Der Nutzen der Digitalen Gesundheitsanwendungen ist allerdings umstritten. Denn: Im Moment würden – so ein an vielen Stellen formulierter Vorwurf – die Apps nur analoge Prozesse im digitalen Gewand abbilden, deren Mehrwert für die Gesundheit der Patient:innen eher begrenzt sei. Unlängst sprach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im Rahmen der Messe DMEA über die Digitalen Gesundheitsanwendungen und deren noch nicht zufriedenstellende Ausarbeitung.
Mit großer Ambivalenz betrachtet auch der GKV-Spitzenverband in seiner Stellungnahme anlässlich des ersten „Geburtstags“ der DiGA die Kosten und Nutzen der Apps. Der DiGA-Report der Techniker Krankenkasse (TK) zeichnet ein ähnliches Bild: viel Potenzial, wenig Nutzen (derzeit).
Aber noch einmal auf Anfang. 2019 wurde im Digitalen-Versorgung-Gesetz (DVG) in Paragraph 33a folgende Regelung postuliert: „Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Medizinprodukten niedriger Risikoklasse, deren Hauptfunktion wesentlich auf digitalen Technologien beruht und die dazu bestimmt sind, bei den Versicherten oder in der Versorgung durch Leistungserbringer die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen zu unterstützen (digitale Gesundheitsanwendungen).“
In den vergangenen drei Jahren hatten nun die Hersteller dieser Digitalen Gesundheitsanwendungen Zeit, ihre Applikationen an diesen Gesetzestext anzupassen. Die Kritik, dass zum Beispiel eine App für Diabetiker „nur“ ein digitales Tagebuch sei, müsste auf Grund des Gesetzestextes relativiert werden, denn es wird explizit auch die Überwachung von Krankheiten als Grundlage für eine DiGA-Entwicklung genannt. Dass zwischen der Umsetzung in der Praxis und dem Wunsch der Politik zur Ausgestaltung des Gesetzes eine Diskrepanz herrscht, ist dennoch nicht von der Hand zu weisen. Aktuell dominieren Apps auf Rezept zu den Themen Angst, Panik, Depressionen, Diabetes mit je drei verschreibungsfähigen Anwendungen. Das Design der Apps ist dabei größtenteils ähnlich, da es Überwachungs – bzw. Empfehlungsfunktionen beinhaltet. Aus Sicht der Orthopädie-Technik ist die Auswahl an DiGA derzeit noch überschaubar. Der Bayreuther Hilfsmittelhersteller Medi hat gemeinsam mit der deutschen Kniegesellschaft eine DiGA für Patient:innen mit vorderem Knieschmerz herausgebracht. Dort können Angaben zu Schmerz- und Belastungsempfinden eingegeben werden und basierend darauf wird der bewegungstherapeutische Trainingsplan angepasst.
Grundsätzlich wird den digitalen Anwendungen allerdings ein entsprechendes Potential zugesprochen. Vor allem, dass Patient:innen in ihrer Gesundheitskompetenz gestärkt werden und so bei Entscheidungen zur eigenen Therapie entsprechend eine Mitsprachemöglichkeit haben, die sie ohne die durch die DiGA erworbenen Kompetenzen nicht hätten.
Konkrete Kritikpunkte aus Sicht der Kostenträger sind vor allem die hohen Kosten, begrenzte Kontrolle sowie fehlender Nachweis der Wirksamkeit. Rund 400 Euro entfallen pro Quartal im Durchschnitt auf die Erstattung einer DiGA, bei einer nicht immer gegebenen Kontrolle, ob die Patient:innen überhaupt das Produkt nutzen. Außerdem ist die ungebundene Preisfestlegung durch den Hersteller im ersten Jahr den Krankenkassen ein Dorn im Auge. Erst ab dem zweiten Jahr und der dauerhaften Übernahme in das DiGA-Verzeichnis verhandeln Krankenkassen und Entwickler/Hersteller über einen Preis. Natürlich ist es gerade zu Beginn eines solchen digitalen Projekts wichtig, die Einstiegshürden niedrig zu halten. Der im ersten Jahr veranschlagte Preis soll die Investitionen decken, die nötig sind, um erst einmal in den Markt zu kommen. Der Gesetzgeber muss sich aber fragen, ob er damit nicht falsche Anreize setzt für die dauerhafte Entwicklung von DiGA. Auch das sogenannte Fast-Track-Verfahren stößt an der einen oder anderen Stelle auf Kritik. Der Nutzen, so eine Forderung der Kostenträgerseite, sollte bewiesen sein, bevor eine Finanzierung durch die Mittel von Krankenkassen erfolgt.
Auch auf der OTWorld 2022 wurde an dem einen oder anderen Stand über die Digitalen Gesundheitsanwendungen gesprochen. Wie konkret die Pläne werden, das wird die Zukunft zeigen. Fakt ist: Die DiGA alleine wird in einer digitalisierten Gesundheitsversorgung nicht erfolgreich sein. Dafür bedarf es der Etablierung weiterer digitaler Komponenten, die dann gemeinsam das Potential der Digitalisierung ausschöpfen.
Heiko Cordes
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