und Hin­set­zen“, „Ste­hen mit zwei Unter­arm­geh­stüt­zen“ und „Gehen von min­des­tens 10 Metern inkl. Kur­ven“. Trep­pen­stei­gen mit Hil­fe wur­de in der The­ra­pie­zeit von vier Teil­neh­mern erreicht, eine Geh­stre­cke von 500 m von zwei Betrof­fe­nen. Teil­wei­se war bei die­sen Ergeb­nis­sen noch eine tak­ti­le Unter­stüt­zung durch eine Sicher­heits­per­son erfor­der­lich. Her­vor­zu­he­ben ist, dass die­se Ergeb­nis­se in deut­lich kür­ze­rer The­ra­pie­zeit erreicht wur­den als in der bis­he­ri­gen Lite­ra­tur ange­ge­ben: Dort wer­den The­ra­pie­zei­ten von sechs bis 24 Wochen mit je drei Trai­nings­ein­hei­ten beschrie­ben. Deut­lich wird an den Ergeb­nis­sen aber auch, dass ein mehr­tä­gi­ger Ein­satz, wie bei­spiels­wei­se beim „Schau­lau­fen“ auf der OTWorld in Leip­zig, nur durch inten­si­ves Trai­ning bei ent­spre­chen­den Vor­aus­set­zun­gen zu errei­chen ist.

Die Zufrie­den­heit der Pati­en­ten mit dem Trai­ning wur­de vor allem in den Punk­ten Kom­fort, Schmerz­frei­heit und Anwen­dungs­si­cher­heit hoch bewer­tet, und es wur­de nicht über Atem­pro­ble­me berich­tet. Der Aspekt „För­de­rung der Darm­tä­tig­keit“, der häu­fig in der Lite­ra­tur als wich­ti­ger Fak­tor beschrie­ben wird, wur­de eher durch­schnitt­lich bewer­tet. Am schlech­tes­ten wur­de der Aspekt „Abnah­me der Spas­ti­zi­tät“ ein­ge­schätzt, was aber dar­an lie­gen kann, dass bei den Teil­neh­mern von vorn­her­ein ein eher gerin­ges Spas­ti­zi­täts­ni­veau vorlag.

Die Fra­ge­bö­gen zur Lebens­qua­li­tät (SF12) zeig­ten für die meis­ten Aspek­te inter­es­san­ter­wei­se sowohl vor als auch nach der The­ra­pie nur gerin­ge Abwei­chun­gen gegen­über der gesun­den Norm­po­pu­la­ti­on: Zwar wur­de die phy­si­sche Leis­tungs­fä­hig­keit als ein­ge­schränkt bewer­tet, dafür war die men­ta­le Stär­ke über­durch­schnitt­lich hoch. Signi­fi­kan­te Ände­run­gen durch das Trai­ning zeig­ten sich nur im Bereich „Kör­per­li­che Rol­len­funk­ti­on“. Hier beschrei­ben die Pati­en­ten einen posi­ti­ven Effekt auf die Ein­schät­zung, wozu sie sich kör­per­lich in der Lage fühlen.

Die Stu­die zeigt, dass bei sorg­fäl­ti­ger Vor­un­ter­su­chung nicht nur der phy­si­schen, son­dern auch der psy­chi­schen Situa­ti­on der Pati­en­ten eine Mobi­li­sie­rung mit Hil­fe eines Exo­ske­letts im kli­ni­schen Set­ting in rela­tiv kur­zer Zeit rela­tiv kom­pli­ka­ti­ons­los mög­lich ist. Wel­che Effek­te eine dau­er­haf­te Mobi­li­sie­rung auch im häus­li­chen Bereich auf die Lebens­qua­li­tät der Pati­en­ten hat, bleibt dage­gen noch zu klären.

Lud­ger Last­ring, Bun­des­fach­schu­le für Orthopädie-Technik

 

  1. BDH Bun­des­ver­band Reha­bi­li­ta­ti­on. Der BDH — Reha­bi­li­ta­ti­on von neu­ro­lo­gi­schen Pati­en­ten. http://www.bdh-reha.de/de/der-bdh/ (Zugriff am 08.06.2017)
  2. Platz T, Gill­ner A, Borg­waldt N, Kroll S, Rosch­ka S. Device-Trai­ning for Indi­vi­du­als with Tho­ra­cic and Lum­bar Spi­nal Cord Inju­ry Using a Powered Exo­ske­le­ton for Tech­ni­cal­ly Assis­ted Mobi­li­ty: Achie­ve­ments and User Satis­fac­tion. ‑Bio­Med Rese­arch Inter­na­tio­nal, 2016. doi: 10.1155/2016/845901 http://downloads.hindawi.com/journals/bmri/2016/8459018.pdf (Zugriff am 08.06.2017)
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