Brustkreb ist die häufigste bäsartige Tumorerkrankung bei Frauen in der westlichen Welt. In Deutschland werden jährlich etwa 70.000 Neuerkrankungen registriert. Daher spielt die Erhaltung und Wiederherstellung der Körpersymmetrie bei Frauen mit Brustkrebs eine wichtige Rolle. Auch wenn aktuell die Möglichkeiten der brusterhaltenden Therapie und der rekonstruktiven Chirurgie öffentlich intensiv diskutiert werden, sind die Aspekte der Brustprothetik weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Nachsorge. Denn die Brustprothese ist die häufigste Wahl, wenn es um den Ausgleich der Silhouette geht. Nicht jede Frau will sich weiteren – oft langwierigen und oft schmerzhaften – Operationen unterziehen. Durch die beständigen technischen Innovationen der Brustprothesen ist es heute möglich, Frauen bedarfsgerecht zu versorgen – entsprechend ihrer jeweiligen Lebenssituation und ihrem Lebensstil.
Innovationen sind an den Bedürfnissen der Trägerinnen auszurichten. Die meistgenannte Anforderung lautet, unter der Prothese nicht zu schwitzen. Durch Hormontherapie, Menopause oder auch aufgrund sportlicher Aktivität kann ein Hitzestau zwischen Brustwand und Prothese entstehen, der von den Frauen als sehr unangenehm beschrieben wird. Denn nicht nur Schweiß und Hitze sind störend, auch unerwünschte Geruchsbildung kann die Trägerinnen zusätzlich verunsichern.
Derzeit gibt es auf dem Markt von den verschiedenen Herstellern unterschiedliche Lösungen zur Temperaturreduzierung zwischen Prothese und Brustwand, etwa durch Einarbeitung von Luftkanälen, Rauten oder Noppen auf der Rückseite. Hierdurch kann die warme Luft entweichen und in der Bewegung kühlere Luft hinter die Prothese gelangen.
Doch wie effektiv sind Luftkanäle, Rauten oder Noppen? Reichen sie aus, um einen für die Trägerin zufriedenstellenden Tragekomfort herzustellen? Denn Temperaturausgleich ist das eigentliche Ziel. Erwärmt sich die Prothese, z. B. durch körperliche Aktivität der Frau, sollte die Wärme gespeichert werden, um sie beim Abkühlen des Körpers wieder abgeben zu können. Nur so kann ein angenehmes Hautklima zwischen Prothese und Brustwand geschaffen werden. Daher sind die Anforderungen an die medizintechnische Entwicklung weit höher, wie eine Studie an der Fachhochschule Rosenheim nachgewiesen hat, die in diesem Artikel vorgestellt wird.
Brustprothesen sind hochwertige und innovative medizintechnische Kunststoffprodukte. Im Allgemeinen besteht die äußere Schicht einer Prothese aus einer Kunststofffolie. Diese verhält sich auf der Haut wie eine Wärmebarriere: Wärme, die zum Beispiel durch körperliche Betätigung entsteht, staut sich unter der Folie und kann nicht abgeführt werden. Umgekehrt verliert die Prothese bei plötzlichem Abkühlen wie z. B. bei kurzzeitigem Ablegen oder Lösen vom Körper durch Bewegung etc. schnell die durch Körperkontakt erzielte Temperatur.
Wünschenswert ist ein aktiver Temperaturausgleich. Solche aktiven Temperaturausgleichssysteme kommen bei Sportkleidung, in der Luft- und Raumfahrttechnik (Funktionskleidung) oder aber auch im modernen Hausbau vor 1 2 3. Erreicht wird dieser aktive Wärmeausgleich durch Wachse, die im gewünschten Temperaturgebiet einen Phasenwechsel haben, sprich schmelzen. Der Schmelzvorgang kann große Wärmemengen aufnehmen, ohne dass es zu einer weiteren Erhöhung der Temperatur kommt. Menschen empfinden diesen Vorgang als kühlend auf der Haut. Umgekehrt bedeutet ein Abkühlen, dass geschmolzenes Wachs erstarrt und dabei große Mengen an Wärmeenergie freigibt, was wir wiederum als wärmend auf der Haut empfinden. Die Firma Amoena erreicht dies bei Brustprothesen durch einen patentgeschützten Einbau von wärmeregulierenden gekapselten Wachskugeln.
Die besondere Eigenschaft dieser mit Wachs gefüllten Kugeln ist ihr Vermögen, im Körperwärmebereich sowohl Wärme zu speichern als auch abzugeben. Erwärmt die Haut die Prothese durch körperliche Betätigung, beginnt das Wachs in den Kugeln zu schmelzen. Das Schmelzen benötigt Energie – jene Energie, die der Körper durch die Betätigung erzeugt hat. Normalerweise baut der Körper diese Wärmeenergie durch Schwitzen ab. Unter einer Kunststofffolie ist er dazu aber nicht in der Lage. Das Aufnehmen dieser Wärme erledigen somit die Wachskugeln in der Prothese. Wenn die Hautoberfläche abkühlt, zum Beispiel wenn man im Winter aus dem geheizten Haus ins Freie tritt, beginnt das Wachs wieder fest zu werden (zu kristallisieren). Die Kristallisation ist mit der Abgabe von Wärme verknüpft.
Im Folgenden werden drei Methoden aufgezeigt, wie dieser Effekt nachgewiesen werden kann (Abb. 1):
Untersuchung mit Wärmebildkamera
Wärme kann mit Hilfe spezieller Kameras, sogenannter Wärmebildkameras, sichtbar gemacht werden. Wärmebildkameras werden unter anderem eingesetzt, um die Wärmedämmung von Häusern durch Sichtbarmachen der Wärmeabgabe zu untersuchen. Für die Untersuchung der Wärmeregulierung bei Brustprothesen wurden zwei Modelle ausgewählt: ein Modell mit Temperaturausgleich (Brustprothese „Energy” von Amoena) und ein Vergleichsprodukt ohne aktive Temperaturregulierung. Abbildung 2 zeigt die Testprothesen.
Wärmeaufnahme
Häufig wird gewünscht, dass die Prothese bei Hitzewallungen und sportlicher Betätigung Körperwärme aufnehmen kann. Die Wärmebilder (Abb. 3a‑e) zeigen die Brustprothesen bei Raumtemperatur zu Beginn des Experiments und den Temperaturanstieg im Laufe der Zeit, wenn die Prothesen erhöhter Temperatur ausgesetzt werden. Die Wärmebilder belegen: Nur Prothesen mit aktiver Temperaturregulierung sind in der Lage, Wärme aktiv aufzunehmen und zu speichern. In den Wärmebildern wird dies durch die lange Zeit, in der die Prothese „grünblau” erscheint, deutlich.
Wärmeabgabe
Um die Wärmeregulierung mit der Wärmebildkamera zu verdeutlichen, werden die Prothesen erwärmt, anschließend bei Raumtemperatur gelagert und der Temperaturverlauf beim Abkühlen gemessen. Eine gute Prothese gibt die Wärme nur langsam ab. Hierdurch fühlt sich die Prothese einer Trägerin, welche die Prothese kurzzeitig ablegt, zum Beispiel zum Duschen für 10 Minuten, nach dem Wiedereinlegen nicht kalt an.
Zu Beginn sind beide Prothesen auf Raumtemperatur erwärmt, im Wärmebild als blau zu erkennen. Danach werden sie 100 Minuten in einem Ofen bei 50 °C durchwärmt und anschließend wieder bei Raumtemperatur gelagert.
Nach dem Entnehmen aus dem Ofen sollte die Prothese noch lange Zeit Wärme abgeben, aber möglichst nicht zu warm sein. In der Wärmebildkameraaufnahme ist nach 10 Minuten Abkühlungszeit zu erkennen, dass das Vergleichsprodukt rechts rot erscheint, während die Prothese mit aktiver Temperaturregelung links deutlich kühler ist, im angenehmen Körperwärmebereich. Nach 30 Minuten kehren sich die Farben praktisch um, da das Vergleichsprodukt rechts ausgekühlt ist, während die Prothese mit aktiver Temperaturregulierung links noch deutlich Wärme abgibt (Abb. 4a‑f).
Praxistest: Tagesablauf mit Temperaturmessung
Testaufbau und ‑ablauf
Die Prothesen werden mit einem Temperaturfühler auf der Mitte der körperzugewandten Seite versehen, fixiert und der Probandin in einen BH eingelegt. Mittels eines Datenaufzeichnungsgerätes („Datenlogger”) werden die Temperaturen alle 20 Sekunden gemessen. Dabei soll die Probandin einen Tagesablauf mit sportlichen Aktivitäten sowie Ruhepausen und leichten Tätigkeiten simulieren.
Die Prothesen werden direkt am Morgen nach dem Aufstehen angelegt. Beim Frühstück und bei leichten Tätigkeiten wird zunächst das Aufwärmen betrachtet. Sportliche Aktivitäten wie z. B. Walking, Jogging oder Radfahren werden in Form einer Mountainbikefahrt simuliert, wobei auch das Bergabfahren ohne Anstrengung einen wichtigen Aufschluss über das Abkühlverhalten gibt – besonders die Abkühlung nach dem Schwitzen bewirkt häufig ein unangenehmes Kälteempfinden. Wie die Prothesen auf diese Temperaturschwankungen reagieren, lässt sich mit Hitzewallungen der Trägerinnen korrelieren.
Um den Ablauf realistisch zu gestalten, legt die Probandin die Prothesen beim Duschen ab, womit das Abkühl- und anschließende Aufwärmverhalten bei kurzzeitigen Trageunterbrechungen ermittelt werden kann. Leichte Tätigkeiten, die nur geringe Schwankungen der Körpertemperatur bewirken, schließen den Tagesablauf ab.
In Abbildung 5 sind die Temperaturkurven der beiden im Vergleich gemessenen Prothesen wiedergegeben. Gute Brustprothesen sollen weder steile Temperaturanstiege noch ‑abfälle aufweisen. Die blaue Linie der Prothese mit aktiver Temperaturregulierung zeigt diesen gewünschten Verlauf. Bei der Bergfahrt kühlt sie deutlich, bei der Talfahrt wärmt sie nach. Dies ist auch bei leichten Tätigkeiten zu beobachten.
Ein weiterer wichtiger Hinweis auf den aktiven Wärmeausgleich besteht darin, dass sich nach der Mountainbikefahrt bei der Probandin, die die aktive Prothese trug, deutlich weniger Schweiß unter der Prothese angesammelt hatte.
Die hier gezeigten Ergebnisse stehen im Einklang mit Forschungsergebnissen der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt St. Gallen, kurz EMPA 4. Entsprechende Untersuchungen dort an PCM-Materialien in Kleidungsstücken zeigen einen analogen Effekt: die angenehme Kühlung bei sportlicher Betätigung, die Wärmeabgabe in Ruhephasen und die Schweißreduktion.
Praxissimulation im Laboraufbau mit Dummy
Ein aus Kunststoff (Polypropylen) nachgebildeter Körper („Dummy”) wird mittels Temperierbad beheizt, wobei ein Zulaufschlauch Wasser in Höhe der Leber („Kraftwerk des Körpers”) einfließen lässt und der Rückfluss in Höhe des Halses stattfindet. Durch die Materialauswahl für den Körper, der nahe der Wärmeleitfähigkeit der Haut bzw. des Fettgewebes liegt, kann durch das Wärmeleitverhältnis (Haut: 0,3 W/m°C, Polypropylen: 0,22 W/m°C) eine Kerntemperatur eingestellt werden. Will man eine Oberflächen- resp. Hauttemperatur von 35 °C erreichen, so muss man die Kerntemperatur auf ca. 38 °C bringen. Um eine höhere Temperatur bei sportlichen Aktivitäten zu simulieren, erhält man analog bei 37 °C eine Kerntemperatur von ca. 40 °C. Lässt man das Verdunstungsverhalten von Schweiß unter der Prothese unberücksichtigt, so kann mit diesem Aufbau eine Praxissimulation erfolgen. Messungen an der Körperoberfläche und unter der Prothese im Vergleich bestätigen die Simulation eines Tagesablaufes, wie oben beschrieben. Damit kann ein direkter Vergleich ohne Störeinflüsse simuliert werden.
Das Diagramm in Abbildung 6 zeigt das Ergebnis der Messungen. Deutlich ist der Wärmeausgleich bei der aktiven Prothese anhand des gleichmäßigeren, konstanteren Temperaturverlaufs der blauen Linie zu erkennen, während die Vergleichsprothese (rote Linie) deutliche Temperaturspitzen aufweist. Nach dem Ablegen, simuliert durch Ausschaltung der Temperierung, bleibt die temperaturregulierte Prothese noch deutlich länger warm: Die blaue kreuzt die rote Linie, während sie vorher stets unter ihr blieb. All diese Phänomene sind nur dank des aktiven Wärmemanagements mittels Temperaturregulatoren wie der hier verwendeten Wachskugeln möglich.
Fazit
Bei Prothesen mit Temperaturregulierung wie der getesteten Prothese „Amoena Energy” ist im Vergleich zum Wettbewerb ein deutlicher wärmeausgleichender Effekt nachzuweisen, der die Temperatur zwischen Haut und Prothese im „Wohlfühlbereich” ausbalanciert. Bei der Vergleichsprothese eines anderen Herstellers waren starke Temperaturausschläge bei allen Tests zu verzeichnen. Die reduzierte Schweißmenge im Praxisversuch nach sportlicher Aktivität unterstreicht ebenfalls die Wirksamkeit des wärmeausgleichenden Materials.
Für die Autoren:
Prof. Dr. Dirk Muscat
Hochschule Rosenheim
Studiengang Kunststofftechnik
Hochschulstraße 1
83024 Rosenheim
muscat@fh-rosenheim.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Muscat D, Kaltenecker C. Echter Wärmeausgleich bei Brustprothesen. Orthopädie Technik, 2014; 65 (11): 52–56
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