Bio­me­cha­nik und funk­tio­nel­le Dia­gnos­tik der Achillessehne

C. Döbele, L. Weisskopf
Achillessehnenbeschwerden benötigen eine multidisziplinäre Herangehensweise. Die unterschiedlichen Anteile der Muskeln an der Plantarflexionskraft sowie die Torsion der Fasern sind bedeutsam für die Funktion und die Belastbarkeit der Sehne. Bei einer Achillessehnenverletzung besteht in der Regel eine Überbelastung des bradytrophen Sehnengewebes. Darunter kommt es zu strukturellen Schäden der Sehne. Eine funktionelle biomechanisch basierte Diagnostik ist Grundlage der Behandlung. Achillessehnentendinosen werden durch Stoßwellentherapie, Belastungsadaptation, Stabilisierung der Rückfußachse und exzentrisches Training therapiert. Bei Achillessehnenrupturen stehen die funktionelle Nachbehandlung mit Vollbelastung im rückfußstabilisierenden Therapieschuh und eine vorsichtige Mobilisation im Vordergrund.

Ein­lei­tung

Achil­les­seh­nen­be­schwer­den sind ein häu­fig auf­tre­ten­des Krank­heits­bild in der ortho­pä­di­schen Pra­xis. Neben der aku­ten und der chro­ni­schen Achil­les­seh­nen­rup­tur gehö­ren vor allem Ten­di­no­pa­thien im Bereich der Mid­por­ti­on und des Ansat­zes der Achil­les­seh­ne zu den häu­fig vor­kom­men­den Enti­tä­ten. Bei der Behand­lung der unter­schied­li­chen Beschwer­den steht die inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit zwi­schen Ärz­ten, Ortho­pä­die-Tech­ni­kern, Phy­sio­the­ra­peu­ten und Bewe­gungs­wis­sen­schaft­lern an ers­ter Stel­le. Das Ver­ständ­nis der funk­tio­nel­len Ana­to­mie – ins­be­son­de­re die Funk­tio­nen der antei­li­gen Mus­keln, der Mus­kel­ur­sprün­ge, der Blut­ver­sor­gung und der Inner­va­ti­on – ist die Basis einer pro­blem­ori­en­tier­ten Therapie.
Ihren Namen hat die Achil­les­seh­ne vom grie­chi­schen Krie­ger Achil­leus, der von sei­ner Mut­ter in den Fluss Styx getaucht wur­de, wodurch er unsterb­lich wer­den soll­te. Da er aller­dings dabei an der Fer­se fest­ge­hal­ten und die­se nicht vom Was­ser berührt wur­de, blieb die Achil­les­seh­ne die ein­zi­ge ver­wund­ba­re Stel­le sei­nes Kör­pers. Achil­leus wur­de durch einen Pfeil getö­tet, der ihn an genau die­ser Stel­le traf 1 2. Bis heu­te wird der Begriff „Achil­les­fer­se“ bil­dungs­sprach­lich für eine ver­wund­ba­re Stel­le, einen emp­find­li­chen, schwa­chen Punkt verwendet.

Anzei­ge

Funk­tio­nel­le Anatomie

Die Achil­les­seh­ne ist die dicks­te und kräf­tigs­te Seh­ne im mensch­li­chen Kör­per 3 4. Sie wird aus dem drei­köp­fi­gen Waden­mus­kel (M. tri­ceps surae) gebil­det. Der M. gas­tro­c­ne­mi­us und der M. soleus, die gemein­sam die Achil­les­seh­ne bil­den, wir­ken gemein­sam mit dem M. plant­a­ris als Plant­ar­flek­to­ren im obe­ren Sprung­ge­lenk, wäh­rend der M. gas­tro­c­ne­mi­us zusätz­lich an der Knief­le­xi­on betei­ligt ist. Der M. gas­tro­c­ne­mi­us ver­läuft über ins­ge­samt drei Gelen­ke (Knie­ge­lenk, obe­res Sprung­ge­lenk, Sub­tal­ar­ge­lenk), daher ist die Achil­les­seh­ne für Ver­let­zun­gen anfäl­li­ger als Seh­nen, die nur ein Gelenk über­span­nen 5. Wäh­rend der M. gas­tro­c­ne­mi­us mehr­heit­lich für die Pro­pul­si­on des Kör­pers beim Gehen, Lau­fen und Sprin­gen ver­ant­wort­lich ist, kommt dem M. soleus zum grö­ße­ren Teil eine Hal­te­funk­ti­on zu, die der Rück­fuß­sta­bi­li­sa­ti­on dient 6 7. Der M. soleus hat mit 40 % den größ­ten Anteil an der Plant­ar­fle­xi­ons­kraft, ihm fol­gen der M. gas­tro­c­ne­mi­us mit 33 % und die Zehen­flek­to­ren mit 27 % 8 9.

Tor­si­on der Fasern stei­gert Belastbarkeit

Die mecha­ni­sche Belast­bar­keit der Achil­les­seh­ne wird durch die Tor­si­on der Fasern ver­bes­sert: Wäh­rend die Achil­les­seh­ne nach distal zieht, ver­wrin­gen sich ihre Fasern um 90 Grad, sodass die media­len Fasern nach pos­te­ri­or und die pos­te­rio­ren Fasern nach late­ral rotie­ren 10111213. Dadurch inse­rie­ren die tie­fer­lie­gen­den Soleus­fa­sern haupt­säch­lich medi­al, die Fasern des media­len M. gas­tro­c­ne­mi­us late­ral distal und die Fasern des late­ra­len M. gas­tro­c­ne­mi­us late­ral pro­xi­mal an der Hin­ter­kan­te des Cal­ca­neus (Abb. 1). Dar­aus lässt sich bio­me­cha­nisch die Häu­fig­keit der mus­ku­lo­ten­di­nö­sen Ver­let­zung des media­len Gas­tro­c­ne­mi­us erklä­ren. Gelangt der Rück­fuß in eine Supi­na­ti­ons­stel­lung und ver­sucht der Pati­ent gleich­zei­tig, sich nach vor­ne zu bewe­gen oder abzu­sto­ßen, wer­den die ana­to­misch längs­ten Fasern unter eine asym­me­tri­sche Zug­span­nung gebracht und kön­nen am vul­nerabels­ten Ort, dem Seh­nen-Mus­kel-Über­gang, rei­ßen 14.

Miss­ver­hält­nis Seh­nen­di­cke und Mus­kel­quer­schnitt, Ernährungssituation

Im Gegen­satz zu ande­ren Mus­keln im mensch­li­chen Kör­per besteht bei der Achil­les­seh­ne ein ungüns­ti­ges Ver­hält­nis zwi­schen Seh­nen­di­cke und Mus­kel­quer­schnitt: Herrscht nor­ma­ler­wei­se ein Ver­hält­nis von 1:50 zwi­schen Seh­ne und Mus­kel, so beträgt das Ver­hält­nis bei der Achil­les­seh­ne 1:125 (Abb. 2). Dies führt zu wesent­lich höhe­ren Belas­tun­gen der Seh­ne 15. Zudem ist die Achil­les­seh­ne wie alle ande­ren Seh­nen­or­ga­ne im Kör­per aus­schließ­lich einer indi­rek­ten Blut­ver­sor­gung aus­ge­setzt: Die regel­rech­te Vas­ku­la­ri­sa­ti­on erfolgt nur bis auf Höhe des Para­te­nons; der wei­te­re Meta­bo­lis­mus des bra­dy­tro­phen Seh­nen­ge­we­bes erfolgt ledig­lich durch Dif­fu­si­on 16. Im Fal­le einer Ver­let­zung ist daher die Rege­ne­ra­ti­ons­ka­pa­zi­tät auf­grund der ein­ge­schränk­ten Ernäh­rungs­si­tua­ti­on deut­lich kom­pro­mit­tiert. Zusam­men­ge­fasst unter­schei­det sich die Achil­les­seh­ne sowohl durch ihre kom­ple­xe Ana­to­mie als auch durch ihre grund­le­gen­de Funk­ti­on in der Gang­be­we­gung vom sons­ti­gen Seh­nen­ge­we­be im mensch­li­chen Kör­per. Dys­funk­tio­nen in die­sem Bereich haben erheb­li­che Aus­wir­kun­gen auf den gesam­ten Bewe­gungs­ab­lauf. Daher ist es wich­tig, Patho­lo­gien recht­zei­tig zu erken­nen und ent­spre­chend zu behandeln.

Bio­me­cha­nik der Achillessehne

Die Achil­les­seh­ne nimmt beim Gang­zy­klus eine ent­schei­den­de Rol­le bei der Kraft­über­tra­gung ein: Beim nor­ma­len Lau­fen wirkt das 2,5- bis 12,5‑Fache des mensch­li­chen Kör­per­ge­wichts auf das Achil­les­seh­nen-Gewe­be ein 1718. Bei einem 80 kg schwe­ren Mann bedeu­tet dies bis zu einer Ton­ne Kraft­ein­wir­kung. Bei einem Mara­thon­lauf in Welt­re­kord­zeit (2 Stun­den, 1 Minu­te, 39 Sekun­den, auf­ge­stellt 2018 in Ber­lin von Eliud Kip­cho­ge aus Kenia) kann bei einer Durch­schnitts­ge­schwin­dig­keit von ca. 21 km/h mit 900 kg (ent­spre­chend 9.000 N) Kraft­ein­wir­kung gerech­net wer­den. Bei 700 bis 900 Wie­der­ho­lun­gen pro Kilo­me­ter wir­ken somit inner­halb eines Mara­thon­lau­fes 26.460 bis 34.020 Ton­nen als sum­ma­ri­sche Belas­tung auf die Achil­les­seh­ne ein 19. Dies ent­spricht unge­fähr dem 35.000-fachen Gewicht eines Kleinwagens.

Pathome­cha­nis­men

Bei Achil­les­seh­nen­be­schwer­den spie­len neben mecha­ni­schen auch bio­lo­gi­sche Fak­to­ren eine wich­ti­ge Rol­le. Die Ein­nah­me bestimm­ter Medi­ka­men­te, bei­spiels­wei­se Cor­ti­son oder  Flu­or­chi­no­lo­n­an­ti­bio­ti­ka, sowie Stoff­wech­sel­stö­run­gen, Dia­be­tes mel­li­tus oder Erkran­kun­gen aus dem rheu­ma­ti­schen For­men­kreis kön­nen die Belast­bar­keit der Seh­ne ein­schrän­ken. Zu den intrin­si­schen Risi­ko­fak­to­ren ins­be­son­de­re bei Ten­di­no­pa­thien gehö­ren Über­ge­wicht, männ­li­ches Geschlecht, Blut­grup­pe 0, eine Vor­ver­let­zung bzw. Vor­schä­den der Seh­ne und das Vor­lie­gen von Fuß­de­for­mi­tä­ten 20.

Bio­me­cha­ni­sche Testverfahren

Bei der Suche nach mecha­ni­schen Ursa­chen wer­den fol­gen­de Ver­fah­ren ange­wen­det: Lauf- und Gang­ana­ly­se, bio­me­cha­ni­sche Tes­tung (mit Tes­tung der Maxi­mal­kraft), Sta­bi­lo­me­trie sowie kine­ma­ti­sche Rück­fuß­ana­ly­se. Bei der Sta­bi­lo­me­trie wird im Ein­bein­stand auf einer insta­bi­len Platt­form der Ver­lauf des Angriffs­punk­tes des Kör­per­schwer­punk­tes betrach­tet („cen­ter of pres­su­re“, COP). Dabei wird der Peri­me­ter (mm) gemes­sen, der die ins­ge­samt zurück­ge­leg­te Stre­cke des COP beschreibt, sowie der ellip­ti­sche Bereich (mm2), der die Gesamt­flä­che angibt, die vom COP umschrie­ben wird. Zusätz­lich wird die Aus­gleichs­be­we­gung des Rump­fes zur Erhal­tung der Sta­bi­li­tät berück­sich­tigt, sodass Rück­schlüs­se auf mög­li­che neu­ro­mus­ku­lä­re Mus­ter gezo­gen wer­den kön­nen (Abb. 3–5).

Bei der Lauf­ana­ly­se sind mit­tels High-Speed-Video­auf­nah­men, die die Bewe­gung mit einer Fre­quenz von bis zu 1.000 Hz  doku­men­tie­ren, bereits dis­kre­te Fehl­be­we­gun­gen von Blo­cka­den über asym­me­tri­sche Ver­kip­pun­gen bis zu Rota­ti­ons­fehl­stel­lun­gen vom Fuß bis zur Wir­bel­säu­le ana­ly­sier­bar. Sie die­nen somit zum einen als Grund­la­ge ins­be­son­de­re für das Ver­ständ­nis sport­art­spe­zi­fi scher Belas­tungs­mus­ter, zum ande­ren jedoch auch zu The­ra­pie­emp­feh­lun­gen wie Sport­schuh­wech­sel, Ein­la­gen­ver­sor­gung oder gege­be­nen­falls Trai­nings­und Tech­nik­ad­apt­a­tio­nen. Die Detek­ti­on patho­lo­gi­scher Abroll­be­we­gun­gen in der Gang­ana­ly­se mit Beur­tei­lung des Wech­sels von der Rück­zur Vor­fuß­be­las­tung (im Nor­mal­fall zwi­schen 30 und 50 % im „roll­over pro­cess“) kön­nen bei Achil­les­seh­nen­er­kran­kun­gen essen­ti­ell für die Steue­rung der wei­te­ren Behand­lung sein (s. das Fall­bei­spiel unten) 21.

Über­mä­ßi­ge Rück­fuß­ex­kur­sio­nen füh­ren zur Schä­di­gung der Sehne

Der Aus­schluss von Rück­fuß­in­sta­bi­li­tä­ten, ins­be­son­de­re ver­mehr­te Varus/Valgusachsen bzw. exkur­sio­nen, wie sie bei­spiels­wei­se nach Trau­ma­ta oder durch das Tra­gen inad­äqua­ten Schuh­werks ent­ste­hen, ste­hen bei Unter­su­chun­gen in Bezug auf Achil­les­seh­nen­be­schwer­den im Vor­der­grund 22. Eine ver­mehr­te Supi­na­ti­on beim Auf­set­zen des Fußes im Gang­zy­klus sowie eine ver­mehr­te Pro­na­ti­on bei der Abroll­be­we­gung füh­ren zu extre­men Varus­be­zie­hungs­wei­se Val­gus­exkur­sio­nen des Rück­fu­ßes (Abb. 6). Dadurch kommt es zum Auf­tre­ten intra­ten­di­nö­ser Scher­kräf­te, was wie­der­um zu Mikro­trau­ma­ta, einem kon­se­ku­ti­ven Faserödem und somit zur Schä­di­gung der Seh­ne führt.

Krank­heits­bil­der und bio­me­cha­nisch gesteu­er­te Therapieansätze

Bei Seh­nen­er­kran­kun­gen sind in der Regel dege­ne­ra­ti­ve Ver­än­de­run­gen Grund­la­ge der Patho­lo­gie; dabei ist ein Miss­ver­hält­nis von Belas­tung und Belast­bar­keit ursäch­lich. Ten­di­no­pa­thien im Bereich der Achil­les­seh­ne wege­hö­ren zu den häu­fi gsten Über­las­tungs­schä­den bei Sport­lern, ins­be­son­de­re Läu­fern und Ball­sport­lern 23. Ent­spre­chend wich­tig sind bei der Behand­lung daher hand­fes­te und im All­tag umsetz­ba­re Therapiekonzepte.

Mid­por­ti­on-Ten­di­no­pa­thie als Überlastungserscheinung

Am häu­figs­ten tritt die soge­nann­te Mid­por­ti­on-Ten­di­no­se auf, bei der sich die Patho­lo­gie 2 bis 8 cm pro­xi­mal des cal­ca­nea­ren Ansat­zes befi ndet. Eine kon­trol­lier­te Belas­tung des Seh­nen­ge­we­bes, die zur Erhö­hung der Seh­nen­span­nung führt, ist Grund­la­ge der The­ra­pie. Dadurch kommt es zur Kol­la­gen­neo­ge­ne­se, was wie­der­um struk­tu­rel­le Ver­än­de­run­gen der Seh­ne beein­flusst bezie­hungs­wei­se Repa­ra­tur­vor­gän­ge in Gang setzt 24.

Ziel der Reha­bi­li­ta­ti­on von Seh­nen­er­kran­kun­gen und ‑ver­let­zun­gen ist die Wie­der­her­stel­lung eines Gleich­ge­wichts im myo­fas­zia­len Sys­tem. Iso­me­tri­sche Span­nungs­ent­wick­lun­gen fol­gen hier­bei auf kon­zen­tri­sche Belas­tun­gen. Anschlie­ßend wer­den exzen­trisch­be­las­ten­de Übun­gen durch­ge­führt, die an kon­zen­tri­sche Kon­trak­tio­nen gekop­pelt wer­den 25. Iso­me­tri­sches Trai­ning (Abb. 7a) ist weni­ger schmerz­haft als exzen­tri­sches Trai­ning, aber eben­so effek­tiv; es ist daher in Anfangs­sta­di­en der Erkran­kung, wäh­rend eines Wett­kamp­fes oder bei aus­ge­präg­ter Schmerz­emp­find­lich­keit zu emp­feh­len 26. Für die län­ger­fris­ti­ge Bes­se­rung ins­be­son­de­re bei aus­ge­präg­ten Beschwer­den ist die Kom­bi­na­ti­on von exzen­tri­schem Trai­ning und Erhö­hung der Seh­nen­span­nung („ten­don loa­ding“) aller­dings uner­läss­lich. Ein exzen­tri­sches Trai­ning über den Zeit­raum von drei Mona­ten bil­det dabei die Basis der The­ra­pie272829 (Abb. 7b). Bei den Übun­gen ist zwin­gend auf eine kon­trol­lier­te gera­de Fer­sen­bein­stel­lung zu ach­ten: Kippt das Fer­sen­bein beim Absin­ken weg, ist die Deh­nung inad­äquat. Neu­es­te Arbei­ten emp­feh­len zusätz­li­ches Trai­ning unter Beach­tung der Neu­ro­plas­ti­zi­tät beim soge­nann­ten „ten­don neu­ro­pla­s­tic training“.
Dabei wer­den die Übun­gen mit einem neu­ro­mus­ku­lä­ren Sti­mu­lus (bei­spiels­wei­se durch Tak­tung mit Hil­fe eines Metro­noms) ver­bun­den. Dadurch sol­len Kräf­ti­gungs­übun­gen mit einer Reha­bi­li­ta­ti­on des Motor­cor­tex ver­bun­den wer­den, um alle Ebe­nen der Dys­funk­ti­on zu adres­sie­ren 30. Die Extra­kor­po­ra­le Stoß­wel­len­the­ra­pie (ESWT) steht als The­ra­pie­form zusätz­lich zur Ver­fü­gung; dabei wird die Ein­wir­kung von Druck­wel­len auf Schmerz­re­duk­ti­on und Gewebs­re­ge­ne­ra­ti­on genutzt31. Sowohl das exzen­tri­sche Trai­ning als auch die Stoß­wel­len­the­ra­pie gehö­ren nach aktu­el­ler Stu­di­en­la­ge dem höchs­ten Evi­denz­ni­veau an.

Rück­fuß­sta­bi­li­sie­rung

Auf­grund des ent­schei­den­den Ein­flus­ses der Rück­fuß­stel­lung auf die Seh­ne ist die Rück­fuß­sta­bi­li­sie­rung ein wei­te­rer wich­ti­ger Behand­lungs­an­satz 32. Neben einem phy­sio­the­ra­pie­ge­steu­er­ten pro­prio­zep­ti­ven Trai­ning ist die bio­me­cha­nisch ori­en­tier­te Schuh­ein­la­gen­ver­sor­gung beson­ders rele­vant. Eine aus­führ­li­che Ana­mne­se und eine Begut­ach­tung des aktu­el­len Schuh­werks wer­den durch eine kli­ni­sche Beur­tei­lung des Fuß­ge­wöl­bes, der Becken­bein­ach­se sowie der Tor­si­on des Schen­kel­hal­ses ergänzt. Die detail­lier­te Fuß­ana­ly­se auf dem Spie­gel­tisch kann hel­fen zu beur­tei­len, wie sich der Fuß unter Belas­tung ver­hält. Des Wei­te­ren besteht die Mög­lich­keit einer dyna­mi­schen Druck­ver­tei­lungs­mal­ver­mes­sung. Dadurch kann eine etwa­ige Dif­fe­renz der sta­ti­schen und dyna­mi­schen Fuß­form sowie das Abroll­ver­hal­ten berück­sich­tigt wer­den 33. Der Ein­satz wei­cher Fer­sen­kis­sen ist bei Achil­les­seh­nen­be­schwer­den nicht indi­ziert, da sie eine Rück­fuß­in­sta­bi­li­tät begüns­ti­gen und durch erhöh­te Varus/Valgusexkursionen (s. Abb. 6) den Stress auf die Seh­ne durch Scher­kräf­te erhö­hen. Schuh­ad­apt­a­tio­nen wie bei­spiels­wei­se Abroll­ram­pen oder eine Anpas­sung der Fer­sen­kap­pe (ins­be­son­de­re bei aus­ge­präg­ten Hag­lund­Exosto­sen) haben sich im kli­ni­schen All­tag als hilf­reich erwie­sen, um Druck und Scher­kräf­te auf die Achil­les­seh­ne zu ver­rin­gern. Die Ein­la­ge eines Fer­sen­keils aus Hart­schaum in Kom­bi­na­ti­on mit knö­chel­ho­hem, rück­fuß­sta­bi­li­sie­ren­dem Schuh­werk soll­te nur kurz­fris­tig bei aus­ge­präg­te­ren Beschwer­den in Betracht gezo­gen wer­den (Abb. 8).

Die­se Maß­nah­men sol­len vor allem sport­lich akti­ven Pati­en­ten hel­fen, mög­lichst zeit­nah das sport­art­spe­zi­fi sche Trai­ning wie­der auf­zu­neh­men Kom­ple­xi­tät von Achil­les­seh­nen­rup­tu­ren Bei Achil­les­seh­nen­rup­tu­ren ist der Hei­lungs­ver­lauf auf­grund der Kom­ple­xi­tät der Ver­let­zung oft wesent­lich lang­wie­ri­ger. Obers­tes Ziel hier­bei ist der Funk­ti­ons­er­halt der Sehne.

Sowohl bei kon­ser­va­ti­ver als auch bei ope­ra­ti­ver Behand­lung spie­len ortho­pä­die­tech­ni­sche Hilfs­mit­tel eine ent­schei­den­de Rol­le. Das jewei­li­ge ope­ra­ti­ve ver­sus kon­ser­va­ti­ve Vor­ge­hen muss dabei für jeden Pati­en­ten indi­vi­du­ell ent­schie­den wer­den. Wich­tig ist, dass es sich bei Rup­tu­ren häu­fi g um kom­ple­xe Riss­for­men han­delt: In 80 % der Fäl­le bestehen iso­lier­te Soleus­ab­ris­se. Da der Funk­ti­ons­ver­lust an ers­ter Stel­le steht, ist hier­bei erwäh­nens­wert, dass es bei der offe­nen ope­ra­ti­ven Behand­lung von Achil­les­seh­nen­rup­tu­ren in der Regel zu einem iso­ki­ne­ti­schen Kraft­ver­lust von 2 bis 18 % kommt 34. Bei kon­ser­va­ti­ver The­ra­pie ist die­ser mit durch­schnitt­lich 10 bis 40 % wesent­lich höher. Eben­so ist die durch­schnitt­li­che Rück­kehr zum sport­li­chen Niveau wie vor einer Rup­tur bei ope­ra­ti­ver The­ra­pie mit 90 bis 98 % wesent­lich höher als bei kon­ser­va­ti­ver The­ra­pie mit 37 bis 100 % 3536. Des Wei­te­ren besteht eine deut­lich höhe­re ReRup­tur­ra­te bei kon­ser­va­tiv the­ra­pier­ten Rup­tu­ren als bei ope­ra­tiv ver­sorg­ten Pati­en­ten – je nach Stu­die 12 ver­sus 4 % 3738. Um einen Funk­ti­ons­ver­lust zu ver­hin­dern, gilt es bei jeder Form der Behand­lung eine Elon­ga­ti­on der Achil­les­seh­ne zu ver­mei­den, da dies durch Ver­lust der maxi­ma­len Plant­arfl exi­ons­kraft mit dem kli­ni­schen Out­co­me kor­re­liert 39.

Funk­tio­nel­le Nachbehandlung

Ver­schie­de­ne The­ra­pie­re­gimes der funk­tio­nel­len Nach­be­hand­lung haben sich im Lau­fe der Zeit eta­bliert. Wich­tig dabei ist stets die Fer­sen­er­hö­hung und Rück­fuß­sta­bi­li­sie­rung bei Belas­tung im Stand.

Dazu wer­den unter­schied­li­che Orthe­sen und Schuh­ver­sor­gun­gen ver­wen­det (Abb. 9 ac). Wich­tig zu erwäh­nen ist hier­bei, dass bei unter­schied­li­chen Model­len unter­schied­lich hohe Kräf­te auf die Achil­les­seh­ne ein­wir­ken. Grund­sätz­lich redu­ziert sich zwar jeweils die Kraft durch Anwen­dung eines Fer­sen­keils, je nach Modell jedoch in unter­schied­li­chem Aus­maß. Grund­sätz­lich fin­det in rigi­den The­ra­pie­schu­hen eine höhe­re Ent­las­tung der Seh­ne als in fle­xi­blen Model­len statt. Die Kör­per­schwer­punkt­ver­la­ge­rung in fle­xi­blen The­ra­pie­schu­hen führt zu einem akti­ve­ren Gang­bild, jedoch auch zu einer Zunah­me der Boden­re­ak­ti­ons­kraft. Die Kom­bi­na­ti­on der Eigen­schaf­ten eines fle­xi­blen mit einem rigi­den The­ra­pie­schuh sind erstre­bens­wert40. Im kli­ni­schen All­tag der Ver­fas­ser hat sich daher die Ver­wen­dung eines fle­xi­blen The­ra­pie­schuhs mit hohem Schaft bewährt. Die Erfah­rung zeigt, dass es dabei auch sel­te­ner zum Auf­tre­ten von Druckul­cera im Bereich der Fer­se kommt.

Fall­bei­spiel: Zurück in den Pro­fi­fuß­ball nach Achillessehnenruptur

Das Behand­lungs­bei­spiel eines Pro­fi­fuß­bal­lers zeigt den ide­al­ty­pi­schen Ver­lauf der Behand­lung und das bei­spiel­haf­te Inein­an­der­grei­fen von ortho­pä­di­scher Chir­ur­gie einer­seits und ortho­pä­die­tech­nisch gestütz­ter und durch Phy­sio­the­ra­peu­ten und Sport­wis­sen­schaft­ler koor­di­nier­te und betreu­te Nach­be­hand­lung ande­rer­seits auf. Nach ope­ra­ti­ver The­ra­pie mit Achil­les­seh­nen­naht in Klöp­pel­tech­nik nach Segesser/Weisskopf erfolg­te die The­ra­pie im Sta­bil­schuh mit rigi­der Lasche (wel­che die Dor­sal­ex­ten­si­on limi­tiert sowie über die Vor­span­nung der Lasche die Plant­arfl exi­ons­be­we­gung unter­stüt­zen soll) und 3 cm Fer­sen­keil (Abb. 10). In den ers­ten 6 Wochen post­ope­ra­tiv stan­den pro­prio­zep­ti­ves Trai­ning sowie Trai­ning der Kraft­aus­dau­er an ers­ter Stel­le. Die erste­Druck-/Gang­ana­ly­se post­ope­ra­tiv wur­de nach 6 Wochen, anschlie­ßend nach 10, 16 und 26 Wochen durch­ge­führt. Dabei zeig­te sich eine Nor­ma­li­sie­rung der Abroll­be­we­gung im Ver­lauf – bei initi­al noch ver­min­der­ter Abstoß­kraft zum Zeit­punkt des zwei­ten Kraft­ma­xi­mums (Abb. 11–13).

Dann erfolg­te die Wei­ter­füh­rung des Trai­nings mit Abbau des Sta­bil­schuhs sowie Hyper­tro­phie­trai­ning. Ab der 12. post­ope­ra­ti­ven Woche wur­de das Trai­ning in Rich­tung pro­gres­si­ve Dyna­mik geleitet.

Bereits in der 16. post­ope­ra­ti­ven Woche ergab sich in der iso­ki­ne­ti­schen Kraft­tes­tung (Abb. 14) ledig­lich noch ein Kraft­de­fi­zit von 26 % bei der Plant­ar­fle­xi­on im Ver­gleich zur nicht ope­rier­ten Sei­te. Ab der 18. Woche konn­te mit dem sport­art­spe­zi­fi­schen Trai­ning begon­nen wer­den. Nach 6 Mona­ten ließ sich in der iso­ki­ne­ti­schen Kraft­mes­sung kei­ne Dif­fe­renz mehr zur nicht­ope­rier­ten Sei­te fest­stel­len. Die Rück­kehr ins sport­art­spe­zi­fi­sche Trai­ning erfolg­te nach 7 Monaten.
Hier­aus lässt sich ablei­ten, dass sich bei idea­ler Ver­sor­gung von Sei­ten aller Dis­zi­pli­nen bei opti­ma­len Grund­vor­aus­set­zun­gen ein funk­tio­nell best­mög­li­ches Ergeb­nis erzie­len lässt. Die­ses Bei­spiel soll alle Fach­rich­tun­gen ermu­ti­gen, im indi­vi­du­el­len Fall mit dem ent­spre­chen­den Know-how zur erfolg­rei­chen Ver­bes­se­rung der Situa­ti­on beizutragen.

Für die Autoren: 
Dr. med. Car­men Döbele
Kan­tons­spi­tal Baselland
Kli­nik für Ortho­pä­die und Trau­ma­to­lo­gie des Bewegungsapparates
Rhein­stras­se 26, CH-4410 Liestal
carmen.doebele@ksbl.ch

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Döbe­le C, Weiss­kopf L. Bio­me­cha­nik und funk­tio­nel­le Dia­gnos­tik der Achil­les­seh­ne. Ortho­pä­die Tech­nik. 2019; 70 (10): 20–27
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