Aus­wir­kun­gen von Kine­sio­ta­pe­an­la­gen auf das Gang­bild bei pro­the­tisch ver­sorg­ten bein­am­pu­tier­ten Patienten

M. Neupert, S. Hauch, L. Brückner
Das Erlernen eines sicheren und sturzfreien Gangbildes nach einer Amputation hat einen wichtigen Stellenwert in der Prothesenversorgung. Die hier diskutierte Beobachtungsstudie geht der Frage nach, ob Gangbildparameter durch Anlegen bestimmter Kinesiotapeanlagen beeinflussbar sind. Die Studie stellt die ersten Ergebnisse und Diskussionen dazu vor. Weitere umfassende und enger aufgegliederte Untersuchungen sind vorgesehen.

Ein­lei­tung

Jähr­lich wer­den in Deutsch­land ca. 60.000 Ampu­ta­tio­nen durch­ge­führt 1. Allein in der Kli­nik der Ver­fas­ser wer­den im Rah­men der post­ope­ra­ti­ven Nach­sor­ge jähr­lich durch­schnitt­lich 120 bis 140 Pati­en­ten betreut. Die Gang­bild­ver­än­de­rung nach Ampu­ta­ti­on und die Ver­sor­gung mit einer Bein­pro­the­se bzw. der Umgang mit einem pro­the­tisch ver­sorg­ten Bein stel­len hohe Anfor­de­run­gen sowohl an den Pati­en­ten als auch an den Behand­ler 2. Neben tech­ni­schen Kri­te­ri­en, die haupt­säch­lich in die Arbeits­ge­bie­te der behan­deln­den Ärz­te und Ortho­pä­die-Mecha­ni­ker fal­len, spielt das Erler­nen eines annä­hernd phy­sio­lo­gi­schen Gang­bil­des 3 zur sturz­frei­en Reha­bi­li­ta­ti­on und even­tu­el­len Rück­kehr in den Berufs­all­tag eine ent­schei­den­de Rol­le in der Physiotherapie.

Die spe­zi­fi­sche Reha­bi­li­ta­ti­on ampu­tier­ter Pati­en­ten wird in der Kli­nik der Ver­fas­ser seit 1993 durch­ge­führt. Aus kli­ni­scher Beob­ach­tung im Rah­men die­ser Stu­die über einen Zeit­raum von andert­halb Jah­ren ergab sich hin­sicht­lich des Erschei­nens immer wie­der­keh­ren­der Feh­ler­quel­len beim Gang mit Pro­the­sen die Fra­ge, ob stän­dig auf­tre­ten­de Unter­schie­de im Gang­bild (ein­sei­tig ver­kürz­te Schritt­län­ge, man­gel­haf­te Hüf­tex­ten­si­on wäh­rend der Belas­tungs­pha­se der Pro­the­se und dar­aus resul­tie­ren­de Unsi­cher­hei­ten mit even­tu­el­ler Sturz­ge­fahr) durch die Anla­ge nach­ste­hend beschrie­be­ner Kine­sio­ta­pe­an­la­gen ein­ge­schränkt oder sogar beho­ben wer­den können.

Metho­dik

In die Stu­die wur­den 20 Pati­en­ten mit einem Durch­schnitts­al­ter von 52 Jah­ren ein­ge­schlos­sen; 12 Pati­en­ten waren männ­lich, 8 weib­lich. Die jüngs­te Test­per­son war 23 Jah­re, die ältes­te 73 Jah­re alt. Erfasst wur­den 15 erst­am­pu­tier­te Pati­en­ten im Rah­men der sta­tio­nä­ren Reha­bi­li­ta­ti­on und 5 Ampu­tier­te im Heil­ver­fah­ren mit z. T. neu­er Prothesenanpassung.

Aus der Stu­die aus­ge­schlos­sen wur­den Pati­en­ten, die post­ope­ra­ti­ve Ent­zün­dungs­zei­chen bzw. aku­te Schmer­zen auf­wie­sen sowie bekann­te Pflas­te­r­un­ver­träg­lich­kei­ten anga­ben. Ver­gli­chen wur­den von den 20 Pati­en­ten zwei Grup­pen zu je 10 Pati­en­ten, wobei Grup­pe I (GI) mit einem Tape für die Gesäß- und Ober­schen­kel­mus­ku­la­tur sowie den Rumpf- und Becken­be­reich ver­sorgt wur­de; Grup­pe II (GII) erhielt nur ein Tape für Rumpf- und Becken­be­reich (Abb. 1 u. 2).

Von den Pro­ban­den waren 12 im Ober­schen­kel, 7 im Unter­schen­kel und einer im Mit­tel­fuß ampu­tiert. Das getes­te­te Bewe­gungs­aus­maß zeig­te bei allen Pro­ban­den einen alters­ge­rech­ten Befund ohne Gelenk­kon­trak­tu­ren auf bei­den Sei­ten; Unter­schie­de zeig­ten sich jedoch in den mus­ku­lä­ren Tonus­ver­hält­nis­sen (sie­he Abschnitt „Tape­an­la­ge“).

Die­ses ers­te Scree­ning soll­te der Fra­ge einer even­tu­el­len Ver­än­de­rung der Funk­ti­ons­wei­se des ent­spre­chen­den Mus­kel­sys­tems nach­ge­hen, wobei eine detail­lier­te Auf­schlüs­se­lung nach Stumpf­län­ge und Schaft­form zunächst nicht erfolg­te. Nach­fol­gend ist auf­grund des umfang­rei­chen Pati­en­ten­gu­tes eine wei­te­re Unter­su­chung mit deut­lich erhöh­ter Pro­ban­den­zahl geplant, um die­se Kri­te­ri­en und ihren even­tu­el­len Ein­fluss auf die beschrie­be­nen Tape arten näher zu untersuchen.

Die gemes­se­nen Gang­pa­ra­me­ter wur­den in Bezug auf fünf Aspek­te verglichen:

  • Schritt­län­ge des nicht ampu­tier­ten Bei­nes, gemes­sen zwi­schen „initi­al cont­act“ (Erst­kon­takt) der Gegen­sei­te und „ter­mi­nal stance“ (Ende der Stand­bein­pha­se) des pro­the­sen­ver­sorg­ten Bei­nes in cm;
  • Schritt­län­ge des ampu­tier­ten Bei­nes, gemes­sen zwi­schen „initi­al cont­act“ (Erst­kon­takt) des pro­the­sen­ver­sorg­ten Bei­nes und „ter­mi­nal stance“ (Ende der Stand­bein­pha­se) der Gegen­sei­te als Referenzwert;
  • Win­kel der Hüf­tex­ten­si­on am Ende der „ter­mi­nal stance“ (Ende der Stand­bein­pha­se) des mit einer Pro­the­se ver­sorg­ten Bei­nes in Grad;
  • Län­ge der Stand­bein­pha­se des Pro­the­sen­bei­nes in Sekun­den, begin­nend mit dem „initi­al cont­act“ (Erst­kon­takt) bis zur Pha­se der „ter­mi­nal stance“ (letz­te Abdruckphase);
  • sub­jek­ti­ve Schmerz­an­ga­be gang­bild­be­ding­ter Fehl­be­las­tun­gen im Bereich der Ili­o­sa­kral­ge­len­ke und der Len­den­wir­bel­säu­le (nach­fol­gend ISG/LWS) mit­tels Visu­el­ler Ana­logska­la (VAS).

Tape­an­la­ge

Das Tapen mit Kine­sio­tape hat sich im phy­sio­the­ra­peu­ti­schen All­tag eta­bliert; trotz­dem besteht auch nach meh­re­ren Jahr­zehn­ten des welt­wei­ten Ein­sat­zes immer noch kei­ne ein­heit­li­che Nomen­kla­tur. Jedoch haben sich Begrif­fe wie Muskel‑, Ligament‑, Kor­rek­tur- oder Lym­ph­tech­nik im Fach­ge­brauch durch­ge­setzt 4. Daher soll auf­grund der bes­se­ren Ver­ständ­lich­keit auf die­se Begrif­fe auch hier zurück­ge­grif­fen werden.

Der Stumpf ließ vor allem bei den ober­schen­kel­am­pu­tier­ten Pati­en­ten einen erhöh­ten Tonus der Hüft­flex­o­ren auf­grund funk­tio­nel­ler Ver­kür­zun­gen der Hüft­flex­o­ren sowie eine Abschwä­chung der Hüf­tex­ten­so­ren und ‑abduk­to­ren erken­nen (Abb. 1 u. 2). Alle Pati­en­ten zeig­ten eine Late­ral­fle­xi­on zur ampu­tier­ten Sei­te sowie eine Gegen­ro­ta­ti­on des Beckens (Abb. 3). Die­ses typi­sche Gang­mus­ter ist bio­me­cha­nisch begründ­bar, da ein ver­kürz­ter Hebel des Kör­per­ge­wich­tes letzt­lich einen ver­rin­ger­ten Kraft­auf­wand für die pel­vi­t­ro­chan­tä­re Mus­ku­la­tur bedeu­tet, beleg­bar durch die Berech­nung der Kraft des Mus­kels: Fm = Fg × (hg : hm).

Nach­teil die­ser Kom­pen­sa­ti­on ist eine ein­ge­schränk­te Hüf­tex­ten­si­on wäh­rend der Stand­bein­pha­se, was wie­der­um zu einer ver­kürz­ten Schritt­län­ge führt. Ver­schlech­tert wird die­ses patho­lo­gi­sche Gang­mus­ter durch eine funk­tio­nell beding­te Depres­si­on und Außen­ro­ta­ti­on der Becken­sei­te (soge­nann­ter Out­flow) des Pro­the­sen­bei­nes, was zu einer Vor­deh­nung der als Unter­zug die­nen­den Fix­a­to­ren des Schen­kel­hal­ses führt 5. Dabei han­delt es sich vor allem um den M. qua­dra­tus femo­ris und die Mm. gemel­li, die in ihrer Funk­ti­on als Adduk­tor und Außen­ro­ta­to­ren die Mm. ten­sor fasciae latae sowie glu­teus maxi­mus et mini­mus in ihrer Haupt­funk­ti­on als sta­bi­li­sie­ren­den Abduk­tor durch rezi­pro­ke Inner­va­ti­on zusätz­lich hemmen.

Auf­grund die­ser Erkennt­nis­se wur­de die Tape­an­la­ge wie folgt ange­legt: Zunächst wur­den bei Grup­pe I (10 Pati­en­ten) Gesäß- und Ober­schen­kel­mus­ku­la­tur sowie Rücken­mus­ku­la­tur getapt mit dem Ziel, die Mus­ku­la­tur des betrof­fe­nen Bei­nes zu unter­stüt­zen. Dabei wur­den der M. ten­sor fasciae latae sowie der M. glu­teus maxi­mus und medi­us mit­tels Mus­kel­ta­pe­an­la­ge im Sin­ne einer akti­ve­ren Hüf­tex­ten­si­on und ver­bes­ser­ten Stand­bein­funk­ti­on unter­stützt (Abb. 2).

Am Rumpf wur­de die Basis an der Gegen­sei­te in Höhe der Spi­na ili­a­ca ante­rior supe­ri­or (SIAS) ange­legt und anschlie­ßend dia­go­nal unter Ein­bin­dung des M. qua­dra­tus lum­borum zur Gegen­sei­te bis in Höhe des Angu­lus supe­ri­or sca­pu­lae mit ca. 20 % Zug­span­nung gezo­gen (Abb. 4).

Am Becken erfolg­te die Anla­ge als Kor­rek­tur­tape, um die auf­fäl­li­ge Rota­ti­on aus­zu­glei­chen. Die Basis wur­de hier ven­tral des Beckens in Höhe der SIAS der betrof­fe­nen Sei­te geklebt und dor­sal quer über das Kreuz­bein ver­lau­fend mit eben­falls ca. 20 % Zug zur SIAS der Gegen­sei­te gezo­gen (Abb. 4). Üblich sind bei der­ar­ti­gen Anla­gen meist 50 bis 100 % Zug­span­nung, aus­ge­hend von der Län­ge des Zügels. Die ver­rin­ger­te Zug­span­nung wur­de dage­gen bewusst gewählt, um even­tu­el­le Span­nungs­bla­sen zu ver­hin­dern. Bei Grup­pe II (10 Pati­en­ten) wur­de nur die oben auf­ge­führ­te Tape­an­la­ge für den Rumpf und das Becken verwendet.

Durch­füh­rung der Messung

Gemes­sen wur­de mit dem video­ge­stütz­ten Gang­ana­ly­se­ver­fah­ren der Fir­ma Dart­fi­sh auf einer Stre­cken­län­ge von 12 m in Fron­tal- und Sagit­tal­ebe­ne mit einer Auf­nah­me­ge­schwin­dig­keit von 50 Bil­dern pro Sekun­de. Der Ein­satz eines Lauf­ban­des kam aus Grün­den der Sturz­ge­fahr, aber auch, um das Gang­bild so rea­lis­tisch wie mög­lich zu gestal­ten, nicht in Frage.

Zunächst wur­den die Pati­en­ten ohne Tape gefilmt. Anschlie­ßend wur­den die Pati­en­ten getapt und nach ca. 5 Minu­ten noch­mals gefilmt. Im Anschluss erfolg­ten die Mes­sun­gen über Schnitt­bild­be­stim­mung in den ent­spre­chen­den Stand­bein­pha­sen sowie der Zeit­nah­me im Mil­li­se­kun­den­be­reich. Die erfor­der­li­chen Para­me­ter zur Schritt­län­gen­be­stim­mung und zur Ermitt­lung des Hüft­ge­lenks­win­kels wur­den dabei mit­tels der Soft­ware der Fir­ma Dart­fi­sh bestimmt.

Die Pra­xis hat bis­her empi­risch gezeigt, dass der eigent­li­che Tape­ef­fekt mit­tels einer anzu­neh­men­den erhöh­ten Akti­vi­tät der Mecha­n­o­re­zep­to­ren meis­tens 24 Stun­den nach Tape­an­la­ge ein­tritt. Auf die­sen Effekt wur­de jedoch bewusst ver­zich­tet, um die Film­auf­nah­men unter glei­chen Bedin­gun­gen durch­füh­ren zu kön­nen. Durch ent­ste­hen­de The­ra­pie­pau­sen von mehr als 48 Stun­den über das Wochen­en­de wäre dies nicht gewähr­leis­tet gewe­sen. Ledig­lich sub­jek­tiv ange­ge­be­ne Ver­än­de­run­gen im ISG-/LWS-Bereich wur­den mit­tels VAS über einen Zeit­raum von mehr als 24 Stun­den erfragt.

Ergeb­nis­se der Messungen

Der Zuwachs der Schritt­län­ge des „gesun­den“ Bei­nes wäh­rend der Stand­bein­pha­se des pro­the­tisch ver­sorg­ten Bei­nes betrug im Durch­schnitt aller Pati­en­ten 9,85 cm: bei Grup­pe I 9,9 cm, bei Grup­pe II 9,8 cm (Abb. 5). Gegen­über der Schritt­län­ge der Gegen­sei­te konn­te die Dif­fe­renz im Durch­schnitt aller Pati­en­ten bis auf ‑5,5 cm (ohne Tape 15,35 cm) ange­nä­hert wer­den (Abb. 6). Bei Grup­pe I betrug die Dif­fe­renz ‑6,4 cm (ohne Tape 16,3 cm), bei Grup­pe II ‑4,7 cm (ohne Tape 14,5 cm). Der Zuwachs der Hüf­tex­ten­si­on am Ende der Stand­bein­pha­se des pro­the­tisch ver­sorg­ten Bei­nes betrug im Durch­schnitt 3,56°: bei Grup­pe I 2,54°, bei Grup­pe II 4,59° (Abb. 7).

Die Ver­weil­dau­er auf dem pro­the­tisch ver­sorg­ten Bein wäh­rend der Stand­bein­pha­se ver­rin­ger­te sich im Durch­schnitt um 0,08 sec: bei Grup­pe I um 0,03 sec, bei Grup­pe II um 0,13 sec (Abb. 8). Die Schmer­zen im ISG-/LWS-Bereich ver­rin­ger­ten sich im Durch­schnitt um 2,8 Ska­len­wer­te: bei Grup­pe I um 2,5, bei Grup­pe II um 3,1 auf der Visu­el­len Ana­logska­la (Abb. 9).

Dis­kus­si­on

Die Tat­sa­che, dass die Pati­en­ten­ver­gleichs­grup­pe, die nur mit einem Rücken­tape ver­sorgt wur­de, bei drei Ver­gleichs­pa­ra­me­tern bes­se­re Ergeb­nis­se gegen­über der Kon­troll­grup­pe mit zusätz­lich getap­ter Ober­schen­kel­mus­ku­la­tur auf­weist, führt zu der Fra­ge, wel­chen Stel­len­wert eine Anglei­chung der Rumpf­sta­tik zur Ver­bes­se­rung der Gang­pa­ra­me­ter hat. Unter bio­me­cha­ni­schen Aspek­ten dient eine Late­ral­fle­xi­on des Rump­fes zur betrof­fe­nen Sei­te auf­grund der ver­än­der­ten Hebel­ver­hält­nis­se der Ent­las­tung der betrof­fe­nen Becken­mus­ku­la­tur. Eine Anglei­chung der Rumpf­sta­tik stellt zunächst eine Mehr­be­las­tung der pel­vi­t­ro­chan­tä­ren Mus­ku­la­tur des pro­the­tisch ver­sorg­ten Bei­nes durch ver­än­der­te Hebel­ver­hält­nis­se dar 5. Jedoch ermög­li­chen eine Kor­rek­tur der Rumpf­sta­tik und eine Repo­si­tio­nie­rung des Beckens eine ver­stärk­te Vor­deh­nung der vor allem für die Stand­bein­pha­se wich­ti­gen Mm. ten­sor fasciae latae, glu­teus maxi­mus et mini­mus sowie eine rezi­pro­ke Hem­mung der als Unter­zug arbei­ten­den Ant­ago­nis­ten M. qua­dra­tus femo­ris und Mm. gemel­li. Die phy­sio­lo­gi­sche Vor­span­nung eines Mus­kels führt durch die Opti­mie­rung der Stel­lungs­win­kel von Aktin- und Myo­sin­fi­la­men­ten zu einem ver­bes­ser­ten Kon­trak­ti­ons­ver­hal­ten des Mus­kels. Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass vor allem die­ser Umstand zur erwähn­ten Ver­än­de­rung der getes­te­ten Gang­pa­ra­me­ter führt.

Unter­mau­ert wird dies durch den Umstand, dass sich trotz Zunah­me der Schritt­län­ge um 10 cm und ver­grö­ßer­ter Hüf­tex­ten­si­on um 4° die Zeit der Stand­bein­pha­se des Pro­the­sen­bei­nes um fast eine Zehn­tel­se­kun­de von 0,84 auf 0,76 sec ver­rin­gert. Die Norm für die­se Gang­pha­se beträgt i. d. R. 0,5 sec. Bei unver­än­dert arbei­ten­der Mus­ku­la­tur wür­de sich die Zeit der Belas­tungs­pha­se auf dem Stand­bein bei einer Erwei­te­rung der Schritt­län­ge dage­gen erhö­hen, da mehr Weg­stre­cke zurück­ge­legt wird.

Die­se funk­tio­nel­le Betrach­tungs­wei­se legt den Schluss nahe, dass eine kor­ri­gier­te Rumpf­ak­ti­vi­tät deut­lich mehr Ein­fluss auf das Gang­bild pro­the­tisch ver­sorg­ter bein­am­pu­tier­ter Pati­en­ten nimmt. Im kran­ken­gym­nas­ti­schen All­tag spielt die­se Über­le­gung schon lan­ge eine wich­ti­ge Rol­le, jedoch scheint mit dem Ein­satz der vor­ge­stell­ten Tape­an­la­gen nicht nur eine Art ver­stärk­ter Lern­ef­fekt mit Vor­tei­len für den Pati­en­ten, son­dern auch ein schnel­le­res Umset­zen der gefor­der­ten Para­me­ter zur Ver­mei­dung von Stür­zen und zum Erlan­gen eines öko­no­mi­sche­ren Gang­bil­des erreicht zu werden.

Zudem gaben die Pro­ban­den am nächs­ten Tag eine Ver­stär­kung des Effek­tes der Tape­an­la­ge im Sin­ne eines noch siche­re­ren Gang­bil­des sowie eine Schmerz­re­duk­ti­on an. Hier scheint eine schon län­ger ver­mu­te­te Beein­flus­sung der myo­fas­zia­len Struk­tu­ren vor allem des unte­ren Rumpf­be­rei­ches einen posi­ti­ven Effekt aus­zu­üben 67. Ein Zusam­men­hang zwi­schen der Ver­rin­ge­rung sub­jek­tiv ange­ge­be­ner Schmer­zen im Bereich der Ili­o­sa­kral­ge­len­ke bzw. der LWS-Regi­on durch die Pro­ban­den und eine damit zusam­men­hän­gen­de Erwei­te­rung der Geh­stre­cken scheint eben­falls mög­lich. Die Autoren sind sich bewusst, dass die­se Über­le­gung nur einen Teil­aspekt dar­stellt, da objek­ti­ve Ein­fluss­fak­to­ren wie Alter, Mor­bi­di­tät und Moti­va­ti­on in der Reha-Pha­se wei­te­re wich­ti­ge Ein­fluss­fak­to­ren sind.

Schluss­fol­ge­run­gen

Durch die Anla­ge der beschrie­be­nen Kine­sio­tapes konn­te sowohl die Schritt­län­ge um ca. 10 cm wäh­rend der Stand­bein­pha­se des Pro­the­sen­bei­nes als auch die Hüf­tex­ten­si­on um ca. 4 Grad ver­bes­sert wer­den, wodurch die Dif­fe­renz zur Schritt­län­ge der Gegen­sei­te bis auf durch­schnitt­lich 5 cm begrenzt wer­den konn­te. Bei­de Aspek­te stel­len ein wich­ti­ges Kri­te­ri­um beim feh­ler­frei­en und vor allem sturz­frei­en Gehen mit einer Bein­pro­the­se dar. Auf­fäl­lig war dabei der Umstand, dass sich die Ver­weil­dau­er auf dem Pro­the­sen­bein wäh­rend der Stand­bein­pha­se um durch­schnitt­lich 0,1 sec ver­rin­ger­te, obwohl durch die erwei­ter­te Schritt­län­ge mehr Weg­stre­cke zurück­ge­legt wur­de. Dies unter­streicht den the­ra­peu­ti­schen Ansatz, einem Aus­gleich der Rumpf­sta­tik und einer kor­ri­gier­ten Becken­stel­lung zumin­dest eine gleich­ge­stell­te Wer­tig­keit gegen­über der Bein­mus­ku­la­tur zukom­men zu lassen.

Gang­bild­be­ding­te Schmer­zen im ISG-/LWS-Bereich ver­rin­ger­ten sich sub­jek­tiv um durch­schnitt­lich 3 Ska­len­wer­te auf der VAS. Zur Ver­bes­se­rung der Mess­ergeb­nis­se war die Tape­an­la­ge am Rumpf- und Becken­be­reich im Ver­gleich zu einer zusätz­li­chen Anla­ge der pel­vi­t­ro­chan­tä­ren Mus­ku­la­tur aus­rei­chend. Ziel ist es nun, wie ein­gangs erwähnt, durch wei­te­re Unter­su­chun­gen die Zahl der ins­ge­samt unter­such­ten Pati­en­ten zu erhö­hen und die­se wei­ter nach Art der Ampu­ta­tio­nen aufzugliedern.

Für die Autoren:
Mar­cus Neupert
Abt. Kran­ken­gym­nas­tik
Moritz Kli­nik Gmbh & Co. KG
Her­mann-Sach­se-Stra­ße 46
07639 Bad Klosterlausnitz
marcus.neupert@moritz-klinik.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Neu­pert M, Hauch S, Brück­ner L. Aus­wir­kun­gen von Kine­sio­ta­pe­an­la­gen auf das Gang­bild bei pro­the­tisch ver­sorg­ten bein­am­pu­tier­ten Pati­en­ten. Ortho­pä­die Tech­nik, 2017; 68 (10): 26–30

 

  1. Deut­sche Dia­be­tes Gesell­schaft. Die meis­ten Ampu­ta­tio­nen in Deutsch­land sind Fol­ge von Dia­be­tes – und lie­ßen sich ver­hin­dern. Pres­se­mit­tei­lung, 28.09.2012. https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/presse/ddg-pressemeldungen/meldungen-detailansicht/article/die-meisten-amputationen-in-deutschland-sind-folge-von-diabetes-und-liessen-sich-verhindern.html (Zugriff am 04.09.2017)
  2. Grei­temann B, Brück­ner L, Schä­fer M, Baum­gart­ner R. Ampu­ta­ti­on und Pro­the­sen­ver­sor­gung. Indi­ka­ti­ons­stel­lung – ope­ra­ti­ve Tech­nik – Nach­be­hand­lung – Funk­ti­ons­trai­ning. 4., voll­stän­dig über­ar­bei­te­te Auf­la­ge. Stutt­gart, New York: Thie­me Ver­lag, 2016: 397
  3. Götz-Neu­mann K. Gehen ver­ste­hen. Mün­chen: Thie­me Ver­lag, 2003
  4. Kum­brick B. K‑Taping. Pra­xis­hand­buch – Grund­la­gen – Anla­ge­tech­ni­ken – Indi­ka­tio­nen. Ber­lin, Hei­del­berg: Sprin­ger Ver­lag, 2011
  5. Hüter-Becker A, Döl­ken M (Hrsg.). Bio­me­cha­nik, Bewe­gungs­leh­re, Leis­tungs­phy­sio­lo­gie, Trai­nings­leh­re. Stutt­gart: Thie­me Ver­lag, 2005
  6. v. d. Berg F. Ange­wand­te Phy­sio­lo­gie 1 – Das Bin­de­ge­we­be ver­ste­hen und beein­flus­sen. Stutt­gart: Thie­me Ver­lag, 2010
  7. Pao­let­ti S. Fasci­en. Mün­chen: Urban & Fischer, 2001
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