Anfor­de­rungs­pro­fil an eine Pro­the­se der obe­ren Extremität

J. Walkowski
Der Erfahrungsbericht des Prothesenträgers und Orthopädie-Technikers Jan Walkowski zeigt auf, inwiefern sich das Anforderungsprofil an eine Prothese der oberen Extremität im Laufe der Zeit verändert. Ein solches Profil beschreibt, welche Voraussetzungen oder gewünschten Attribute (Eigenschaften, Fähigkeiten, Merkmale) die jeweilige Versorgung haben soll. Die Begründung für ein Anforderungsprofil ergibt sich im Wesentlichen aus dem Verwendungszweck, also aus der Frage, wo und wie der Anwender die Prothese einsetzen möchte. Daher ist es für den Techniker sehr wichtig, das Anforderungsprofil des Anwenders genau zu kennen. Nur so kann am Ende eine optimale Versorgung entstehen.

Ein­lei­tung

Ich wur­de 1976 mit einem ange­bo­re­nen Defekt rechts gebo­ren (Abb. 1 a u. b). In 40 Jah­ren als Pro­the­sen­trä­ger habe ich vie­le Erfah­run­gen mit Ober­arm­pro­the­sen sam­meln und deren Wei­ter­ent­wick­lung buch­stäb­lich am eige­nen Leib ver­fol­gen kön­nen. Mei­ner Aus­bil­dung zum Ortho­pä­die-Tech­ni­ker und der dar­auf­fol­gen­den Spe­zia­li­sie­rung auf dem Gebiet der obe­ren Extre­mi­tät kamen die eige­nen Erfah­run­gen sehr zugu­te. Durch die­se Kon­stel­la­ti­on bin ich mir umso bewuss­ter, wie schwer es manch­mal für den Ortho­pä­die-Tech­ni­ker ist, dem indi­vi­du­el­len Anfor­de­rungs­pro­fil des jewei­li­gen Anwen­ders gerecht zu wer­den. Der fol­gen­de Über­blick über mei­ne eige­nen Ver­sor­gun­gen zeigt auf, wie sich die Anfor­de­rungs­pro­fi­le im Lau­fe der Zeit ver­än­dern und inwie­fern – unter Berück­sich­ti­gung der tech­ni­schen Wei­ter­ent­wick­lung – dar­auf jeweils reagiert wer­den kann.

Anzei­ge

Habitusprothese/ Patsch­hand

1978, also mit zwei Jah­ren, erhielt ich mei­ne ers­te pro­the­ti­sche Ver­sor­gung in Form einer Habi­tus­pro­the­se mit einer Patsch­hand. Das dama­li­ge Ziel war die lang­sa­me Gewöh­nung an eine Pro­the­se sowie der damit ver­bun­de­ne Gewichts­aus­gleich, um die Wir­bel­säu­le im Wachs­tum gleich­mä­ßig zu belas­ten. Die Pro­the­se bestand aus einem Leder­schaft, einer geschäum­ten Innen­hand sowie einem PVC-Pro­the­sen­hand­schuh als Überzug.

Kos­me­ti­sche Oberarmprothese

Mei­ne ers­te kos­me­ti­sche Ober­arm­pro­the­se erhielt ich zur Ein­schu­lung im Jahr 1982. Anfor­de­run­gen an die Pro­the­se waren zum einen ein kos­me­ti­scher Aus­gleich, zum ande­ren wie­der­um ein Gewichts­aus­gleich. Die Pro­the­se wur­de mit einem Leder­in­nen­schaft, einem Ellen­bo­gen­ge­lenk aus Holz und einer Schmuck­hand ange­fer­tigt. Aus ähn­li­chen Bau­tei­len bestand auch die zwei­te kos­me­ti­sche Ober­arm­pro­the­se, eine Schmuck­pro­the­se, die ich 1989 erhielt. Auch hier­bei stand der kos­me­ti­sche Aus­gleich im Vordergrund.

Ers­te myo­elek­tri­sche Oberarmprothese

Die­se Ver­sor­gung im Jahr 1993 bedeu­te­te eine wich­ti­ge Ver­än­de­rung. Zu die­sem Zeit­punkt hat­te ich mei­ne Aus­bil­dung zum Ortho­pä­die-Tech­ni­ker begon­nen. Mir wur­de klar, wel­che kon­kre­ten Anfor­de­run­gen ich an mei­ne Pro­the­se stel­len muss und was zu die­ser Zeit tech­nisch mach­bar war. In die­sem Rah­men war es mög­lich, ver­schie­de­ne Lösun­gen aus­zu­pro­bie­ren – sei­tens der Tech­nik, aber auch der Schaft­ge­stal­tung. Für die­se ers­te myo­elek­tri­sche Ver­sor­gung wur­de ein Gieß­harz­schaft mit fron­ta­ler Klap­pe gefer­tigt (Abb. 2). Als Ellen­bo­gen wur­den Sperr­schie­nen ver­baut. Dies war not­wen­dig, weil mit einem Ellen­bo­gen­pass­teil eine Über­län­ge ent­stan­den wäre. Der Ellen­bo­gen konn­te mit Hil­fe einer her­kömm­li­chen Ach­ter­ban­da­ge gesperrt wer­den. Die­ses Sys­tem wur­de bis zur heu­ti­gen Ver­sor­gung bei­be­hal­ten. Da zu die­sem Zeit­punkt nur ein Mus­kel­si­gnal bestand, wur­de die Hand per Dop­pel­ka­nal­steue­rung betrie­ben. Ein wich­ti­ges Ziel die­ser Ver­sor­gung bestand dar­in, mit der Pro­the­se Fahr­rad fah­ren zu kön­nen. Bis zu die­sem Zeit­punkt hat­te dies ohne Pro­the­se statt­ge­fun­den, was immer wie­der zu Rücken­pro­ble­men führte.

Zwei­te myo­elek­tri­sche Oberarmprothese

Bei die­ser Ver­sor­gung 1999 hat­te sich das Anfor­de­rungs­pro­fil deut­lich ver­grö­ßert: Das Anzie­hen der Pro­the­se soll­te ver­bes­sert wer­den, es soll­te eine Umstel­lung von der Dop­pel­ka­nal­steue­rung auf eine Vier­ka­nal­steue­rung statt­fin­den, zudem soll­te der Tra­ge­kom­fort der Ach­ter­ban­da­ge im Ach­sel­be­reich opti­miert wer­den. Die Umstel­lung auf eine Steue­rung mit zwei Elek­tro­den bedeu­te­te eine star­ke Ver­bes­se­rung: Die Pro­the­sen­hand konn­te nun viel bes­ser und prä­zi­ser gesteu­ert wer­den. Um das Anzie­hen der Pro­the­se zu opti­mie­ren, wur­de die Klap­pe nach ven­tral ver­legt (Abb. 3). Dadurch konn­te ich von hin­ten in die Pro­the­se ein­stei­gen, und das Tra­ge­ge­fühl ver­bes­ser­te sich deut­lich. Um den Tra­ge­kom­fort der Ban­da­ge zu ver­bes­sern, wur­de im Bereich der Ach­sel ein Sili­kon­pols­ter angebracht.

Drit­te myo­elek­tri­sche Oberarmprothese

Bei die­ser Pro­the­se, die 2006 ent­stand, bestand die Anfor­de­rung, den Schaft noch wei­ter zu ver­bes­sern. Das Tra­ge­ge­fühl war noch nicht opti­mal. Also bestand die Über­le­gung, einen geschlos­se­nen Schaft aus Gieß­harz zu bau­en. Nach eini­gen Schwie­rig­kei­ten gelang es, einen geschlos­se­nen Schaft zu fer­ti­gen, in den ich mit­tels einer Anzieh­hil­fe hin­ein­fah­ren konn­te. Zugleich hat­te ich das Gefühl eines Voll­kon­takt­schaf­tes – ein gro­ßer Fort­schritt, um die Pro­the­se noch prä­zi­ser steu­ern und bewe­gen zu kön­nen. Da dies nun gege­ben war, konn­te erst­ma­lig eine „Sen­sor­Hand Speed“ von Otto Bock mit Dreh­steue­rung ver­baut werden.

Vier­te myo­elek­tri­sche Oberarmprothese

Bei die­ser Ver­sor­gung im Jahr 2011 ging es dar­um, das Schaft­prin­zip zu erhal­ten, aber das Mate­ri­al von Innen­schaft und Ban­da­ge zu ver­bes­sern. Also wur­de von der Fir­ma Otto Bock ein HTV-Innen­schaft ange­fer­tigt (Abb. 4a u. 4b). Dar­über wur­de dann in Eigen­leis­tung ein Car­bon­rah­men gegos­sen, um die Ver­bin­dung zum Unter­arm zu schaf­fen. Das Gefühl in die­sem Innen­schaft war völ­lig anders als beim Gieß­harz­schaft: Es ergab sich eine höhe­re Haf­tung und vor allem weni­ger Schweiß­bil­dung. Das wei­che­re Mate­ri­al erzeug­te ein sehr ange­neh­mes Tra­ge­ge­fühl. Nun war die Fra­ge, ob man mit dem HTV-Sili­kon auch eine Tra­ge­ban­da­ge her­stel­len kann, um dort eben­falls eine Ver­bes­se­rung zu errei­chen. Wie­der­um mit Hil­fe der Fir­ma Otto Bock gelang dies. Hier­aus resul­tier­te ein ganz neu­es Tra­ge­ge­fühl. Das Ver­schwin­den der Ach­sel­sch­lin­ge auf der Gegen­sei­te ist für mich bis heu­te einer der größ­ten Vor­tei­le der Sili­kon­ban­da­ge (Abb. 5). Von tech­ni­scher Sei­te änder­te sich nur, dass die Sen­sor­Hand Speed gegen eine Vari­Plus-Speed-Hand aus­ge­tauscht wur­de. Die Dreh­steue­rung blieb erhalten.

Aktu­el­le Versorgung

Mit der aktu­el­len Ver­sor­gung (Abb. 6), die 2013 ent­stand, änder­te sich das Anfor­de­rungs­pro­fil noch­mals deut­lich. Nur die Sili­kon­tra­ge­ban­da­ge blieb erhal­ten. Der HTV-Innen­schaft wur­de wei­ter opti­miert und dies­mal mit Myo­kon­takt­flä­chen gefer­tigt. Somit erhielt man einen Innen­schaft, der jetzt kom­plett aus Sili­kon besteht. Dadurch wur­de das Rei­ni­gen der Pro­the­se viel ein­fa­cher. Außer­dem ergab sich durch die Myo­kon­takt­flä­chen ein bes­se­res und sau­be­re­res Myo­si­gnal. Das war auch not­wen­dig, um die nun­mehr ver­wen­de­te Michel­an­ge­lo-Hand (eben­falls Otto Bock) opti­mal ansteu­ern zu kön­nen. Ein wesent­li­cher Vor­teil der Michel­an­ge­lo-Hand ist das Hand­ge­lenk, das vie­le Greif­po­si­tio­nen ein­fa­cher umsetz­bar macht. Dadurch hat sich auch das Tra­ge­ge­fühl der Pro­the­se völ­lig ver­än­dert. Das Zusam­men­spiel zwi­schen Schaft, Tra­ge­ban­da­ge und Hand ist momen­tan opti­mal, aber es ist davon aus­zu­ge­hen, dass sich das Anfor­de­rungs­pro­fil auch wei­ter­hin ver­än­dern wird und dass sich mit dem Fort­schrei­ten der tech­ni­schen Ent­wick­lung wei­te­re Ver­bes­se­rungs­mög­lich­kei­ten erge­ben werden.

Fazit

Jeder Anwen­der stellt unter­schied­li­che Anfor­de­run­gen an sei­ne Pro­the­se, weil jeder Anwen­der indi­vi­du­el­le Ansprü­che hat und die Pro­the­se für sehr unter­schied­li­che Situa­tio­nen benö­tigt. Für mich war und ist ein opti­mal pas­sen­der Pro­the­sen­schaft das Wich­tigs­te. Nur wenn der Pro­the­sen­schaft die Anfor­de­run­gen erfüllt, kann der Anwen­der die tech­ni­schen Pro­the­sen­pass­tei­le in ihrer Funk­ti­on opti­mal nut­zen. Somit kön­nen wir als Ortho­pä­die-Tech­ni­ker durch eine opti­ma­le Pass­form des Schaf­tes zu einem gro­ßen Teil gewähr­leis­ten, dass die Ver­sor­gung vom Anwen­der auch tat­säch­lich getra­gen wird und nicht im Schrank liegt.

Der Autor:
Jan Wal­kow­ski
Reha-aktiv GmbH
Dörn­er­zaun­stra­ße 1, 09599 Freiberg
Jan.Walkowski@reha-aktiv-chemnitz.de

Zita­ti­on Wal­kow­ski J. Anfor­de­rungs­pro­fil an eine Pro­the­se der obe­ren Extre­mi­tät. Ortho­pä­die Tech­nik, 2016; 67 (3): 56–57
Tei­len Sie die­sen Inhalt
Anzeige