Quer­schnitt­lä­si­on im Alter – wel­che Ver­sor­gungs­mög­lich­keit ist wann indiziert?

G. Kerry, H.-H. Steiner
Nach einer traumatischen Rückenmarkverletzung bleibt die funktionelle Erholung der neuralen Strukturen ungewiss; jedoch liegen in manchen Fällen harte Kriterien vor, die eine schnelle operative Versorgung auch bei älteren Patienten bei internistischer Stabilität unabdingbar machen. Durch eine evidenzbasierte umfassende Evaluation der verschiedenen Therapiemöglichkeiten und eine effiziente multidisziplinäre präoperative Vorbereitung können Lebensqualität und Autonomie älterer querschnittgelähmter Patienten positiv beeinflusst werden.

Ein­lei­tung

Der medi­zi­ni­sche Fort­schritt sowie ein gesund­heits­be­wuss­te­rer Lebens­stil tra­gen unter ande­rem dazu bei, dass die Men­schen nicht nur län­ger leben, son­dern auch län­ger fit blei­ben. Die­se Aspek­te der demo­gra­fi­schen und gesund­heit­li­chen Ent­wick­lung haben Aus­wir­kun­gen auf die Kon­zep­ti­on von The­ra­pie­re­gi­men. So beein­flusst zuneh­mend das bio­lo­gi­sche Alter – anstel­le des bio­gra­fi­schen Alters – die The­ra­pie­ent­schei­dung im Allgemeinen.

Anzei­ge

Im spe­zi­el­len Fall der trau­ma­ti­schen Quer­schnitt­lä­si­on im Alter lässt sich bei der Betrach­tung der aktu­el­len Sta­tis­ti­ken unschwer eine deut­li­che Zunah­me sol­cher Ver­let­zun­gen im Lau­fe der Zeit kon­sta­tie­ren: Im Ver­gleich zu 1980 haben die jähr­li­chen Zah­len der Kran­ken­haus­auf­nah­men älte­rer Pati­en­ten (≥ 70 Jah­re) mit Rücken­mark­ver­let­zun­gen um das Fünf­fa­che zuge­nom­men 1. Auch inner­halb der gesam­ten Pati­en­ten mit trau­ma­ti­scher Rücken­mark­ver­let­zung aller Alters­klas­sen hat der Pro­zent­satz älte­rer Men­schen von 4,2 % Anfang der acht­zi­ger Jah­re auf 15,4 % in der ers­ten Hälf­te des Jahr­zehnts 2000 bis 2010 zuge­nom­men; das durch­schnitt­li­che Alter der Pati­en­ten mit Quer­schnitt­lä­sio­nen ist in der­sel­ben Zeit­pe­ri­ode von 33,7 auf 44,3 Jah­re gestie­gen 2. Lewis und Kol­le­gen pro­gnos­ti­zie­ren zudem die Mehr­heit der trau­ma­ti­schen Rücken­mark­ver­let­zun­gen im Jah­re 2032 bei Pati­en­ten über 70 Jah­ren 3. Die­se Ent­wick­lung hat im Lau­fe der Zeit ein Umden­ken inner­halb der chir­ur­gi­schen Gesell­schaf­ten in der Behand­lung trau­ma­ti­scher Rücken­mark­ver­let­zun­gen bewirkt.

Kau­sa­li­tät

Stür­ze sind die häu­figs­te Ursa­che einer trau­ma­ti­schen Rücken­mark­ver­let­zung im Alter. So ent­ste­hen 74 % der Rücken­mark­ver­let­zun­gen älte­rer Men­schen nach einem Sturz. Ver­kehrs­un­fäl­le stel­len mit 13 % die zweit­häu­figs­te Ursa­che dar 4. Wie die Sta­tis­tik zeigt, haben älte­re Per­so­nen eine deut­lich höhe­re Wahr­schein­lich­keit, eine Rücken­mar­klä­si­on nach einem Sturz­ereignis zu erlei­den, als jun­ge Men­schen. Grund dafür ist in den meis­ten Fäl­len die vor­han­de­ne dege­ne­ra­ti­ve Ver­än­de­rung der Wir­bel­säu­le, die aus einem mini­ma­len Trau­ma wie einer Hals­wir­bel­säu­len­dis­tor­si­on eine schwer­wie­gen­de Schä­di­gung der neu­r­a­len Struk­tu­ren ver­ur­sacht. So spie­len zum Bei­spiel Spinal­kanalstenose und Spondylar­throse eine wich­ti­ge Rol­le bei der Poten­zie­rung der Scha­den­ent­ste­hung am Rücken­mark. In einem engen Spinal­kanal, in dem sich im Lau­fe der Jah­re unspe­zi­fi­sches osteo­li­ga­men­tä­res Binde­gewebe gebil­det hat, hat das Rücken­mark im Fal­le einer trau­ma­be­ding­ten mecha­ni­schen Bean­spru­chung nur limi­tier­te Räu­me, um zu ent­wei­chen. So ver­ur­sacht ein Sturz­er­eig­nis bei einem älte­ren Men­schen mit dege­ne­ra­ti­ver Wir­bel­säu­le einen grö­ße­ren Scha­den als bei einer juve­ni­len Wir­bel­säu­le mit noch vor­han­de­nem Aus­weich- und Kompensierungspotenzial.

Dia­gnos­tik

Bei ana­mnes­ti­schem und kli­ni­schem Ver­dacht auf trau­ma­ti­sche Rücken­mar­klä­sio­nen erfolgt in der Regel als ers­te dia­gnos­ti­sche Metho­de eine CT-Unter­su­chung der Wir­bel­säu­le auf Höhe der ver­mu­te­ten Läsi­ons­seg­men­te zum Aus­schluss oder zur Dar­stel­lung mög­li­cher Frak­tu­ren und Dis­lo­ka­tio­nen. Bei jün­ge­ren Pati­en­ten kann die CT-Unter­su­chung beim Beweis einer dis­lo­zier­ten Frak­tur, die zur kli­nisch ver­mu­te­ten Rücken­mar­klä­si­on passt, aus­rei­chend sein. Jedoch emp­fiehlt sich bei älte­ren Pati­en­ten – trotz im CT nach­ge­wie­se­ner dis­lo­zier­ter Frak­tur – die Durch­füh­rung einer zusätz­li­chen MRT-Unter­su­chung der Läsi­ons­hö­he und der benach­bar­ten Seg­men­te zur genaue­ren Dar­stel­lung mög­li­cher dege­ne­ra­ti­ver kom­pres­si­ver Ver­än­de­run­gen der Wir­bel­säu­le auf Höhe der benach­bar­ten Seg­men­te, wel­che die The­ra­pie­ent­schei­dung und das The­ra­pie­aus­maß ent­schei­dend beein­flus­sen können.

Bei feh­len­dem Nach­weis einer knö­cher­nen kom­pres­si­ven Ver­let­zung der Wir­bel­säu­le durch die CT-Unter­su­chung ist es obli­gat, eine ergän­zen­de not­fall­mä­ßi­ge MRT-Unter­su­chung der kli­nisch ver­mu­te­ten Läsi­ons­hö­he durch­zu­füh­ren. Ergän­zend soll­ten eine Farb­du­plex­so­no­gra­fie und gege­be­nen­falls – bei feh­len­den Kon­trast­mit­tel­kon­tra­in­di­ka­tio­nen – eine CT-Angio­gra­fie der Aa. ver­te­bra­les bei late­ra­len Wir­bel­kör­per- oder Wir­bel­bo­gen­frak­tu­ren der Hals­wir­bel­säu­le zum Aus­schluss einer Dis­sek­ti­on erfol­gen. Zudem sind die Ver­let­zun­gen der inne­ren Orga­ne bei Ver­lust der Schmerz­wahr­neh­mung im Fal­le einer Quer­schnitt­lä­si­on schwie­rig zu dia­gnos­ti­zie­ren; daher ist eine schnel­le ori­en­tie­ren­de Sono­gra­fie von Tho­rax und Abdo­men bei Trau­ma­pa­ti­en­ten von gro­ßer Bedeu­tung, um mög­li­che inne­re Blu­tun­gen aus­zu­schlie­ßen, zumal die Sono­gra­fie weder zeit­auf­wen­dig noch strah­len­be­las­tend ist.

Ein­tei­lung

Quer­schnitt­ver­let­zun­gen wer­den gene­rell qua­li­ta­tiv in kom­plet­te und inkom­plet­te Läsio­nen unter­teilt. Auf­grund der Kom­ple­xi­tät der Rücken­mark­schä­di­gung und der dar­aus resul­tie­ren­den Läh­mungs­bil­der mit Aus­fall moto­ri­scher, sen­si­bler und vege­ta­ti­ver Funk­tio­nen wer­den Quer­schnitt­ver­let­zun­gen mit Hil­fe von Scoring-­Ska­len ein­ge­stuft. Die Ame­ri­can Spi­nal Inju­ry Asso­cia­ti­on (ASIA) ent­wi­ckel­te dazu eine qua­li­ta­ti­ve Klas­si­fi­zie­rung (Abb. 1), die eine brei­te Anwen­dung im prak­ti­schen All­tag fin­det. Sol­che Ska­len sind wich­ti­ge Eva­lua­ti­ons­mit­tel, die den funk­tio­nel­len Schwe­re­grad einer Rücken­mark­ver­let­zung dar­stel­len und gleich­zei­tig bei der Doku­men­ta­ti­on des The­ra­pie­er­fol­ges im Ver­lauf der Behand­lung hel­fen. In der Akut­pha­se einer trau­ma­ti­schen Quer­schnitt­lä­si­on soll­te der neu­ro­lo­gi­sche Sta­tus grund­sätz­lich eng­ma­schig kon­trol­liert und mit Hil­fe einer stan­dar­di­sier­ten Ska­la doku­men­tiert wer­den, um eine mög­li­che Ver­schlech­te­rung früh­zei­tig zu erken­nen, da die­se wie­der­um die The­ra­pie­ent­schei­dung beein­flus­sen kann.

Prä­ope­ra­ti­ve Phase

Ein wich­ti­ger Aspekt, den man bei der Lite­ra­tur­be­trach­tung fin­det, ist der ver­zö­ger­te Zeit­punkt einer ope­ra­ti­ven The­ra­pie bei älte­ren Pati­en­ten mit Quer­schnitt­sym­pto­ma­tik 5. Die­se Ver­zö­ge­rung kommt nicht durch das bio­gra­fi­sche Alter an sich zustan­de, son­dern auf­grund der meis­tens mit dem Alter ver­bun­de­nen mul­ti­plen inter­nis­ti­schen Erkran­kun­gen. Ent­ge­gen der frü­he­ren Mei­nung, dass eine direk­te Kor­re­la­ti­on zwi­schen bio­gra­fi­schem Alter und Ope­ra­ti­ons­kom­pli­ka­tio­nen besteht, zeigt die aktu­el­le Lite­ra­tur, dass das bio­lo­gi­sche Alter mit sei­nen Begleit­erkran­kun­gen die ent­schei­den­de Rol­le in der Ein­schät­zung anäs­the­sio­lo­gi­scher Ope­ra­ti­ons­ri­si­ken spielt 6.

Basie­rend auf die­ser Ent­wick­lung besteht Kon­sens dar­über, dass zur Mini­mie­rung der peri­ope­ra­ti­ven Kom­pli­ka­tio­nen die „Ope­ra­bi­li­tät älte­rer Pati­en­ten“ opti­miert wer­den soll. Auf der Ein­schät­zung des Ope­ra­ti­ons­ri­si­kos für älte­re Pati­en­ten und der Opti­mie­rung der Vor­be­rei­tung auf eine ope­ra­ti­ve The­ra­pie liegt das Haupt­au­gen­merk der inter­nis­ti­schen und anäs­the­sio­lo­gi­schen Kol­le­gen in der prä­ope­ra­ti­ven Pha­se. Für die Chir­ur­gen gilt es, mög­lichst genaue Infor­ma­tio­nen über die geplan­te Ope­ra­ti­on an die betei­lig­ten Fach­ab­tei­lun­gen wei­ter­zu­ge­ben, um eine opti­ma­le peri­ope­ra­ti­ve inter­nis­ti­sche und anäs­the­sio­lo­gi­sche Betreu­ung zu errei­chen. So gilt es wei­ter­hin als pri­mä­res Ziel, dass die Pati­en­ten die Ope­ra­tio­nen gut über­ste­hen und die OP-Risi­ken mini­miert wer­den. Dies­be­züg­lich sind in den letz­ten 20 Jah­ren enor­me Fort­schrit­te – auch in der Ent­wick­lung neu­er Ope­ra­ti­ons­tech­ni­ken – zu erken­nen, die eine mini­mal­in­va­si­ve Ope­ra­ti­on zulas­sen und OP-Dau­er und ‑Belas­tung reduzieren.

Ein wei­ter­hin kon­tro­vers dis­ku­tier­tes The­ma ist die Gabe von Ste­ro­iden in der aku­ten Pha­se eines spi­na­len Trau­mas. Der­zeit stellt Methyl­predn­iso­lon das ein­zi­ge Kor­ti­kos­te­ro­id dar, das in der Behand­lung der aku­ten trau­ma­ti­schen Quer­schnitt­lä­si­on ver­wen­det wird. Nach der aktu­el­len Lite­ra­tur­la­ge kann zwar nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass eine hoch­do­sier­te Methyl­predn­iso­lon-Gabe für bestimm­te Pati­en­ten von Vor­teil sein kann, jedoch zeigt sie Kom­pli­ka­tio­nen wie das häu­fi­ge­re Auf­tre­ten von Infek­tio­nen und Hyper­glyk­ämie. Die­se stel­len eine Kon­tra­in­di­ka­ti­on zur hoch­do­sier­ten Gabe von Methyl­predn­iso­lon bei älte­ren Pati­en­ten mit Kom­or­bi­di­tä­ten wie Dia­be­tes mel­li­tus oder Herz­in­suf­fi­zi­enz dar 7 8.

So bedarf es vor jeder hoch­do­sier­ten Methyl­predn­iso­lon-Gabe einer kri­ti­schen Ein­zel­fall­ent­schei­dung unter Berück­sich­ti­gung der Kon­tra­in­di­ka­tio­nen wie Poly­trau­ma, Schä­del-Hirn-Trau­ma, Infek­te und inter­nis­ti­sche Begleit­erkran­kun­gen. Dem­nach kann eine all­ge­mei­ne Emp­feh­lung für eine Methyl­predn­iso­lon-Gabe bei trau­ma­ti­scher Quer­schnitt­läh­mung nicht aus­ge­spro­chen wer­den; aber wenn die The­ra­pie­ent­schei­dung zuguns­ten der Ver­wen­dung von Methyl­predn­iso­lon fällt, so emp­fiehlt sich die Gabe gemäß NASCIS-Sche­ma 9.

Kri­te­ri­en und Tech­ni­ken der ope­ra­ti­ven Therapie

Das Ziel der The­ra­pie einer Wir­bel­säu­len­ver­let­zung ist die Wie­der­her­stel­lung der sta­ti­schen, dyna­mi­schen und pro­tek­ti­ven Funk­ti­on der Wir­bel­säu­le und die Dekom­pres­si­on neu­r­a­ler Struk­tu­ren. Grund­sätz­lich wird zwi­schen har­ten Kri­te­ri­en einer Wir­bel­säu­len- und Rücken­mark­ver­let­zung, die eine ope­ra­ti­ve Ver­sor­gung unab­ding­bar machen, und wei­chen Kri­te­ri­en unterschieden.

Ein har­tes Kri­te­ri­um ist die Sta­bi­li­tät der Wir­bel­säu­le: Eine insta­bi­le Wir­bel­säu­le stellt nicht nur eine zusätz­li­che enor­me Hür­de in der Reha­bi­li­ta­ti­ons­pha­se dar, die nach Sta­bi­li­täts­wie­der­her­stel­lung über­brück­bar ist, son­dern ver­ur­sacht auch rezi­di­vie­ren­de Mikro- und Makro­trau­ma­ta, die die Rücken­mark­schä­di­gung ver­schlim­mern kön­nen 10. In die­sen Fäl­len unter­schei­det sich die Indi­ka­ti­ons­stel­lung zur ope­ra­ti­ven Ver­sor­gung im Fal­le eines älte­ren Pati­en­ten nicht von einem jün­ge­ren, denn die Sta­bi­li­tät der Wir­bel­säu­le ist eine wesent­li­che alters­un­ab­hän­gi­ge Vor­aus­set­zung für die Erzie­lung der Rehabilitationsfähigkeit.

Für die Indi­ka­ti­ons­stel­lung zur ope­ra­ti­ven Ver­sor­gung an der Wir­bel­säu­le im Fal­le einer Insta­bi­li­tät lie­gen gute Klas­si­fi­ka­tio­nen vor. In Euro­pa fin­det die Klas­si­fi­ka­ti­on der Arbeits­ge­mein­schaft für Osteo­syn­the­se­fra­gen (AO-Klas­si­fi­ka­ti­on) wei­te Ver­wen­dung, wohin­ge­gen in Ame­ri­ka der Tho­ra­co­lum­bar Inju­ry Clas­si­fi­ca­ti­on and Seve­ri­ty Score (TLICS) ver­brei­te­ter ist 11 12.

Prin­zi­pi­ell rich­tet sich die Ent­schei­dung, wel­che ope­ra­ti­ve Ver­sor­gung durch­ge­führt wird, nach Aus­maß und Art der Ver­let­zung. Für die Sta­bi­li­sie­rung der dor­sa­len Säu­le reicht im Fal­le einer sta­bi­len ven­tra­len Säu­le die dor­sa­le Instru­men­tie­rung aus. Hier gewähr­leis­ten dor­sa­le Pedi­kel­schrau­ben, die mit einem Stab ver­bun­den sind, eine gute Wie­der­her­stel­lung der Sta­bi­li­tät (Abb. 2). Im Fal­le einer insta­bi­len ven­tra­len Säu­le ist hin­ge­gen eine Implan­ta­ti­on von Wir­bel­kör­per­er­satz und eine dor­so­ven­tra­le Seg­ment­ver­stei­fung indi­ziert (Abb. 3). Die ent­wi­ckel­ten mini­mal­in­va­si­ven Tech­ni­ken – zum Bei­spiel die trans­ku­ta­ne Pedi­kel­schrau­ben­im­plan­ta­ti­on oder der Wir­bel­kör­per­er­satz durch endo­sko­pi­sche Tho­ra­ko­to­mie – haben dazu geführt, dass das Wund­ge­biet und die ope­ra­ti­ons­be­ding­te Gewe­be­schä­di­gung redu­ziert wer­den und somit eine Belas­tungs­re­duk­ti­on für den Kör­per erzielt wird. Die­ser Aspekt ist ins­be­son­de­re bei älte­ren Pati­en­ten mit mul­ti­plen Begleit­erkran­kun­gen von Vor­teil. Im Fal­le einer osteo­po­ro­ti­schen Wir­bel­säu­le wer­den die implan­tier­ten Pedi­kel­schrau­ben zemen­tiert (Abb. 4). Auch hier erlaubt die Ent­wick­lung fenes­t­rier­ter Schrau­ben eine opti­ma­le Mög­lich­keit der Zementapplikation.

Die funk­tio­nel­len patho­lo­gi­schen Mecha­nis­men einer Rücken­mark­ver­let­zung kön­nen grund­sätz­lich in zwei Grup­pen sub­su­miert werden:

  1. Pri­mä­re direk­te mecha­ni­sche Rücken­mark­ver­let­zung, zum Bei­spiel druck­be­dingt durch Dis­lo­ka­ti­on von Tei­len eines Wir­bel­kör­per­seg­ments oder durch sche­ren­de oder stau­chen­de Gewalt­ein­wir­kung und Über­tra­gung der trau­ma­ti­schen phy­si­ka­li­schen Kräf­te einer Druck­wel­le im Rücken­mark. Die­ses Pri­mär­trau­ma führt zu struk­tu­rel­ler irrever­si­bler Zer­stö­rung des Rückenmarks.
  2. Sekun­dä­re Rücken­mark­schä­di­gung, zum Bei­spiel durch Per­fu­si­ons­stö­run­gen in den benach­bar­ten Rücken­mark­seg­men­ten, des­sen Aus­maß in einem direkt pro­por­tio­na­len Zusam­men­hang zum Aus­maß des Pri­mär­ereig­nis­ses steht 13.

Ziel einer ope­ra­ti­ven The­ra­pie in bei­den Fäl­len ist die Ent­las­tung der neu­r­a­len Struk­tu­ren. Auch in die­sem Bereich wur­den Ope­ra­ti­ons­tech­ni­ken ent­wi­ckelt, die mit mini­mal­in­va­si­ven „Schlüs­sel­loch-“ oder mikro­sko­pi­schen Metho­den eine gute Ent­las­tung errei­chen. Die­se Ent­wick­lung der ope­ra­ti­ven Metho­den spie­gelt sich in der Lite­ra­tur wider. So fin­den wir im Jah­re 1949 die Lami­nek­to­mie als füh­ren­de Ope­ra­ti­ons­tech­nik zur Rücken­mark­ent­las­tung; hin­ge­gen wird die­se Tech­nik heut­zu­ta­ge nicht mehr favo­ri­siert. Es wer­den heu­te moder­ne ent­las­ten­de Ope­ra­ti­ons­tech­ni­ken mit deut­lich weni­ger Gewebs­zer­stö­rung ange­wen­det, etwa die mikro­chir­ur­gi­sche oder endo­sko­pi­sche Dekom­pres­si­on mit­tels Lami­no­to­mie oder die Cross­over-Tech­nik, die eine beid­sei­ti­ge Ent­las­tung durch einen ein­sei­ti­gen Zugang erlaubt. Auch Lami­no­plas­tie und Dura­erweiterungsplastik sind im Lau­fe die­ser Ent­wick­lungs­rich­tung weni­ger inva­siv gewor­den und wer­den bei älte­ren Pati­en­ten zuneh­mend ein­ge­setzt (Abb. 5).

Die ope­ra­ti­ve The­ra­pie ist unab­ding­bar im Fal­le von Wir­bel­säu­len­in­sta­bi­li­tät und/oder Rücken­mark­kom­pres­si­on mit pro­gre­di­en­ter inkom­plet­ter Quer­schnitt­sym­pto­ma­tik. In die­sen Fäl­len besteht ein brei­ter Kon­sens, dass die ope­ra­ti­ve Ver­sor­gung bei älte­ren Pati­en­ten eine drin­gen­de Indi­ka­ti­on und in den Fäl­len suk­zes­si­ver neu­ro­lo­gi­scher Ver­schlech­te­rung eine Not­fall­in­di­ka­ti­on dar­stellt. Dage­gen ist es bei der Indi­ka­ti­ons­stel­lung zur ope­ra­ti­ven The­ra­pie bei sta­bi­len, jedoch dege­ne­ra­ti­ven Wir­bel­säu­len mit post­trau­ma­ti­schen Quer­schnitt­ver­let­zun­gen schwie­ri­ger, einen Kon­sens zu fin­den 14 15. In die­sen Fäl­len ist die Eva­lua­ti­on der poten­zi­el­len Vor­tei­le einer Dekom­pres­si­on der neu­r­a­len Struk­tu­ren ent­schei­dend für die Indi­ka­ti­ons­stel­lung einer ope­ra­ti­ven The­ra­pie. Die Dyna­mik des post­trau­ma­ti­schen neu­ro­lo­gi­schen Sta­tus spielt hier die ent­schei­den­de Rol­le in der Eva­lua­ti­on. So wer­den Pati­en­ten mit kom­pri­mie­ren­der Spi­nal­ka­nals­teno­se und zuneh­men­der neu­ro­lo­gi­scher post­trau­ma­ti­scher Ver­schlech­te­rung von einer Dekom­pres­si­on des Spi­nal­ka­nals mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit pro­fi­tie­ren (Abb. 6). Auch wenn die neu­ro­lo­gi­sche Erho­lung des Rücken­marks unge­wiss bleibt, ent­fernt eine aus­rei­chen­de Dekom­pres­si­on die schä­di­gungs­be­güns­ti­gen­de Ursa­che und been­det in den meis­ten Fäl­len die Ver­schlech­te­rungs­dy­na­mik. Auch in den Fäl­len, in denen eine kom­plet­te Querschnitt­läsion besteht, kann die Dekom­pres­si­on per­fu­si­ons­be­ding­te Sekun­där­schä­den verhindern.

Hin­ge­gen ist in Fäl­len einer spon­ta­nen Erho­lung und eines Rück­gangs der Anfangs­sym­pto­ma­tik ein abwar­ten­des Vor­ge­hen zu emp­feh­len, zugleich, ob Mye­lo­pa­thie-Signa­le vor­lie­gen oder nicht. Hier kann eine ope­ra­ti­ve Behand­lung der Spi­nal­ka­nals­teno­se im Ver­lauf elek­tiv geplant und die kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie bei vor­han­de­nen Erho­lungs­ten­den­zen zu Ende geführt werden.

Ope­ra­ti­ve Behand­lung von Spätfolgen

Wei­te­re neu­ro­chir­ur­gi­sche Aspek­te der ope­ra­ti­ven Behand­lung trau­ma­ti­scher Quer­schnitt­lä­sio­nen und deren Spät­fol­gen sind die ope­ra­ti­ve The­ra­pie der post­trau­ma­ti­schen Syrin­go­mye­lie und die der spas­ti­schen Läh­mung. Obwohl mehr als die Hälf­te aller Pati­en­ten mit Quer­schnitt­lä­sio­nen an der Ver­let­zungs­stel­le eine Zys­te – meis­tens ohne Dyna­mik oder Wachs­tumsten­denz – im Rücken­mark ent­wi­ckeln, ent­steht eine sym­pto­ma­ti­sche post­trau­ma­ti­sche Syrin­go­mye­lie bei ca. 4 % der Pati­en­ten inner­halb von 6 Mona­ten bis zu meh­re­ren Jah­ren. Die Ent­ste­hungs­me­cha­nis­men der post­trau­ma­ti­schen Syrin­go­mye­lie sind nicht gänz­lich geklärt; jedoch wird ein mul­ti­fak­to­ri­el­les Gesche­hen pos­tu­liert, in dem resi­du­el­le Kypho­sen der Wir­bel­säu­le, Ein­engun­gen des Spi­nal­ka­nals, intra­me­dul­lä­re Häma­to­me, vas­ku­lä­re Dys­re­gu­la­ti­on und gestör­te Liqu­or-Dyna­mik mit­ein­an­der zusam­men­hän­gen­de Rol­len spie­len. Bei sym­pto­ma­ti­scher Syrin­go­mye­lie und pro­gre­di­en­ter neu­ro­lo­gi­scher Befund­ver­schlech­te­rung ist eine ope­ra­ti­ve The­ra­pie ange­zeigt 16 17. Die ope­ra­ti­ve The­ra­pie der Syrin­go­mye­lie zielt in ers­ter Linie auf die Besei­ti­gung der Ursa­che – falls iden­ti­fi­zier­bar – ab, um ein Fort­schrei­ten der Erkran­kung zu ver­hin­dern; dabei ist eine genaue Dia­gnos­tik mit voll­stän­di­ger Dar­stel­lung des kra­nia­len und kau­da­len Endes der Syrinx obli­gat. So kom­men im Fal­le von resi­du­el­len Kypho­sen und Ein­engun­gen des Spi­nal­ka­nals dekom­pres­si­ve und/oder sta­bi­li­sie­ren­de Ver­fah­ren mit oder ohne Duraer­wei­te­rungs­plas­tik – wie oben beschrie­ben – zur Anwendung.

Wenn kei­ne iden­ti­fi­zier­ba­re oder beheb­ba­re Ursa­che der sym­pto­ma­ti­schen fort­schrei­ten­den Syrin­go­mye­lie vor­liegt, besteht die Mög­lich­keit der ope­ra­ti­ven Behand­lung mit­tels Shunt. Dabei wer­den Mikro­ka­the­ter in die Syrinx gelegt und die Höh­len­flüs­sig­keit dar­über ent­we­der in den Sub­arach­no­idal­raum oder in die Pleu­ra oder ins Peri­to­ne­um abge­lei­tet, um so ein Zusam­men­fal­len der Syrinx zu errei­chen. Eine wei­te­re Metho­de ist die Implan­ta­ti­on eines sub­arach­no­idal-sub­arach­no­ida­len Bypas­ses; dabei wird ein Mikro­ka­the­ter in das kra­nia­le und kau­da­le Ende des gesun­den Sub­arach­no­idal­rau­mes – ohne Mye­lo­to­mie – implan­tiert und die Syrinx dadurch über­brückt. Die­se Art der Bypass-Ope­ra­ti­on hat in den letz­ten Stu­di­en gute Ergeb­nis­se in der Behand­lung der post­trau­ma­ti­schen pro­gre­di­en­ten Syrin­go­mye­lie erzielt 18. Jedoch kön­nen die­se Metho­den zusätz­lich zu den all­ge­mei­nen Ope­ra­ti­ons­ri­si­ken auch mecha­ni­sche Kom­pli­ka­tio­nen mit sich brin­gen, da ein Fremd­kör­per im Rücken­mark ver­bleibt und es durch mecha­ni­sche Irri­ta­tio­nen oder Ver­schlüs­se zu einer erneu­ten Syrinx-Ent­ste­hung kom­men kann.

Eini­ge Wochen nach der Rücken­mark­ver­let­zung tritt bei 65 bis 78 % der Quer­schnitt­pa­ti­en­ten eine post­trau­ma­ti­sche spi­na­le Spas­tik ein. Wenn die­se zu einer funk­tio­nel­len Ver­schlech­te­rung oder zu erheb­li­chen Schmer­zen führt und die kon­ser­va­ti­ve Sym­pto­ma­tik-Regu­lie­rung fehl­schlägt, kommt die intra­the­ka­le anti­s­pas­ti­sche Medi­ka­ti­on, zum Bei­spiel mit Baclo­fen, über eine implan­tier­te Medi­ka­men­ten­pum­pe in Fra­ge. Ziel die­ser Ope­ra­ti­on ist die Reduk­ti­on der Spas­tik auf ein tole­rier­ba­res Niveau, da deren Aus­maß einen deut­li­chen Ein­fluss auf die Reha­bi­li­ta­ti­ons­fä­hig­keit hat 19.

Schluss­fol­ge­rung

Die Ent­schei­dung zur ope­ra­ti­ven Ver­sor­gung bei einer trau­ma­ti­schen Quer­schnitt­läh­mung im Alter ist von mul­ti­plen Fak­to­ren abhän­gig: Zum einen stellt die Wie­der­her­stel­lung der Sta­bi­li­tät der Wir­bel­säu­le bei insta­bi­len knö­cher­nen oder dis­ko­li­ga­men­tä­ren Wir­bel­säu­len­ver­let­zun­gen den ers­ten Schritt auf dem Wege der Remo­bi­li­sa­ti­on dar; zum ande­ren zielt sie in sol­chen Zustän­den auf die Her­bei­füh­rung einer Schmerz­lin­de­rung und die Mini­mie­rung von Sekun­där­schä­den. Hin­ge­gen hängt die Ent­schei­dungs­fin­dung bei dege­ne­ra­ti­ven Wir­bel­säu­len­pro­zes­sen und aku­ter post­trau­ma­ti­scher neu­ro­lo­gi­scher Ver­schlech­te­rung bei erhal­te­ner Wir­bel­säu­len­sta­bi­li­tät vom mög­li­chen Vor­teil einer Dekom­pres­si­on der neu­r­a­len Struk­tu­ren ab. Dabei spielt die Dyna­mik des post­trau­ma­ti­schen neuro­­logischen Sta­tus die ent­schei­den­de Rol­le. In Fäl­len von ledig­lich pas­sa­ge­rer Ver­schlech­te­rung des neu­ro­lo­gi­schen Sta­tus und spon­ta­ner Remis­si­on liegt kei­ne drin­gen­de Indi­ka­ti­on zur ope­ra­ti­ven The­ra­pie vor, wohin­ge­gen eine zuneh­men­de neu­ro­lo­gi­sche Ver­schlech­te­rung, zum Bei­spiel bei vor­lie­gen­der zer­vi­ka­ler Spi­nal­ka­nals­teno­se, eine drin­gen­de OP-Indi­ka­ti­on dar­stellt. Das Timing einer Ope­ra­ti­on im Fall von sta­bi­len inkom­plet­ten Rücken­mark­ver­let­zun­gen und bestehen­der Kom­pres­si­on ist umstrit­ten. Die Autoren ten­die­ren zur Dekom­pres­si­on die­ser Pati­en­ten, sobald sie inter­nis­tisch sta­bil sind, um einer spä­te­ren neu­ro­lo­gi­schen Ver­schlech­te­rung vorzubeugen.

Nach einer trau­ma­ti­schen Rücken­mark­ver­let­zung bleibt die funk­tio­nel­le Erho­lung der neu­r­a­len Struk­tu­ren unge­wiss; jedoch ist die Resta­bi­li­sie­rung der Wir­bel­säu­le unab­ding­bar und von immenser Wich­tig­keit, unab­hän­gig davon, ob die Quer­schnitt­läh­mung eine kom­plet­te oder eine inkom­plet­te ist. In bei­den Fäl­len bestehen fol­gen­de Vor­tei­le einer ope­ra­ti­ven The­ra­pie: das Wie­der­erlan­gen der Sta­bi­li­tät und die dadurch beding­te Erleich­te­rung der Mobi­li­tät und der Pati­en­ten­pfle­ge, eine frü­he­re Ein­lei­tung der Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­men, ein frü­he­rer Ver­zicht auf Orthe­sen, eine Schmerz­re­duk­ti­on und die Vor­beu­gung gegen eine Sekun­där­schä­di­gung der benach­bar­ten Rücken­mark­seg­men­te. All das hilft auch bei der Prä­ven­ti­on von Druckul­cera und Pneu­mo­nie und lässt zudem die Mög­lich­keit offen, dass die geschä­dig­ten neu­r­a­len Struk­tu­ren sich rehabilitieren.

Durch eine evi­denz­ba­sier­te umfas­sen­de Eva­lua­ti­on der ver­schie­de­nen The­ra­pie­mög­lich­kei­ten und eine effi­zi­en­te mul­ti­dis­zi­pli­nä­re prä­ope­ra­ti­ve Vor­be­rei­tung kön­nen Lebens­qua­li­tät und Auto­no­mie sowohl älte­rer als auch jün­ge­rer quer­schnitt­ge­lähm­ter Pati­en­ten posi­tiv beein­flusst werden.

Für die Autoren:
Dr. med. univ. Ghassan Kerry
Para­cel­sus Medi­zi­ni­sche Privatuniversität
Neu­ro­chir­ur­gi­sche Klinik
Kli­ni­kum Nürn­berg, Bres­lau­er Stra­ße 201
90471 Nürn­berg
ghassan.kerry@klinikum-nuernberg.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

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