Beson­der­hei­ten der Ver­sor­gung kur­zer (7 bis 11 cm) und ultra­kur­zer (bis 7 cm) trans­ti­bia­ler Stümpfe

R. Helbing
Für alle Betroffenen bedeutet eine Amputation eine große Umstellung in ihrem Leben. Die Höhe der Amputation ist dabei ein bedeutender Faktor für die zu erwartende Lebensqualität von Menschen mit Amputation: Je kürzer eine Extremität amputiert wird, umso herausfordernder wird die Nutzung einer Prothese für die Anwender und umso anspruchsvoller wird die Anpassung der Versorgung für Technikerinnen und Techniker. Im nachfolgenden Artikel werden die verschiedenen Möglichkeiten zur Prothesenversorgung kurzer und ultrakurzer transtibialer Stümpfe diskutiert und anhand von Fallbeispielen erläutert.

Ein­lei­tung

Im Ver­gleich zu einer Fuß- oder Fuß­teilam­pu­ta­ti­on stellt eine Ampu­ta­ti­on im Bereich des Unter­schen­kels für die Betrof­fe­nen eine erhöh­te Her­aus­for­de­rung dar, denn sie wer­den für jede über den rei­nen Trans­fer hin­aus­ge­hen­de Mobi­li­tät auf ein Hilfs­mit­tel ange­wie­sen sein. Schon kur­ze Wege zur Toi­let­te oder selbst das Umset­zen vom Bett in einen Roll­stuhl wei­sen Sicher­heits­ri­si­ken auf. Gera­de des­halb kommt es nach einer fri­schen trans­ti­bia­len Ampu­ta­ti­on immer wie­der zu Stür­zen und dar­aus resul­tie­ren­den Stumpf­re­vi­sio­nen. Da Weich­teil- und Durch­blu­tungs­si­tua­ti­on einen bedeu­ten­den Ein­fluss auf die Stumpf­qua­li­tät haben, lie­gen nicht nur aus letz­te­rem Grund vie­le trans­ti­bia­le Ampu­ta­tio­nen im pro­xi­ma­len Drit­tel des Unter­schen­kels. Mit jedem Zen­ti­me­ter, der dabei ein­ge­kürzt wird, gehen den Betrof­fe­nen wich­ti­ge Hebel­län­gen und Berei­che zur Last­auf­nah­me ver­lo­ren. Dies erschwert nicht nur das Tra­gen und Füh­ren der Pro­the­se, son­dern stellt auch die Ortho­pä­die­tech­ni­ke­rin­nen und ‑tech­ni­ker oft­mals vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen, da sie die im Fol­gen­den genann­ten Anfor­de­run­gen an die Pro­the­sen­ver­sor­gung mit den bei den jewei­li­gen Pati­en­ten vor­lie­gen­den Vor­aus­set­zun­gen und Wün­schen an die Ver­sor­gung in Ein­klang brin­gen müssen.

Anzei­ge

Ana­to­mi­sche Gegebenheiten

Um eine pass­ge­naue und funk­ti­ons­fä­hi­ge Ver­sor­gung zu ermög­li­chen, muss dem Tech­ni­ker bewusst sein, wel­che Berei­che des Stump­fes er zur Be- und Ent­las­tung ein­be­zie­hen kann. Knö­cher­ne Pro­mi­nen­zen (Abb. 1), even­tu­el­le Neu­ro­me und ande­re emp­find­li­che Area­le müs­sen ent­spre­chend ein­ge­bet­tet wer­den. Die Berei­che, in denen mehr Weich­tei­le ange­sie­delt sind, soll­ten hin­ge­gen zur Belas­tung genutzt wer­den (Abb. 2). Bei genaue­rer Betrach­tung wird deut­lich, dass die Kör­per­last bei einer Ampu­ta­ti­on ohne­hin nur auf weni­ge Area­le über­tra­gen wer­den kann. Wenn dann noch ein Ampu­ta­ti­ons­ni­veau gege­ben ist, das rela­tiv weit pro­xi­mal liegt, ver­klei­nert sich die nutz­ba­re Flä­che umso mehr. Aber nicht nur die man­geln­de Flä­che zur Auf­nah­me der Kör­per­last erschwert die Nut­zung der Pro­the­se – mit abneh­men­der Stumpf­län­ge schwin­det auch der wirk­sa­me Hebel­arm zur Steue­rung der Pro­the­se. Der Vor­teil einer Ampu­ta­ti­on im pro­xi­ma­len Drit­tel hin­ge­gen zeigt sich bei der erhöh­ten Stump­fendbe­last­bar­keit, die bei Ampu­ta­tio­nen im spon­giö­sen Bereich bei bis zu 100 % lie­gen kann (Abb. 3). Die roten Berei­che in Abbil­dung 3 zei­gen die geeig­ne­ten Ampu­ta­ti­ons­ebe­nen am Unter­schen­kel – links bei unge­stör­ter, rechts bei gestör­ter Durch­blu­tung 1.

Um eine opti­ma­le Ver­sor­gung zu ermög­li­chen, muss zum einen von Sei­ten des Ope­ra­teurs ein belas­tungs­fä­hi­ger Stumpf gebil­det wer­den, zum ande­ren muss der Ver­sor­ger zahl­rei­che Anfor­de­run­gen an die Pro­the­sen­ver­sor­gung berück­sich­ti­gen. Das Kom­pen­di­um „Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der unte­ren Extre­mi­tät“ ver­mit­telt zu bei­den Berei­chen einen umfang­rei­chen Leit­fa­den 2. Für die Gestal­tung eines funk­ti­ons­fä­hi­gen Stump­fes wer­den dort fol­gen­de Emp­feh­lun­gen formuliert:

  • Tibia mit abge­run­de­ter ven­tra­ler Kno­chen­kan­te (kur­zer Stumpf)
  • Tibia mit gebro­che­ner Kno­chen­kan­te (ultra­kur­zer Stumpf)
  • Erhal­tung der Tube­ro­si­tas tibiae
  • Fibu­la­zu­rich­tung oder Fibu­laent­fer­nung (kur­zer Stumpf)
  • Fibu­laent­fer­nung (ultra­kur­zer Stumpf)
  • mus­ku­lä­re Deckung unter phy­sio­lo­gi­scher Vorspannung
  • weit pro­xi­mal rese­zier­te Nerven
  • Haut­de­ckung 3

Auch wenn die­se Anfor­de­run­gen an die Stumpf­ge­stal­tung den Chir­ur­gen prin­zi­pi­ell bekannt sein soll­ten, begeg­nen dem Ver­sor­ger im All­tag immer wie­der Stümp­fe, die von den gefor­der­ten Ide­al­be­din­gun­gen merk­lich abweichen.

So wie der Chir­urg mit sei­ner Arbeit die Grund­la­ge für eine gute Pro­the­sen­ver­sor­gung schaf­fen muss, haben Tech­ni­ke­rin­nen und Tech­ni­ker auch gewis­se Anfor­de­run­gen an den Schaft zu berück­sich­ti­gen. Dazu sind im Kom­pen­di­um „Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der unte­ren Extre­mi­tät“ kla­re Grund­sät­ze for­mu­liert. Wich­tig ist dem­zu­fol­ge, dass Tech­ni­ke­rin­nen und Tech­ni­kern die nach­fol­gen­den Anfor­de­run­gen an einen adäqua­ten Pro­the­sen­schaft bekannt sind und opti­mal umge­setzt werden:

  • Auf­nah­me des Stumpfvolumens
  • Bewe­gungs­über­tra­gung
  • Last­über­nah­me
  • voll­flä­chi­ge Haf­tung zwi­schen Stumpf und Prothese
  • Mini­mie­rung von Druck‑, Zug‑, Dreh‑, Tor­si­ons- und Scherkräften
  • Voll­kon­takt mit Endkontakt
  • Berück­sich­ti­gung emp­find­li­cher Kno­chen­pro­mi­nen­zen und des über­wie­gend lan­gen Sit­zens (nied­ri­ges Aktivitätsniveau)
  • Berück­sich­ti­gung emp­find­li­cher Kno­chen­pro­mi­nen­zen und indi­vi­du­el­ler Bedürf­nis­se außer­halb der nor­ma­len Akti­vi­tä­ten (hohes Akti­vi­täts­ni­veau) 4

Wel­che Mög­lich­kei­ten es gibt, die genann­ten Anfor­de­run­gen in der trans­ti­bia­len Pro­the­tik adäquat umzu­set­zen, wird nach­fol­gend dargestellt.

Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten

Eine der ältes­ten trans­ti­bia­len Pro­the­sen­ver­sor­gun­gen ist die Unter­schen­kel­pro­the­se mit Ober­schaft (Abb. 4). Die Aus­füh­rungs­mög­lich­kei­ten rei­chen dabei vom klas­si­schen Leder­ober­schaft bis hin zu moder­ne­ren Vari­an­ten in Sili­kon- und Pre­preg-Tech­nik. Durch die lan­gen Hebel und die gro­ßen Kon­takt­flä­chen erhält man eine sehr gute Kraft­über­tra­gung mit einer sehr guten Knie­sta­bi­li­tät in allen Ebe­nen und einem sehr guten Halt der Pro­the­se. Als nega­tiv anzu­se­hen sind dem­ge­gen­über die mög­li­chen Haut­ma­zer­a­tio­nen, der redu­zier­te Kom­fort und das höhe­re Gewicht durch den Ober­schen­kel­an­teil. Wei­ter­hin kommt es durch die zir­ku­lä­re Ein­schnü­rung am Ober­schen­kel zu einer erheb­li­chen Atro­phie der Mus­ku­la­tur und even­tu­ell zu einem erhöh­ten Druck auf die Gefä­ße. Die poten­zi­el­le Inkon­gru­enz zwi­schen dem Kom­pro­miss­dreh­punkt der Pro­the­se und dem indi­vi­du­el­len poly­zen­tri­schen Pol­kur­ven­ver­lauf kann, wie Schr­a­der bereits 1929 publi­ziert hat 5, lang­fris­tig zu Schä­di­gun­gen des Knie­ge­len­kes führen.

Da man­che Anwen­der bei ihren nor­ma­len All­tags­tä­tig­kei­ten mit einer Kurz­pro­the­se aus­rei­chend ver­sorgt sind, sie jedoch für bestimm­te Akti­vi­tä­ten einen erhöh­ten Sta­bi­li­täts­be­darf beschrei­ben, besteht die Opti­on, den Ober­schaft abnehm­bar zu gestal­ten (Abb. 5). Zu beden­ken ist dabei jedoch, dass durch die erfor­der­li­chen Bau­tei­le zur Adapt­a­ti­on ein noch höhe­res Gewicht ent­steht. Dies ist aber nur tem­po­rär bei der Nut­zung der Ober­hül­se von Bedeutung.

Die meis­ten Anwen­der sind aus Sicht des Autors mit einer rei­nen Kurz­pro­the­se aus­rei­chend und sinn­voll ver­sorgt. Durch moder­ne Mate­ria­li­en und Anbin­dungs­mög­lich­kei­ten erreicht man hier­mit die bes­te Kraft­über­tra­gung – sowohl zur Steue­rung als auch zur Haf­tung der Pro­the­se mit gerin­gem Gewicht und hohem Kom­fort. Bei bestehen­der Knie­in­sta­bi­li­tät soll­ten die benö­tig­te Bau­art der Pro­the­se und der Akti­vi­täts­grad des Anwen­ders jedoch gründ­lich über­prüft und abge­wo­gen wer­den, um Fol­ge­schä­den zu ver­mei­den (Abb. 6).

Sus­pen­si­on

Je klei­ner die Haft­flä­che ist, des­to grö­ßer muss die Haf­tung zwi­schen den Ober­flä­chen sein, um eine siche­re Fixie­rung der Pro­the­se am Bein zu gewähr­leis­ten. Aus die­sem Grund soll­te bei einem ultra­kur­zen trans­ti­bia­len Stumpf auf die Ver­sor­gung mit einem Weich­wand­in­nent­rich­ter bzw. einem Soft­so­cket ver­zich­tet wer­den. Die bes­se­re Opti­on stellt in einem sol­chen Fall der Liner dar. Wich­tig ist, wel­che Sus­pen­si­on (Anbin­dung des Liners an die Pro­the­se) dabei gewählt wird. Fol­gen­de Liner-Typen sind zu unterscheiden:

  • Ein Locking-Liner ist nicht nur bei kur­zen und ultra­kur­zen trans­ti­bia­len Stümp­fen kri­tisch zu beur­tei­len. Denn durch den punk­tu­el­len Zug am Stump­fen­de wer­den die Weich­tei­le „aus­ge­mol­ken“ und die knö­cher­nen Pro­mi­nen­zen erheb­lich belas­tet. All­ge­mein soll­te daher auf die Ver­sor­gung mit einem Liner die­ser Art ver­zich­tet und nur in begrün­de­ten Aus­nah­me­si­tua­tio­nen auf eine sol­che Lösung zurück­ge­grif­fen werden.
  • Je nach Bau­art und Ampu­ta­ti­ons­ni­veau hat ein Dicht­lip­pen-Liner durch­aus sei­ne Berech­ti­gung. Es gilt dabei aller­dings genau zu prü­fen, ob er die nöti­ge Sicher­heit über den gesam­ten Tag gewähr­leis­tet. Die Bau­hö­he der Dicht­lip­pe und die star­ke Kon­tu­rie­rung kön­nen gera­de bei kur­zen Stümp­fen limi­tie­ren­de Fak­to­ren sein.
  • Gera­de bei pro­xi­ma­len Ampu­ta­tio­nen erhält man einen deut­lich kon­tu­rier­ten Stumpf mit knö­cher­nen Pro­mi­nen­zen. Um die­se mög­lichst span­nungs­frei ein­zu­bet­ten, erzielt man mit einem Cushion-Liner ein opti­ma­les Ergeb­nis. In Ver­bin­dung mit einer Knie­kap­pe und einem Aus­stoß­ven­til wird damit die best­mög­li­che Anbin­dung erzeugt, die nur noch mit­tels akti­ven Unter­drucks ver­bes­sert wer­den kann. Nach­tei­lig äußert sich ledig­lich der erschwer­te Beu­ge­wie­der­stand durch die Kniekappe.

Eine Abwä­gung, die bei allen Ver­sor­gun­gen zu tref­fen ist, ist die Beant­wor­tung der Fra­ge nach der opti­ma­len tech­ni­schen Lösung im Ver­gleich zur Akzep­tanz der Ver­sor­gung. Nur weil auf­grund einer gege­be­nen Knie­in­sta­bi­li­tät ein Ober­schaft indi­ziert wäre, muss man die­sen nicht zwin­gend auch ver­bau­en. Wenn nur kur­ze Weg­stre­cken zurück­ge­legt wer­den, aber durch den höhe­ren Kom­fort der Kurz­pro­the­se die Ver­sor­gung den gan­zen Tag getra­gen wird, hat der Anwen­der einen grö­ße­ren Mehr­wert als mit einer Ober­schaft­ver­sor­gung, die nur tem­po­rär getra­gen wird.

Fall­bei­spie­le

Fall­bei­spiel 1:

Beim ers­ten Fall­bei­spiel han­delt es sich um eine 73-jäh­ri­ge Anwen­de­rin (Mobi­li­täts­grad 2–3), mit einer Kör­per­grö­ße von 1,53 m und einem Gewicht von 48 kg. Ihre Grund­er­kran­kung besteht in einer Sklero­der­mie mit dar­aus resul­tie­ren­der pAVK. Auf­grund des­sen wur­de im Mai 2014 eine trans­ti­bia­le Ampu­ta­ti­on an der lin­ken Sei­te vor­ge­nom­men; eine Revi­si­on erfolg­te im August 2014. Das Ergeb­nis ist ein nur 3,5 cm lan­ger Stumpf mit einer Nar­ben­ver­wach­sung am dista­len Tibiaen­de und mit ver­blie­be­nem Fibu­la­kopf (Abb. 7 u. 8). An der kon­tra­la­te­ra­len Sei­te erfolg­te eine Mit­tel­fuß­am­pu­ta­ti­on (2006); zudem bestehen Ein­schrän­kun­gen der Gelenk­be­weg­lich­keit aller Gelen­ke mit Greif­funk­ti­ons­ver­lust der Hän­de (Abb. 9). Die beson­de­ren Anfor­de­run­gen an die Ver­sor­gung die­ser Pati­en­tin erge­ben sich aus fol­gen­den Aspekten:

  • kur­ze Hebel­län­ge zur Füh­rung der Prothese
  • gerin­ge Stumpf­ober­flä­che, die sowohl die Last­über­nah­me als auch die Ver­an­ke­rung der Pro­the­se erschwert
  • emp­find­li­che Nar­ben­ver­wach­sung an der Tibia
  • Hand­ling­pro­ble­me durch ein­ge­schränk­te Greiffunktion

Aus die­sen Grün­den wur­de die Pati­en­tin mit einem TPE-Design-Maß­li­ner ver­sorgt, der im dista­len Bereich mit Gel auf­ge­baut ist und zusätz­lich einen Pin besitzt (Abb. 10). Die­se bei­den Zusät­ze die­nen der Hebel­ver­län­ge­rung, um die Steue­rung der Pro­the­se zu ver­bes­sern. Der Pin hat kei­ne Arre­tie­rungs­funk­ti­on, um den oben beschrie­be­nen Melk­ef­fekt zu ver­mei­den. Die Sus­pen­si­on erfolgt über eine Knie­kap­pe in Ver­bin­dung mit akti­vem Unter­druck. Wie ein­gangs beschrie­ben wur­de, soll­ten auf­grund der gerin­gen Flä­che alle mög­li­chen Berei­che zur Last­auf­nah­me ein­be­zo­gen wer­den. Daher erfolg­te die Schaft­ge­stal­tung bei der hier vor­ge­stell­ten Pati­en­tin nach genau­er Ein­be­zie­hung der ana­to­mi­schen Struk­tu­ren. Der ven­tra­le Tibi­a­be­reich ist mit einer maß­ge­fer­tig­ten Sili­kon­pe­lot­te aus­ge­klei­det (Abb. 11), um even­tu­el­le Druck­spit­zen auf die emp­find­li­che Nar­ben­haut zu mini­mie­ren; sie ist nicht dazu gedacht, eine man­geln­de Pass­form zu kompensieren.

Fall­bei­spiel 2:

Beim zwei­ten Fall­bei­spiel han­delt es sich um einen Betrof­fe­nen im Alter von 55 Jah­ren (Mobi­li­täts­grad 3–4) mit 173 cm Kör­per­grö­ße bei einem Gewicht von 73 kg. Bei ihm wur­de im Alter von 16 Jah­ren der Unter­schen­kel auf­grund eines Trau­mas ampu­tiert. Die Tibi­al­än­ge beträgt 5,5 cm, die Stumpf­län­ge 6,5 cm mit einer gekürz­ten Fibu­la (Abb. 12). Ver­mut­lich auf­grund der Vor­ver­sor­gun­gen mit einer PTB-Pro­the­se (PTB = „patel­lar ten­don bea­ring“) zeigt sich ein Patel­lahoch­stand mit dar­aus resul­tie­ren­der Fehl­be­las­tung und arthro­ti­scher Ver­än­de­rung. Weil die­se Kom­pli­ka­tio­nen als typi­sche Fol­gen einer PTB-Ver­sor­gung anzu­se­hen sind, soll­te auf eine sol­che Ver­sor­gung gene­rell ver­zich­tet werden.

Ähn­lich wie beim ers­ten Bei­spiel stellt sich auch hier die kur­ze Stumpf­län­ge als Her­aus­for­de­rung für die Über­tra­gung der Kräf­te dar. Eine Ver­län­ge­rung des nutz­ba­ren Hebels und eine effek­ti­ve Last­über­nah­me stan­den auch hier­bei im Vordergrund.

In der Ver­sor­gung trägt der Anwen­der daher einen Sili­kon-Cushion-Liner, in den ein maß­ge­fer­tig­tes Sili­kon­end­kon­takt­kis­sen ein­ge­legt ist. Die­ses dient einer­seits dem leich­ten Form­aus­gleich, haupt­säch­lich jedoch der Hebel­ver­län­ge­rung. Eben­falls wird hier die Sus­pen­si­on über eine Knie­kap­pe und den akti­ven Unter­druck erzielt (Abb. 13). Als Schaft­form wur­de ein soge­nann­ter TTSM-Schaft (Trans Tibi­al Socket nach Mer­bold) gewählt. Die­ser zeich­net sich durch eine Ver­blo­ckung des Tibia­pla­teaus aus. Dabei befin­det sich ein Anla­ge­punkt im dor­so-media­len, der ande­re im ven­tro-late­ra­len Bereich (Abb. 14). Dadurch ent­steht ein „boney lock“, eine knö­cher­ne Ver­span­nung, ähn­lich wie es aus der MAS-Schaft­tech­nik bekannt ist (Abb. 15).

Als Abform­ver­fah­ren wur­den in bei­den Fäl­len hän­di­sche Vari­an­ten ver­wen­det, da die­se nach den Erfah­run­gen des Autors gera­de bei her­aus­for­dern­den Stümp­fen adäqua­te Ergeb­nis­se liefern.

Eine mög­li­che Alter­na­ti­ve dazu stellt ein Abdruck unter Voll­be­las­tung, in den auf dem Markt erhält­li­chen Sys­te­men, dar. Dazu sind jedoch die per­sön­li­chen Erfah­rungs­wer­te momen­tan zu gering, um eine weg­wei­sen­de Aus­sa­ge tref­fen zu können.

Fazit

Die Ver­sor­gung eines kur­zen oder ultra­kur­zen trans­ti­bia­len Stump­fes erfor­dert nicht nur ana­to­mi­sches Wis­sen, son­dern vor allem auch bio­me­cha­ni­sches Ana­ly­se­ver­mö­gen, um die her­aus­for­dern­den Hebel- und Druck­ver­hält­nis­se erfolg­reich adres­sie­ren zu kön­nen. Die vor­ge­stell­ten Ver­sor­gungs­va­ri­an­ten haben bei pas­sen­der Indi­ka­ti­on sicher­lich alle ihre Daseins­be­rech­ti­gung – für kur­ze und ultra­kur­ze Stümp­fe zei­gen sich aber nach den Erfah­run­gen des Autors in der Regel die bes­ten Ergeb­nis­se mit einem Cushion-Liner, einer Knie­kap­pe und akti­vem Unter­druck. Die erhal­te­ne Mus­ku­la­tur kann dabei wei­ter­hin knie­sta­bi­li­sie­rend genutzt wer­den und der Druck auf die Gefä­ße im Ober­schen­kel ist deut­lich gerin­ger als bei einer Ver­sor­gung mit Ober­schaft. Abschlie­ßend ist zu beto­nen, dass die Ver­sor­gung mit einem sol­chen Sys­tem mög­lichst von Beginn an durch­ge­führt wer­den soll­te, da andern­falls die her­ab­ge­setz­te Bewe­gungs­frei­heit auf­grund der Knie­kap­pe oft­mals zu Akzep­tanz­pro­ble­men führt.

Der Autor:
Dipl.-OTM Robert Helbing
Jütt­ner Ortho­pä­die KG
Im Flar­chen 5A,
99974 Mühlhausen/Thüringen
r.helbing@juettner.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Hel­bing R. Beson­der­hei­ten der Ver­sor­gung kur­zer (7 bis 11 cm) und ultra­kur­zer (bis 7 cm) trans­ti­bia­ler Stümp­fe. Ortho­pä­die Tech­nik, 2021; 72 (9): 58–62

 

  1. https://link.springer.com/article/10.1007/s00064-011‑0040‑z/figures/1
  2. Deut­sche Gesell­schaft für inter­pro­fes­sio­nel­le Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung e. V. (DGIHV) (Hrsg.). Kom­pen­di­um Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der unte­ren Extre­mi­tät. Dort­mund: Ver­lag Ortho­pä­die-Tech­nik, 2018
  3. Deut­sche Gesell­schaft für inter­pro­fes­sio­nel­le Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung e. V. (DGIHV) (Hrsg.). Kom­pen­di­um Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der unte­ren Extre­mi­tät. Dort­mund: Ver­lag Ortho­pä­die-Tech­nik, 2018
  4. Deut­sche Gesell­schaft für inter­pro­fes­sio­nel­le Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung e. V. (DGIHV) (Hrsg.). Kom­pen­di­um Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der unte­ren Extre­mi­tät. Dort­mund: Ver­lag Ortho­pä­die-Tech­nik, 2018
  5. Schr­a­der E. Über die Aus­wir­kun­gen der Ver­la­ge­rung des tech­ni­schen Knie­schar­niers zur phy­sio­lo­gi­schen Gelenk­ach­se. Z.orthop Chir, 1929; 51: 451–463
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