Das E‑Rezept wird Schritt für Schritt im Gesundheitswesen „ausgerollt“ – ab Januar 2022 zunächst verpflichtend für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Spätestens bis 01.01.2026 sollen sich die Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich freiwillig an die zugrunde liegende Telematikinfrastruktur (TI) anbinden. Ab Mitte 2026 wird die elektronische Verordnung in den orthopädietechnischen Werkstätten und im Sanitätsfachhandel obligatorisch. Bis es soweit ist, muss noch einiges geklärt werden – zum Beispiel die Höhe der Vergütung für das technische Equipment, das die Betriebe benötigen. Einfach abwarten ist indessen die falsche Strategie. Denn das E‑Rezept ist Teil einer weit umfassenderen Digitalisierung. Dazu gehört zum Beispiel ebenfalls die elektronische Patientenakte (ePA), die bereits ab 1. Juli 2021 für Ärzte verpflichtend ist. Die mit E‑Rezept und ePA verbundenen neuen Prozesse sollte das Gesundheitshandwerk mitgestalten.
OT: Herr Japing, das E‑Rezept kommt – nehmen die Betriebe des Gesundheitshandwerks das ernst genug?
Kim Nikolaj Japing: Ja, natürlich nehmen die das ernst. Zurzeit passiert das Meiste auf der Ebene der Verbände, in denen sich die Betriebe engagieren. Dort finden die vorbereitenden konzeptionellen Arbeiten statt, wird die konkrete Ausgestaltung des E‑Rezepts nach der Anbindung der Werkstätten und Sanitätshäuser an die TI diskutiert.
Weitgehende Digitalisierung
OT: Was kommt mit dem elektronischen Rezept auf die Hilfsmittelversorger zu?
Japing: Es handelt sich insgesamt um eine sehr weitgehende Digitalisierung in den Leistungsbereichen der Gesundheitshandwerke wie auch auf dem Hilfsmittelsektor. So muss die gesamte Dokumentation dann volldigitalisiert zur Verfügung gestellt werden. Das bedeutet nicht, dass von Anfang an komplett und ausschließlich auf den digitalen Weg gesetzt wird – sehr wahrscheinlich werden in einer Übergangsphase Papier und die digitale Variante nebeneinander existieren. Denn es ist erst einmal die freiwillige Entscheidung der Patientinnen und Patienten, ob sie ihr Rezept digital zum Beispiel auf dem Smartphone haben möchten oder ob sie den Papierweg bevorzugen. Aber Materialhinweise und Anwendungsrichtlinien müssen künftig digital vorliegen, die Abrechnungsverfahren werden ebenso digitalisiert und Kostenvoranschläge nur noch digitalmöglich sein.
OT: Welche rechtlichen Vorhaben gibt es derzeit im Zusammenhang mit dem E‑Rezept?
Japing: Drei neue Regelungen sind im Kommen: Erstens läuft derzeit das Gesetzgebungsverfahren zum Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG). Darin ist angedacht, dass sich die Hilfsmittelleistungserbringer bis 1. Januar 2026 an die TI anschließen sollen. Das bedeutet erst einmal nur, dass sie sich die entsprechende Hardware beschaffen müssen wie Konnektoren (technisches Herzstück, über das zum Beispiel die IT-Systeme der Ärzte, Krankenhäuser und Leistungserbringer mit der TI und den E‑Health-Kartenterminals verbunden werden), Lesegeräte sowie personen- und betriebsgebundene Karten zur Zugangsberechtigung. Zweitens: Ab 1. Juli 2026 ist der Anschluss nicht mehr optional, ab diesem Termin ist der Einsatz des E‑Rezepts im Hilfsmittelbereich Pflicht. Bis dahin müssen sich die Betriebe also fit machen. Und die dritte Regelung ist die Kostenträgerschaft. Hierbei geht es um die Erstattungspauschalen für die notwendigen Gerätschaften. Nach jetzigem Stand sollen sie sich an denen der Ärzte orientieren. Das ist erst einmal zu begrüßen, weil die Gesundheitshandwerke die Hardware damit nicht aus eigenen betrieblichen Mitteln finanzieren müssen. Problematisch könnte werden, dass sie in Vorleistung gehen und die Ausgaben erst im Nachhinein durch die gesetzlichen Krankenkassen erstattet bekommen. So erhalten die Ärzte ihr Geld im Rahmen der quartalsweisen Abrechnung. Eventuell erfolgt dies bei den Gesundheitshandwerken sogar nur halbjährlich. Etwas warten muss man auf die Erstattung also schon.
OT: Um welche Beträge handelt es sich?
Japing: Das wird sich bei etwa 2.500 Euro einpendeln, eventuell etwas mehr für das gesamte Set der Hardware.
OT: Aktuell wird diskutiert, dass man auf Konnektoren vielleicht verzichten kann …
Japing: Die Gematik GmbH, die für Aufbau, Betrieb und Weiterentwicklung der TI verantwortlich ist, hat in einem Whitepaper zur TI 2.0 von neuen Lösungen ohne Konnektor gesprochen. Doch diese Pläne zum Redesign der TI sind langfristig. Die Übergangsfristen und Pflichten kommen aber jetzt auf uns zu. Die Betriebe müssen sich mittelfristig anschließen – mit den zurzeit verfügbaren Technologien. Vielleicht muss man dann perspektivisch noch Veränderungen an der Technikausstattung vornehmen. Aber erst einmal müssen wir mit dem arbeiten, was wir haben.
OT: Wesentlicher Baustein des gesamten Konzepts sind die Berechtigungskarten, damit die Leistungserbringer Zugang erhalten. Wer wird sie ausgeben?
Japing: Ein Arbeitskreis im ZDH aus Gesundheitshandwerken und Handwerkskammern konzeptioniert das Ausgabeverfahren. Dabei wird der Aufbau des Ausgabesystems erdacht, mit dem sich die Gesundheitshandwerke in Zukunft die Karten beschaffen können. Der Fokus im ZDH liegt auf handwerklich organisierten Berufsgruppen und deren Körperschaften. Es ist davon auszugehen, dass jeder Betrieb mindestens eine betriebsgebundene Karte (Institutionskarte SMC‑B) braucht und mindestens einen personengebundenen Ausweis (elektronischer Berufsausweis, eBA) für den Betriebsleiter. Es ist bereits so, dass die Stammdaten für die Karten in den Handwerkskammern vorliegen. Zudem ist denkbar, dass zumindest das Handwerk im Sanitätshaus die personengebundenen Karten über die Handwerkskammern erhält.
OT: Bei bisherigen Rezepten legen die Ärzte lediglich die Anwendungsart des Hilfsmittels fest – die ersten sieben Stellen (Siebensteller) des zehnstelligen Codes (Zehnsteller), mit dem jedes Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis gelistet ist. Die Auswahl des konkreten Produkts obliegt den Leistungserbringern, sie ergänzen die letzten drei Stellen. Bleibt das auch beim E‑Rezept so?
Japing: Das Vervollständigen des Zehnstellers auf dem E‑Rezept im Warenwirtschaftssystem des Betriebs ist ein Klassiker, dessen Umsetzung wichtig wird. Wir achten darauf, dass die Digitalisierungsprozesse keine Einschränkungen der beruflichen und berufsrechtlichen Kompetenzen mit sich bringen – sodass in der digitalen Welt alle Kompetenzen erhalten bleiben.
OT: Neben dem E‑Rezept soll die elektronische Patientenakte (ePA) einer der Gamechanger im digitalisierten Gesundheitswesen werden. Welche Regelungen gibt es zum Beispiel zum Befüllen der Akte durch das Gesundheitshandwerk?
Japing: Bisher gibt es für das Befüllen der ePA zum Beispiel durch Orthopädietechniker oder andere Gesundheitshandwerke keine Regelung – weder zum Befüllen an sich noch zur Abrechenbarkeit dieser Leistung. Wir setzen uns dafür ein, dass die gesundheitshandwerklichen Leistungserbringer dafür honoriert werden. Einträge in die ePA zählen jedoch nicht zu den regelhaften Vorgängen, sondern erfolgen nur auf Wunsch der Versicherten. Auf jeden Fall wollen wir sicherstellen, dass sich die Höhe der Pauschale für diese Leistung an den Sätzen der anderen Berufsgruppen orientiert.
OT: Erst MDR, dann E‑Rezept .… bringt das elektronische Rezept eine weitere Zunahme der Bürokratie?
Japing: Wir setzen uns dafür ein, dass durch das E‑Rezept keine zusätzlichen Dokumentationspflichten entstehen. Die Betriebe leiden an den zu hohen Bürokratieanforderungen. Andererseits kann sich im Zuge der Digitalisierung das Versichertenverhalten verändern. So zeichnet sich ab, dass die Patientinnen und Patienten immer mehr digitale Dokumente, Nachweise und Informationen zu ihrer Versorgung einfordern können, die ihnen dann zur Verfügung gestellt werden müssen. Wenn das Interesse daran seitens der Patientinnen und Patienten wächst, bedeutet das zwar kein Mehr an Dokumenten, allerdings müssten diese öfter hochgeladen und digital verteilt werden. Das ist insofern nichts Schlechtes, sofern es großteils abgerechnet werden kann. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis der digitalen Strukturen ist noch nicht bezifferbar. Das kann durchaus positiv sein, wenn man an Spareffekte wie weniger Papierverbrauch denkt. Oder an Platzeinsparungen, wenn weniger Papierdokumente physisch aufbewahrt bzw. gelagert werden müssen.
OT: Wird das E‑Rezept die Kundenbindung beeinflussen?
Japing: Das ist schwer vorauszuahnen. Politisch werden die Gesundheitshandwerke darauf achten, dass die Einführung des E‑Rezepts die Wahlfreiheit der Versicherten nicht beschränkt. Es kommt sehr darauf an, welche Kundschaft man hat und wie digital affin diese ist. Zumindest in der Anfangsphase ist vorstellbar, dass es wertgeschätzt wird, wenn die traditionellen papierbasierten Verfahren weiterhin angeboten werden. Mit dem demografischen Wandel kommen andere Generationen, die vielleicht digitale Services bevorzugen. Daneben kommt es auf die Leistungsbereiche und Produktarten an – so kann im Bereich der Sporthilfsmittel eine jüngere Klientel eher mit digitalen Dienstleistungen angesprochen werden.
Die Fragen stellte Cathrin Günzel.
Orthopädietechnische Handwerksbetriebe sollen die für das E‑Rezept nötigen elektronischen Berufsausweise (eBA) und die Institutionskarte (SMC‑B) über die Handwerkskammern erhalten, bekräftigt Axel Sigmund, Leiter Berufsbildung, Digitalisierung und Forschung beim Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT). Denn nur mit einer solchen Chipkarte können sich Leistungserbringer gegenüber der Telematikinfrastruktur (TI) ausweisen. Dies ist nötig, um auf die mittels der elektronischen Gesundheitskarte verfügbaren medizinischen Informationen sowie das E‑Rezept zuzugreifen.
Der BIV-OT kümmere sich ebenfalls um jene Sanitätshäuser, die reine Handelshäuser sind, so Sigmund. Diese werden die Ausweise über das elektronische Gesundheitsberuferegister (eGBR) erhalten, doch hier bestehe weiterer Klärungsbedarf. „Es gibt aber auch hier noch viel zu tun. Noch ist nicht ganz klar, wer alles im Sanitätshaus und der Orthopädiewerkstatt einen Berufsausweis bekommen wird“, sagt Sigmund. Um die Prozesse rund um TI und E‑Rezept zu erproben, hat der BIV-OT eine Arbeitsgruppe Telematik aufgelegt. Beteiligt sind orthopädietechnische Handwerksbetriebe verschiedener Betriebsgrößen und führende ERP-Systemhäuser sowie Abrechungsdienstleister. „Wir steuern unser Know-how über die Abläufe in den Betrieben bei. Im Zwei-Wochen-Rhythmus finden Arbeitstreffen statt, um die Rahmenbedingungen für den Gesamtprozess zu definieren.
Zum Sommer soll dann die Testphase für die softwaretechnische Umsetzung erfolgen“, erklärt Thomas Münch, der seitens des BIV-OT-Vorstandes die Arbeitsgruppe leitet. „Der Teufel steckt im Detail. Bereits heute wissen wir, dass die Prozesse, die für Apotheken und Arztpraxen gelten, bei uns komplett anders aussehen. So verantworten wir als Leistungserbringer das finale Versorgungskonzept im Hilfsmittelbereich und damit den Zehnsteller. Der Arzt füllt daher gemäß der Hilfsmittelrichtlinie in der Regel den Siebensteller aus. Auch die Bewilligung läuft über den Leistungserbringer und kann gar nicht – wie beispielsweise bei den Arzneimitteln – direkt über die Krankenkasse laufen. Hier sind wir in engem Austausch mit Politik und Gematik, um die notwendigen Anpassungen früh genug sicherzustellen“, so Münch weiter.
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