Stan­dar­di­sie­rungs­mög­lich­kei­ten der Kor­sett­ver­sor­gung nach Chê­neau durch CAD – Chan­cen und Risiken

H.-R. Weiß
Mittlerweile wird die Behandlung der idiopathischen Skoliose mit einem Korsett als wirksam angesehen. Die Wirkungsweise der modernen Chêneau-Versorgung geht jedoch weit über die Beherrschung der Krümmungszunahme im Wachstumsalter hinaus. Mittlerweile ist belegt, dass auch bei Krümmungen jenseits der 50°-Grenze bedeutsame kosmetische Korrekturen der Rumpfasymmetrie möglich sind. Die Entwicklung des Chêneau-Korsetts vom Gipsmodell zur CAD/CAM-basierten Versorgung kann nach neuesten Erkenntnissen zu einer Verbesserung des Versorgungsstandards beitragen. Mit der CAD/CAM-Technik besteht die Möglichkeit einer Versorgung innerhalb weniger Tage. Ohne erprobte Bibliothek und ohne Supervision durch einen Spezialisten hat eine solche Versorgung hingegen keine Vorteile für den Patienten.

Ein­lei­tung

Mitt­ler­wei­le wird die Behand­lung der idio­pa­thi­schen Sko­lio­se mit einem Kor­sett als wirk­sam ange­se­hen. Durch ein Coch­ra­ne Review 1 konn­te des­sen Wirk­sam­keit schon 2010 bestä­tigt wer­den. Ganz aktu­ell ist eine ran­do­mi­sier­te kon­trol­lier­te Unter­su­chung (RCT) aus Nord­ame­ri­ka 2. Die­ser Stu­die lagen die von der Sco­lio­sis Rese­arch Socie­ty (SRS) emp­foh­le­nen Ein­schluss­kri­te­ri­en zugrun­de 3. Die Erfolgs­ra­te (kei­ne Krüm­mungs­zu­nah­me von mehr als 5° Cobb) lag in die­ser Unter­su­chung mit eher sym­me­tri­schen Kor­set­ten aus den USA und Kana­da (TLSO) bei ca. 72 %.

In zwei retro­spek­ti­ven Unter­su­chun­gen aus Deutsch­land 4 und aus Ita­li­en 5 (bei­de eben­falls mit den SRS-Ein­schluss­kri­te­ri­en) mit Kor­set­ten asym­me­tri­scher Bau­wei­se lag die Erfolgs­ra­te bei über 95 %. Den bei­den zuletzt genann­ten Unter­su­chun­gen lag die Anwen­dung der Kor­rek­tur­prin­zi­pi­en nach Chê­neau zugrun­de. Zwar sind die zitier­ten Stu­di­en nicht voll­um­fäng­lich ver­gleich­bar, da sie nicht das glei­che Stu­di­en­de­sign auf­wei­sen, den­noch ist der Unter­schied in der Erfolgs­ra­te bei glei­chen Ein­schluss­kri­te­ri­en sicher­lich bedeut­sam. Asym­me­tri­sche (mus­ter­ge­naue) Kor­set­te sind offen­bar sym­me­tri­schen (oder unspe­zi­fi­schen) Kor­set­ten hin­sicht­lich der Ergeb­nis­se über­le­gen. Es stellt sich daher die Fra­ge, wie man für die Betrof­fe­nen den best­mög­li­chen Behand­lungs­er­folg garan­tie­ren kann, opfern die­se doch einen erheb­li­chen Teil ihrer Lebens­qua­li­tät der Korsettbehandlung.

Das Chê­neau-Kor­sett kann als ursprüng­li­cher Ver­tre­ter der asym­me­tri­schen Bau­rei­hen ange­se­hen wer­den. Es kann ent­we­der indi­vi­du­ell nach Gips­ab­druck model­liert und tief­ge­zo­gen wer­den oder nach den indi­vi­du­el­len Maßen bzw. Scan­da­ten als CAD/­CAM-Modell (Com­pu­ter Aided Design/Computer Aided Manu­fac­tu­ring) gefräst und tief­ge­zo­gen werden.

Der­zeit gibt es meh­re­re CAD-Bau­rei­hen, wel­che auf die ursprüng­lich von Dr. Jac­ques Chê­neau ent­wi­ckel­ten Kor­rek­tur­prin­zi­pi­en zurück­ge­hen. Bevor wir uns den Chan­cen und Risi­ken der CAD-basier­ten Chê­neau-Kor­set­te wid­men, soll zunächst die Ent­wick­lung des Chê­neau-Kor­setts kurz umris­sen werden.

Die Ent­wick­lung der Chê­neau-Kor­sett­ver­sor­gung beginnt in den 70er Jah­ren in Münster/Westfalen. An der dor­ti­gen Uni­ver­si­täts­kli­nik wur­de aus den Gieß­harz­ver­sor­gun­gen Chê­ne­aus das Chêneau-Toulouse-Münster-(CTM-)Korsett aus Poly­ethy­len ent­wi­ckelt 6. Die Ent­wick­lung des Chê­neau-Kor­setts ist aller­dings auch eng mit der Drei­di­men­sio­na­len Sko­lio­se­be­hand­lung nach Katha­ri­na Schroth ver­wo­ben. Schon in den 70er Jah­ren besuch­te Dr. Chê­neau Katha­ri­na Schroth und ihre Toch­ter, Chris­ta Leh­nert-Schroth, in deren Sana­to­ri­um in Sobern­heim. Wäh­rend die­ser Zeit lern­te Chê­neau viel über das sko­lio­ti­sche Atem­mus­ter und des­sen Kor­rek­tur durch Phy­sio­the­ra­pie (Dreh-Win­kel-Atmung).

Mit die­sen Erkennt­nis­sen wur­den die Frei­räu­me der dama­li­gen Chê­neau-Orthe­se ver­bes­sert. Chê­neau lern­te auch die Mus­ter­klas­si­fi­ka­ti­on nach Leh­nert-Schroth ken­nen, die er sich zu eigen mach­te und bei den regel­mä­ßi­gen Kur­sen in den 90er Jah­ren als Stan­dard ver­wen­de­te 7 8 9 10. Die­se Mus­ter­klas­si­fi­ka­ti­on wird auch heu­te noch ver­wen­det. Der Autor hat die­se aller­dings 2010 aus­ge­wei­tet, um die CAD/­CAM-Ver­sor­gung wei­ter dif­fe­ren­zie­ren und ver­bes­sern zu kön­nen 11.

Vor­läu­fer der heu­te vom Autor ange­wen­de­ten CAD-/CAM-Ver­sor­gun­gen waren eige­ne Modi­fi­ka­tio­nen, nach­dem das von Chê­neau emp­foh­le­ne Modell 2000 nicht die gewohn­ten Kor­rek­tu­ren ermög­lich­te. Es war immer ein Anlie­gen des Autors, die Kor­set­te für die Pati­en­ten klei­ner und ange­neh­mer zu machen. Somit wur­de ab 2001 bei der eige­nen Wei­ter­ent­wick­lung zunächst – ent­ge­gen der Mei­nung Chê­ne­aus – grund­sätz­lich eine Becken­hälf­te weg­ge­las­sen (Abb. 1) 12. Spä­ter folg­te die Ent­wick­lung der Chê­neau-light-Model­le 13. Im Jahr 2009 schließ­lich begann die Ent­wick­lung einer eige­nen CAD-Serie (Gen­sin­gen Brace nach Dr. Weiss® – GBW) mit noch­mals opti­mier­ter Sagit­tal­kor­rek­tur 14. Mit der eige­nen Biblio­thek ist es dem Autor nun mög­lich, sei­ne Erfah­run­gen aus mehr als 30.000 Ver­sor­gun­gen ein­flie­ßen zu las­sen und wei­te­re Ent­wick­lungs­schrit­te in Rich­tung eines klei­ne­ren und bei best­mög­li­cher Kor­rek­tur ange­neh­me­ren Kor­setts zu machen (Abb. 2).

Die wis­sen­schaft­li­chen Grund­la­gen der Chêneau-Korsettversorgung

Im Jahr 1985 wur­de die ers­te Stu­die zum Chê­neau-Kor­sett mit den End­ergeb­nis­sen nach Kor­sett­ab­schu­lung von Hopf und Hei­ne ver­öf­fent­licht 15. Die­se Stu­die hat­te kei­ne Kon­troll­grup­pe; aller­dings wur­den die Kor­rek­tur­ef­fek­te der dama­li­gen Chê­neau-Ver­sor­gun­gen ange­ge­ben. Die­se kön­nen mit den heu­te erziel­ten ver­gli­chen wer­den. Spä­ter gab es noch eine Rei­he von Ver­öf­fent­li­chun­gen zum Chê­neau-Kor­sett mit ver­gleich­ba­ren Kor­rek­tur­er­geb­nis­sen 16. Schon damals waren die Kor­rek­tur­ef­fek­te beim Chê­neau-Kor­sett denen beim eher sym­me­trisch gebau­ten Bos­ton Brace klar über­le­gen 17.

In letz­ter Zeit haben sich die Kor­rek­tur­er­geb­nis­se beim Chê­neau-Kor­sett unter­schied­li­cher Bau­rei­hen noch stei­gern las­sen (Tab. 1 aus 18). Inter­es­sant sind auch die End­ergeb­nis­se der zuletzt ver­öf­fent­lich­ten Unter­su­chun­gen: Lag die Erfolgs­quo­te (kei­ne nach­ge­wie­se­ne Pro­gres­si­on) beim Stan­dard 1999/2000 in einer pro­spek­ti­ven Stu­die noch bei ca. 80 % 19; so kön­nen wir heu­te mit modi­fi­zier­ten Chê­neau-Kor­set­ten aktu­el­len Stan­dards nach zwei unab­hän­gi­gen Unter­su­chun­gen davon aus­ge­hen, dass die Erfolgs­quo­te bei über 95 % liegt 20 21.

Die bei­den letzt­ge­nann­ten Stu­di­en sind zwar retro­spek­tiv, berück­sich­ti­gen jedoch die von der Sco­lio­sis Rese­arch Socie­ty (SRS) emp­foh­le­nen Ein­schluss­kri­te­ri­en 22. Den­noch lie­gen die End­ergeb­nis­se weit über denen der ran­do­mi­sier­ten Stu­die aus Nord­ame­ri­ka mit einer Erfolgs­ra­te von 72 %, die dort bereits als Nach­weis für die Wirk­sam­keit von Sko­lio­se-Orthe­sen gefei­ert wird 23.

Die Wir­kungs­wei­se der moder­nen Chê­neau-Ver­sor­gung geht jedoch über die Beherr­schung der Krüm­mungs­zu­nah­me oder über mög­li­che Krüm­mungs­kor­rek­tu­ren im Wachs­tums­al­ter (Abb. 3) hin­aus 24. Mitt­ler­wei­le ist belegt, dass auch bei Krüm­mun­gen jen­seits der 50°-Grenze bedeut­sa­me kos­me­ti­sche Kor­rek­tu­ren der Rumpf­asym­me­trie mög­lich sind (Abb. 4) 25.

Chan­cen der CAD-basier­ten Chêneau-Versorgung

Die Fer­ti­gung nach Gips­ab­druck ist auch heu­te noch weit ver­brei­tet. Sie ist kaum stan­dar­di­sier­bar, weil jedes Kor­sett von Neu­em model­liert und auf­ge­baut wird. Die Varia­bi­li­tät ist dem­entspre­chend groß und kann bei guten Tech­ni­kern zwi­schen „befrie­di­gend” und „sehr gut” lie­gen; bei Tech­ni­kern ohne ent­spre­chen­de Erfah­rung wird das Ergeb­nis die Note „befrie­di­gend” sel­ten errei­chen. Dabei ist es für die Betrof­fe­nen wich­tig, einen opti­ma­len Kor­rek­tur­ef­fekt und gleich­zei­tig ein Höchst­maß an Kom­fort zu erzie­len. Nur bei gutem Kor­rek­tur­er­geb­nis in Ver­bin­dung mit einer opti­ma­len Tra­ge­zeit ist bekannt­lich das best­mög­li­che Behand­lungs­er­geb­nis zu erwar­ten 26.

Die Fer­ti­gung von Chê­neau-Orthe­sen nach den indi­vi­du­el­len Maßen bzw. Scan-Daten als CAD/­CAM-Ver­sor­gung kann hin­ge­gen unter bestimm­ten Bedin­gun­gen eine hohe Ver­sor­gungs­si­cher­heit bie­ten. Vor­aus­set­zung hier­für ist ers­tens eine eva­lu­ier­te Kor­sett­bi­blio­thek, zwei­tens die Super­vi­si­on durch einen Spe­zia­lis­ten und drit­tens ein ver­zer­rungs­frei­es Pro­gramm zur Größenanpassung.

Der Kor­rek­tur­ef­fekt in der Orthe­se und die Com­pli­ance der Pati­en­ten bestim­men maß­geb­lich das End­re­sul­tat 27. Eine nach den neu­es­ten Erkennt­nis­sen gear­bei­te­te mus­ter­ge­naue Orthe­se sorgt für den (drei­di­men­sio­na­len) Kor­rek­tur­ef­fekt. Bequem­lich­keit und Unauf­fäl­lig­keit einer Orthe­se tra­gen neben einer psy­cho­lo­gisch geschick­ten Pati­en­ten­füh­rung zu einer best­mög­li­chen Com­pli­ance bei. Bequem kann eine Orthe­se nur sein, wenn Kom­pres­si­ons­ef­fek­te aus­ge­schlos­sen wer­den. Dies lässt sich mit der ste­ten Pro­dukt­ent­wick­lung CAD-basier­ter Orthe­sen durch Ver­bes­se­run­gen der CAD-Biblio­thek gewähr­leis­ten. Auch die Ver­klei­ne­rung der Orthe­se, eine Reduk­ti­on auf das abso­lut Not­wen­di­ge, lässt sich wäh­rend der Ent­wick­lungs­pha­se verwirklichen.

Die Mus­ter­bi­blio­thek des Gen­sin­gen Brace nach Dr. Weiss® (GBW) besteht aus 7 Grund­mus­tern (Abb. 5). Die­se wur­den aus der Aug­men­tier­ten Lehnert-Schroth-(ALS-)Klassifikation abge­lei­tet 28. Weni­ger häu­fig wie­der­keh­ren­de Son­der­for­men sind zusätz­lich hin­ter­legt. Hier­durch ist die Mehr­zahl der mög­li­chen Krüm­mungs­mus­ter abge­deckt (ca. 90 %).

Für die rest­li­chen ca. 10 % kann nach Modell­aus­wahl und Grö­ßen­an­pas­sung eines (dem Mus­ter des Pati­en­ten nahe­kom­men­den) Grund­mo­dells eine Nach­be­ar­bei­tung und Opti­mie­rung mit einem Spe­zi­al­pro­gramm am Com­pu­ter erfol­gen. Dadurch kann man auch bei sel­te­nen Krüm­mungs­mus­tern einen opti­ma­len Kor­rek­tur­ef­fekt erzie­len. Die­ser steht in Abhän­gig­keit von den beschrie­be­nen Fak­to­ren, die das Kor­rek­tur­er­geb­nis beein­flus­sen 29. Somit ist eine höchst indi­vi­du­el­le Kor­sett­ver­sor­gung auch mit weni­gen Grund­mus­tern möglich.

Mit der CAD-basier­ten Orthe­sen­ver­sor­gung ist bei Ver­wen­dung einer geeig­ne­ten Biblio­thek gesam­mel­tes und bewähr­tes Wis­sen jeder­zeit und aller­or­ten ver­füg­bar. Eine sol­che Ver­sor­gung ist nicht von der Tages­form oder der Lern­kur­ve des Tech­ni­kers abhän­gig. Wenig spe­zia­li­sier­te Sani­täts­häu­ser haben auf die­se Wei­se Zugriff auf stan­dar­di­sier­te und in der Pra­xis erprob­te Modelle.

Ein wei­te­rer Vor­teil der moder­nen CAD/­CAM-Tech­nik liegt in der Ver­sor­gungs­ge­schwin­dig­keit. In der Pra­xis des Autors wer­den regel­mä­ßig Pati­en­ten aus dem Aus­land ver­sorgt (Ita­li­en, Eng­land, Nie­der­lan­de, Russ­land, USA, Neu­see­land). Die­sen Pati­en­ten kön­nen wir mit der CAD/­CAM-Tech­nik einen Over-Night-Ser­vice anbie­ten. Am Tag nach der Unter­su­chung wird das Kor­sett ange­passt. Auch in den USA in der Pra­xis von Dr. Marc Mora­ma­r­co wird das GBW über Nacht ange­passt, manch­mal sogar am sel­ben Tag. Auch dort rei­sen die Pati­en­ten aus allen Bun­des­staa­ten an.

Risi­ken der CAD-basier­ten Chêneau-Versorgung

Trotz aller Vor­tei­le blei­ben auch bei der CAD/­CAM-Ver­sor­gung Feh­ler­quel­len. Die­se sind in der Regel auf ein fal­sches Design (z. B. „Flat­back Design”), auf man­gel­haf­te Form­ge­bung oder auch ein­fach auf eine fal­sche Mus­ter­aus­wahl zurückzuführen.

Die Bedeu­tung des Sagit­tal­pro­fils in der Ver­sor­gung idio­pa­thi­scher Sko­lio­sen – was spricht gegen ein „Flat­back Design”?

Es gibt in Deutsch­land CAD-Bau­rei­hen, wel­che die Kor­rek­tur des Sagit­tal­pro­fils ver­nach­läs­si­gen bzw. die­ses gar noch in Rich­tung Flach­rü­cken und LWS-Kypho­se ver­stär­ken („Flat­back Design”). Daher kann man sol­che Orthe­sen eigent­lich nur für tho­ra­ka­le Kyphos­ko­lio­sen emp­feh­len (Abb. 6).

Die Mehr­heit der Sko­lio­sen ist idio­pa­thisch (80 bis 90 %). Die­se sind dadurch gekenn­zeich­net, dass sich bei Tho­ra­kalk­rüm­mun­gen ein Flach­rü­cken ent­wi­ckelt. Lum­balk­rüm­mun­gen füh­ren zu einer Redu­zie­rung der lum­ba­len Lor­do­se bis hin zu einer lum­ba­len Kypho­se. Der Abfla­chung des Sagit­tal­pro­fils muss man daher in der Orthe­se mit einer Akzen­tu­ie­rung des Sagit­tal­pro­fils begeg­nen, wenn man die Defor­mi­tät in allen drei Ebe­nen fol­ge­rich­tig kor­ri­gie­ren will.

Durch meh­re­re Stu­di­en wur­de belegt, dass allei­ne die Relor­do­sie­rung der obe­ren LWS auch zu einer Kor­rek­tur der Seit­ver­bie­gung bei­trägt. In einer Fall­stu­die 30 und einer Stu­die mit einer Klein­se­rie 31 konn­te belegt wer­den, dass Sko­lio­sen durch ein­fa­che Relor­do­sie­rung der obe­ren LWS kor­ri­giert wer­den kön­nen. Zuletzt haben van Loon und Mit­ar­bei­ter 32 die­se Erkennt­nis­se mit einer umfas­sen­de­ren Rönt­gen­stu­die bestä­tigt. Schon des­halb ver­bie­tet sich heut­zu­ta­ge die Anwen­dung lum­bal ent­lor­do­sie­ren­der Orthe­sen bei der Behand­lung der idio­pa­thi­schen Sko­lio­se. Erschwe­rend kommt hin­zu, dass eine Reduk­ti­on der lum­ba­len Lor­do­se eng mit dem Auf­tre­ten chro­ni­fi­zier­ter Rücken­schmer­zen im Erwach­se­nen­al­ter kor­re­liert 33 34.

Man­gel­haf­te Formgebung

Die Form­ge­bung eines Kor­setts bezieht sich auf die Aus­prä­gung ein­zel­ner Berei­che eines Kor­sett­mo­dells. Die Chan­cen einer Biblio­thek ber­gen hin­sicht­lich der Form­ge­bung auch Risi­ken: Nicht erkann­te sys­te­ma­ti­sche Feh­ler wer­den von Kor­sett zu Kor­sett mit­ge­schleppt. Ein sol­cher sys­te­ma­ti­scher Feh­ler ist dem Autor immer wie­der begeg­net: die man­gel­haf­te Rota­ti­ons­sta­bi­li­tät der Kor­set­te einer CAD-Serie.

Eine hori­zon­ta­le Rota­ti­ons­in­sta­bi­li­tät (Kor­sett­ver­dre­hung) ent­steht meist durch einen man­gel­haft oder gar nicht aus­ge­präg­ten Stopp-Punkt (Punkt 37 nach Chê­neau) oder durch eine feh­ler­haf­te Balan­ce zwi­schen ande­ren Druck­zo­nen. Hier­bei dreht sich das Kor­sett meist auf der Rip­pen­bu­ckel­sei­te nach hin­ten. Der Rip­pen­bu­ckel fin­det dann in dem einst ven­tral ein­ge­rich­te­ten und nun late­ral ste­hen­den Frei­raum (s. auch Abb. 5 unten rechts) Platz. Die ein­gangs noch gute Kor­rek­tur­wir­kung geht dadurch ver­lo­ren. In man­chen Ver­sor­gungs­rei­hen tritt die­ses Pro­blem regel­haft auf und muss auf eine sys­te­ma­tisch feh­ler­haf­te Form­ge­bung zurück­ge­führt wer­den (Abb. 7).

Ein feh­len­der oder zu gerin­ger „Side Shift” oder auch zu wenig gebo­ge­ne, zu wenig „gespie­gel­te” For­men füh­ren zu einem gerin­gen Kor­rek­tur­ef­fekt. Auch wenn alle Druck­zo­nen auf der rich­ti­gen Höhe sind, muss man eine sol­che Orthe­se erneu­ern oder wenigs­tens umfas­send ändern. Dann sind mit­un­ter auch Ideen des spe­zia­li­sier­ten Arz­tes gefragt, um eine bestehen­de Ver­sor­gung zu opti­mie­ren (Abb. 8).

Krüm­mungs­mus­ter und Korsettauswahl

Die ursprüng­li­che Chê­neau-Ver­sor­gung basier­te auf der ein­fa­chen Klas­si­fi­zie­rung nach Leh­nert-Schroth 35 36. Chê­neau pro­pa­gier­te ursprüng­lich einen Kor­sett-Typ für Krüm­mun­gen mit einem tho­ra­ka­len Haupt­bo­gen (3‑bogig) und einen wei­te­ren für dop­pel­bo­gi­ge Krüm­mun­gen oder lum­bal domi­nier­te Krüm­mun­gen (4‑bogig). Die­se ein­fa­che Klas­si­fi­zie­rung nach Leh­nert-Schroth ist auch heu­te noch für die befund­ge­rech­te Phy­sio­the­ra­pie aus­rei­chend. Für eine mus­ter­ge­naue Ver­sor­gung mit kor­ri­gie­ren­den Rumpfor­the­sen dage­gen ist eine wei­te­re Aus­dif­fe­ren­zie­rung die­ser Klas­si­fi­ka­ti­on notwendig.

Je mehr Wachs­tums­er­war­tung ein Pati­ent hat, des­to mus­ter­ge­nau­er muss man ver­sor­gen, um nicht zu einer Pro­gres­si­on von Neben­krüm­mun­gen bei­zu­tra­gen. Das Kor­sett­mo­dell muss bei star­ker Wachs­tums­er­war­tung das Krüm­mungs­mus­ter exakt spie­geln, um eine Pro­gre­di­enz von Neben­krüm­mun­gen sicher zu ver­mei­den (Abb. 9). Abbil­dung 10 gibt einen ursprüng­lich guten Behand­lungs­ver­lauf wie­der, der durch eine unsach­ge­mä­ße Wei­ter­ver­sor­gung zunich­te gemacht wor­den ist.

Je rei­fer ein Pati­ent ist, des­to mehr soll­te man sich auf eine best­mög­li­che Kor­rek­tur der Haupt­krüm­mung kon­zen­trie­ren. In man­chen Fäl­len wird die Neben­krüm­mung bewusst ver­nach­läs­sigt. Eine sol­che Behand­lungs­steue­rung ver­langt gro­ße Behand­lungs­er­fah­rung und kann nur von einem spe­zia­li­sier­ten Fach­arzt gewähr­leis­tet wer­den. Gegen Ende des Wachs­tums muss vor­dring­lich die sta­ti­sche Fehl­aus­rich­tung des Rump­fes (Dekom­pen­sa­ti­on) gespie­gelt wer­den. Nur so erreicht man ein aus­ba­lan­cier­tes End­re­sul­tat. Ein sol­ches ist ers­tens kos­me­tisch am schöns­ten, hat zwei­tens das gerings­te Risi­ko einer Krüm­mungs­zu­nah­me nach Wachs­tums­ab­schluss und nach Erfah­rung des Autors drit­tens auch ein gerin­ge­res Schmerz­ri­si­ko im Erwach­se­nen­al­ter 37 38.

Bei Ver­wen­dung des CAD-Ver­fah­rens zur Indi­vi­du­al­an­wen­dung ohne aus­ge­reif­te Biblio­thek ent­ste­hen für die Pati­en­ten kei­ne Vor­tei­le gegen­über einer Ver­sor­gung nach Gips­ab­druck – bis auf den Weg­fall des für den Pati­en­ten unan­ge­neh­men Gips­ab­drucks. Weder Design noch Form­ge­bung oder Mus­ter­aus­wahl sind stan­dar­di­siert. Erst nach einer mehr­jäh­ri­gen Lern­kur­ve sind über­durch­schnitt­li­che Kor­set­te möglich.

Mit jed­we­der durch­schnitt­li­chen oder unter­durch­schnitt­li­chen Indi­vi­du­al­an­wen­dung ent­hält man sei­nen Pati­en­ten die aktu­ell best­mög­li­che Ver­sor­gung vor – mit für den Pati­en­ten meist unan­ge­neh­men Fol­gen. Ent­spre­chen­de Erleb­nis­be­rich­te sind im Sko­lio­se-Rat­ge­ber des Autors wie­der­ge­ge­ben 39 40. Regel­haft unter­durch­schnitt­li­che Ergeb­nis­se, Schmer­zen in der Orthe­se, eine unnö­tig lan­ge Tra­ge­zeit, man­geln­der Kom­fort und unnö­ti­ge Behin­de­run­gen im All­tag kön­nen heu­te leicht ver­mie­den werden.

Der Autor:
Dr. med. Hans-Rudolf Weiß
Ortho­pä­die, Phy­si­ka­li­sche und Reha­bi­li­ta­ti­ve Medizin,
Chi­ro­the­ra­pie, Phy­si­ka­li­sche Therapie
Gesund­heits­fo­rum Nahetal
Alzey­er Stra­ße 23
55457 Gen­sin­gen
hr.weiss@skoliose-dr-weiss.com

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

Zita­ti­on
Weiß HR. Stan­dar­di­sie­rungs­mög­lich­kei­ten der Kor­sett­ver­sor­gung nach Chê­neau durch CAD – Chan­cen und Risi­ken. Ortho­pä­die Tech­nik, 2014; 65 (4): 46–54
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