Hierbei hat sich als eine nachhaltig erfolgreiche Therapie in der Praxis die sogenannte Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE) herausgebildet. Sie besteht aus den zwei Phasen:
- Phase I: Entstauung
- Phase II: Konservierung und Optimierung/Erhaltung
In beiden Phasen der KPE werden folgende Maßnahmen angewandt:
- Hautpflege,
- manuelle Lymphdrainage,
- Kompressionstherapie,
- Bewegungstherapie.
In der Phase I sollte die manuelle Lymphdrainage mit Bandagen – wenn möglich täglich – ausgeführt werden. Krankschreibung oder Urlaubszeit ermöglichen die tägliche Behandlung und Erreichung eines schnelleren gesicherten Therapieergebnisses. Tägliche Ausführung führt so zu einem guten Kosten-Nutzen-Verhältnis.
In der Phase II hingegen ist – je nach Schweregrad des Lymphödems – eine manuelle Lymphdrainage weniger häufig erforderlich.
Ein Kompressionsstrumpf nach Maß sichert das erreichte Therapieergebnis. Die KPE ist mit ihren zwei Phasen unbedingt als Gesamtes zu betrachten und durchzuführen. Denn nur die Anwendung in ihrer Gesamtheit stellt eine genügende Entstauung sowie vor allem die Erhaltung der erreichten Ödemreduzierung sicher.
Voraussetzung für den Therapieerfolg mit Kompressionsstrümpfen
Der Kompressionsstrumpf sollte erst in der Erhaltungsphase und nicht bereits in der Entstauungsphase eingesetzt werden. Bandagen und Kompressionsstrumpf stellen gleiche Anforderungen an die Kompressionstherapie – nur mit dem Unterschied, dass die Bandage unmittelbar der jeweiligen Ödemreduzierung folgen kann und somit optimal für den Einsatz in der Entstauungsphase geeignet ist.
Da der Kompressionsstrumpf nach seiner Fertigung weder in der Länge noch im Umfang veränderbar ist, ist er in der Erhaltungsphase einzusetzen und sichert dann die bisher erreichte Ödemreduzierung nachhaltig ab. Ein zum falschen Zeitpunkt (zu früh) angemessener Kompressionsstrumpf kann den Therapieerfolg in Frage stellen. Somit liegt es im Interesse aller Beteiligten, in Bezug auf die richtige Strumpfversorgung folgende Aspekte sorgfältig zu beachten:
- Zeitpunkt des Anmessens,
- Qualität des Kompressionsstrumpfes,
- Ausführung des Kompressionsstrumpfes.
Dabei ist frühzeitig eine enge Zusammenarbeit zwischen den zuweisenden Ärzten, den Lymphtherapeuten und dem Fachpersonal des Sanitätshauses sicherzustellen. Das Fachpersonal sollte unbedingt in der Versorgung von lymphatischen Kompressionsstrümpfen ausgebildet sein.
Anmessen des Kompressionsstrumpfes
Für die Therapie des Lymphödems sind aufgrund der erforderlichen präzisen Drücke und wegen der meist von der Norm abweichenden Form der betroffenen Extremität Maßanfertigungen indiziert. Diese Maßanfertigungen werden nach exakter Vermessung mittels Maßband und Maßbrett (empfohlen) hergestellt. Sie erfolgen an definierten Messpunkten, an denen die Länge und die entsprechenden Umfänge festgelegt werden. Die Längen- und Umfangmaße werden in ein Maßformular eingetragen und an den Hersteller zwecks Fertigung der Kompressionsstrümpfe geschickt. Diese festgelegten Maße dienen zusätzlich zur Dokumentation der Therapie und sind dann auf Anfrage jederzeit reproduzierbar.
Zudem wurde ein Anmess-Protokoll entwickelt, mit dem der Ödemumfang zum Zeitpunkt des Vermessens, die Ödemkonsistenz sowie die verwendete Messtechnik nachvollzogen werden können. Diese erweiterte Dokumentation ergibt zusätzlich notwendige Hinweise über Veränderungen des Ödemverlaufs sowie bei anderen evtl. auftretenden Problemen. Es ist weiterhin zu beachten, dass Lymphpatienten Maßstrümpfe benötigen, deren Fertigung einige Zeit in Anspruch nimmt. So vergehen ein paar Tage zwischen Anmessen und Lieferung des Kompressionsstrumpfes. Daher empfiehlt es sich, das Anmessen ca. 5 Tage vor Ende der Phase I vorzunehmen (Abb. 1), damit der Patient mit einer gut sitzenden, durch Fachpersonal kontrollierten Kompressionsstrumpfversorgung in die Phase II entlassen werden kann.
Da die Krankenkassen in der Regel einen Kostenvoranschlag für die Genehmigung der entstehenden Kosten verlangen, bedarf es einer besonderen Zeitabsprache mit dem Fachpersonal des Sanitätshauses. Bei einer Erstversorgung sollte das Anmessen in der Lymphtherapeutenpraxis nach der Lymphdrainage und vor Bandagierung erfolgen. Um die Kontinuität der Therapie zu gewährleisten, sollte ein zweites Paar verordnet werden, da Kompressionsstrümpfe regelmäßig gewaschen werden müssen (sogenannte Wechselpaar-Verordnung). Kompressionsstrümpfe sollten nach einem halben Jahr unter Hinzuziehen und Vergleichen der bisherigen Maße (hilfreich dabei das Anmess-Protokoll) erneut verordnet und angemessen werden. Eine Neuverordnung vor Ablauf eines halben Jahres ist mit Begründung möglich.
Kompressionsstrümpfe: Aufgabe und Wirkung
Die Hauptaufgabe von Kompressionsstrümpfen besteht darin, den erreichten Status der Ödemreduzierung so weit wie möglich zu erhalten. Wie bei den Bandagen wird durch die Kompression der interstitielle Gewebedruck erhöht und damit bei gleichzeitig gesteigerter Reabsorption die Ultrafiltration vermindert. Eine Voraussetzung für den Erfolg der Kompressionstherapie ist die Auswahl eines Strumpfes mit der für die Indikation geeigneten Kompressionsklasse (KKL). Die Kompressionsdruckklasse gibt den Druck in mmHG an, den der Strumpf auf die Extremität im Fesselbereich ausübt (Abb. 2). In Verbindung mit der Stricktechnik wird der Druckverlauf gemäß den Richtlinien der Gütezeichengemeinschaft Medizinischer Kompressionsstrümpfe für die untere Extremität von distal (100 %) nach proximal (40 %) erstellt.
Sollte aufgrund des Schweregrades der Erkrankung ein Kompressionsstrumpf mit sehr hohem Druck erforderlich sein, der Patient jedoch nicht in der Lage sein, diesen alleine anzuziehen, so ist eine Verordnung von zwei Kompressionsstrümpfen in Erwägung zu ziehen. Diese übereinander getragenen Kompressionsstrümpfe erleichtern das Anziehen und gewährleisten dennoch den notwendigen hohen Druck. (Druckwerte addieren sich). Für einige Lymphödemformen – z. B. distal betontes Lymphödem – besteht die Möglichkeit der Verordnung eines Kompressionsschenkelstrumpfs (oder ‑hose) sowie eines Kompressionskniestrumpfes, um den Kompressionsdruck im distalen Bereich zu erhöhen.
Herstellung
Die Herstellung von Kompressionsstrümpfen erfolgt nach zwei Methoden: dem Rundstrick- und dem Flachstrickverfahren.
Rundstrick
Rundgestrickte Kompressionsstrümpfe werden auf einem Zylinder gestrickt, dessen Nadeln in einer Runde angeordnet sind. Da die Nadelzahl im Strickzylinder konstant ist, kann auch die Maschenzahl im Strumpfumfang nicht verändert werden. Die Anpassung an die Beinform erfolgt in erster Linie durch die unterschiedliche Vordehnung des im Strumpf spiralförmig verlaufenden elastischen Einlegefadens sowie durch die Veränderung der Maschenhöhe (von distal – kleine Maschen – zu proximal – größere Maschen). Auf diese Weise werden das notwendige Druckgefälle von distal nach proximal sowie die Formgebung des Strumpfes erreicht. Der medizinisch wirksame Kompressionsdruck wird durch Art und Stärke des Einlegefadens wie auch der maschenbildenden Fäden bestimmt. Das Rundstrickverfahren eignet sich in erster Linie für venöse Erkrankungen und zeichnet sich durch feine und dünne Materialien aus (Abb. 3a u. b).
Flachstrick
Flachgestrickte Kompressionsstrümpfe werden Reihe für Reihe „hin- und her“ gestrickt. Die Maschengröße bleibt immer gleich, die Formveränderung erfolgt an den jeweiligen Seiten durch Zu- und Abnahme von Maschen. Danach müssen die Seiten zusammengenäht werden. Dabei entsteht eine flache Naht in Längsrichtung. Durch diese Stricktechnik kann anatomisch passgenau gestrickt werden. Ebenso werden der Kompressionsdruck und der Druckverlauf aufgebaut. Das Material zeichnet sich durch eine gröbere Struktur aus, das eine größere Luftdurchlässigkeit zulässt und die Mikrozirkulation unterstützt. Dadurch wird ein wesentlich höherer therapeutischer Nutzen gegenüber dem Rundstrickverfahren erreicht. Allerdings ist diese Herstellung zeit- und kostenintensiver. Dadurch erklärt sich auch der Kostenvoranschlag, den die Krankenkassen verlangen (Abb. 4a u. b).
Lymphatische Versorgung: Was sollte beachtet werden?
- Bei lymphatischen Indikationen sollte Flachstrick eingesetzt werden. Seit einiger Zeit gibt es zudem flachgestrickte, jedoch nahtlos hergestellte Kompressionsversorgungen als Handschuhe wie auch Zehenkappen.
- Eine Strumpfhose mit integriertem kompressiven Leibteil und schräg in der Leiste verlaufenden Verbindungsnähten (Slipform) ist aus therapeutischer Sicht erwünscht.
- Bei einem einseitigen Bein-Lymphödem sollte eine Einbeinstrumpfhose in Betracht gezogen werden, um das Risiko eines Genitallymphödems zu verringern.
- Haftränder, welche zur Befestigung von Kompressionstrumpfversorgungen benötigt werden, sollten schräg und nicht zirkulär angebracht werden.
- Bei Vorfuß-Ödemen sollte möglichst eine Versorgung mit offener Fußspitze (vorne schräg) erfolgen. Sind Zehen ebenfalls betroffen („Stemmer positiv“), wird zusätzlich mit einer Zehenkappe versorgt.
- Bei flachgestrickten Armstrumpfversorgungen reicht oftmals der schräge Abschluss ohne Befestigung.
- Selbst bei leichter Tendenz zum Handrückenödem sollte ein Kompressionshandschuh in Betracht gezogen werden.
- Aufgrund des Gesetzes von LaPlace sollte – speziell beim Handrückenödem an entsprechender Stelle ein Druckpolster in die Versorgung eingelegt oder eingenäht werden.
- Um Einschnürungen/Behinderungen in den Abflussbereichen zu vermeiden, sollte u. a. auf die Breite der BH-Träger hingewiesen werden.
Allgemeines: Anziehhilfen, Pflege
Eine wesentliche Erleichterung beim Anziehen von Kompressionsstrümpfen und zur Vermeidung eines Erysipels bieten Anziehhilfen, die auch vom Arzt mit entsprechender Diagnose rezeptiert werden können. Generell sollten Gummihandschuhe zum Anziehen verwendet werden, die nicht nur das Strumpfmaterial schonen, sondern auch das Anziehen deutlich erleichtern.
Wie bei der Kompressionsbandagierung ist die Hautpflege auch beim Tragen von Kompressionsstrümpfen notwendig. Um das Strumpfmaterial zu schonen, sollte die Hautpflege abends erfolgen. Jeder Kompressionsstrumpf hat auch bei noch so guter Pflege eine begrenzte Lebensdauer. Dies zeigt sich durch schleichendes Nachlassen des Kompressionsdruckes, so dass eine unbemerkte Ödemzunahme die Folge sein kann. Daher sollten Kompressionsstrümpfe nach einem halben Jahr erneut verordnet und wieder erneut angemessen werden. Defekte Kompressionsstrümpfe sind zu ersetzen. Pflegehinweise laut Herstellerinformation sind zu beachten. Kompressionsstrümpfe sollten täglich, wenigstens jedoch jeden zweiten Tag, gewaschen werden. Daher ist zu Beginn der Therapie die Verordnung eines Wechselpaares erforderlich. Gleichzeitig wird die Lebensdauer und somit die Kompressionswirkung verlängert.
Bei Fragen zu den oben aufgeführten Punkten ist es ratsam, die verordnenden Ärzte, das Sanitätshaus und gegebenenfalls den Hersteller einzuschalten. Nur in Zusammenarbeit aller Beteiligten ist ein zufriedenstellender Therapieerfolg möglich. Dieses Hand-in-Hand-Vorgehen in der Lymphologie ist der wesentliche Baustein für nachhaltigen und damit kostengünstigen Therapieerfolg.
Die Autorin:
Angelika Gattwinkel
Kurze Breede 10
33649 Bielefeld
angelika@gattwinkel.net
Begutachteter Beitrag/Reviewed paper
Gattwinkel A. Hand in Hand in der Lymphologie. Orthopädie Technik, 2013; 64 (5): 44–47
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