Com­pli­ancestei­ge­rung durch Karbon­kor­set­te – Eine empi­ri­sche Stu­die an Jugendlichen

A. Würsching, N. Kauzlaric, G. Milicic, S. Bulat-Würsching
Korsette für die konservative Therapie der idiopathischen adoleszenten Skoliose werden von Patienten oft nicht entsprechend der ärztlichen Anweisung getragen. Da aber der Therapieerfolg wesentlich von der Compliance abhängt, prüft die vorliegende Arbeit, ob durch die optimierte Gestaltung von Korsetten die Compliance gesteigert werden kann. Die Studie vergleicht die Datensätze einer Stichprobe zu zwei Zeitpunkten. Die Ergebnisse belegen, dass durch die Verwendung von Karbon bzw. Prepreg-Materialien als Werkstoff die Akzeptanz und damit die Tragezeit und der mögliche Therapieerfolg deutlich verbessert werden können.

Ortho­pä­di­sche The­ra­pie in der Adoleszenz

Die Rei­fe­ent­wick­lung von Jugend­li­chen geht nicht nur mit deut­li­chen kör­per­li­chen Ver­än­de­run­gen ein­her, son­dern auch mit psy­chi­scher Labi­li­tät und einer Neu­ori­en­tie­rung. Die Fra­ge nach den per­sön­li­chen Wer­ten und die wach­sen­de Über­nah­me von Ent­schei­dun­gen bestim­men die­se für vie­le 12- bis 17-Jäh­ri­ge durch­aus kri­ti­sche Pha­se. Nicht weni­ge ver­su­chen, bestärkt durch ent­spre­chen­de gesell­schaft­li­che Ten­den­zen, die­se Ver­un­si­che­rung mit „Cool­ness“ zu über­spie­len. In die­sen Ent­wick­lungs­pro­zess hin­ein ver­ord­net die ortho­pä­di­sche The­ra­pie bei jun­gen (meist weib­li­chen) Pati­en­ten mit Sko­lio­se ein Kor­sett. Oft­mals wird die ortho­pä­di­sche Hil­fe jedoch nicht in der the­ra­peu­tisch erfor­der­li­chen Kon­se­quenz getra­gen – weni­ger aus phy­si­schen als aus psy­chi­schen Grün­den. Umso wich­ti­ger ist es, die com­pli­ance­för­dern­den Fak­to­ren in die­sem Zusam­men­hang zu iden­ti­fi­zie­ren und in der ortho­pä­di­schen Ver­sor­gung zu berücksichtigen.

Ana­ly­se und Datenerhebung

In einer empi­ri­schen Stu­die ermit­tel­ten Fisch­beck und Schnei­der die Com­pli­ance bei jugend­li­chen Kor­sett-Trä­ge­rin­nen 1. Kon­text die­ser Unter­su­chung ist die Ver­sor­gungs­for­schung, wel­che die Deskrip­ti­on bestehen­der Ein­stel­lun­gen und Ver­hal­tens­wei­sen mit der Fra­ge nach der Modi­fi­ka­ti­on poten­zi­el­ler Ein­fluss­fak­to­ren ver­bin­det. Auch die öko­no­mi­sche Fra­ge ist rele­vant, wenn indi­vi­du­ell gefer­tig­te Hil­fen nicht getra­gen wer­den. Denn dann sind weder Dia­gnos­tik noch The­ra­pie effi­zi­ent bzw. effek­tiv. Die Com­pli­ance-Stei­ge­rung ist somit im Inter­es­se von Pati­ent und Ver­sor­gungs­sys­tem glei­cher­ma­ßen, wie schon für die Berei­che Onko­lo­gie, Kar­dio­lo­gie, Neu­ro­lo­gie und Anäs­the­sie gezeigt wer­den konnte.

Die hier vor­lie­gen­de ver­glei­chen­de Unter­su­chung basiert auf den Daten einer Stu­die aus dem Jahr 2010 und einer erneu­ten Befra­gung im Zeit­raum zwi­schen August 2010 und Okto­ber 2011. In der ers­ten Befra­gung konn­ten 80 über­wie­gend weib­li­che jugend­li­che Kor­sett­trä­ge­rin­nen zu ihren Ein­stel­lun­gen und Tra­ge­ge­wohn­hei­ten befragt wer­den. Aus die­ser Stich­pro­be wur­den für die zwei­te Befra­gung 20 Pati­en­tin­nen rekru­tiert, deren Kunst­stoff-Kor­sett in der Zwi­schen­zeit durch ein Kar­bon-Kor­sett ersetzt wor­den war. Durch die erneu­te Befra­gung soll­te eru­iert wer­den, ob der Mate­ri­al­wech­sel zu einem höhe­ren Tra­ge­kom­fort, einer grö­ße­ren Zufrie­den­heit mit der opti­schen Gestal­tung und infol­ge­des­sen auch zu einer erhöh­ten Akzep­tanz und einem häu­fi­ge­ren Tra­gen des Kor­setts geführt hat.

Die Aus­wahl der 20 Pro­ban­din­nen erfolg­te nicht sys­te­ma­tisch nach Zufrie­den­heit oder ähn­li­chen Wer­ten, son­dern durch das wachs­tums­be­ding­te Erfor­der­nis einer erneu­ten Ver­sor­gung. Der Ver­gleich der Befra­gungs­er­geb­nis­se der Sub­stich­pro­be mit den Daten der ursprüng­li­chen ers­ten Stich­pro­be von 2010 zeigt, dass sie in allen Wer­ten den Durch­schnitts­wer­ten ent­spricht bzw. die Trä­ge­rin­nen sogar leicht posi­ti­ver auf das Kor­sett reagier­ten („Gefal­len der Far­be“, „Tra­gen außer Haus“).

Der Alters­durch­schnitt lag bei 13,8 Jah­ren. 95 % der Unter­such­ten waren Mäd­chen und 5 % Jun­gen, was reprä­sen­ta­tiv für die Gesamt­po­pu­la­ti­on der ortho­pä­disch zu ver­sor­gen­den Jugend­li­chen ist. Die Dia­gno­se wur­de im Durch­schnitt 23 Mona­te zuvor gestellt. 72 % der Mäd­chen hat­ten zum Zeit­punkt der Befra­gung bereits ihre Mensis.

60 % der Befrag­ten tru­gen zum ers­ten Mal ein Karbon­kor­sett, bei 35 % han­del­te es sich um die Zweit­ver­sor­gung, in 5 % der Fäl­le um eine Dritt­ver­sor­gung. Aus­schluss­fak­to­ren für die Auf­nah­me in die Befra­gungs­grup­pe (2010 + 2011) waren unzu­rei­chen­de Kor­rek­tur­er­geb­nis­se (unter 20 %) sowie ver­än­der­te Krüm­mungs­for­men, ein Alter unter 10 Jah­ren und nur dop­pel­bo­gi­ge Skolioseformen.

Die Befra­gung der Autoren von 2010 umfass­te 80 form­kor­rek­te Daten­sät­ze. Die Befra­gung war in vier Abschnit­te unter­teilt: Der ers­te Teil bezog sich auf rei­ne Pro­fil­da­ten (14 Fra­gen zu Alter, Geschlecht, Fami­lie, Anzahl der getra­ge­ne Kor­set­te etc.). Im zwei­ten Teil wur­de eine Selbst­ein­schät­zung der Pro­ban­den bzgl. ihres Kennt­nis­stan­des zu Sko­lio­se und The­ra­pie­ver­lauf mit 5 Fra­gen erfasst (z. B. „Kennst du dich auf dei­nem Rönt­gen­bild aus?“). Der drit­te Teil bezog sich auf Erwar­tun­gen an den ver­sor­gen­den Betrieb bzw. den ent­spre­chen­den Ortho­pä­die-Tech­ni­ker und der vier­te auf das Tra­ge­ver­hal­ten der Jugendlichen.

2011 konn­ten die Autoren mit 20 neu­en Daten­sät­zen auf den bis­he­ri­gen Ergeb­nis­sen auf­bau­en, d. h., Pati­en­ten, die 2010 befragt wor­den waren und deren Ver­sor­gung vom damals gän­gi­gen Kor­sett aus PE auf ein Kor­sett aus Kar­bon umge­stellt wor­den war, wur­den erneut befragt. Die Zweit­be­fra­gung umfass­te 28 Fra­gen zu Pro­fil­an­ga­ben. Zu den bis­he­ri­gen 14 Fra­gen wur­den 14 wei­te­re Items hin­zu­ge­fügt, auch Fra­gen nach Arzt- oder Schul­wech­sel inner­halb des Ver­sor­gungs­zeit­raums. Dies erschien sinn­voll, um wei­te­re Ein­fluss­grö­ßen auf die Ver­än­de­run­gen bei den Moti­va­ti­ons­fak­to­ren ana­ly­sie­ren zu können.

Auch die Fra­gen zu Kennt­nis­stand und Tra­ge­ver­hal­ten wur­den erwei­tert – um 64 Fra­gen zur Kor­sett-Com­pli­ance mit jeweils 5 Gewich­tun­gen inkl. ver­tie­fen­den 7 Fra­gen zum The­ma Schu­le und Kor­sett (z. B. „Ich tra­ge das Kor­sett nicht, weil die ande­ren Mit­schü­ler mich damit ärgern“).

In der Befra­gung von 2010 hat­te sich gezeigt, dass die von den Jugend­li­chen berich­te­te tat­säch­li­che Tra­ge­zeit um bis zu 30 % gerin­ger aus­fiel als die ärzt­lich ver­ord­ne­te Tra­ge­zeit. Die­se Anga­ben konn­ten aus den Detail­ant­wor­ten errech­net wer­den, z. B. im Hin­blick dar­auf, zu wel­chen Tätig­kei­ten das Kor­sett getra­gen wird und wann nicht (z. B.: „Tra­gen nachts (8 h) + Hausaufgaben/zu Hau­se (4 h) = 12 h bei vor­her ange­ge­be­nen 16 h ver­ord­ne­ter Tra­ge­zeit, d. h., in die­sem Fall besteht ein Tra­ge­zeit­de­fi­zit von — 4 h = 25 %).

Die Befra­gung von 2010 ergab eini­ge Hin­wei­se in Bezug auf die Fra­ge, war­um die ärzt­lich ver­ord­ne­ten Tra­ge­zei­ten gera­de im außer­häus­li­chen Bereich (Schu­le, Tref­fen mit Peer­group) unter­schrit­ten wer­den. Die Jugend­li­chen berich­te­ten fol­gen­de Grün­de für ein Nicht­tra­gen des Kor­setts (in Klam­mern die Pro­zent­wer­te, wie vie­le der Jugend­li­chen die­se Anga­be machten):

  • man starrt mich an (40 %),
  • stört beim Lernen/Arbeiten (43 %),
  • führt zu Spott/Mobbing (10 %).

In der Bewer­tung der Kor­set­te zeig­te sich die­se Ten­denz noch deutlicher:

  •  „Es steht ab“: 67 Nen­nun­gen (83 % bei n = 80).
  • „Es ist heiß“: 72 Nen­nun­gen (90 % bei n = 80).
  • „Es stinkt“: 60 Nen­nun­gen (75 % bei n = 80).
  • „Man ist in der Wahl der Beklei­dung ein­ge­schränkt, weil es die ande­ren nicht sehen sol­len“: 74 Nen­nun­gen (92 % bei n = 80).

Auf der Suche nach dem geeig­ne­ten Korsett

Will man die Akzep­tanz des Kor­setts bei den Trä­ge­rin­nen und damit die Tra­ge­zeit posi­tiv beein­flus­sen, muss man die­se Äuße­run­gen ernst neh­men und sie in die Ver­sor­gung ein­flie­ßen las­sen. Das geeig­ne­te Kor­sett soll­te dem­nach unsicht­bar, dünn, leicht und luft­durch­läs­sig sowie mit dem per­sön­li­chen Mode­ge­schmack kom­pa­ti­bel sein – in Sum­me eine Uto­pie, aber eine deut­li­che Rich­tungs­an­ga­be für die Wei­ter­ent­wick­lung der Kor­sett­ver­sor­gung Jugendlicher.

Betrach­tet man ein Kor­sett unter die­sen Wunsch­aspek­ten, tre­ten die Stör­fak­to­ren der Com­pli­ance deut­lich her­vor: Kan­ten, Pols­ter, Schie­ne oder auf­tra­gen­de Kor­sett­for­men (tho­ra­ka­ler Aus­weich­raum) – dies sind die typi­schen Begleit­ele­men­te einer Kor­sett­ver­sor­gung aus PE oder PP. Nur sel­ten kann man das Mate­ri­al so weit redu­zie­ren, um einen optisch anspre­chen­den Effekt zu erhal­ten, ohne dass wich­ti­ge Ele­men­te der Kor­rek­tur dar­un­ter leiden.

Tech­ni­sche Umset­zung der Befragungsergebnisse

Wel­che tech­ni­schen Ziel­set­zun­gen resul­tie­ren aus den Stu­di­en­ergeb­nis­sen? Zur The­ra­pie-Siche­rung und Com­pli­ance-Stei­ge­rung ist es notwendig,

  • dass die ortho­pä­disch not­wen­di­ge Kor­rek­tur das wich­tigs­te Kri­te­ri­um bei der Anfer­ti­gung eines Kor­setts bleibt,
  • dass die indi­vi­du­el­le Anpas­sung unter ortho­pä­di­schen wie opti­schen Gesichts­punk­ten unver­zicht­bar ist,
  • dass die Kor­sett­trä­ger mit ange­leg­tem Kor­sett mit über­schau­ba­ren Ein­schrän­kun­gen all­täg­li­chen Tätig­kei­ten nach­ge­hen kön­nen (Tra­ge­kom­fort),
  • dass Tran­spi­ra­ti­on durch Mate­ri­al und Ver­ar­bei­tung mög­lichst wenig ver­stärkt wer­den sollte,
  • dass die Mate­ria­li­en den Schweiß nicht zu stark auf­neh­men dür­fen und neu­tra­li­siert wer­den kön­nen (Hygie­ne),
  • dass eine modi­sche Beklei­dung durch das Kor­sett mög­lichst wenig ein­ge­schränkt wird.

Seit Som­mer 2010 wur­den dar­auf­hin anstel­le der bis­her ver­wen­de­ten PE-Kor­set­te Karbon­kor­set­te nach die­sen neu­en Vor­ga­ben gefer­tigt. In der Modell­ge­stal­tung und den Kor­rek­tur­prin­zi­pi­en folg­ten wir dabei der Rigo-Chê­neau-Klas­si­fi­ka­ti­on. Sowohl die Aus­füh­rung in PE als auch die in Kar­bon wer­den nach den klas­si­schen Dero­ta­ti­ons- und Kor­rek­tur­prin­zi­pi­en gestal­tet. Das Kor­sett aus Kar­bon kon­zen­triert sich auf die Kor­rek­tur­be­rei­che und umgeht die Aus­weich­räu­me. Kar­bon als Kon­struk­ti­ons­ma­te­ri­al bie­tet sich schon wegen sei­ner hohen Fes­tig­keit bei sehr gerin­ger Mate­ri­al­stär­ke an. In Kom­bi­na­ti­on mit abwasch­ba­ren Pols­tern oder sogar aus­wasch­ba­ren Inlays ergibt sich ein gänz­lich ande­rer Kor­sett­typ als die weit­hin bekann­ten PE- oder PP-Ver­sio­nen. Die fast immer optisch auf­fal­len­den Aus­weich­räu­me für die Dero­ta­ti­ons­be­we­gung ent­fal­len eben­so wie Mate­ri­al­flä­che, die wegen der dar­auf auf­bau­en­den Kor­sett­an­tei­le (in PE oder PP) nicht schlan­ker gehal­ten wer­den kön­nen (Abb. 1 a – c, 2a u. b).

Ergeb­nis der neu­en Befra­gung – Ana­ly­se des Stimmungswandels

Die zwei­te Befra­gungs­rei­he soll­te zei­gen, ob sich die ange­streb­te Ver­bes­se­rung des Tra­ge­kom­forts und infol­ge­des­sen der Com­pli­ance und damit des mög­li­chen The­ra­pie­er­fol­ges auch in der sub­jek­ti­ven Wahr­neh­mung der Pati­en­ten wider­spie­gelt. Denn, wenn Ver­bes­se­run­gen auch als sol­che wahr­ge­nom­men wer­den, ist eine Com­pli­ancestei­ge­rung zu erwarten.

Im Zen­trum der Aus­wer­tung stand dabei der Ver­gleich der für die Com­pli­ance ent­schei­den­den Ein­stel­lung zum Kor­sett und der dar­aus resul­tie­ren­den Tra­ge­zeit bzw. der Anga­be, das Kor­sett auch außer Haus zu tra­gen. Als exem­pla­ri­sche, in bei­den Befra­gun­gen mit iden­ti­scher For­mu­lie­rung erho­be­ne Para­me­ter für die Ein­stel­lung der Jugend­li­chen gegen­über ihrem Kor­sett die­nen neben Farb­ge­schmack und Pas­sen zur Klei­dung das Tran­spi­ra­ti­ons­ver­hal­ten des Kor­setts und das Erle­ben ver­stärk­ten Kör­per­ge­ruchs, das von vie­len als Grund ange­ge­ben wird, das Kor­sett nicht in der Öffent­lich­keit zu tra­gen. Bezüg­lich des Tra­ge­ver­hal­tens wur­de zudem erfragt, ob das Kor­sett auch außer Haus getra­gen wird, da dies grund­le­gen­de Vor­aus­set­zung für das Ein­hal­ten der ärzt­lich ver­ord­ne­ten Tra­ge­zei­ten ist.

Bezüg­lich des Tran­spi­rie­rens und der Ent­wick­lung unan­ge­neh­men Kör­per- und Schweiß­ge­ru­ches durch das Kor­sett zeigt die Umstel­lung von PE- auf Karbon­kor­set­te eine ein­deu­ti­ge Ver­bes­se­rung der erleb­ten Ver­sor­gung. Alle 20 befrag­ten Pro­ban­den geben gerin­ge­re Wer­te an – der Wil­coxon-Test auf signi­fi­kan­te Unter­schie­de ist hoch­si­gni­fi­kant bei α = 0,00. Die Mit­tel­wer­te sin­ken bezo­gen auf die fünf­stu­fi­ge Ant­wort­ska­la von 4,8 (PE-Kor­sett) auf 2,25 im Hin­blick auf das Schwit­zen und von 4,1 (PE-Kor­sett) auf 1,85 (Karbon­kor­sett) auf die Fra­ge, ob das Kor­sett stin­ke. Bei die­sen Fra­gen ent­spre­chen hohe Wer­te einer nega­ti­ven und nied­ri­ge Wer­te einer posi­ti­ven Wahr­neh­mung (5 = stinkt, 1 = kei­ne Geruchsbelästigung).

Die Ant­wor­ten auf die Fra­gen, ob das Kor­sett dem eige­nen Farb­ge­schmack ent­spricht und ob es zur sons­ti­gen Klei­dung passt, erge­ben für die Karbon­kor­set­te eben­falls eine signi­fi­kan­te Ver­bes­se­rung der com­pli­ance­re­le­van­ten Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten. Alle Jugend­li­chen gaben an, dass ihr neu­es Kor­sett bes­ser zu ihrer Klei­dung pas­se (von einem Mit­tel­wert von 1,4 bei PE auf 3,85 bei Kar­bon); bei 16 Jugend­li­chen ent­sprach das neue Kor­sett (Mit­tel­wert 4,3) bes­ser dem eige­nen Farb­ge­schmack als das vor­he­ri­ge aus PE (Mit­tel­wert 2,6). Bei die­sen Fra­gen ent­spre­chen hohe Wer­te einer posi­ti­ven und nied­ri­ge Wer­te einer nega­ti­ven Wahr­neh­mung (5 = volls­te Zufrie­den­heit, 1 = ganz unzu­frie­den). Ledig­lich eine Jugend­li­che bewer­te­te das PE-Kor­sett optisch posi­ti­ver, obwohl auch für sie das Karbon­kor­sett bes­ser zu ihrem Klei­dungs­stil passt. Der Wil­coxon-Test zeigt somit auch für die­se bei­den Fra­gen eine signi­fi­kan­te posi­ti­ve Ver­än­de­rung der Ver­sor­gung bei α < 0,05.

Das Tra­ge­ver­hal­ten der Jugend­li­chen soll hier anhand der Fra­ge nach dem Tra­gen des Kor­setts außer­halb des Hau­ses ein­ge­schätzt wer­den, da die zeit­lich genaue­ren Fra­gen auf­grund der Ver­än­de­rung schu­li­scher und ande­rer Lebens­be­rei­che schwie­ri­ger zu ver­glei­chen sind. Auch im Hin­blick auf das Tra­ge­ver­hal­ten zeigt sich eine posi­ti­ve Ver­än­de­rung, die sta­tis­tisch signi­fi­kant bei α < 0,05 ist. Wäh­rend das PE-Kor­sett nur von 9 der 20 Pro­ban­den auch außer­halb des Hau­ses getra­gen wur­de, galt dies beim Karbon­kor­sett für immer­hin 15 Jugend­li­che. 8 davon hat­ten es vor­her nicht getra­gen, bei 10 war das Tra­ge­ver­hal­ten kon­sis­tent posi­tiv, 2 tru­gen das PE‑, aber nicht das Karbon­kor­sett auch außer Haus, 2 weder das eine noch das andere.

Ins­ge­samt zeigt sich über alle ver­gli­che­nen Fra­gen, dass die neue Ver­sor­gungs­wei­se mit Karbon­kor­set­ten von den Jugend­li­chen als Ver­bes­se­rung erlebt wur­de und dadurch zu einer Com­pli­ancestei­ge­rung (z. B. bzgl. des Tra­gens des Kor­setts auch in der Öffent­lich­keit und damit der Gesamt­tra­ge­zeit) führte.

Grund­la­ge hier­für waren – neben her­aus­nehm­ba­ren Inlets, der dün­ne­ren und damit ther­misch ange­neh­me­ren Kon­struk­ti­ons­mög­lich­keit des Kar­bon­ma­te­ri­als sowie ein­ge­ar­bei­te­ten Frei­flä­chen für ver­bes­ser­te Luft­zir­ku­la­ti­on – auch die mit die­sem Mate­ri­al ver­bun­de­ne grö­ße­re Fle­xi­bi­li­tät in der farb­li­chen Gestal­tung der Kor­set­te. Auch wenn die opti­sche Gestal­tung kei­nen direk­ten posi­ti­ven Ein­fluss auf den The­ra­pie­er­folg hat, wirkt sie indi­rekt über die Com­pli­ance­ver­bes­se­rung sehr wohl dar­auf ein.

Deut­lich mehr Ver­sorg­te gaben an, mit dem Kor­sett „auf die Stra­ße“ zu gehen: von 49 % im Jahr 2010 stieg der Anteil der Außer­haus­trä­ger mit den dün­ne­ren Kar­bon­ver­sio­nen 2011 auf 75 %.

Auch die Tra­ge­zeit konn­te gut ver­gli­chen wer­den, da die Daten für PE-Kor­set­te aus dem Jahr 2010 vor­la­gen und die ent­spre­chen­den Daten erneut erho­ben wer­den konn­ten. Es wur­de ins­ge­samt mehr Tra­ge­zeit in der Schu­le und bei Akti­vi­tä­ten außer halb des Hau­ses doku­men­tiert, z. B. in der Schu­le eine Zunah­me um durch­schnitt­lich 6 Stun­den, bei Kla­vier- bzw. Musik­stun­den um 1,5 Stun­den und bei Ver­eins­ak­ti­vi­tä­ten um 2,3 Stun­den. Im Durch­schnitt über alle Pro­ban­den wur­de das Karbon­kor­sett täg­lich 5 Stun­den län­ger getra­gen als die vor­he­ri­ge Ver­sor­gung aus PE. Dies ist für eine erfolg­rei­che The­ra­pie eine hoch­be­deut­sa­me Ent­wick­lung, die zwar durch eine noch durch­zu­füh­ren­de Ein­schät­zung des The­ra­pie­er­fol­ges durch die behan­deln­den Medi­zi­ner vali­diert wer­den muss, aber bereits jetzt ver­deut­licht, dass die Ver­bes­se­rung von Tra­ge­kom­fort und Aus­se­hen der Kor­set­te Com­pli­ance und Tra­ge­ver­hal­ten signi­fi­kant verbessert.

Kar­bon als High-Tech-Mate­ri­al ist ein posi­ti­ver Image­trä­ger für Jugend­li­che – gera­de im Kon­trast zu PE (das Kor­sett ist eben nicht mehr aus „Plas­tik“). Zwar sind wir noch weit davon ent­fernt – wie es etwa den Opti­kern im Bereich der Seh­hil­fen gelun­gen ist –, ein Hilfs­mit­tel, das ehe­mals ver­pönt war, zu einem Mode- und Life­style-Acces­soire zu erhe­ben, des­sen Far­be und Design sogar von Film- oder Pop­stars bewusst genutzt wird, um das eige­ne Image zu prä­gen. Aber eine Ver­bes­se­rung des Tra­ge­ver­hal­tens von Kor­set­ten bei Jugend­li­chen gera­de im rele­van­ten Alters­be­reich der Ado­les­zenz ist im Hin­blick auf den ange­streb­ten The­ra­pie­er­folg bei Sko­lio­sen von gro­ßer Bedeutung.

Unse­re jun­gen Pati­en­ten müs­sen sich mit ihren Kor­set­ten in die Schu­le, in die Cli­que und zur Kla­vier­stun­de trau­en und sich mit den dor­ti­gen ästhe­ti­schen und grup­pen­dy­na­mi­schen Regeln und Kräf­ten aus­ein­an­der­set­zen (Abb. 3a – c).

Zusam­men­fas­sung und Diskussion

In den an die­ser Umfra­ge betei­lig­ten Kli­ni­ken wird nach SOSORT-Con­sen­sus und ‑Richt­li­ni­en ver­sorgt und the­ra­piert. Die ver­ord­ne­te Tra­ge­zeit ist ent­schei­dend für eine erfolg­rei­che kon­ser­va­ti­ve Sko­lio­se­the­ra­pie. Die Com­pli­ance spielt hier­bei eine kri­ti­sche Rol­le, da die Pati­en­ten in die­sem Alter nicht mehr unun­ter­bro­chen von den Eltern beauf­sich­tigt wer­den und ihr Tra­ge­ver­hal­ten zuneh­mend selbst bestim­men. Wird das Kor­sett daher auch ohne elter­li­che Auf­sicht getra­gen, ergibt sich eine direk­te posi­ti­ve Aus­wir­kung auf sei­ne Wirk­sam­keit. Da die Pati­en­ten der­zeit alle noch in Behand­lung sind und noch kei­ne abschlie­ßen­den Rönt­gen­bild­aus­wer­tun­gen nach Abschu­lung der Kor­set­te vor­lie­gen, kön­nen noch kei­ne ver­bind­li­chen Aus­sa­gen zu den zu erwar­ten­den ver­bes­ser­ten End­re­sul­ta­ten und wirk­li­chen Behand­lungs­er­fol­gen getrof­fen wer­den. Ziel der Umstel­lung der Ver­sor­gung und der Unter­su­chung war es, die Com­pli­ance zu stei­gern und Fak­to­ren zu redu­zie­ren, die die­ser zuwiderlaufen.

Auch wenn die Farb­ge­stal­tung des Hilfs­mit­tels nicht in einem direk­ten Zusam­men­hang mit sei­ner medi­zi­ni­schen Wirk­sam­keit gese­hen wer­den kann, ist sie ein Fak­tor, der die Akzep­tanz der The­ra­pie posi­tiv beein­flus­sen kann. Hygie­ne und Tra­ge­kom­fort sind kom­ple­xe indi­vi­du­el­le pati­en­ten­be­zo­ge­ne Aspek­te in der Ver­sor­gung; auch hier wur­den durch die genann­ten Ver­än­de­run­gen Akzep­tanz und Tra­ge­be­reit­schaft gesteigert.

Gewicht, Unauf­fäl­lig­keit und auch die Luft­zir­ku­la­ti­on las­sen sich her­vor­ra­gend opti­mie­ren, wenn Kar­bon als Werk­stoff benutzt und mit einem ent­spre­chen­den Design kom­bi­niert wird (Abb. 4a u. b). Die­se ver­än­der­te Erschei­nungs­form wie­der­um stei­gert die Tra­ge­be­reit­schaft und den Glau­ben an das Hilfs­mit­tel und sei­ne Wirksamkeit.

Da die eigent­li­chen medi­zi­ni­schen Kor­rek­tur­kri­te­ri­en bei der Kor­sett­ge­stal­tung nicht ver­än­dert wur­den, sind bes­se­re Kor­rek­tur­er­geb­nis­se durch die ver­bes­ser­te Com­pli­ance zu erwar­ten. Die Wirk­sam­keit der ortho­pä­di­schen Ver­sor­gung wird fort­lau­fend in den betreu­en­den Kli­ni­ken kon­trol­liert und dokumentiert.

Die aus­führ­li­chen Ergeb­nis­se der Stu­di­en kön­nen beim Autor bezo­gen werden.

Für die Autoren:
Andre­as Würsching
Kuca zdravlja d.o.o.
Pol­ji­cka 31
10 000 Zagreb
Kroa­ti­en
wuersching@kuca-zdravlja.com

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

Zita­ti­on
Wür­sching A, Kauz­la­ric N, Mili­cic G, Bulat-Wür­sching S. Com­pli­ancestei­ge­rung durch Karbon­kor­set­te – Eine empi­ri­sche Stu­die an Jugend­li­chen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2013; 64 (11): 26–31

Lite­ra­tur:
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  • [2] Gra­ge-Ross­mann B. Rumpfor­the­sen und ihre Funk­ti­ons­prin­zi­pi­en. Ortho­pä­die Tech­nik, 2010; 61 (8): 573–579
  • [3] Oer­ter R, Mon­ta­da L (Hrsg.). Ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gie. Wein­heim, Basel: 6. Aufl. Beltz PVU, 2008
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  • [5] Rigo M, Gal­lo D. A new RSC brace design to tre­at long tho­ra­cic sco­lio­sis . Com­pa­ri­son of the in-brace cor­rec­tion in two groups trea­ted with the new and the clas­si­cal models. Sco­lio­sis, 2009; 4 (12)
  • [6] Weiss H‑R, Werk­mann M, Ste­phan C. Brace rela­ted stress in dif­fe­rent braces for sco­lio­sis tre­at­ment. Sco­lio­sis, 2007; 2: 1–10
  • [7] Wuersching A. Psy­cho­lo­gie in der Kor­sett­ver­sor­gung. Vor­trag in Leip­zig Ortho­pä­die + Reha-Tech­nik, 2010 (unver­öf­fent­licht)
  1. Fisch­beck S, Schnei­der C. Visi­te­be­zo­ge­ne Betreu­ungs­be­dürf­nis­se von Brust­krebs-Pati­en­tin­nen: ein Soll-Ist-Ver­gleich. Z Med Psy­chol, Son­der­heft, 2010
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