Orthesen können die Hand-Rehabilitation des Patienten positiv beeinflussen; interdisziplinäres Handeln zwischen Therapeuten, Ärzten, Patienten und Technikern ist dabei jedoch dringend erforderlich.
Das Team des Verfassers befasst sich seit vielen Jahren mit diesem Fachgebiet. Gemeinsam mit den Ärzten und Therapeuten großer neurologischer Rehabilitationskliniken wurden neue Konzepte entwickelt, die erfolgreich ins Therapieprogramm integriert werden konnten. Der folgende Artikel beschreibt individuelle Handorthesen-Konstruktionen, die speziell an die Bedürfnisse von Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen angepasst sind. Die Kombination modernster Werkstoffe wie HTV-Silikonen und Carbon-Faserverbundwerkstoffen hat sich als zielführend erwiesen und zeigt deutliche Vorteile gegenüber herkömmlichen Techniken.
Einleitung
Die Literatur über Handorthesen befasst sich meist mit Versorgungen, die nach traumatischen, operativen oder orthopädischen Ereignissen notwendig sind. Die Versorgung von Krankheitsbildern wie chronischer Polyarthritis oder Querschnittlähmungen ist häufig beschrieben. Wenige Informationen erhält man jedoch über die Versorgung neuromuskulärer Erkrankungen. Nicht alle beschriebenen Grundsätze lassen sich in den neurologischen Versorgungsbereich übertragen. Ein Beispiel hierfür sind die gewünschten Lagerungspositionen; in der Orthopädie oder Handchirurgie wird nach operativen Maßnahmen häufig eine Einbettung der „günstigen funktionellen Stellung der Hand“ gefordert. Gemeint ist hiermit die sogenannte Intrinsic-plus-Stellung, bei der das Handgelenk in einer mäßigen Streckung von ca. 30° eingebettet sein muss. Die Finger sind im Grundgelenk um 80° gebeugt, und die Interphalangealgelenke sind vollständig gestreckt. Der Daumen steht opponiert in 45° Abduktion 1.
Wenn man im neuromuskulären Bereich nach einem Schlaganfall oder einer Cerebralparese von einer Funktionsstellung spricht, ist damit die Neutral-Ruhe-Stellung 2 (Abb. 1) gemeint. Sie weicht leicht, aber entscheidend von der Intrinsic-plus-Stellung ab: Neben der geringeren Extension im Handgelenk von ca. 15 bis 20° zeigt sie leicht gebeugte Interphalangealgelenke. Die geringere Abduktion (ca. 30°) des Daumens in der Oppositionsstellung ist notwendig, um bei Tonuserhöhungen eine sichere Fixation der Hand in der Orthese zu erreichen. Gerade bei Händen mit Tonuserhöhung ist die leicht gebeugte Fingereinbettung elementar, um eine sichere Einbettung zu gewährleisten. Die Gewölbe der Hand verdienen besonderes Augenmerk, insbesondere der Erhalt des Metakarpalbogens (Abb. 2; natürlicher Handbogen der Fingergrundgelenke); dieser resultiert aus der Aufrichtung des Handquergewölbes. Oft ist er bei tonuserhöhten Händen deutlich abgeschwächt und muss in der Orthese nachmodelliert werden. Die Reduktionsflächen (Abb. 3) liegen in der zentralen Handfläche und stützen sich am Tenar ab. Die Neutral-Ruhe-Position ist bei tonuserhöhten Händen als Optimum der Handbettung zu betrachten. Ziel ist es, die Hände in diese Richtung zu lenken. Häufig ist das aber nur bedingt zu erreichen – jeder Fall muss in seiner Komplexität einzeln bewertet werden, für jedes Gelenk ist eine einzelne Priorität festzulegen. So ist es manchmal zielführender, die Finger bei gebeugtem Handgelenk zu strecken. Zu beachten ist dabei, dass die Korrekturen keine Schmerzen verursachen, aber trotzdem eine konstante Vorspannung bewirken.
Zur besseren Übersicht lassen sich Handorthesen bei neuromuskulären Erkrankungen als Baustein der Handrehabilitation in zwei Gruppen klassifizieren (Abb. 4): lagernde Orthesen (passiv) und funktionelle Orthesen (aktiv). Die Entscheidung, welche Gruppe bei den Betroffenen angewendet wird, hängt von den Restfunktionen der Hand ab: Verfügt ein Betroffener nicht mehr über die Fähigkeit, seine Hand willkürlich zu bewegen, wird eine Handorthese lagernde bzw. tonusregulierende Aufgaben bekommen. Ziel dessen ist es, Strukturen zu erhalten und Fehlstellungen zu redressieren, um somit die Annäherung an eine physiologische Stellung zu erreichen. Ist eine Restfunktion in irgendeiner Form vorhanden, ist diese mit allen therapeutischen und technischen Mitteln zu fördern. Der Einsatz der betroffenen Hand – und ist er noch so klein – darf unter keinen Umständen durch eine orthetische Versorgung beeinträchtigt werden. Ist in solchen Fällen trotzdem eine Lagerungsorthese notwendig, ist deren Gebrauch genau zu planen. Es sollte ein exaktes Tragekonzept erarbeitet werden, in dem eine Lagerungsorthese dann nur in nicht aktiven Zeiten Berücksichtigung findet. Würde diese Orthese dauerhaft getragen werden, könnte das den Nichtgebrauch der betroffenen Seite noch zusätzlich fördern. In diesem Fall wäre ein Nachtlagerungskonzept der denkbare Weg.
Lagerungsorthesen
Lagerungsorthesen sind individuell nach den Symptomen der Hand auszuwählen; ihre Konstruktion kann dadurch deutliche Unterschiede aufweisen. Es gibt Fälle, in denen weder eine Spastik noch ein deutlicher Hypertonus in der Hand vorzufinden ist. Ist aus medizinisch-therapeutischer Sicht eine Versorgung notwendig, so kann auf den ersten Blick eine einfache Lagerungsorthese durchaus die ausreichende Versorgung darstellen. Die häufigste Bauart ist hierbei noch immer die volar angelegte Schiene.
Sowohl die eingeschränkte Selbstständigkeit beim An- und Ablegen als auch ungünstige Druckverhältnisse lassen die volare Anlageform bei genauer Betrachtung jedoch häufig fraglich erscheinen. So lassen sich Orthesen, die eine dorsale Führung haben, deutlich einfacher anziehen. Auch ist das Dreipunktprinzip der Korrektur durch die feste Anlage an der dorsalen Handwurzel deutlich effektiver, als dies durch Verschlüsse erreicht werden kann. Bei neuromuskulären Erkrankungen ist häufig ein Hypertonus in den Flexoren vorhanden. Dieser wird bei Korrektur noch verstärkt. Der volare Muskelzug bedingt das Abweichen der Handwurzelknochen nach dorsal (Abb. 5a u. b).
Bei den dem Verfasser häufig vorgestellten stark tonuserhöhten Handfehlstellungen ist das selbstständige Anziehen eine Aufgabe, die in einer volaren Führung kaum selbstständig zu bewältigen ist. Der Anziehprozess führt die Hand automatisch in die Korrekturrichtung; der Einstieg in die Orthese erfolgt von medial (Abb. 6), die dorsale Anlage dient daher beim Anziehprozess als Umlenkpunkt. Bei vielen Patienten ist der Muskeltonus nicht konstant – er kann je nach Situation schwächer oder auch deutlich stärker sein. Um diesem Umstand gerecht zu werden, wurde die Handlagerungsorthese mit dynamischem Silikonhandteil entwickelt (Abb. 7). Dieses zweiteilige System besteht aus einem flexiblen Silikonhandteil, das so gefertigt ist, dass es bei einer definierten Krafteinwirkung nachgibt und sich anschließend wieder in seine Ursprungsform zurückstellt. Adaptiv wird das Handgelenk über eine feste Carbonfaserschiene (Abb. 8) fixiert.
Bei angelegter Schiene kann nun ein plötzlicher Tonusanstieg (z. B. durch eine Spastik) sanft abgebremst werden, sodass der Betroffene ein deutlich geringeres Spannungsgefühl erleidet. Würde man eine solche Versorgung aus rigiden Materialien fertigen, bestünde die Gefahr, dass die hohe Spannung zu Schmerzen führt. Schmerzen wiederum führen meist zur Erhöhung der Tonusverhältnisse, was therapeutisch unerwünscht ist.
Funktionsfördernde Orthesen
Funktionsfördernde Orthesen in der Neurologie stellen die anspruchsvollste Herausforderung für das gesamte Rehabilitationsteam dar. Die Kunst, das richtige Maß der Korrektur zu finden, erfordert sehr viel Erfahrung und auch Geduld bei allen Beteiligten. Testorthesen sind fast immer notwendig und sollten bereits bei der Planung vorgesehen werden, denn der Pfad zwischen Erfolg und Nichterfolg ist gerade bei dieser Versorgungsform sehr schmal. Doch gerade hier können Orthesen einen großen Beitrag dazu leisten, dass der Patient seine betroffene Hand häufiger und auch motivierter einsetzen kann. Aus therapeutischer Sicht wird die paretische Hand sehr häufig durch den erzwungenen Gebrauch („Forced-Use-Therapie“) behandelt 3. Orthesen können hier einen alltagsrelevanten Bezug deutlich begünstigen. Es ist jedoch zwingend notwendig, dass der Betroffene, der behandelnde Therapeut und der fertigende Techniker die Zielsetzungen einer Versorgung klar definieren. Das Ziel sollte sich immer an der menschlichen Physiologie orientieren und dem Patienten eine klare Funktionsverbesserung im Alltag bieten.
Im Gegensatz zu peripheren Nervenschädigungen, bei denen klare Voraussagen getroffen werden können, welche Funktion bei welcher Läsion ausfällt und welche Maßnahmen dann erfolgversprechend sind, ist das bei zentralen Nervenschädigungen oft nicht vorauszusagen.
Funktionshandorthesen greifen in typische unphysiologische Muster (z. B. Adduktionsstellung des Daumens nach Schlaganfall; Abb. 9) des Patienten ein und führen diese in Richtung eines physiologischen Musters. Eine begleitende intensive ergotherapeutische Betreuung ist hierbei dringend notwendig, da der Patient das neue Muster mit seiner Orthese erlernen muss.
Dabei kommt häufig Silikon zum Einsatz; es erlaubt eine gut dosierbare Lenkung aus den pathologischen Mustern. So wirken Daumenspangen aus dünnem Silikon (Abb. 10) mit definierten Verstärkungen um den Daumen so, dass dieser wieder als Gegengriff genutzt werden kann. In Abgrenzung zu rigiden Kunststoffschienen findet hierbei eine Führung und keine Ruhigstellung statt. Das weiche Material Silikon erhält in Teilen die Tiefensensibilität, sodass gegriffene Gegenstände auch gefühlt werden können. Gewünschte Bewegungen (z. B. die Abduktion des Daumens) sind möglich, unerwünschte werden deutlich erschwert.
Oft zeigen sich Bewegungsmuster, die zwar eine Greiffunktion erlauben, aber doch sehr unphysiologische Stellungen in den einzelnen Gelenken bedingen (Abb. 11). Bereits kleine Stellungsänderungen der Hand können Auswirkungen auf ein komplettes Bewegungsmuster haben. So kann sich die Korrektur im Handgelenk stabilisierend auf den Rumpf auswirken, weil dieser die Fehlstellung nicht mehr ausgleichen muss. Grundsätzlich sind dynamische Lösungen den rigiden Techniken deutlich überlegen. Das Beispiel einer Carbonfaser-Spiralorthese mit Silikon-Daumenführung (Abb. 12) belegt, dass der Patient Greifbewegungen auf diese Weise wesentlich gezielter ausführen kann (Abb. 13).
Es kann generell festgestellt werden, dass der Daumen häufig eine Schlüsselrolle bei der erfolgreichen Behebung von Fehlmustern spielt. Das folgende Beispiel zeigt, dass die individuelle Behandlung jeder Hand unausweichlich ist. Bei der hemiparetischen Hand nach Schädel-Hirn-Trauma sind vielfältige Deformierungen der Finger erkennbar (Abb. 14). Die daumenumgreifende Muskulatur ist vollständig erschlafft, der Daumen kann nicht mehr aktiv in Opposition gebracht werden, die Hand hat alle Gewölbestrukturen verloren. Ziel einer solchen Versorgung ist es, die Physiologie wieder so weit herzustellen, dass der Patient die Hand zum Schreiben einsetzen kann. Beim Versuch, etwas zu greifen, begibt sich das Handgelenk in eine Beugestellung. Aufgrund dieser Tatsache würde man geneigt sein, eine handgelenksumgreifende Orthese zu bauen, was sich aber sehr schnell als nicht zielführend herausstellte. Die Konstruktion wurde vielmehr so gewählt, dass ein fester Carbonrahmen die Gewölbestrukturen der Hand aufrichtet und gleichzeitig die Überstreckung der Fingergrundglieder hemmt. Die Beugung ist vollständig erhalten. Der Daumen wird durch eine weiche Silikonführung in Opposition gehalten. Das Handgelenk wird frei gelassen; durch die Stellungsänderung der Mittelhand wird im Handgelenk das pathologische Muster aufgehoben. Das Versorgungsergebnis (Abb. 15) zeigt eine nahezu physiologische Stellung der Hand. Schreiben ist mit Stiftverdickungen aufgrund der fehlenden Kraft jetzt gut möglich.
Fazit
Moderne Handorthetik leistet einen entscheidenden Beitrag in der Handrehabilitation. Dazu ist es erforderlich, modernste Materialien einzusetzen und Testorthesen herzustellen. Die in der Produktgruppe 23 erläuterten Ausführungsbeschreibungen sind mit den in diesem Artikel vorgestellten Versorgungen nicht zu vergleichen; auch die orthopädietechnische Literatur bietet viel zu wenige Informationen über diesen hochkomplexen Versorgungsbereich. Schließlich ist auch die Studienlage zu Orthesen der oberen Extremität in der Neurologie nicht mehr aktuell und sollte im Hinblick auf neue Entwicklungen nachhaltig überprüft und ergänzt werden. Der Weg zum Erfolg ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten im Rehabilitationsteam.
Danksagung
Ein besonderer Dank geht an das Team des Verfassers, das mit seinem außerordentlichen Einsatz entscheidend zum Entstehen dieses Artikels beigetragen hat.
Der Autor:
Jochen Steil, OTM
Bereichsleiter Arm- und Silikontechnik
Fachbereich Neurorehabilitation
Brillinger GmbH und Co. KG
Handwerkerpark 25
72070 Tübingen
Jochen.Steil@brillinger.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Steil J. Handorthesen bei neuromuskulären Erkrankungen. Orthopädie Technik, 2017; 67 (2): 28–31
- Die neue Leitlinie zum Lipödem-Syndrom: mehr Licht als Schatten. Konsequenzen für die Praxis — 5. Dezember 2024
- Orthesenversorgung bei Läsion des Plexus brachialis — 4. Dezember 2024
- Anforderungen an additiv gefertigte medizinische Kopfschutzhelme — 4. Dezember 2024
- Sturzenegger M, Bohli E. Schienenbehandlung der Hand. Bern, Göttingen: Verlag Hans Huber, 1991
- Malick MH, Baumgartner R. Lagerungsschienen für die Hand. Eine Praxisanleitung. Stuttgart: Thieme Verlag, 1976
- Freivogel S. Forced-use-Therapie. In: Mehrholz J (Hrsg.). Neuroreha nach Schlaganfall. Stuttgart: Thieme Verlag, 2011: 43–54