Her­aus­for­de­run­gen der ortho­pä­die­tech­ni­schen Ver­sor­gung infan­ti­ler Pati­en­ten mit fibu­la­rer Hemimelie

F. Kastrup
Die Betreuung junger Patienten mit angeborenen Fehlbildungen und ihrer Eltern bedarf der adäquaten Zusammenarbeit eines erfahrenen interdisziplinären Kompetenzteams. Aus orthopädietechnischer Sicht erfordert die in solchen Fällen notwendige Kombination aus Orthetik und Prothetik umfangreiches Fachwissen und Erfahrung in beiden Bereichen. Richtlinien zur Anfertigung einer Orthoprothese sind nur schwer zu erstellen, da die Fälle angesichts der anatomischen Abweichungen häufig nicht vergleichbar sind und allgemein nur einen geringen Anteil im Alltagsgeschäft ausmachen. Der Artikel stellt Kriterien vor, um eine geeignete Versorgungsplanung für ähnliche Fälle zu unterstützen und die Versorgungsqualität zu erhöhen.

Ein­lei­tung

Auf der Suche nach Publi­ka­tio­nen über die fibu­la­re Hemi­me­lie fin­den sich meh­re­re Ver­gleichs­stu­di­en zwi­schen Ampu­ta­tio­nen und Ver­län­ge­rungs­pro­ze­du­ren im infan­ti­len Alter. Paley 1 und Birch 2 stel­len in ihren Publi­ka­tio­nen die chir­ur­gi­schen Aspek­te der The­ra­pie mit lang­jäh­ri­gen Erfah­rungs­be­rich­ten umfas­send dar. Lei­der wer­den die Ent­schei­dung gegen ope­ra­ti­ve Ein­grif­fe und deren wei­ter­füh­ren­de Behand­lung nicht auf­ge­führt, obwohl sie häu­fig getrof­fen wird.

Im Bereich der Kin­der­or­tho­pä­die wird das Tech­ni­ker­team der Kin­der­or­tho­pä­die häu­fig vor Her­aus­for­de­run­gen bezüg­lich Pass­teil­aus­wahl, Pati­en­ten­feed­back und adäqua­ter Gang­ana­ly­se gestellt. Die indi­vi­du­el­len Qua­li­tä­ten des ein­zel­nen Ortho­pä­die-Tech­ni­kers und eine aus­ge­präg­te Dis­kus­si­ons­kul­tur bezüg­lich der tech­ni­schen Umset­zung im Ver­sor­ger­team sind daher wich­ti­ge Vor­aus­set­zun­gen für eine gelin­gen­de Ver­sor­gung. Um eine brei­te­re Detail­aus­füh­rung zu gewähr­leis­ten, wur­den die fol­gen­den Pla­nungs­kri­te­ri­en auf eine knie­über­grei­fen­de Ver­sor­gungs­not­wen­dig­keit ausgelegt.

Fibu­la­re Hemimelie

Bei lon­gi­tu­di­na­len Glied­ma­ßen­de­fek­ten han­delt es sich ent­we­der um Min­der­an­la­gen (Hypop­la­sie) oder um das völ­li­ge Feh­len (Apla­sie) ein­zel­ner Ske­lett­ab­schnit­te, die den pro­xi­ma­len oder dista­len Extre­mi­tä­ten­ab­schnitt oder eine Kom­bi­na­ti­on aus bei­den betref­fen 3. Die fibu­la­re Hemi­me­lie ist ein lon­gi­tu­di­na­ler Glied­ma­ßen-defekt, der häu­fig kom­bi­niert mit einer lon­gi­tu­di­na­len Wachs­tums­stö­rung des Femurs und einer late­ra­len Strah­lena­pla­sie am Fuß sowie einer stär­ker oder gerin­ger aus­ge­präg­ten Ver­kür­zung des gesam­ten Unter­schen­kels auf­tritt 4. In sol­chen Zusam­men­hän­gen spricht man inter­na­tio­nal von „fibu­lar hemi­me­lia“, deut­sche Syn­ony­me sind „fibu­la­re Dys­pla­sie“, „fibu­la­re Dys­me­lie“, „fibu­la­re lon­gi­tu­di­na­le Mero­me­lie“, „kon­ge­ni­taler lon­gi­tu­di­na­ler Reduk­ti­ons­de­fekt der Fibu­la“ oder „fibu­la­rer lon­gi­tu­di­na­ler Gliedmaßendefekt“.

Die Hemi­me­lie bzw. Hypoplasie/ Apla­sie der Fibu­la ist eine sehr sel­te­ne Extre­mi­tä­ten­fehl­bil­dung. Die Häu­fig­keit der Fäl­le wird unter­schied­lich ange­ge­ben; sie tritt geschätzt bei 3 von 100.000 Neu­ge­bo­re­nen auf. Über die Ver­tei­lung der Geschlech­ter fin­den sich in der inter­na­tio­na­len Lite­ra­tur kei­ne ein­heit­li­chen Anga­ben; männ­li­che Pati­en­ten sind jedoch häu­fi­ger betrof­fen. Bei zwei Drit­teln aller betrof­fe­nen Per­so­nen ist ledig­lich eine ein­sei­ti­ge Fehl­bil­dung fest­zu­stel­len. Eine fibu­la­re Hemi­me­lie tritt häu­fi­ger am rech­ten als am lin­ken Bein auf 5.

Die Grün­de für eine sol­che Unter­ent­wick­lung der Fibu­la sind bis heu­te nicht genau geklärt. Die Fest­le­gung auf eine Pha­se der embryo­na­len Ent­wick­lung, in der die Schä­di­gung auf­tritt oder ver­ur­sacht wird, ist umstrit­ten. Einig­keit herrscht nur hin­sicht­lich der Annah­me, dass schä­di­gen­de Fak­to­ren schon zu einem frü­hen Ent­wick­lungs­zeit­punkt auf den Embryo ein­wir­ken müs­sen 6 7 8.

Die­se sel­te­ne Form des lon­gi­tu­di­na­len Wachs­tums­de­fek­tes wird in der Fach­li­te­ra­tur meist nach Ach­ter­man und Kalam­chi (1979) 9 klas­si­fi­ziert (ledig­lich 3 Klas­sen). Neben der Birch-Klas­si­fi­ka­ti­on (6 Klas­sen) 10 nahm sich der Grün­der des Paley Insti­tu­te at St. Mary’s Medi­cal Cen­ter in West Palm Beach, Flo­ri­da, Dr. Dror Paey, der Auf­ga­be einer umfas­sen­de­ren Klas­si­fi­ka­ti­on an. In sei­ner 2016 ver­öf­fent­lich­ten Arbeit „Sur­gi­cal recon­s­truc­tion for fibu­lar hemi­me­lia“ 11 stellt er mit der „Paley clas­si­fi­ca­ti­on of fibu­lar hemi­me­lia“ eine detail­lier­te Klas­si­fi­ka­ti­on mit 14 Klas­sen auf, die weit­aus mehr Varia­tio­nen umfasst.

Ana­to­mi­sche Besonderheiten

Um ein opti­ma­les Bild von der betrof­fe­nen Extre­mi­tät zu gewin­nen, sind bild­ge­ben­de Unter­la­gen im Rah­men der Befund­auf­nah­me gemein­sam mit dem zustän­di­gen Fach­arzt zu ana­ly­sie­ren. Fol­gen­de Defor­mi­täts­spek­tren sind am häu­figs­ten vor­han­den und soll­ten gut doku­men­tiert wer­den (Abb. 1 u. 2):

  • Strah­len­de­fek­te und Syn­d­ak­ty­li­en sowie Apla­si­en im Fußskelett
  • Fuß in Equinovalgusstellung
  • ver­fes­tig­te Rückfußstruktur,

pro­mi­nen­te Achil­les­seh­ne — ‑ante­kur­vier­te Tibia („bowing tibia“) mit emp­find­li­chem Hautd­im­pel — ver­kürz­ter M. tri­ceps surae und ver­kürz­te Mm. peron­ei — Patel­l­aschief­stand — Kreuz­band­dys­pla­sie/-apla­sie, seit­li­che Insta­bi­li­tät — Wachs­tums­de­fek­te der Femur­kon­dylen — Ver­kür­zung des Femurs

Ver­sor­gungs­pla­nung

Klein­kin­der (1–3 Jah­re) soll­ten zunächst mit tro­chan­ter­über­grei­fen­der Anla­ge, bei Bedarf mit Hüft­gurt gegen Rota­ti­ons­ab­wei­chun­gen, auf­ge­rich­tet wer­den. Um die mus­ku­lä­re Ent­wick­lung nicht zu stark zu beein­träch­ti­gen, soll­te bei zuneh­men­der Sta­bi­li­sie­rung die Anla­ge auf das sub­tro­chan­tä­re Niveau gekürzt wer­den. Eine enge phy­sio­the­ra­peu­ti­sche Betreu­ung zu die­sem Zeit­punkt ist beson­ders för­der­lich für den Behand­lungs­er­folg. Für älte­re Kin­der beschrei­ben die Autoren der Fach­pu­bli­ka­ti­on „Hef­ti – Kin­der­or­tho­pä­die in der Pra­xis“  12 die Anfor­de­run­gen wie folgt:

„Schul­al­ter 6–10 Jah­re: Beträgt die Bein­ver­kür­zung in die­sem Alter mehr als 10 cm, so muss nun die Ent­schei­dung gefällt wer­den, ob eine voll­stän­di­ge Erhal­tung der Extre­mi­tät mit dem Ver­such eines Bein­län­gen­aus­gleichs bis zum Wachs­tums­ab­schluss ange­strebt wird oder ob eine ande­re Lösung gewählt wer­den muss. Bei der ortho­pä­die­tech­ni­schen Ver­sor­gung genügt eine Soh­len­er­hö­hung nun nicht mehr, son­dern es muss eine Unter­schen­kel­or­the­se mit einer Fuß­fas­sung und einem sepa­ra­ten orthe­ti­schen [sic; gemeint ist „pro­the­ti­schen“; d. Verf.] Fuß­teil ange­fer­tigt wer­den. Die­se Orthe­sen­ver­sor­gung ist zwar kos­me­tisch weni­ger schön, als wenn der Fuß in Spitz­fuß­stel­lung in den Orthe­sen­schaft gestellt wird. Den­noch soll­te die plan­ti­gra­de Ein­stel­lung des Fußes in der Orthe­se ange­strebt wer­den, solan­ge man eine spä­te­re Ver­län­ge­rung des Bei­nes in Betracht zieht.“  13

Die Anla­ge­punk­te sind den orthe­ti­schen Grund­prin­zi­pi­en ent­spre­chend zu set­zen und müs­sen den ana­to­mi­schen Abwei­chun­gen ent­ge­gen­wir­ken, um die Gelen­ke neu­tral zu füh­ren. Beim Krab­beln und Knien wer­den die­se Pro­mi­nen­zen pri­mär hohen Druck- und Scher­kräf­ten und dadurch einem erhöh­ten Druck­stel­len­ri­si­ko aus­ge­setzt. Dies kann durch Knie­pols­ter mit abrieb­fes­tem Bezug auf der Außen­sei­te redu­ziert wer­den und schont zugleich die Beklei­dung vor Beschä­di­gun­gen. Sitz­be­rei­che sind grund­sätz­lich semi­fle­xi­bel zu gestal­ten und bei begrün­de­ter Abwei­chung mit einem Sitz­pols­ter bzw. Hosen­schutz­pols­ter aus bezo­ge­nem offen­zel­li­gem Schaum o. Ä. zu pols­tern. Schwie­rig­kei­ten der Dreh­punkt­be­stim­mung erge­ben sich bei insta­bi­len Knie­ge­len­ken durch das vor­de­re und hin­te­re Schub­la­den­phä­no­men sowie durch die abwei­chen­de Ana­to­mie. Aus­gangs­punkt der Dreh­punkt­be­stim­mung soll­te immer die Vor­gangs­wei­se nach Niet­ert sein und vor dem Gips­ab­druck simu­liert wer­den. Die Ten­denz zur fina­len Knie­ge­lenk­s­po­si­tio­nie­rung befin­det sich häu­fig leicht nach ven­tral auf ca. 55/45 ver­scho­ben. Zur Bestim­mung der Bein­län­gen­dif­fe­renz und für den sta­ti­schen Auf­bau soll­ten bei maxi­ma­ler Knie­stre­ckung, maxi­ma­ler Exten­si­on im obe­ren Sprung­ge­lenk, ohne Ever­si­ons­ab­wei­chung unter neu­tra­ler Aus­rich­tung des Beckens, auf einer Lie­ge und zu zweit fol­gen­de Maße genom­men werden:

  • Steigbügel/Calcaneusstufe – Boden
  • Basis Meta­tar­sa­le I – Boden
  • media­ler Mal­leo­lus – Boden

Die Optik der Ver­sor­gung soll­te kin­der­freund­lich, far­big und selbst­be­stimmt gestal­tet wer­den. Haut­far­bi­ge Aus­füh­run­gen bewir­ken häu­fig einen „Uncanny-Valley“-Effekt (also ein beson­ders unna­tür­li­ches Erschei­nungs­bild). Dekor­stof­fe, Mus­ter oder eine Stan­dard-Farb­aus­wahl soll­ten hier­für zur Aus­wahl ste­hen. Eine Orthop­ro­the­se soll nach Pierre Bot­ta und René Baum­gart­ner auch bei Fehl­bil­dun­gen an den obe­ren Extre­mi­tä­ten bequem und ein­fach an- und aus­zu­zie­hen sein, auch ohne frem­de Hil­fe 14. Ein unkom­pli­zier­ter Umgang ist aber eben­so für Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge und Betreu­ungs­per­so­nal wich­tig. Ein kur­zes Tuto­ri­al-Video oder eine Foto­do­ku­men­ta­ti­on in der fina­len Abga­be mit kur­zer Erläu­te­rung, wie die Orthop­ro­the­se kor­rekt anzu­le­gen ist, lässt sich heu­te schnell an jede Betreu­ungs­per­son wei­ter­lei­ten. Um bild­recht­li­che Kom­pli­ka­tio­nen zu umge­hen, sind mög­lichst nur der Pati­ent und das erklä­ren­de Eltern­teil aufzunehmen.

Pass­teil­aus­wahl

Die Belas­tun­gen, die täg­lich auf Maß­an­fer­ti­gun­gen ein­wir­ken, sind mit Hoch­leis­tungs­sport durch­aus zu ver­glei­chen. Die beson­de­ren Anfor­de­run­gen an die Dau­er­be­last­bar­keit und den Ver­schleiß sind zu gewähr­leis­ten und bei den Inter­vall­kon­trol­len kri­tisch zu prü­fen. Das orthe­ti­sche Knie­ge­lenk soll­te bevor­zugt mono­zen­trisch und aus Titan gefer­tigt sein, um nicht zu stark auf­zu­tra­gen. Eine Rück­ver­la­ge­rung ist in der Regel nicht not­wen­dig. Die Gewichts­klas­se soll­te gemäß dem zu erwar­ten­den Wachs­tum – bis zur Neu­ver­sor­gung ent­spre­chend auf­ge­run­det – gewählt werden.

Modu­lar­pass­tei­le

Ein Titan­ad­ap­ter soll­te spä­tes­tens ab dem zwei­ten Lebens­jahr stan­dard­mä­ßig ein­ge­plant wer­den, auch wenn das Kör­per­ge­wicht die Maxi­mal­gren­ze der Zulas­sung nicht erreicht hat – Adap­ter aus Alu­mi­ni­um sind den Scher­kräf­ten auf Dau­er häu­fig nicht gewach­sen (Abb. 3). Als beson­ders geeig­net haben sich fol­gen­de Pro­the­sen­fü­ße erwiesen:

  • „Flex-Foot Juni­or“ (Össur)
  • „Kin­der Impul­se Fuß“ (WillowWood/W. J. Teufel)
  • „Tru­per Foot“ (Col­lege Park/ Protheseus)

Die bei­den fol­gen­den Pro­the­sen­fü­ße sind nur mit Ein­schrän­kun­gen empfehlenswert:

  • „Cheetah Xplo­re Juni­or“ (Össur; Anbin­dung auf­grund der Fer­se problematisch)
  • „F200 Rush Kid“ (Rush/Uniprox; sehr hohes Gewicht, erst ab Grö­ße  19 verfügbar)

Son­der­an­fer­ti­gung nach Maß

Die Pre­preg-Ver­ar­bei­tung gehört seit über einem Jahr­zehnt zu den Fer­ti­gungs­tech­ni­ken ortho­pä­die­tech­ni­scher Hilfs­mit­tel nach Maß. Car­bon­fü­ße im Son­der­bau kön­nen eine Alter­na­ti­ve für beson­de­re Auf­bau­ge­ge­ben­hei­ten und Ansprü­che bie­ten. Auch die addi­ti­ven Fer­ti­gungs­ver­fah­ren bie­ten hier neue Mög­lich­kei­ten, Son­der­lö­sun­gen zu erstellen.

Modell­tech­nik

Fol­gen­de Aspek­te soll­ten in die­sem Zusam­men­hang berück­sich­tigt werden:

  • Die ana­to­mi­schen Gege­ben­hei­ten müs­sen sich im Modell ein­deu­tig wie­der­fin­den, und sich in einer neu­tra­len Gelenk­stel­lung befinden.
  • Der Cal­ca­neus­ab­griff und das Quer­ge­wöl­be soll­ten bereits im Gips­ab­druck defi­niert und anschlie­ßend leicht ver­stärkt werden.
  • Auch bei plan­ti­gra­der Ein­stel­lung des Fußes ist eine ana­to­mi­sche Fuß­bet­tung wünschenswert.
  • Auf den Schei­tel­punkt der Tibia­pro­mi­nenz soll­te min 3mm Gips form­ge­treu auf­ge­tra­gen wer­den. Mit Hub­be­we­gun­gen nach pro­xi­mal und distal ist zu rech­nen, daher emp­fiehlt sich eine Ver­län­ge­rung des Schei­tel­punk­tes in bei­de Richtungen.
  • Anla­ge­flä­chen soll­ten zur Abstüt­zung knienah in ana­to­mi­scher seit­li­cher Abstüt­zung der Tibia zur Ent­las­tung der Tibi­a­kan­te und ‑pro­mi­nenz aus­ge­ar­bei­tet werden.
  • Der klas­si­sche oder leicht abge­wan­del­te Söder­berg-Zuschnitt hat sich bei eige­nen Ver­sor­gun­gen des Ver­fas­sers bereits mehr­fach bewährt und könn­te in der Orthe­tik häu­fi­ger als Zuschnitts­form in Betracht gezo­gen werden.
  • Die Ober­schen­kel­form soll­te längs­oval gestal­tet wer­den und aus­rei­chend Platz für die Adduk­to­ren­seh­ne bieten.

Mate­ri­al­aus­wahl

Als Mate­ri­al soll­ten grund­sätz­lich Faser­ver­bund­werk­stof­fe gewählt wer­den. Ein sta­bi­ler Grund­rah­men aus Pre­preg oder Epoxid­guss bil­det die Basis. Die Auf­la­ge­flä­chen soll­ten groß­flä­chig gestal­tet wer­den, um Abschnü­run­gen und das Abdrü­cken von Weich­tei­len und Mus­ku­la­tur zu mini­mie­ren. Der Sitz­be­reich für den täg­li­chen Tra­ge­kom­fort soll­te fle­xi­bel bzw. semi­fle­xi­bel gestal­tet wer­den, um ein Ver­kip­pen sowie Aus­weich­be­we­gun­gen im Sit­zen zu ver­mei­den. Die Weich­tei­le im Peri­ne­um soll­ten best­mög­lich ein­ge­fasst wer­den. Eine Wachs­tums­ver­län­ge­rung des Dreh­punk­tes und eine Volu­men­an­pas­sung für Gewichts­zu­nah­me sind groß­zü­gig ein­zu­pla­nen. Hub­be­we­gun­gen durch nach­ge­ben­de Weich­wand­in­nent­rich­ter sind zu ver­mei­den — nur star­ke Pro­mi­nen­zen pols­tern, wenn mög­lich im Sand­wich­ver­fah­ren, mit geschlos­se­ner, glat­ter Ober­flä­che aus abrieb­fes­ten ther­mo­plas­ti­schen Kunst­stof­fen. Geeig­ne­te Ver­schluss­sys­te­me wie ver­stärk­te Klett-/Flausch-Gur­te, Boa-Sys­te­me, Magnet­ver­schlüs­se oder beson­ders sta­bi­le Rat­schen­ver­schlüs­se sind den Anfor­de­run­gen ent­spre­chend aus­zu­wäh­len. HTV/RTV-Sili­ko­ne haben zwar vie­le Vor­tei­le, sind aber auf­grund des hohen Gewichts des Sili­kons und der schlech­ten Anpass­bar­keit im Kin­des­al­ter häu­fig unge­eig­net, jedoch nicht grund­sätz­lich auszuschließen.

Sta­ti­scher pro­the­ti­scher Aufbau

Der Grund­auf­bau in der Sagit­tal­ebe­ne ori­en­tiert sich grund­sätz­lich an der Ober­schen­kel­pro­the­tik. Bei vor­han­de­ner kon­trak­ter Fle­xi­on im Knie wirkt der Pro­the­sen­fuß stark nach ante­rior ver­scho­ben. Die natür­li­che Kom­pen­sa­ti­ons­beu­gung im Hüft­ge­lenk ist im Ruhe­zu­stand zu beob­ach­ten und im Grund­auf­bau vor­erst ein­zu­stel­len. Ein feh­len­der Vor­fuß­he­bel zur Knie­stre­ckung bedeu­tet einen star­ken funk­tio­nel­len Ver­lust an Ver­sor­gungs­qua­li­tät. Die Fuß­au­ßen­stel­lung ori­en­tiert sich zunächst an der vor­han­de­nen Fuß­stel­lung, mit einer Ten­denz von 3 bis 5° nach außen 15.

Ver­sor­gungs­bei­spiel

Vor­ge­stellt wird der Fall eines zehn­jäh­ri­gen Pati­en­ten mit fol­gen­den Befun­den (s. Abb. 1 u. 2):

  • Fibu­la­dys­pla­sie rechts
  • leicht ver­kürz­tes Femur mit min­der­an­ge­leg­tem Con­dylus lateralis
  • Dys­pla­sie von ACL und PCL
  • ver­kürz­te M. tri­ceps surae und Mm. peronei
  • „bowing tibia“
  • Val­gusstel­lung des Os calcaneus

Die Anfor­de­run­gen an die für den Pati­en­ten anzu­fer­ti­gen­den Orthop­ro­the­sen wer­den durch einen sehr akti­ven All­tag bestimmt. Hier­bei han­delt es sich um ein Mus­ter­bei­spiel für das Tri­go­no­me­trie­pro­blem der Elon­ga­ti­on bei Knie­ex­ten­si­on. Denn durch die Ver­kür­zung des M. tri­ceps surae steht das Knie­ge­lenk aktu­ell in einer Stel­lung von 0–20-140, das Sprung­ge­lenk ohne Abwei­chung in 0–60-70. Die Aus­gleichs­hal­tung im Hüft­ge­lenk beträgt 0–10-100. Die Knie­stre­ckung steht an obers­ter Stel­le und wird durch einen lan­gen Vor­fuß­he­bel gege­ben. Die gleich­zei­ti­ge Elon­ga­ti­on wird hier durch einen dyna­mi­schen Pro­the­sen­fuß nach Maß aus­ge­gli­chen. Durch die­se Ver­sor­gungs­va­ri­an­te wur­de die maxi­ma­le Knie­ex­ten­si­on inner­halb von 18 Mona­ten um 10° ver­bes­sert. Eine Bade- und Sport­ver­sor­gung wur­de mit­tels „Cheetah Xplo­re“ durch­ge­führt. Der Auf­bau die­ses Fußes wird zwar durch die vor­han­de­ne Fer­se beein­träch­tigt, kann daher die gewünsch­te knie­stre­cken­de Wir­kung nicht opti­mal aus­füh­ren. Er ist jedoch für den Bade- und Sport­be­reich eine mög­li­che Ver­sor­gungs­va­ri­an­te (Abb. 5).

Dis­kus­si­on

Die Pass­teil­aus­wahl im päd­ia­tri­schen Sek­tor ist in allen Berei­chen der Ortho­pä­die­tech­nik zu ver­grö­ßern, da ins­be­son­de­re im Low-Pro­fi­le-Seg­ment die pro­the­ti­schen Aus­wahl­mög­lich­kei­ten für Kin­der noch sehr begrenzt sind. Die Abrech­nungs­zu­sät­ze „Dys­me­lie­ver­sor­gung“ und „Kin­der­ver­sor­gung“ sind durch den Ver­ein zur Qua­li­täts­si­che­rung in der Arm­pro­the­tik e. V. (VQSA) bezüg­lich der obe­ren Extre­mi­tät erfolg­reich in die Ver­trä­ge eini­ger Kos­ten­trä­ger auf­ge­nom­men wor­den. Die­ser Zusatz soll­te nach Ansicht des Autors auch bezüg­lich der unte­ren Extre­mi­tät ein­ge­führt wer­den, um auch sol­che kom­ple­xen Fäl­le wirt­schaft­lich zu ver­sor­gen und die Kal­ku­la­ti­ons­dif­fe­ren­zen zu reduzieren.

Fazit

Die Fort­schrit­te der moder­nen Medi­zin im Bereich Osteo­plas­tik und Endo­pro­the­tik schrei­ten wei­ter vor­an. Die Ortho­pä­die-Tech­nik wird auch in Zukunft eine über­aus bedeut­sa­me Rol­le für Betrof­fe­ne spie­len, beson­ders für Pati­en­ten, die sich gegen einen ope­ra­ti­ven „Ver­län­ge­rungs­ma­ra­thon“ ent­schei­den. Die früh­zei­ti­ge Ver­sor­gung ist ein wich­ti­ger Fak­tor für den Ver­lauf der Ossi­fi­ka­ti­on und der moto­ri­schen Ent­wick­lung der Pati­en­ten. Eine Erwei­te­rung der Aus­wahl­mög­lich­kei­ten an vor­ge­fer­tig­ten Pass­tei­len für leich­te­re und dem Wachs­tum anpass­ba­re Pro­the­sen und Orthop­ro­the­sen, beson­ders im Kin­der- und Jugend­be­reich, wäre wünschenswert.

Der Autor:
Fabi­an Kastrup, Dipl. OTM
F. Got­tin­ger Ortho­pä­die­tech­nik GmbH
Oude­nar­der Str. 16, 13347 Berlin
fabian.kastrup@gottinger.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Kastrup F. Her­aus­for­de­run­gen der ortho­pä­die­tech­ni­schen Ver­sor­gung infan­ti­ler Pati­en­ten mit fibu­la­rer Hemi­me­lie. Ortho­pä­die Tech­nik, 2020; 71 (1): 34–37
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