Angesichts zunehmender Patientenfallzahlen mit lymphatischen Erkrankungen wurde es erforderlich, eine weitere, 5. Therapiesäule hinzuzufügen, die seit 2017 in die S2k-Leitlinie „Lymphödem“ Eingang gefunden hat: die Aufklärung und Schulung zur individuellen Selbsttherapie des Patienten 1. Eine der Hauptsäulen der Therapie bei chronischen Ödemen ist die Kompression.
Einleitung
Das Lymphödem ist eine chronische entzündliche Erkrankung des Interstitiums als Folge einer primären (anlagebedingten) oder sekundären (erworbenen) Schädigung des Lymphdrainagesystems, also der initialen Lymphgefäße (Lymphkapillaren, Lymphsinus), der Präkollektoren, der Lymphkollektoren, der Lymphstämme und/oder der Lymphknoten. Ideales Therapieziel ist die Normalisierung des Lymphtransports. Aufgrund der chronischen Natur des Lymphödems besteht das therapeutische Ziel darin, die Erkrankung in das latente Stadium (begrenzte Transportkapazität ohne Lymphödem) oder zumindest in Stadium I zurückzubringen und dadurch eine nachhaltige Linderung der Beschwerden zu erreichen.
Standardtherapie bei Lymphödemen ist die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE). Diese besteht aus folgenden aufeinander abgestimmten Komponenten:
- Hautpflege und – falls erforderlich – Hautsanierung
- manuelle Lymphdrainage, bei Bedarf ergänzt mit additiven manuellen Techniken
- Kompressionstherapie mit speziellen mehrlagigen komprimierenden Wechselverbänden und/oder lymphologischer Kompressionsstrumpfversorgung
- entstauungsfördernde Sport- bzw. Bewegungstherapie
- Aufklärung und Schulung zur individuellen Selbsttherapie, seit 2017 in der neuen S2k-Leitlinie festgelegt 2
Kompressionstherapie
Eine unverzichtbare Komponente der Komplexen Physikalischen Therapie (KPE) ist die Kompressionstherapie. Ihre Wirkungen:
- Normalisierung einer pathologisch erhöhten Ultrafiltration mit konsekutiver Reduzierung der lymphpflichtigen Last
- verstärkter Einstrom der interstitiellen Flüssigkeit in die initialen Lymphgefäße
- Verschiebung der Flüssigkeit durch die Gewebsspalten
- Erhöhung des Lymphflusses in den noch funktionierenden Lymphgefäßen
- Reduzierung des venösen Druckes und damit antiödematöse Wirkung
- Verbesserung der Gewebebefunde in Phase II 3
Zur erweiterten Kompressionstherapie gehört die Apparative Intermittierende Kompression, jetzt als „Intermittierende Pneumatische Kompression“ (AIK/IPK) bezeichnet, die insbesondere bei Patienten Anwendung findet, die sich in der Bandage schlecht bewegen können 4. Kaczmarek und Kollegen schreiben in diesem Zusammenhang: „Die IPK kann eine adjuvante Therapieform zur KPE darstellen insbesondere bei distal betonten Arm- oder Beinlymphödemen – ohne Beteiligung der ipsilateralen Rumpfquadranten und bei eingeschränkter Mobilität der Patienten. Der Wirkmechanismus der AIK/IPK ist, wie die Studien zeigen, Gewebsflüssigkeit in den Gewebsspalten nach zentral hin zu verschieben“ 5. In der Leitlinie zur IPK heißt es: „Die IPK kann stationär oder ambulant in einer medizinischen Einrichtung eingesetzt werden. Darüber hinaus ist eine Anwendung mittels Heimgerät insbesondere bei langfristiger Indikation sinnvoll (z. B. pAVK, Lymphödem, CVI) und fördert das Selbstmanagement und die Eigenverantwortlichkeit des Patienten“ 6.
Indikationen
Bei folgender Indikation soll eine IPK erfolgen:
- Thromboembolieprophylaxe, wenn keine medikamentöse Prophylaxe möglich ist
Bei folgenden Indikationen sollte eine IPK erfolgen:
- Ulcus cruris venosum mit fehlender Heilungstendenz trotz konsequenter Kompressionstherapie mittels Strumpfsystemen oder Kompressionsverbänden
- schwere chronische venöse Insuffizienz im Stadium C4b bis C6 (CEAP-Klassifikation)
- Extremitätenlymphödem, zusätzlich bei fehlender Kompensation unter Komplexer Physikalischer Entstauungstherapie
- periphere Arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) mit stabiler Claudicatio intermittens oder kritischer Ischämie, wenn ein angeleitetes Übungsprogramm nicht möglich ist und eine interventionelle oder operative Rekonstruktion nicht in Frage kommt
Bei folgenden Indikationen kann eine IPK erfolgen:
- posttraumatisches Ödem
- therapieresistentes venös bedingtes Ödem
- Lipödem
- Extremitätenlymphödem, zusätzlich zur Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie
- Hemiplegie mit sensorischer Störung und Ödem
- Thromboembolieprophylaxe, zusätzlich zur medikamentösen Prophylaxe
Kontraindikationen:
- dekompensierte Herzinsuffizienz
- ausgedehnte Thrombophlebitis
- Thrombose oder Thromboseverdacht
- Erysipel
- schwere Hypertonie
- akuter Gelenkrheumatismus, Weichteilrheuma
- Neuropathie
- Abflusshindernis im Bereich der Lymphgefäße
- maligner Prozess 7
Anwendung von IPK-Geräten
Bei der Diskussion über IPK-Geräte liegt der Fokus in der Regel auf der Pumpe und ihrer Möglichkeit verschiedener Einstellungen zwischen unterschiedlichen Drücken und Zeiten des Druckauf- und ‑abbaus 8. Zur Therapie des Lymphödems sollten Mehrkammergeräte mit Drücken bis zu 120 mmHg in Abhängigkeit von der Gewebebeschaffenheit (je fester, desto höher der Druck) an den Beinen und Drücke bis zu 40 mmHg an den Armen angewandt werden. Dabei sollten die Inflations- und Deflationszeiten (um 50 s) und ein sequentieller Druckaufbau mit Abfall bis zur Leiste gewährleistet werden 9. Zu berücksichtigen ist dabei der Unterschied zwischen statischer und dynamischer Kompression:
- Unter statischer Kompression wird eine Bandagierung verstanden, also eine Kompressionsbestrumpfung bzw. ‑bekleidung ohne Bewegung. Dadurch erfolgt keine Betätigung der Muskel- und Gelenkpumpe, die eine Beschleunigung des venösen und lymphatischen Abflusses bewirkt.
- Bei der dynamischen Kompression wie z. B. bei der Manuellen Lymphdrainage, der IPK sowie der statischen Kompression in Bewegung erfolgt ein beschleunigter Flüssigkeitstransport aus den Extremitäten. Beide dienen der Entstauungstherapie.
Beide Kompressionsarten bewirken folgende Effekte:
- Reduktion der CFR durch Erhöhung des interstitiellen Druckes
- Reduktion des venösen Refluxes
- Verbesserung des arteriovenösen Druckgradienten
- Reduktion des mikrolymphatischen Hypertonus
- Verbesserung der Lymphangiomotorik
- Verbesserung der lokalen Lymphfunktionen
- Lockerung verfestigten Gewebes
- Reduktion venöser und lymphatischer Ödeme
- Reduzierung des venösen Pools, dadurch
- Verbesserung des arteriellen Einstroms
- Verbesserung der Extremitätenfunktion und der Lebensqualität
Neben den Mehrkammerkompressionsgeräten müssen aber auch die Manschetten als Teil des Gerätes den speziellen Anforderungen gewachsen sein. Diese setzen die Therapie am Patienten um; sie kommen direkt mit dem Körper des Patienten in Kontakt. Konstruktion und Funktion von Kompressionsteilen haben direkten Einfluss auf die Behandlung und somit auf deren Ergebnis.
Bedeutung der Anzahl der Kammern der IPK-Geräte
Während die Konstruktion einer Einkammer-Manschette zur Vorbeugung gegen eine tiefe Venenthrombose ausreichend sein kann, hat sich herausgestellt, dass Mehrkammersysteme für die Behandlung von Patienten mit chronischem Lymphödem und venöser Stauung wirksamer sind. Neben der Behandlung ist es wichtig, dass die Patienten die Kompressionsteile erfolgreich selbst anlegen können und in der Lage sind, das Gerät dann auch noch einzuschalten. Die richtige Manschette deckt die zu behandelnden Bereiche ab und ist im Inneren so aufgebaut, dass der Kompressionsdruck von distal nach proximal ausgeübt wird. Es muss ein Druckabfall von distal nach proximal erzeugt werden, und es sollen überlappende Kammern vorhanden sein, um so der Kompressionsbandage am ähnlichsten zu werden. Mehrkammersysteme haben sich zur Behandlung mit der IPK von Lymphödemen als am wirksamsten erwiesen 10. Diese Systeme arbeiten nach den Prinzipien der Massage und anschließenden Kompression, sehr ähnlich denen einer statischen Kompression im Sinne einer Kurzzugbandage, in der der Patient sich bewegt. Die Bandagierung führt zu einer Reduktion der Ödeme durch Bildung eines festen Widerstandes um die Extremität herum, gegen die der Druck durch Muskelkontraktion ausgeübt wird. Mehrkammergeräte (12 Kammern) erzeugen eine sanfte gerichtete Massage. Sie sind sehr effektiv in der Ödemreduktion und erhalten die Reduktion auf längere Zeit 11.
Die Kammern sollten die Breite einer Kompressionsbandage oder der Hand des Therapeuten aufweisen; breitere Kammern verschieben die Flüssigkeit in beide Richtungen 12. Überlappende Kammern beugen unbehandelten Abschnitten und Ödemansammlungen zwischen den Kammern vor. Mehrkammerige, überlappende Systeme (Abb. 1) sind für den Patienten angenehmer und erhöhen die Compliance 13.
Die beidseitige Behandlung ist sowohl für die unteren als auch für die oberen Extremitäten von großer Bedeutung, da möglicherweise die unbehandelte Seite über die Anastomosen (inguo-inguinale und axillo-axilläre) durch das Verschieben der Lymphflüssigkeit von distal nach proximal gefüllt und auf die gesunde Seite verschoben wird. Bei Lymphödemen der unteren Extremitäten kann eine einseitige Behandlung mit Beinmanschetten zu Genitalödemen und auch zu einem Ödem der zuvor gesunden Seite über die Anastomose führen 14. Bei einem beidseitigen Extremitätenlymphödem erfolgt zusätzlich für den Patienten eine Abkürzung der Behandlungszeit (Abb. 2).
Der Autor bevorzugt eine beidseitige Behandlung der Beine mittels einer Kompressionshosenmanschette, auch wenn nur ein Bein betroffen ist. Für die Arme ist die beidseitige Behandlung mit einer Jacke ebenfalls effektiver als mit einer Arm- oder Beinmanschette nur für die betroffene Seite. Ferner werden Armlymphödeme durch vermehrte Sentinel-Operationsmethoden weniger. Allerdings treten bei dieser Behandlung vermehrt Thoraxwandödeme durch die anschließende Bestrahlung auf. Die Behandlung des Rumpfes ist bei der pneumatischen Kompression ein wichtiger Fortschritt. Die sequentielle Kompressionsbehandlung dient dazu, einen Reflux oder „wrong way flow“ zu verhindern. Die Kompressionsbehandlung soll distal der Kammer erhalten bleiben, damit kein Rückfluss eintritt (Abb. 3).
Auch bei wellenartiger Füllung muss die distale Kammer gefüllt bleiben, um einen Reflux zu verhindern. Einige Geräte haben auch einen Vorbehandlungszyklus, um den proximalen Abstrom anzuregen. Allerdings muss bei der Eigenbehandlung beachtet werden, dass eine Vorbehandlung der regionären Lymphknoten durch den Patienten erforderlich ist, um einen Stau zu verhindern.
Weitere Anforderungen an die Manschetten: Für den Heimgebrauch an nur einem Patienten muss der Behandelte die Manschetten von Zeit zu Zeit säubern und desinfizieren können; ferner muss der Druck regulierbar sein und je nach Patient ein ausreichend großes Display und eine leichte Verstellmöglichkeit zur Eigenbehandlung vorhanden sein. Wegen der Gefahr zu hoher Drücke sollte eine Beschränkung des Druckes an den Geräten fest eingestellt sein, wobei es keine genauen Angaben über zu hohe Drücke gibt. Die Leitlinie empfiehlt einen maximalen Druck für die unteren Extremitäten von 120 mmHg und an den oberen von 40 mmHg. Der Patient sollte auf keinen Fall Schmerzen während der Behandlung mit der IPK haben.
Anforderungen an die Selbstbehandlung
Grundsätzlich bestehen folgende Erfordernisse bei der Selbstbehandlung mit der IPK zu Hause:
- Compliance des Patienten;
- IPK dann, wenn nur eine geringe Verbesserung mit anderen Methoden (MLD, Kompressionsbestrumpfung) eingetreten ist, sowie bei größerer Entfernung zur nächsten Physio-Praxis;
- der Patient wurde bereits erfolgreich mit dem Gerät behandelt;
- der Patient ist am Gerät geübt;
- es ist eine ärztliche Kontrolle und Unterweisung erforderlich.
Um die Ergebnisse zu erhalten, muss anschließend die Kompressionsbestrumpfung getragen werden.
Fazit
Die IPK ist bei richtiger Indikationsstellung und Anwendung – auch zusätzlich – eine effektive und sichere Therapiemethode, insbesondere bei der Behandlung verschiedener Gefäß- und Ödemerkrankungen, der Wundheilung, der Thromboseprophylaxe sowie auch in der Therapie der pAVK. Auch wenn nur RCTs mit meist geringer Evidenz vorliegen und die Empfehlungen teilweise empirisch sind, kann die Eigenbehandlung zu Hause im Rahmen der 5. Säule der KPE durchgeführt werden. Die Geräte sind im Hilfsmittelverzeichnis gelistet und können per Hilfsmittelrezept verordnet werden.
Der Autor:
Dr. med. Franz-Josef Schingale
Lympho-Opt Klinik, Happurger Str. 15
91224 Pommelsbrunn
franz-josef.schingale@lympho-opt.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Schingale F.-J. Patienten-Selbstmanagement: leitliniengerechte Therapieunterstützung durch Intermittierende Pneumatische Kompression (IPK). Orthopädie Technik, 2019; 70 (6): 32–35
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